Euroblast Festival
Proggeflüster in 50679 Köln
Konzertbericht
Freitag, 27. September 2019
Am Freitagmittag kommt es zu einem absoluten Novum: Kollege Kostudis ist tatsächlich zur ersten Band des Tages vor Ort. Glückwunsch an dieser Stelle. So richtig überzeugen können VALIS ABLAZE als Muntermacher allerdings nicht. Serviert wird zwar astreiner und wuchtiger Djent, der allerdings ist weder sonderlich individuell, noch erfüllt er darbietungstechnisch die Festival-Standards. Die zur frühen Stunde bereits stattlich gefüllte Halle nimmt es aber nicht so genau und honoriert die Show der Briten dennoch mit mehr als höflichem Applaus. Zumindest die Morgenmüdigkeit können die Herrschaften auf der Bühne vertreiben – immerhin.
Das Online-Voting lügt nicht.
Kollege Kostudis schlurft also zur Nebenbühne. Dort spielen jetzt die Griechen KIN BENEATH CHORUS auf. Im Vorfeld des Festivals hatte die Truppe im Zuge eines Online-Votings den Opener-Slot auf der „kleinen“ Stage ergattert – und war nun sichtlich motiviert, das Vertrauen zurückzuzahlen.
Bäm! Nicht nur der Kollege musste sich nach den ersten Klängen die Augen reiben. Was ist das bitte für eine krasse Truppe? Der Fünfer legt den Keller mal eben so in Schutt und Asche, fiese Downtuning-Riffs und krachendes Drumming vermengen sich hier zu einem heftigen Djent-Cocktail, der die Mauern der Essigfabrik in den Grundfesten erschüttert. Alter! Fies! Und richtig fett. Schon die zweite Band des Tages entpuppt sich als Glücksgriff. So kann’s weitergehen.
Pop-Appeal? Kein Problem.
Tut es auch – wenngleich SIAMESE auf der Hauptbühne eher in eine andere Kerbe schlagen. Die Dänen setzen auf Pop-Appeal, und die rockigen Songs mit merklicher Alternative-Schlagseite kommen erstaunlich gut an. Frontmann Mirza Radonjica gibt alles, beeindruckt mit Stimmgewalt und ausgeprägtem Bewegungsdrang – und sorgt nicht zuletzt mit deutschsprachigen Ansagen für gute Laune. Zugegeben: Wo, wenn nicht auf dem Euroblast, funktioniert Stil-Mischmasch auf diese Weise?
Frohen Mutes geht es also in den Keller. Doch dort kehrt schnell Ernüchterung ein: SUNBEAM OVERDRIVE können das Stimmungslevel auf der Nebenbühne nämlich nicht halten. Der angeproggte Heavy Rock des Quartetts aus Marseille wirkt ein wenig altbacken und fehl am Platz. Die Franzosen geben dennoch alles, und hier und da wird auch zum Mattenschwingen animiert. Aber so richtig überzeugend ist das alles nicht – leider.
Folgt nun das qualitative Kontrastprogramm auf der Hauptbühne, wo mit KLONE ein vermeintliches Tages-Highlight ansteht? Und wie es das tut! Ohnehin ist die Frage berechtigt, ob die Franzosen jemals schon mal eine wirklich „schlechte Show“ abgeliefert haben. Nein, irgendwie kaum vorstellbar. Und so ist es dann auch nicht verwunderlich, dass Fronter Yann Ligner und Kollegen auch heute – wieder mal – in absoluter Bestform angereist sind. Im Gepäck hat der Fünfer dabei das vor einer Woche frisch releaste Werk „Le Grand Voyage“.
Konsequenterweise wird die Setlist auch von den Songs des jüngsten Outputs dominiert, hinzu kommen diverse Tracks vom Vorgänger „Here Comes The Sun“. Mit „Rocket Smoke“ wird es im weiteren Verlauf dann noch einmal etwas rockiger – insgesamt präsentieren sich KLONE in Köln aber vor allem als Meister der musikalische Tiefe und Finesse. Anders gesagt: Die Band reißt das Publikum gänzlich mit, obwohl sie vollständig auf den Dampfhammer verzichtet. Einfach nur beeindruckend. Und so langsam aber sicher muss den Franzosen jetzt auch mal das „Star“-Siegel verliehen werden.
Um selbiges zu ergattern, dürfte es für die britischen Art-Rock-Jungspunde AZURE derweil noch ein etwas weiterer Weg zu gehen sein. Dennoch: Das frische, fluffige Material findet vor der Kellerbühne doch überraschend viel Gehör. Dem einen oder anderen ist aber anzumerken, dass er den KLONE-Auftritt erst mal verarbeiten muss. Als Füller taugt der Fünfer aus Brighton aber perfekt.
Französisches Lichtermeer.
Dennoch zieht es den Kollegen bereits kurz darauf wieder vor die Main-Stage, wo sich mit UNEVEN STRUCTURE eine Formation bereit macht, die auf dem Euroblast zu den Alteingesessenen zählt. Als die Franzosen die Bühne entern, schlägt ihnen dann auch sofort die Begeisterung der Anwesenden entgegen. Es liegt eine gewisse Erwartungshaltung in der Luft. Und schon nach wenigen Augenblicken ist klar: Die werden heute ganz sicher erfüllt. Auf der Bühne werden nämlich eifrig die dicken Gitarrensaiten sowie Drumfelle malträtiert, dass es eine wahre Wonne ist. Sänger-Hüne Matthieu Romarin hat die Menge derweil voll im Griff – am Ende verwandeln dann noch gezückte Smartphone-Taschenlampen und Feuerzeuge die Halle in ein Lichtermeer. Ein tolles Schauspiel, bedingt durch einen tollen Gig. Selten war ein Freitagnachmittag wohl so unterhaltsam.
