European Metal Festival Alliance 2020
der große Festivalbericht
Konzertbericht
Sonntag, 09.08.2020
12.00 DEAD LORD
DEAD LORD zeigen heute eine Show aus ihrem Proberaum. In diesem doch recht beengten Ambiente reicht der Platz gerade mal für eine Handkamera aus. Das sorgt zum einen für ziemlich rohes Bildmaterial, zum anderen dafür, dass man förmlich spüren kann, wie der Schweiß von der Decke tropft.
Obwohl der Band zwischen den Songs die ungewohnte Situation anzumerken ist, geben sie auf musikalischer Ebene durchweg Vollgas. Und zu dem ein oder anderen Witz lässt sich Frontmann Hakim Krim dann doch hinreißen. Vor „Onkalo“ etwa öffnet er eine Flasche Champagner und kommentiert: „Bitte kauft unser Merch, damit wir noch mehr davon besorgen können“.
Im anschließenden Song beeindruckt vor allem das dynamische Gitarrenduell. DEAD LORD haben spürbar Bock, endlich mal wieder richtig Action zu machen – wenn auch nur virtuell. Mit dem zurückgelehnten „Messin‘ Up“ präsentieren die Schweden sogar einen neuen Song, der ganz in der Tradition von THIN LIZZY steht und jede Menge gute Laune verbreitet. Sehr cooler Tageseinstand.
(Dominik Rothe)
14.00 ROADKILLSODA
ROADKILLSODA kommen aus Rumänien und spielen trockenen Stoner-Rock. Der Eingangsfilm zum ArtMania-Festival bleibt somit weitgehend deckungsgleich, ebenso wie das Aftermovie nach dem Set. Sie spielen in derselben Location wie ihre Kollegen WHITE WALLS am Vortag und haben ebenfalls eine kleine Lichtshow am Start. Auch wenn es im Chat hoch und her geht mit Veganertum, billigen Drogenwitzen und mehr, scheint der Stoner Rock der Rumänen gut anzukommen.
Der Sound ist gut, Sänger Andrei Gherghel hat zwischendurch leider ein paar Stimmprobleme, seine Ansagen bleiben kurz und allgemein, aber alles in allem legt die Band doch eine performante Leistung hin. Es bleibt bei einem guten Gig, dem aber letztlich das gewisse Etwas doch abgeht. Neue Fans scheinen ROADKILLSODA aber trotzdem gefunden zu haben.
(Alexander Santel)
15.00 SVART CROWN
Vor dem Set der Franzosen SVART CROWN gegen 15 Uhr wird das Motocultor als eines der größten Festivals des Landers präsentiert, ehe man startet. Man hat sich in einem runden, klassisch-barock wirkendem Raum eingerichtet und steigt mit „They Will Not Take Our Death In Vain“ gleich ohne Umschweife mit einem Track ihres aktuellen Albums „Wolves Among The Ashes“ ein, das heute auch den Großteil des Sets einnehmen wird.
Die Band ist sogar vorbildlich beim Social Distancing und spielt im Halbkreis aufgebaut. Die Show an sich ist abgesehen von der interessanten Location und atmosphärischen Ausleuchtung nicht sonderlich spektakulär, der brutale und atmosphärische Death/Black-Metal-Mix der Franzosen kommt aber soundtechnisch super rüber und holt einen nach der eher chilligen Atmosphäre bei ROADKILLSODA dann auch ein wenig aus dem Wachkoma. Auch der Chat zeigt Gefallen an SVART CROWN. Alle mit Spaß an Truppen wie BEHEMOTH, TEMPLE OF BAAL und Konsorten haben mit SVART CROWN definitiv eine weitere Band heute kennen lernen dürfen, um die düsteren Triebe zu befriedigen.
SVART CROWN hören auch sehr fix auf, 20 Minuten wären es noch bis 16 Uhr, stattdessen kommt vorgezogene Werbung und Wartezeit. Etwas schade, aber da die Shows alle pre-recorded waren, gab es da vermutlich auch keine anderen Möglichkeiten, das noch zu strecken.
