Euroblast Festival
Proggeflüster in 50679 Köln

Konzertbericht

Billing: Between The Buried And Me, The Hirsch Effekt, Betraying The Martyrs, Car Bomb, Vola, Kadinja, Toundra, Dead Letter Circus, Voyager, Klone, Uneven Structure, Siamese, Votum, Ghost Iris, Cold Night For Alligators, Rendezvous Point, Special Providence, Tides From Nebula und The Haarp Machine
Konzert vom 27.09.2019 - 29.09.2019 | Essigfabrik, Köln

Sonntag, 29. September 2019

Interview-Marathon, zweiter Teil. Die Kollegen Klug und Kostudis sind fleißig wie lange nicht mehr, so zerren sie unter anderem CAR BOMB, BERAYING THE MARTYRS und VOYAGER vor die Linse. Entsprechend viele Bands verpassen sie am Morgen. Doch am Nachmittag geht es zurück zur Main-Stage.

Ein Stück Euroblast-Geschichte.

Und was dort geschieht, ist zum jetzigen Zeitpunkt schon längst Geschichte. Lange fieberte die Community auf die Euroblast-Premiere von THE HAARP MACHINE hin. Problem: Bandkopf Abdullah Al Mu’min galt schon in der Vergangenheit nicht gerade als Instanz in Sachen feste Bandbesetzungen. Nach langer Live-Pause wundert es dann zunächst auch wenig, dass heute nicht etwa Ex-MONUMENTS-Sänger Chris Barretto am Mikro steht. Was dann aber umso deutlicher überrascht: An den Instrumenten stehen ausschließlich Gastmusiker. Sekunde, aber wer übernimmt dann … ja genau. Al Mu’min betritt die Bühne. In seiner Hand: Ein Mikrofon.

Was sich im Laufe der ersten zehn Minuten dieser zunächst noch mit Spannung erwarteten Show ereignet, ist beispiellos. Al Mu’min kann vielleicht passabel shouten, in Sachen Clean-Vocals scheint er jedoch absoluter Laie. Nun, sicher, das Material des einzigen Studioalbums „Disclosure“ ist gewiss auch kein leicht zu interpretierender Singsang. Das eintönige Geseier aber, welches Al Mu’min hier präsentiert, ist nun wirklich nicht mehr schönzutrinken. Die Folge: Eine Massenflucht sondergleichen. Wutentbrannte Fans stürmen aus der Essigfabrik, und es sind nicht wenige. In wenigen Minuten leert sich die Location zu etwa 75 Prozent. Allein: Die Leute singen noch immer mit. Genauer gesagt imitieren sie Al Mu’mins Gesang im Choral – und zwar für den Rest des Tages.

Es ist schon interessant, welche selbstreflektorischen Maßnahmen die Euroblast-Community in den nächsten Stunden ergreift. In der Facebook-Gruppe „Euroblast Family“ regt sich Kritik. Kritik natürlich an THE HAARP MACHINE, Kritik aber auch am Verhalten der nicht wenigen Fans, die sich auf Kosten Al Mu’mins amüsieren. Konsens: Ja, mancher Fan (und auch mancher Musiker) übertreibt es in seinem Hohn, prinzipiell sei es aber Al Mu’min selbst, der sein ignorantes Verhalten zu hinterfragen habe. Nicht wenige Besucher hatten beim Ticketkauf den Euroblast-würdigen Gig einer vollständigen Band vor Augen – und weniger ein untotes Frankenstein-Projekt mit akutem Motivationsmangel.

Die Mischung macht’s. Und die Mischung ist gut.

Nach diesen spannenden Momenten von und mit THE HAARP MACHINE geht es wieder zurück in den dunklen und doch charmanten Keller. Hier erweisen sich die Briten von HYPOPHORA als absoluter Glücksgriff. Abseits von all dem überirdischen Frust ist es doch immer wieder eine Freude, sich auf einem Festival spontan von einer unbekannteren Band mitreißen zu lassen. Und genau das schaffen HYPOPHORA auf der gut gefüllten Side-Stage. Auch wenn kurz das Gefühl mitschwingt, diese Band könnte schon fast zu poppig für das Euroblast-Line-up sein: Die Mischung macht’s. Und die Mischung ist gut.

