Friction Fest
Das Festivalcomeback 2015
Konzertbericht
FREITAG, 16. OKTOBER 2015, ASTRA BERLIN.
Bericht von Lydia Wolff. Alle Fotos von Cindy Mißbach.
Als Ende April die Auferstehung des Friction Fests in sozialen Netzwerken bekannt wurde, war klar: DAS muss den Wochenendtrip von Dresden nach Berlin definitiv wert sein. Schon 2011 im „legendären“ Berghain gelang die Mischung verschiedenster Stile der härteren Genres bestens. Bands wie KHOMA, JUNIUS, ABRAHAM und EARTH öffneten ihre Basskoffer, um dem Publikum eine kräftige Abreibung zu verpassen. Kein ach so geheimes Foto aus dem Inneren des Betonkolosses hätte wiedergeben können, wie überwältigend das Line-up die Meute unterhielt. Klar idealisiert man vergangene Festivals immer ein wenig, aber das Friction 2011 war für Kollegen Kostudis und meine Wenigkeit schon ein gelungenes Fest.
Umso bedauerlicher, dass jener aufgrund anderer Verpflichtungen den Festivaltest 2015 leider nicht mit mir antreten kann. Demzufolge wird das schäbige Doppelzimmer im Hostel kurzerhand mit Foto-Freundin Missi gebucht und der günstige grüne Fernbus rumpelt mit genug Prosecco (Klischee!) im Handgepäck Richtung Berlin. Dieser Metal-Mädchen-Trip schien definitiv ein adäquater Begleitungswechsel zu sein.
?INIE
Spitze läuft unsere Zeitplanung die Ankunft in Berlin betreffend schon mal nicht. Durch Stau auf der Autobahn und rauchwerkbedingte Orientierungsschwierigkeiten des Hostel-„Mitarbeiters“, erreichen wir das Kulturhaus Astra leider erst zum letzten Song der Hamburger Band ?INIE. Die hauseigenen Strobos wurden nämlich bereits um 17 Uhr zu deren mit Elektrosound gespicktem Noise Rock eingeschaltet. Das Publikum jedenfalls ist sofort im Räderwerk des Frictions eingekeilt und wird schon mal „auf Linie“ gebracht. Beim Plausch am Merchstand mit Bassist Ralph ergattere ich die Setlist und lasse mir ein kurzes Update zum Auftakt geben.
Setlist:
- Blood
- The City
- Inability
- No Ideal
- Bearing Life
- Chewing
- Lake Of Fire
- Velocity
TODTGELICHTER
Nach einer Bierpause, die uns ein wenig Orientierung auf dem Gelände verschafft, erleuchtet die Szenerie in gleißendem Schwarzlicht. Die weißbemalten TODTGELICHTER-Musiker um Frontfrau Marta, die ebenfalls aus der Hansestadt Hamburg stammen, bevölkern nun die Bühne. Zugegeben, diese Outfits und die farbgetränkten Haare treffen nicht ganz unseren Style, zumal Martas langer Mantel mit Kreuzstichoptik eher hinderlich, als vorteilhaft zu sein scheint. Aber über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. So ist das mit der Mode, so ist das mit der Musik.
Mit „Café Of Lost Dreams“ verschafft sich die Kapelle erst mal die musikalische Aufmerksamkeit der Frictianer. Die Doublebass hämmert zu klaren Gitarrenklängen einen guten Opener an den Bühnenrand. Angst braucht hier aber keiner zu haben. Denn der 90er-melodische Beauty-And-The-Beast-Wechselgesang-Metal ist seit den legendären THEATRE OF TRAGEDY in der Metalszene nun wirklich keine Überraschung mehr. Technisch, eingängig und schnulzig-verträumt schlurft dann aber ein Song nach dem anderen im Mid-Tempo über den eher mäßig gefüllten Parkettboden. So richtig springt der Funke erst beim letzten Song „Shinigami“ über. Haare wabern, einzelne Körper schunkeln – die Entscheidung, sich ein neues Bier zu holen, wird uns durch die verstaubten Kompositionen der künstlich anmutenden Malermeister wirklich leicht gemacht. Die Grundierung stimmt schon mal, aber ein Tapetenwechsel ist jetzt bitter nötig.
Setlist:
- Café Of Lost Dreams
- Ghost
- Embers
- Soil
- Shinigami
MANTAR
Nach kurzer Umbaupause wird klar: Jetzt wird’s deftig. Der aufgemalte Schriftzug „POWER“ auf dem Gitarren-Amp hält, was er verspricht. Die zwei norddeutschen Jungs von MANTAR machen dem Albumtitel „Death By Burning“ alle Ehre und zünden ein Feuerwerk an Stoner-Sludge-Salven, auf dass der Testosteronspiegel im Raum merklich zu kochen beginnt. Drummer Erinc hat seine Bude auf Augenhöhe in DYSE-Manier zu Hannos Amp-Festung platziert. So haut er seinem Bandkumpel mal schön rotzig dreckige Beats rüber, die Hanno mit mauligem Gesang und fetten Riffs erwidert. Es ist zu spüren, dass diese beiden sich im Proberaum schon länger etwas zu sagen haben. Den Begriff „Sludge“ soll man ja laut unseres Interviews zum Album-Release 2014 nicht mehr nutzen, aber Parallelen zu Gesellen wie HIGH ON FIRE oder BLACK TUSK sind nicht abzustreiten.
