Roadburn Festival 2019
Frostige Nächte, brodelnde Tage
Konzertbericht
Freitag, 12. April 2019
Tilburger Nächte sind lang, trallala! Nun ja. Vor allem aber sind sie zu dieser Zeit des Jahres verdammt kalt. Am eigenen Leibe erfährt das am Donnerstagabend der naturverbundene Teil der Belegschaft, der sich schüttelnd-fluchend in die Schlafsäcke rollt – wohl wissend, dass Kollege Lattemann (wie jedes Jahr) einfach auf Nummer sicher gegangen ist und folglich irgendwo in einem warmen Zimmerchen einer kleinen Pension friedlich schlummert. Es sind diese Momente, welche die Kollegen immer wieder zweifeln lassen, ob es sich nicht doch lohnen könnte, das Übernachtungskonzept noch einmal zu überdenken. Eigentlich müssen die beiden doch niemandem mehr etwas beweisen.
Unabhängig davon gilt natürlich, aus der aktuellen Situation eben das Beste zu machen. Folglich stellen Klug und Kostudis das Jammern ein und ertragen ihr selbst gewähltes Leid mit Würde und Anstand. „G-G-G-G…Gu…“ – „Hu-Hu-Hä?“ – „Gu-Gu…Nacht!“ – „J-J-Jo.“
Keine Frage, Minusgrade.
Wenn am folgenden Morgen allerdings die Sonnenstrahlen über die Zeltplanen tänzeln, ein warme Brise den Genuss des Kaffees versüßt und der neue Tag seine Aufwartung mit dem größtmöglichen Charme macht, ist die eher unbequeme Nacht schnell vergessen. Dumm nur, dass sich der Wettergott dazu entschieden hat, heute in Tilburg mal so richtiges Mistwetter aufzufahren. Wind, noch mehr Wind und Temperaturen unterhalb der Zehn-Grad-Grenze. „G-G-G-G…Gu…Morgen.“
Da hilft jetzt wirklich nur noch eines: Eine ordentliche Packung deftige Musik. Die findet sich praktischerweise ja sozusagen vor der Haustür. Also ab in die Koepelhal zu THROANE, die laut Vorab-Recherche wohl ein ziemliches Brett fahren sollen und daher auch bestens als Wachmacher dienen könnten.
Tatsächlich – das lässt sich bereits von Weitem vernehmen – poltern die Franzosen auch richtig mächtig daher und bringen die Mauern der Koepelhal zumindest ein wenig zum Bröckeln. Die Band tänzelt um ein gigantisches phallusähnliches Schwertgebilde, von der Bühne wälzt sich derweil düster-brachiale Post-Metal-Kost, dargeboten mit maximaler Intensität und Nachdruck. Was Band- und Kreativkopf Dehn Sora da mit seinen Mannen zelebriert, ist nicht nur furchteinflößend, sondern auch absolut unterhaltsam und schlichtweg richtig stark. An Müdigkeit, kalte Nächte und Pisswetter denkt nun jedenfalls keiner mehr.
Ins Grübeln bringt die Belegschaft eher die Tatsache, dass der Bandkopf in der Vergangenheit auch als Cover-Künstler für verschiedenste Truppen tätig war – viele davon mit einwandfreier Vita, aber eben leider nicht alle. So zeichnete er beispielsweise auch für die französischen AD HOMINEM, die nicht mehr als Grauzonen-Formation durchgehen, sondern zweifelsfrei und nachweislich rechtes Gedankengut vertonen. Was die Kollegen für problematisch halten. Insofern bleibt nach der – in musikalischer Hinsicht durchweg überzeugenden Performance – ein ziemlich bitterer Beigeschmack. Schade, dass solche Dinge überhaupt noch Thema sind oder dazu werden müssen.
TRIPTYKON mit orchestraler Verstärkung
Der nächste Programmpunkt wartet derweil schon. Und mit ihm Tausende von Menschen, welche in die 013 drängen und dafür sorgen, dass die Kapazitätsgrenzen der riesigen Venue zum ersten Mal in diesem Jahr so richtig ausgetestet werden. Volle Halle also beim Once-In-A-Lifetime-Auftritt von TRIPTYKON: Niemand weiß so recht, was Herr Warrior da auf die Bühne zaubern wird. Auf jeden Fall tut er es mit viel Personal. Ein 30-köpfiges Orchester erweckt das „Requiem“, das bereits auf CELTIC FROSTs „Into The Pandemonium“ begonnen wurde, zum Leben. Eigens für diesen Auftritt fertiggestellt, bescheren Band und Orchester 50 Minuten Gänsehaut – ein ganz und gar fantastischer Auftritt. Findet Kollege Lattemann. Bei Herrn Kostudis freilich kommt das opulente Bühnenwerk eher mittelmäßig an. Allerdings ist der Kollege mit seiner Meinung eindeutig in der Unterzahl. Denn TRIPTYKON, Dirigent und Orchester werden nach Ende ihrer Show auf furiose Weise abgefeiert.