Impression – Euroblast 2019

Euroblast 2019

Getragen von Sängerin Katie McConnells glasklarer Stimme und der charismatischen Bühnenpräsenz von Saitenhexer Karum Cooper gehen HYPOPHORA in die Vollen und zocken ihre frickeligen und doch eingängigen Songs gekonnt runter – und überzeugen mit Hits wie „Sorcerers“ oder „Spires“. Der fast schon an Funk erinnernde Alternative Rock / Post-Hardcore zaubert einfach gute Laune in den Raum. Und seien wir mal ehrlich, ein oder zwei straighte Refrains dürften selbst den hartgesottensten Proggern nicht schaden. Hier zeigt sich wieder, wie vielseitig das EUROBLAST wirklich aufgestellt ist: Zwischen Djentgewittern und Riffwalzen funktionieren eben auch Bands wie HYPOPHORA.

Mit erhöhtem Dopaminspiegel geht es wieder zurück zur Hauptbühne. Hier oben spielen erstmals TIDES FROM NEBULA. Mit wohlig-warmem Gefühl in der Brust erinnert sich Kollege Klug an den transzendentalen Keller-Siegeszug von 2015 und eines der besten „Einfach nur Post-Rock“-Konzerte überhaupt. Aber vielleicht verschwimmt die Erinnerung mit der Zeit und die Erwartungen sind diesmal einfach zu hoch (das Problem kennen wir ja eigentlich von Herrn Kostudis). Nach wenigen Minuten steht jedenfalls fest: Es kickt … nicht so richtig.

Tides From Nebula zündeten schon mal mehr.

Mit ihrem jüngst erschienen Album „From Voodoo To Zen“ baut die zum Trio geschrumpfte Truppe immer mehr Synthesizer in ihre Kompositionen ein. Das ist in Kombi mit der hübsch vernebelten Light-Show zwar echt nett, aber keineswegs so sphärisch wie erhofft. Kurz denkt der Kollege, dass der Weggang von Strahlemann und Gitarrero Adam Waleszyński alleine daran schuld sein könnte. Der abschließende Brückenschlag zum Debütalbum beweist aber: Nein, es ist einfach das überwiegend präsentierte neue Material, das nicht so richtig zu Potte kommen will. Irgendwie nett, irgendwie schade.

Tides From Nebula – Euroblast 2019

Tides From Nebula

Nach windigem, aber erfolgreichem Interview mit BETRAYING THE MARTYRS-Fronter Aaron Matts geht’s noch kurz in den Keller zu SHREZZERS, von denen Kollege Klug lediglich noch das Epic-Sax-Guy-Outro (live!) und den extensiven Socken-Verkauf am Merch-Stand erhascht. Anschließend stehen auch schon Mr. Matts und Kollegen auf der Bühne.

Let’s see if the techies like our stuff„, raunte uns der Fronter vorhin noch am Hafen zu. Und auch jetzt heißt es pseudo-demütig: „We might not be the most technical band around, but we hope you’ll enjoy the show.“ Nun ja, die erste von zahlreichen Walls Of Death sollte Antwort genug sein. Das Publikum saugt die Hardcore-Energie begierig auf, ein bisschen Auspowern tut schon ganz gut nach einem langen Wochenende. Entsprechend freudig bedient sich Matts auch am immer noch kursierenden HAARP-MACHINE-Running-Gag – und gießt noch einmal extra viel Grillanzünder ins Feuer.

Betraying The Martyrs – Euroblast 2019

Betraying The Martyrs

Betraying The Martyrs sind keine HAARP Machine-Fans.