Dabei macht das Duo Lärm für fünf, so stelle ich gnädigerweise meine Affinität zu differenzieren Bassklängen für die zwei Herren mal beiseite. „Das nächste Lied hat der Drummer für den Dancefloor geschrieben. Es darf getanzt werden“, amüsiert sich Hanno. Nachdem sich nun beide Musiker ihrer Shirts entledigt haben, steigt auch der Östrogenspiegel nebst Schweißtropfen-Gehalt in der Luft. Endlich erhält das starre Astra den Eintrittsstempel für das echte Friction-Fest-Feeling! Zum Abschied stellt Hanno den Berlinern am 19.12.2015 im Cassiopeia ein Doppeldate in Aussicht. Wer kann nach so ’nem Abriss zwischen Schweiß und Nebel da schon „Nein“ sagen?
LANTLÔS
Kaum ist der MANTAR-Schweiß auf den Röhren verdampft, wird die Berliner Luft im Astra gleich im Anschluss von LANTLÔS aus Rheda-Wiedenbrück melodramatisch aufgeladen. Das Friction-Kontrastkonzept könnte spannender kaum sein. Bereits Mitte September durchquerten LANTLÔS gemeinsam mit ALCEST für fünf Shows die deutschen Lande. Die Setlist wurde entsprechend beibehalten, sodass die Devise zum Opener „Bliss“ lautet: Jetzt bitte einatmen und tiefe Gefühle zulassen. Doch leider kommt das soundtechnische Zusammenspiel der Landlosen heute keinesfalls differenzierter oder druckvoller daher, als es schon auf einigen Gigs der ALCEST-Tour der Fall war. Der Drumsound klingt wie ein kaputter Ventilator mit dumpfen Mikro-Sound, und auch der zweistimmige Gesang zu „Melting Sun I“ klingt obendrein so genießbar wie ein Sonnenaufgang bei Smogalarm. Dabei wirkt Frontmann Markus „Herbst“ Siegenhort doch eigentlich recht routiniert und versucht, die Spannung der „Melting Sun“-Songs gezielt aufs Publikum zu übertragen. Hierbei wechselt er – typisch für die LANTLÔS’sche Shoegaze/Post-Black-Metal-Mischung – gekonnt zwischen Klar- und Keifgesang. Doch leider trübt der Sound mal wieder den violetten Klangteppich. Sorry, aber das haben KHOMA vor fünf Jahren noch deutlich besser hinbekommen.
Setlist:
- Bliss
- Melting Sun I: Azure Chimes
- Melting Sun II: Cherry Quartz
- Melting Sun IV: Jade Fields
- Coma
Die Umbaupause erlaubt erneut ein Gezapftes und lässt Zeit für einen kleinen Rundgang. Leider ist das Astra nicht so lebhaft gefüllt wie vermutet, über Zahlen kann nur spekuliert werden. Ohnehin wirken hier allenfalls die Glaslampen im Foyer und eine kleine Lichterkette am ungeöffneten Biergarten „festlich“. Da haben die Veranstalter des Desert Fests 2014 durch Beleuchtung, Banner und zusätzliche Stände wesentlich mehr Stimmung ins Kulturhaus gebracht. Trotz der in Kreuzberg reichlich angebotenen Speisemöglichkeiten, wäre es doch schön gewesen, sich zwischen den Gigs einen kleinen Snack gönnen zu können, wenn man schon seit 16 Uhr im Astra verweilt. Darüber hinaus vermisse ich hier auch einen guten Kaffeestand, aber da bin ich wohl etwas verwöhnt. Der unablässige Regen drängt die Raucher unter Schirm und Vordach zusammen. So können Frictianer miteinander in Kontakt kommen, wenn sich schon kein Smalltalk am (fehlendem) Plattenstand ergibt.
PRIMORDIAL
Die Räder des Friction Fests drehen sich planmäßig weiter und so ertönt um Punkt 21 Uhr ein mahnendes Intro. Mit dem Titelsong des gleichnamigen Albums „Where Greater Men Have Fallen“ stürmen PRIMORDIAL die Bühne. Zwar hält sich meine Begeisterung für Pagan bzw. Celtic Metal eher in Grenzen, aber das leidenschaftliche Schauspiel von Frontmann Alan „Naihmass Nemtheanga“ Averill fasziniert dann schon ein wenig. Dieses Bühnenstück trifft technisch, akustisch und mimisch alles, was PRIMORDIAL darstellen wollen.
