Roadburn Festival 2019
Frostige Nächte, brodelnde Tage
Konzertbericht
Donnerstag, 11. April 2019
Mit dem Alter kommt die Weisheit, heißt es. Nun, in der Praxis werden vermeintliche Naturgesetze aber auch gern einmal widerlegt – wie eben auch am Anreisetag von unseren Roadburn-Rackern Klug und Kostudis. Die hatten im Vorjahr auf der Suche nach dem Campingplatz nicht nur halb Tilburg abgefahren, sondern schlussendlich im niederländischen Acker-Nirvana vor der essentiellen Frage gestanden: Existiert dieser Zeltplatz überhaupt? Oder ist das hier alles eine große Verschwörung?
Tatsächlich nahm damals alles ein gutes Ende – einer beherzt-mutigen Fahrt ins Blaue über landwirtschaftliche Feldwege sei Dank. Nun wäre es nur logisch, dass die Suche nach dem eingezäunten Camping-Areal diesmal doch flotter von der Hand gehen müsste. Die Kollegen hatten die Herausforderung ja schließlich schon einmal gemeistert.
Tatsächlich aber: Hektisches Smartphone-Fummeln, erste Schweißperlen auf der Stirn, gereizte Stimmung im Wagen: Denn das dynamische Duo war nach erneuter Irrfahrt an eben jener Feldweg-Gabelung gelandet, an der schon im Vorjahr das gesamte Projekt Roadburn auf der Kippe gestanden hatte. Aber es gibt ja noch dieses berühmte Bauchgefühl. Also: Erster Gang rein, das Schild ignorieren, rechts abbiegen – und dann, Heureka! Der Zeltplatz. Einloggen, bitte! Fürs nächste Mal, beispielsweise.
PINK FLOYD beim Roadburn?
Hin oder her (und um das nächste Naturgesetz zu bemühen): Zeit ist leider endlich. Und so schmolzen auch die Minuten bis zum Beginn des ersten Tages-Höhepunkts. CRIPPLED BLACK PHOENIX waren für 15.10 Uhr in der Koepelhal angekündigt. Zu ebenjener Uhrzeit wetzten die beiden Reporter aber noch hektisch durch die schmalen Tilburger Gassen. Der eine (Klug) etwas ange-, der andere (Kostudis) etwas entspannter. Schließlich ist es kein Geheimnis, dass Herr Klug jahrelang ausgeprägte Sympathien für die britisch-schwedische Formation hegt.
Schließlich mit mehrminütiger Verspätung in der Halle angekommen, die große Überraschung: Leere Bühne, keine Band. Überraschend deswegen, weil sich im Roadburn-Zeitplan eigentlich nie Verzögerungen einschleichen. Schon gar nicht zur ersten Band. Bedeutet erfahrungsgemäß: Kommste zu spät, haste Pech gehabt. Heute allerdings – und das mag eine glückliche Fügung sein – geht es ein bisschen später los. Generell ist alles noch ein bisschen verschlafen: Denn als Justin Greaves und Kollegen die Bühne betreten und nach kurzem Intro mit „To You I Give“ loslegen, offenbaren sich noch einige Lücken in den Reihen vor der Bühne. Offensichtlich muss das Roadburn noch ein bisschen Anlauf nehmen.
Mit vielen Aushilfsmusikern und gewohnter Tightness starten CRIPPLED BLACK PHOENIX ziemlich straight und rockig in den Tag. Besucherinnen und Besucher der jüngeren Tourneen wissen: Ausufernde Post-/Psych-Rock-Schwurbeleien gibt es allenfalls zum Ende des Sets. Bis dahin kriegt man die Zeit aber auch gut mit „Great Escape“-Tracks und einem SWANS-Cover rum. Anschließend gibt’s natürlich die besten Tracks der „I, Vigilante“ und den gewohnten, aber heute auf der Brust etwas schwachen „Burnt Reynolds“-Chor. Was die aktuelle Tour – und somit auch das heutige Finale – aber endgültig zu einem Ausnahmeerlebnis macht, sind die finalen 30 Minuten. Dass PINK FLOYDs „Echoes“ einmal durch die heiligen Roadburn-Hallen schallen könnte, das hätte sich wahrscheinlich nicht einmal der megalomane Line-up-Booker Walter Hoeijmakers himself träumen lassen. Dafür lassen uns CRIPPLED BLACK PHOENIX heute auf ganz besondere Art und Weise von der Vergangenheit träumen. „Overhead the albatross …“
Wie schon in der Vergangenheit sorgt die Performance der Band auch diesmal für Diskussionen bei der Belegschaft. So scheitert Kostudis letztlich erneut bei seinem Versuch, mit der Truppe irgendwie warm zu werden. Zitat: „Das ist einfach nicht meine Band. Und wird es auch nicht mehr.“ Klug, sichtlich geschockt angesichts der Endgültigkeit dieser Worte, versucht noch, mit der anfänglich unpassenden Songauswahl des Sets zu argumentieren – allerdings vergebens. Die Stimmung hebt schließlich Kollege Lattemann, der grinsend vor der Halle steht und die Kollegen herzlich in die Arme schließt. Damit ist die bewährte Mannschaft nun komplett.