Auf dem anschließenden Diskussionspanel ist Thomas Gabriel Fischer alias Tom G. Warrior die Erleichterung über das gelungene Experiment anzusehen. Und er stellt heraus, wie sehr dieses Werk ein besonderes Kapitel abschließt, ganz im Sinne des Dreiklangs: drei Bands (HELLHAMMER, CELTIC FROST, TRIPTYKON) sowie drei Elemente im Requiem („Into The Pandemonium“, neu komponierter Mittelteil, „Monotheist“ zum Abschluss). Mehr dazu gibt es dann in der Review zur Live-Aufnahme dieses einmaligen Konzerts, das noch für 2019 geplant ist – so lautete zumindest die Ankündigung Herrn Warriors. Lattemann, Job für Sie!
Orgelflächen aus der Hölle
Musikalisch lebt das Roadburn nach wie vor die Kontraste. Entsprechend räumen Streich- und Blasmusiker nun die Bühne, um Platz für eine wuchtige Hammond-Orgel samt ihrer sachkundigen Bedienerin zu schaffen. ANNA VON HAUSSWOLFF hat sich spätestens mit 2018er-Werk „Dead Magic“ viele Freunde in der Roadburn-Community gemacht – und zieht nun viele Schaulustige vor die Hauptbühne. In der Folge gibt es dann etwas mehr als eine Stunde verqueres Material. Sanftes Geplänkel wechselt mit kalt-metallisch dröhnendem Gehämmer. Und während sich die Instrumentalisten dabei zwischen den Extremen bewegen, tut es die Fronterin auch: So gleitet feinfühliger Singsang in entrücktes Gekreische, welches sich in den verkorksten Gesamtkontext aber bestens eingliedert. Während Kollege Kostudis dem Ganzen immerhin ein „besonders“ abringen kann, schwebt Klug wieder einmal im siebten Himmel. Dass hier binnen zwei Tagen zwei wahnsinnig starke Sängerinnen und Instrumentalistinnen die Männerdomäne so überragend aufmischen – eine wahrlich erfreuliche Entwicklung.
Und da das Roadburn ja nicht mit Goodies geizt, hetzen die Kollegen auch bei nächstbester Gelegenheit wieder zurück in die Koepelhal – wo man auch gleich wieder auf alte Bekannte trifft. Zunächst steht da das äußerst produktive Sludge-Quintett THOU, seines Zeichen Artist in Residence, und damit 2019 auch gleich mehrfacher Gast auf dem Roadburn. Mit auf die Bühne geschlichen hat sich aber auch wieder besagte EMMA RUTH RUNDLE, die die Schreie von Fronter Bryan Funck mit ihrem unverwechselbaren Lechzgesang und so manch schönem Riff unterlegt. Ein kollaboratives Set, das in seiner Einmaligkeit fast schon traurig stimmt: „We wrote all this music just for you“. Wir hoffen auf Bootlegs. Denn DAS wäre wirklich eine Schande.
Nachdem am Vortag ein Versuch gescheitert war, die „Hall Of Fame“ zu betreten, versuchen es die Kollegen nun erneut. Mit Erfolg. Die kleinere Nebenhalle der Koepelhal wird aktuell von PIJN bespielt, einem Fünfer aus Manchester, der sich auf seinem jüngst erschienenen Erstling „Loss“ der Vermengung vehementer und eingängiger Klänge widmet. Das scheint auch beim Roadburn-Publikum anzukommen – dicht gedrängt füllen die Zuhörer den Raum und spenden den Briten fleißig Applaus. Aber viel Bewegungsfreiraum gibt es nicht, weder in die eine, noch in die andere Richtung.
Viele Menschen, großer Andrang
Womit sich ein Phänomen – oder besser: Problem – bemerkbar macht, welches die Organisatoren bislang noch nicht in den Griff bekommen haben. Oder eben in Kauf nehmen. So werden die kleineren Locations, namentlich Hall Of Fame, Green Room und Patronaat (die berüchtigte Live-Sauna Cul De Sac ist ja nicht mehr im Programm), bei größerem Ansturm schnell zum Nadelöhr und zur fleischgewordenen Sackgasse. Wer in den kleineren Hallen etwas von der Musik mitbekommen will, muss anstehen. Und das gerne auch länger als 30 Minuten. Meist gibt es obendrein nur einen Zugang, der gleichzeitig als Ausgang dient. Die Folge: amtlicher Stau. Ein kurzes „Anchecken“ von Bands ist so kaum möglich. Diesem fallen am Ende vor allem viele der eher unbekannten Acts zum Opfer, weil eine Kontaktaufnahme schlichtweg zu zeitaufwendig und vor allem zu anstrengend ist. Gefühlt tummeln sich in diesem Jahr so viele Festivalbesucher wie nie zuvor in der Stadt. Gut möglich, dass seit dem Zuzug der noch einmal gut 2000 Mann schluckenden Koepelhal deutlich mehr Tickets in den Verkauf gegeben werden. Allerdings stoßen gerade die kleineren Venues dabei nun an ihre Grenzen. Bei allen Vorzügen und Höhepunkten des Tilburger Musikfestes: Das ist schon ein deutlicher Stimmungsdämpfer, finden die Kollegen.