Bekleidet mit einer schmutzigen Kapuze und verschmierten Warpaint stürmt der energetische Fronthenker in alle Ecken der Bühne, erklimmt die Traversen und singt seine kriegerischen Geschichten. Zu „Gods To The Godless“ vom 2000er Album „Spirit The Earth Aflame“ wissen die Musiker gekonnt die Wogen aus Haaren und ausgestreckten Fäusten des Publikums zu dirigieren. Ur-Bassist und Gründungsmitglied Pól MacAmlaigh schiebt dem Hörer besten Rickenbacker-Sound in die Hirnlappen, während „No Grave Deep Enough“ den Erdboden erbeben lässt. „Raise Your Fist!“ fordert Prediger Averill die Crowd auf und schlägt demonstrativ auf das Becken von Drummer Simon O’Laoghaire. Auch in ruhigen Passagen der folgenden Songs springt eine Energie aufs Publikum über, als stünde man inmitten einer weinseligen Meute Wikinger. Mit „Empire Falls“ und einem aufrichtigem „Dankeschön“ verlassen PRIMORDIAL das Schlachtfeld. Und haben meine Voreingenommenheit tatsächlich etwas eingedämmt.
Setlist:
- Intro: Dark Horse On The Wind
- Where Greater Men Have Fallen
- Gods To The Godless
- Babel’s Tower
- No Grave Deep Enough
- As Rome Burns
- Wield Lightning To Split The Sun
- The Coffin Ships
- Empire Falls
KATATONIA
Das Backdrop des 2015er Live-Albums „Sanctitude“ färbt sich nachtblau ein. Endlich betreten KATATONIA die Bühne. Ehrfürchtig und erwartungsvoll drängen sich die Zuhörer dem Quintett entgegen. Mit „Buildings“ vom bereits drei Jahre zurückliegenden „Dead End Kings“ eröffnen sie das fast anderthalbstündige Set, das aus verschiedensten Fundstücken der schwedischen Plattenkiste besteht. Der glasklare Sound lässt jedes Wort von Fronter Jonas Renkse durch die Nebelschwaden ins Publikum sinken. Bei „Dead Letters“ setzt dann auch das Publikum mit Stimmgewalt zum Refrain ein. Wahnsinn! Feierlich wird Song für Song angekündigt, Renkse führt andächtig wie ein Moderator durch den Abend: „Are you with us, Friction Fest?“ Das Publikum erwidert den musikalischen Dialog immer wieder mit Mitsing- und Klatsch-Passagen, wie beispielsweise zu „The Longest Year“ und „Ghost Of The Sun“.
In der Folge kündigen die Schweden an, dass der Auftritt der vorerst letzte sein wird, bevor es für ein neues Album ins Studio geht. Hierbei bedankt sich die Truppe ausdrücklich bei Drummer Daniel Moilanen und Gitarrist Tomas Åkvik, die seit Juli zur Tour-Besetzung zählen. Abschließend wird es mit „My Twin“ vom Album „The Great Cold Distance“ nochmals emotional. Ein Flashback ins Jahr 2006 und so muss natürlich die obligatorische SMS an Festivaldude Kostudis folgen. Hinterher gibt’s „Lethean“ und „July“, dann schweben KATATONIA durch den Bühnennebel davon. Entrückte Gesichter und vor Glück glasige Augen stieren ihnen nach. Und dann fliegt mir natürlich noch das Plek von Åkvik zu – mehr geht nicht! Doch… mhhh… ein Bier vielleicht?
Setlist:
- Buildings
- Increase
- Forsaker
- Dead Letters
- Day And Then The Shade
- Leaders
- Cold Ways
- Teargas
- Evidence
- The Longest Year
- Ghost Of The Sun
- The Racing Heart
- Soil’s Song
- Criminals
- My Twin
- Lethean
- July
Vollkommen beflügelt wollen Fotografin Missi und ich noch ein Abschlussbier (und ’nen Schnäppi) auf den Abend trinken und hoffen, dass noch eine kleine Aftershowparty im Foyer des Astra steigt. Schließlich haben sich ja Fans aus verschiedensten Nationen beim Friction Fest eingefunden. Doch an der Bar sieht es verdammt leer aus. Ähm, was haben wir denn verpasst? Hinter uns wird schon geräumt und das Security-Personal fordert uns freundlich auf, unser Bier zu leeren. Sturzbier. Aber es ist gerade einmal Mitternacht. Und das in BERLIN?! Auf Nachfrage werden wir an „Paules Metal-Eck“ verwiesen, wo wir bestimmt „sowatt wie hier“ erleben könnten. Ernüchtert verlassen wir die Location. So hatten wir uns den Abschluss dann doch nicht vorgestellt. Einzelne Grüppchen, Paare und Kuttenträger trollen sich in die Nacht. Also biegen wir in die Kreuzberger Dunkelheit ab und erleben jetzt wohl das, was das Friction Fest im Vorfeld als Genrereibung bezeichnet: Von KATATONIA nach Kenia – afrikanische Tanznacht im „Badehaus Szimpla“. Um 4:00 Uhr nachts testen zwei orientierungslose Mädels schließlich die Kurzstreckenregel der Berliner Taxigesellschaft (Winken für 5 Euro) und landen bierselig im Hostel.
Bericht von Lydia Wolff. Alle Fotos von Cindy Mißbach.
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