Immerhin: „This guy fucked up some friends of mine„, gestand er uns zuvor am Rande. Auch wenn die beiden also ihr privates Hühnchen zu rupfen haben, zumindest in den sozialen Netzwerken kommen seine Dauerimitationen nicht so richtig gut an. Spannend eigentlich: Zumindest eine Handvoll Besucher scheinen bei Musikern andere Humor-Maßstäbe anzulegen als bei sich selbst. Was objektiv bleibt, ist ein starker Auftritt einer musikalisch definitiv professionell agierenden Gruppe. Verdammt routiniert, aber mit mächtig Motivation in der Hose – ja, das muss kein Widerspruch sein. (I’m looking at you, BETWEEN THE BURIED AND ME.)

Betraying The Martyrs – Euroblast 2019

Betraying The Martyrs

Etwas undergroundiger geht es dann unten zu. Es ist schon immer wieder ergreifend, in die Gesichter von osteuropäischen Bands zu blicken, die vor versammelter Meute ihren Euroblast-Einstand geben: SPECIAL PROVIDENCE etwa, die hier auch noch alle Erwartungen übertreffen. Sonnenbrille auf der Bühne und den Terminus „crazy instrumental band“ in der Biografie zeugen zwar nicht von unumgänglicher Geschmackssicherheit, aber dafür punkten die Ungarn zumindest musikalisch auf ganzer Linie.

Erster Eindruck: EPHEL DUATH trifft auf instrumentale BRAIN DRILL. Heißt: Diese Band will unhörbar sein, hat aber viel zu viel positive Energie in petto, die sich immer wieder in langen Shreds und zünftig-jazzigen E-Piano-Einschüben entlädt. Wurlitzer, Clavinet, Synthesizer – SPECIAL PROVIDENCE haben ihn einfach, diesen augenzwinkernden PRYAPISME-Groove. Und gleichzeitig natürlich ziemlich was auf dem Kasten. Heftig fein.

Special Providence – Euroblast 2019

Special Providence

Und dann isser auch schon wieder da, der Kölner Kontrast-Effekt. Denn was VOYAGER im Anschluss auf der Main-Stage bieten, sorgt dann doch noch mal für eine amtliche Überraschung. Nicht, weil die neue Platte der Australier („Colours Of The Sun“) erst im November erscheint und der Fünfer auf ein Euroblast-Release verzichtet – sondern eher, weil es der Truppe um Front-Lichtgestalt Daniel Estrin gelingt, mit einem eher Essigfabrik-untypischen Sound zur Primetime für Begeisterungsstürme zu sorgen.

Mit der Keytar gegen des Rest der Welt.

Denn VOYAGER haben sich offensichtlich auf die Fahnen geschrieben, die 80er-Jahre und den modernen Metal-Kosmos irgendwie zusammenzubringen. So wechselt kitschiges (aber leider geiles) Keyboard-Geschnulze mit knackigem Rhythmus-Gehau, das die Essigfabrik in eine kollektiv headbangende Halle verwandelt, die ihre neue Helden feiert. Und das völlig Kuriose an der Sache: Alles wirkt wie aus einem Guss. Estrin mimt den schrulligen Anführer, der Rest verausgabt sich mit Leib und Seele am Instrument. Eine echte Freude, dem munteren Treiben zuzusehen.

Voyager – Euroblast 2019

Voyager

Dass nach Ende des Sets alle Euroblast-Volunteers sowie Mitarbeiter die Bühne säumen und Festival-Chef John Giulio Sprich emotionale Dankesworte an die Menge richtet, hat dann fast schon symbolischen Charakter. Denn dass eine Band wie VOYAGER zwischen all dem Gemurkse und Gedresche auf solche Resonanzen stoßen kann, ist irgendwie einzigartig. Aber – und ja, wir wiederholen uns – wo, wenn nicht hier?