(Alexander Santel)
16.00 SPOIL ENGINE
Als nächstes werden wir von SPOIL ENGINE versorgt. Die Band aus Belgien und den Niederlanden, die schon beim WACKEN OPEN AIR und 70.000 TONS OF METAL die Bretter wackeln ließ, wird uns aus Richtung Alcatraz Festival ins Wohnzimmer gespült. Die Melodic-Death-Metalcorer machen mächtig Druck, auch wenn die Singstimme der Fronterin Iriz Goessens heute teilweise relativ dünn erscheint. Egal. Mit den mächtigen Growls, die die zierliche Lady da aus ihrer Kehle rotzt, wird alles wieder gerade gerückt oder eben amtlich zerstört. Mit LAMB OF GOD-Muscle-Shirt wuselt Iriz zwischen ihren Bandkollegen über die Bühne, bedankt sich immer wieder bei den Festival-Organisatoren und bekommt schließlich nach dem Track „Medicine“ Medizin in Form einer Weinflasche überreicht. Läuft bei SPOIL ENGINE. Nicht nur der Wein, auch der Schweiß.
Mit dem Aufruf zu Hause auf der Couch ordentlich mit abzugehen und der Aufforderung alle den kleinen Mittelfinger in die Luft zustrecken, ist „Disconnect“vom Album „Stormsleeper“ der letzte Track des Sets. Amtliche Einlage, die Bock auf eine Live-Sause mit SPOIL ENGINE macht.
(Jeanette Preuss)
17.00 KISSIN‘ DYNAMITE
Wer trotz Livestream darauf gehofft hatte, das Gefühl eines ganz normalen Konzerts zu bekommen, wird bei KISSIN‘ DYNAMITE glücklich. Die Schwaben präsentieren sich heute mit einer aufwändigen Bühnenproduktion, genau wie bei einem regulären Auftritt im Club. Das erlaubt dem Quintett, die ganz großen Rockstarposen rauszuholen. Dazu kommt eine verdammt coole Lichtshow.
Schon beim eröffnenden „I’ve Got The Fire“ erwischt man sich dabei, die eingängigen Chöre vor dem Bildschirm mitzusingen. Kurz darauf wippt der Fuß mit. Verdammt noch mal, so muss eine Streamingshow aussehen. „Wir wurden eingeladen, eure Ärsche zu treten“, verlautet Sänger Hannes Braun nach dem Opener. Und nichts anderes tut die Band heute.
Selbst das Fehlen eines echten Publikums fällt kaum auf. Die Musiker flirten mit den Kameras und lassen den Blick immer wieder durch den Saal schweifen, als stünden dort Menschen, die es mitzureißen gilt. Bei „Waging War“ gibt es für die Leute zu Hause sogar ein kleines Mitsingspielchen. Das verleiht dem Auftritt von KISSIN‘ DYNAMITE ein Gefühl der Normalität, welches man bei den aktuell angesagten Streams selten erlebt.
Die Setlist besteht dabei aus einem guten Querschnitt durch die gesamte Karriere der Band – und ausschließlich aus Hits. Es ist wahrlich beeindruckend, was für ein starkes Repertoire sich die Jungs in den zwölf Jahren seit ihrem Debütalbum „Steel Of Swabia“ aufgebaut haben. Ihr Motto „Bring back stadium rock“ wirkt zu keiner Sekunde albern. Denn wenn eine Band das Zeug dazu hat, dann KISSIN‘ DYNAMITE.
(Dominik Rothe)
20.00 PRIMORDIAL
Exklusivität hin oder her, ein reiner Mitschnitt auf einem Festival, hier wohl das Party.San, entlockt im Kontext eines nicht kostenfreien Online-Events nur wenig Begeisterung. Eigens für die European Metal Festival Alliance konzipierte Shows geben wenigstens das Gefühl, dass die Auftritte für die virtuellen Besucher entstanden sind; statt für die tatsächlich Anwesenden des jeweiligen Festivals, denen man jetzt, wenn auch im Nachgang, neidvoll bei dem zuschauen muss, was man derzeit so sehr vermisst. Zumal der Sound überwiegend so mies ist, dass sich die Zuschauer vielfach in den Facebook-Kommentaren beschweren. Allein die Tatsache, dass PRIMORDIAL zu einer der besten Live-Bands im extremen Metal zählen, wiegt den Umstand etwas auf. Im besten Fall überzeugt das Video alle Betrachtenden davon, die Iren tatsächlich, sobald wieder möglich, live zu erleben – das lohnt sich in der Regel schon aufgrund der Dynamik und des Mimikspiels von Alan Averill (hier zumindest gut eingefangen). Insgesamt agiert die Kamera streckenweise zu wild, sodass wirklich gute Einstellungen und Winkel zu schnell vorbei sind.