Eine Würdigung für THE DEVIL’S BLOOD
Strategisch clever teilt man sich jedoch auf. Und Lattemann bezieht sogleich vor der Hauptbühne Stellung. Er stellt fest: Obwohl so angekündigt, klingen MOLASSES tatsächlich nicht wie THE DEVIL’S BLOOD, auch wenn Farida Lemouchis Stimme naturgemäß ständig an die Band erinnert. Ein bisschen Wehmut bleibt also nicht erspart. Ansonsten attestiert Lattemann: Die Rhythmus-Abteilung kommt hier wie ein rollender Zug daher, treibt die Songs ununterbrochen vorwärts. Der Rest der Band kann sich auf dieser Basis austoben: sei es mit Gitarrensoli oder elektronischen Spielereien. Die Songs sind psychedelisch, aber immer richtig tight nach vorne. Einfach gut, findet der Kollege. Und verdrückt ein Tränchen für Bruder Selim.
Zum Heulen ist auch die Klug’sche Mittagskarte. Es gibt Pasta-Reste vom Vortag, allerdings ohne Nudeln. Ratatouille mit Backtheken-Fladenbrot ausm LIDL. Tja, Kostudis, hier wird dir noch mehr geboten als in der Koepelhal. Und nicht nur das: Nach kurzer Gaskocher-Akrobatik entdeckt der Kollege sogar noch eine halbe Spaghetti zwischen Champignons und Paprika. Augen zu und durch. Was muss, muss.
Was eigentlich auch gemusst hätte, wären HEXVESSEL. Die fallen aber leider der kulinarischen Abenteuerreise zum Opfer. Vielleicht auch gar nicht so schlimm, denkt Kollege Klug, der sich voller Wonne an das durchaus – nun ja – moderat besuchte Konzert im Kölner Club Volta vor wenigen Wochen zurückerinnert. Ein intimes Album wie „All Tree“ mit 3999 Besoffskis und Kollege Kostudis vor der Main Stage teilen? Nein, danke.
Wohlige Schauer bei EMMA RUTH RUNDLE
Nach kurzem Zwischenstopp an der Getränke-Theke nimmt das Gespann also den nächsten Programmpunkt in Angriff. Wieder Koepelhal, diesmal allerdings deutlich voller. Also die Halle. Auf der Bühne steht RED SPAROWES-Klampferin EMMA RUTH RUNDLE. Und waren sich die Kollegen nur kurze Zeit zuvor noch uneinig gewesen, kamen sie nun sehr schnell zu einem Konsens. Der lautete: Wahnsinn, ist das stark, was die US-Amerikanerin da mit ihrer Band auf die Bretter zaubert. Zu hören gibt es ausschließlich Songs der beiden jüngsten Werke „Marked For Death“ und „On Dark Horses“. Zur Erheiterung der Belegschaft werden die Tracks des erstgenannten 2016er-Werks als „alte Songs“ angekündigt. Humor hat sie jedenfalls, die Künstlerin – ebenso wie eine eindringliche, eigenwillige Stimme, welche vielen im Publikum den einen oder anderen wohligen Schauer beschert. Nach dem Ende der Show: überall Glückseligkeit. Es ist eben einfach ein schönes Gefühl, wenn schon nach dem ersten von vier Tagen die Erkenntnis steht: Das hat sich jetzt schon gelohnt.