Voyager – Euroblast 2019

Voyager

Als Kollege Kostudis kurz darauf in guter Laune vor die Kellerbühne tritt, ist gerade große Hektik ausgebrochen. Und zwar auf der Bühne, nicht davor. Verzweifelte Musiker, schweißgetränkte Techniker, beide im salvenartigen Dialog. Grund für die Aufregung: Die üppig bestückten Pedal Boards der Musiker streiken. Was für TIDES OF MAN gerade ein riesiges Problem darstellt – ihr flirrender, layerlastiger Post-Rock-Sound braucht eben die eine oder andere Effekt-Spielerei. Unter vollem Körpereinsatz kann das Problem mit einem Ersatzaggregat schließlich nach bangen Minuten behoben werden.

Danke für eure Geduld. Das ist wirklich etwas Besonderes„, sagt Klampfer Daniel Miller anschließend. Der technische Fauxpas scheint derweil allerdings neue Kräfte bei den US-Amerikanern freigesetzt zu haben. Denn was in der Folge (am späten Abend des dritten Festival-Tages, wohlgemerkt) passiert, hat magisches Potenzial: Von der Bühne fährt eine melodiös-brachiale Wall Of Sound. Davor stehen Alt und Jung, Besucher, Festival-Mitarbeiter und Fotografen in andächtiger Haltung nebeneinander, nicht bereit, genau diesen Ort jetzt zu verlassen, weil ein paar Meter weiter vielleicht schon der Headliner beginnt oder andere Aufgaben warten. Die Band, die hier als „Begleitsel“ von TIDES FROM NEBULA mitgebucht wurde, wächst in Köln über sich hinaus.

Und Kollege Kostudis? Der blickt in die Runde, sieht geschlossene Augen, Tränen, Freude, Trauer und Glück. Und freut sich. Denn er hat gerade seine persönliche Entdeckung des Festivals gemacht.

Tides Of Man – Euroblast 2019

Tides Of Man

Ich hoffe, ihr habt das noch in L!“ Während sich am Merch die frisch gebackenen Fans von TIDES OF MAN um den Kölner Bestand sorgen und reihenweise Shirts und Platten ihrer neuen Lieblingsband hamstern, wird es drinnen vor der Main-Stage langsam muckelig. Denn CAR BOMB schicken sich an, die ganze Sache hier irgendwie standesgemäß zu Ende zu bringen. Die US-Mathcore-Veteranen hatten schon vor zwei Jahren die Hauptbühne verwüstet – und was rein optisch auch als dritte Mannschaft des Köln-Porzer Skat-Klubs durchgehen würde, läuft nun in der Essigfabrik einmal mehr zur musikalischen Höchstform auf.

Krachendes Finale.

Denn es ist einfach unfassbar, wie fies die Amis sich durch ihr verqueres Material hämmern. Kostudis bläst der knochige Mesa-Sound im Fotograben jedenfalls erst mal ordentlich den Festival-Schmodder aus den Kleidern. Hinter ihm findet gleichzeitig das letzte große Aufbäumen des Publikums statt, dass sich nach allen Regeln der Kunst die dreitägige Anstrengung aus den Gliedern zu strampeln versucht. Gelingt hier und da nicht in vollem Maße, macht aber jedem sichtlich Spaß. Logisch, dass CAR BOMB auch diverse Songs des erst vor zwei Tagen veröffentlichten vierten Langdreschers „Mordial“ zum Besten geben.

Car Bomb – Euroblast 2019

Car Bomb

Eine wirkliche Differenzierung des Materials allerdings fällt zu fortgeschrittener Stunde und (vor allem) nach den Strapazen der Vortage dann doch schwer. Das muntere Mitwippen allerdings tut es nicht. Und so erleben Besucher und Musiker dann doch noch die letzte große Kulmination des Festivals. Und ja – diesen irren Ritt hat es jetzt auch irgendwie noch gebraucht.

Ein Bericht von Anton Kostudis und Alex Klug. Gastbeiträge: Yannick Thomsen. Alle Fotos von Anton Kostudis.

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01.10.2019

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