(André Gabriel)
21.00 ORANGE GOBLIN
Der Anfang von ORANGE GOBLINs Set samt einführendem Festivalfilmchen fürs Bloodstock wird verpasst, 503 Serverfehler, die erst nach einigen Minuten und dem eifrigen Spammen der F5-Taste scheinbar behoben sind.
Der Bühnenaufbau ist auch bei den Amerikanern simpel, der ganz normalen Cluberfahrung nachgebildet und die Musik macht sofort Lust auf ein paar Kaltgetränke. Die Band hat sichtlich Spielfreude, ein paar komische Schnitte zwischen den Songs anfangs des Sets stören zwischenzeitlich aber ein wenig. Es geht heute durch ein sehr diverses Set aus 25 Jahren Bandgeschichte.
Der Stoner/Sludge-Sound kommt auch beim Publikum gut an, wenn man nach dem Chat geht und auch unsereiner hat es sich gemütlich eingerichtet. Bei „The Devils Whip“ werden kurzzeitig noch einmal wehleidige Erinnerungen an MOTÖRHEAD (R.I.P. Lemmy) wach, dem Chat nach zu urteilen schwelgen viele gern in Erinnerungen bei dem Sound. Als der letzte Ton verklingt, ist es dann auch schon Feierabend, zumindest für diejenigen, die SABATON links liegen lassen. Das EMFA kann unser aller Lieblingsfestivals diesen Sommer nicht ersetzen, aber zumindest über den Ausfall hinweg trösten. Zum anderen lernt man auch andere Leute, Festivals, Bands kennen, also ganz wie auf echten Festivals. Also diesen ausgefallenen Festivalaspekt hat das EMFA schon mal mit Bravour gelöst.
(Alexander Santel)
22.00 SABATON
SABATON beenden das EMFA-Event. Leider handelt es sich auch hier nur um einen Festivalauftritt; aufgenommen beim Bloodstock Open Air. Sei es drum: Fans der Schweden bekommen die SABATON’sche Vollbedienung. Das Spektakel beginnt mit einer Weitwinkel-Perspektive, die die Größenordnung gut einfängt. Unzählige Menschenpunkte starren auf eine dunkle Bühne und warten zum Intro lautstark rufend auf den großen Knall. Der wird durch dramaturgisch clever inszeniertes Licht eingeleitet und in Form eines Pyro-Bombardements entfaltet, bevor „Ghost Division“ ins Set führt. Natürlich scheiden sich die Geister bei einer Band wie SABATON. Egal. Aus ihrer Sicht liegen alle Hebel in genau der richtigen Position; das spiegelt sich mindestens in den Publikumsreaktionen wider. Ebenso selbstverständlich: Es kommt nicht nur (für manche vermutlich gar nicht) auf die Musik an, sondern aufs Drumherum. Der große Vorteil einer Beobachtung per Video: Wir sehen mehr. Dazu gehören permanent kreisende und Salti schlagende Drumsticks und ein vereinzelt fliegendes Mikro, das wieder zielsicher in den Händen von Sänger Joakim Brodén landet. Das sind SABATON, das wollen sie sein und genau das weckt genug Begeisterung, um eine Daseinsberechtigung zu haben – ob live oder aufgezeichnet.
(André Gabriel)
Bonus Content
Virtuelle Besucher der European Metal Festival Alliance kamen zudem in den Genuss von einigem Bonus-Content. Darunter Shows und Interviews. Wir haben ein Interview mit LONG DISTANCE CALLING beigetragen. Dieses könnt ihr hier in voller Länge genießen:
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