Zu selbiger Überzeugung gelangt Kollege Lattemann nach dem Besuch bei TWIN TEMPLE im Patronaat. Die nämlich sind angenehm ironisch und mit großem Spaß unterwegs. Irgendwo zwischen Hochzeitsband und Okkult-Musical pendelt der Gig, die Liveband tut dem Sound richtig gut: Orgel und Saxophon geben den Retro-Klängen den richtigen Punch. Ausreichend Satan-Mambojambo gibt es obendrauf: Macheten wie Matten werden geschwungen und goldene Kelche geleert, die sexuelle Befreiung postuliert. Sympathischer Auftritt!
Von sympathisch zu skurril: Was HEILUNG in der Folge auf der Hauptbühne aufziehen, ist nun wieder einmal eine dieser denkwürdigen Mammut-Performances, wie sie in den vergangenen Jahren in Tilburg zu bestaunen waren: Gefühlt hundert Musiker auf der Bühne, tonnenweise Tierfelle, Heiden-Deko, gelbliches Dämmerlicht und herumbaumelndes medizinmännisches Besteck. All das sorgt für eine stimmige Kulisse des musikalisch Gebotenen, das da wäre: Chöre, viel Hou-Hou aus tiefen Kehlen und barbusige Damen, die sich für die showbegleitenden, rituell anmutenden Prozeduren in (halbe) Schale geschmissen haben. Mittelalterlich-modernes Musik-Theater, sozusagen. Und wie bei so vielen Programmpunkten hier in Tilburg gilt auch für die dänisch-deutsche Folk-Brigade: Wer’s mag, hat Spaß dran. Die Belegschaft, die sich in dieser Frage noch nicht so richtig entscheiden kann, beschließt, das Ganze erst einmal sacken zu lassen und zu schauen, was der Abend denn noch so bringt.
Mehr Streicher braucht das Land
Tatsache ist: Es wird bedeutend kitschiger: MONO wird die Ehre zuteil, das Hauptbühnenprogramm in der immer wieder eindrucksvoll anzusehenden (und pickepackevollen) 013 zu beenden. Dabei betreten gleich zwei Quartette die Bühne: die Band an sich sowie vier hinzubeorderte Streicher um CASPIAN-Kollaborateurin JO QUAIL. Und diese sorgen in den anschließenden 80 Minuten dafür, dass die ohnehin schon sehr episch-ausladenden Post-Rock-Wälzer noch ein bisschen pathetischer ertönen. Und damit treffen die Japaner offenbar zu später Stunde auch den Nerv des Publikums, das sich träumend vor der Bühne wiegt.
Gefeiert wird heute der zehnjährige Geburtstag von „Hymn To The Immortal Wind“, welches es dann erwartungsgemäß (weil eben Roadburn) auch in voller Länge zu hören gibt. Das Streichquartett fungiert dabei gewissermaßen als „Ersatzorchester“ – mit einem solchen wurde das fünfte Studioalbum der Japaner seinerzeit auch eingespielt. Das scheint auch bei AT THE GATES-Chef Tomas Lindberg Eindruck geschunden zu haben: Denn MONO sind eine jener Bands, die im Rahmen des von Lindberg kurierten „The Burning Darkness“-Programms eingeladen wurden. Und so schmeißt sich der Berufs-Basecap-Träger auch brav ins Getümmel – zuletzt gesehen wurde er irgendwo zwischen Bar und Bühne.
Als die Japaner ihr Set unter Jubel beschließen und die Menschen aus der Venue drängen, ist es bereits nach Mitternacht. In diesem Moment fordert der erste Tag dann auch schon seinen Tribut, durch gähnende, schlendernde Kuttenträger hindurch bahnt sich auch das Kollegen-Duo seinen Weg durch die Nacht – und gen heimischem Zeltplatz. Bei knackigen Temperaturen um den Gefrierpunkt ist dort Erholung angesagt: Schließlich werden in den kommenden drei Tagen noch massig Eindrücke auf die Belegschaft zurollen.
Oh und ach so: Hallo, Roadburn! Schön, dass wir uns wiedersehen.
Bericht und Fotos von Anton Kostudis, Alex Klug und Sven Lattemann.
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