Zumal die Belegschaft aus genanntem Grund auch das kurzfristig angekündigte Überraschungsset der Japaner MONO im Patronaat verpasst. Somit muss die – ja durchaus gelungene – Performance vom Vortag auf der Hauptbühne als einziges Erinnerungsstück an die Post-Rocker herhalten. Nicht schlimm, aber eben auch ein bisschen ärgerlich.
Dafür gibt es aber natürlich wieder einmal zahlreiche Randphänomene, die von Ausstellungen der teils auch als Künstler aktiven Musiker bis hin zu einer plötzlich aufpoppenden Skatehalle reichen. Eher zufällig passieren die Kollegen Klug und Kostudis diese und fragen sich auch durchaus beiläufig, was hier eigentlich gleich geschehen soll. Dabei ist der Anblick zumindest Kollege Klug aus so manchen YouTube-Untiefen bekannt. Genau so sieht das immer aus, wenn irgendwo Videos von einer „International Noise Conference“ hochgeladen werden. Und tatsächlich: Die anschließend auftretende LINGUA IGNOTA schlägt mit ihren verzerrten Schreien zumindest schon etwas in die verdächtige Kerbe.
Tomas Lindberg hat die Zügel in der Hand
Am Abend darf es dann auch durchaus etwas alteingesessener zugehen: Nostalgie-Modus an, Haare auf – und ab die Post! Die Melo-Death-Altmeister AT THE GATES um den diesjährigen Kurator Tomas Lindberg schicken sich an, die 013 mal ordentlich durchzurühren. Das KING CRIMSON-Cover „Red“ fällt noch einer Portion Fish and Chips zum Opfer (Kollege Klug vergibt nicht und vergisst nicht), dann aber entern die Kollegen mit etwas Verspätung die Venue.
Lindberg und seine Truppe präsentieren sich bereits in bester Spiellaune, geboten wird im Anschluss ein munterer Mischmasch aus neuem Material („At War With Reality“, „To Drink From The Night Itself“) und alten Heldentaten („Slaughter Of The Soul“). Dass das Ganze hervorragend funktioniert, ist keine Überraschung – schließlich genießen die Schweden einerseits allgemeinen Legendenstatus, haben es aber eben auch geschafft, mit ihren jüngsten Outputs an das Niveau vergangener Tage anzuknüpfen und so etwaige Fallstricke gekonnt zu umschiffen. Davon kann der gut gelaunte Fünfer den Berufskeptiker Kostudis dann doch noch fix überzeugen. Und so schwingen Alt und Jung gemeinsam beherzt die Matten, und ein Blick ins weite Rund macht deutlich: Diese Show ist definitiv ein Triumphzug. Und auch ohne rosarote Brille eben eine richtig starke Show der Skandinavier.
Gegen Ende des Sets holen sich AT THE GATES noch den einen oder anderen Gast dazu. Rob Miller, ehemaliger Fronter der englischen Punk-Ikonen AMEBIX, röchelt beispielsweise bei „Daggers Of Black Haze“ und „The Mirror Black“ mit, auch das JO QUAIL QUARTET, welches schon MONOs Gig am Tag zuvor untermalte, gibt sich nochmals die Ehre – und selbst HIGH ON FIRE- und SLEEP-Klampfer Matt Pike schaut schon mal vorbei. Das Publikum honoriert den Beitrag der Schweden mit tobendem Applaus. Und wenn sich Lindberg im Vorfeld einen Gig hätte malen können – er hätte wohl ganz genauso ausgesehen.
Sax-Doom zur Nacht
Nach einem kurzen Luftschnappen machen die Kollegen im Anschluss noch einen Abstecher ins Patronaat, wo MESSA die Bühne in Beschlag genommen haben. Kollege Lattemann lehnt verträumt an der Wand, und auch die Kollegen finden tatsächlich ein Plätzchen auf der Couch (!) im oberen Lounge-Bereich. Die experimentierfreudigen Neu-Doomlinge spielen heute weltexklusiv mit Live-Saxophon. Und der offenkundige Ambient-Jazz-Touch schläfert dann auch richtig schön ein – und zwar im positiven Sinne.
Minuten später trollen sich die Kollegen dann auch schon in die Zelte und rollen sich dort noch ein bisschen wärmer ein als am Vortag. Tatsächlich soll es in dieser Nacht nämlich noch knackiger als am ersten Tag zugehen, sogar der Gefrierpunkt könnte unterschritten werden, sagt die Wetter-App. Sollte die Belegschaft am Samstagmorgen also nicht mehr aus der Eisstarre erwachen, muss wohl der Herr Lattemann die verbleibenden zwei Tage allein abdecken. So denn: Drückt uns (oder ihm?) mal lieber mal die Daumen!
Bericht und Fotos von Anton Kostudis, Alex Klug und Sven Lattemann.
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