ANIMA TEMPO fordern dem Publikum im Anschluss im Keller so einiges ab. Die Mexikaner sind ganz offensichtlich noch jüngeren Baujahrs – der Kollege schlussfolgert daher, dass sie ihre Kindheit ausschließlich damit verbracht haben, sich mit ihrem Instrument im stillen Kämmerlein einzuschließen. Oder aber: Diese Herrschaften sind schlichtweg Naturtalente. Geboten wird hier nämlich ausgesprochen versierte Modern-Kost, die bestens beim Großteil der Anwesenden ankommt. Die Band selbst versprüht zudem eine ungemeine Spielfreude – und das honoriert das Euroblast-Publikum dann auch mit lautstarkem Abfeiern.
Wenn von der sprichwörtlichen Faust die Rede ist, die aufs Auge passt, landet der erfahrene Euroblast-Teilnehmer schnell bei KADINJA. Weil die Franzosen wie kaum eine andere Truppe den Essigfabrik-Spirit verkörpern: frickelig, djentig, wuchtig, vielschichtig – und verdammt sympathisch.
It’s a fucked up world …
Wer sich mit den quirligen Parisern bislang noch nicht beschäftigt hatte, reibt sich beim Opener aber zunächst erst mal die Augen: Serviert wird zum Auftakt eine schmissige Cover-Version von „Hot Dog“. Dass es heute mit dem LIMP BIZKIT-Evergreen losgeht, hat einen naheliegenden Grund: Denn der Fünfer feiert in Köln das Release des Cover-Albums „DNA“, welches anschließend am Merch auch fleißig über die Ladentheke geht. Logisch aber, dass sie die Band um Frontmann Philippe Charny Dewandre aber nicht nur auf Hits der 90er verlässt, sondern auch viel eigenes Material zum Besten gibt. Zu Mega-Krachern wie „Empire“ rastet die Halle dann auch komplett aus, vor der Bühne entsteht eine wogende Gesamtmasse – und auch dem letzten Zuhörer wird jetzt klar: Das offizielle Party-Sonderkommando des Festivals ist am Werk. Und das Publikum? Lässt sich nicht zweimal bitten – und feiert kräftig mit. Nach einer schweißtreibenden knappen Stunde steht schließlich die Erkenntnis: KADINJAs nächster Kölner Triumphzug ist in trockenen Tüchern.
Leider zuungunsten der polnischen VOTUM, die anschließend den Keller bespielen, aber verpasst werden. Denn irgendwie muss jetzt dringend eine Pause her. Und Nahrung, nicht zuletzt. Die proggigen Klänge erhascht die Belegschaft aber immerhin beim (ungesund) feurig gewürzten Burger-Schmaus. Wenngleich ganz klar gesagt werden muss: Dieses provokante Schild war halt auch einfach eine Verlockung („Yes, you will die“). Nun ja …
Gar nicht mal so proggy.
Zeit für eine Feststellung. Auch wenn es der härteste Metaller nicht zugeben mag: Jeder hat doch seine Herzschmerz-Momente. Diese Augenblicke, in denen du als im Bekanntenkreis offiziell anerkannter BEHEMOTH-Die-Hard-Anhänger heimlich doch mal ein bisschen PINK FLOYD oder INCUBUS hörst. Nun, bei Kollege Kostudis setzt ebendieser Gemütszustand nun ein – was praktisch ist, weil nun mit DEAD LETTER CIRCUS just ein Programmpunkt auf der Main-Stage ansteht, der sich (eigentlich) mit dem restlichen Festival-Programm nicht so recht vertragen will. Weil die Australier ja irgendwie gar nicht so proggy sind.
Andererseits schreiben sie halt einfach verdammt gute Songs. Und da beim Euroblast zu großen Teilen Fachpublikum vor der Bühne steht, kann eine Band eben auch damit punkten. Beim Kollegen natürlich ebenfalls – vor alle, weil sich für ihn ein Kreis schließt. 2013 erlebte er seine Essigfabrik-Premiere. Damals auf der Main-Stage: DEAD LETTER CIRCUS. Eine Band, die Herrn Kostudis zuvor in keiner Weise ein Begriff war, die sein Herz aber im Sturm eroberte. Damals war gerade das Über-Album „The Catalyst Fire“ erschienen. Und was für ein Wahnsinn – sechs Jahre später können sich Kim Benzie & Co. es sogar leisten, in ihrer Setlist auf diverse Hits dieser Platte zu verzichten. Emotional mitreißend ist die Show aber auch so. Und Kostudis schwelgt im siebten Himmel – und muss hier und da sogar eine Träne verdrücken. Großartig. Einfach großartig.
Glücklich beseelt schaut der Kollege anschließend bei den finnischen Proggern WHEEL im Keller vorbei. Er notiert alsbald: Die Finnen klingen irgendwie wie TOOL. Und nach kurzer Recherche verfestigt sich der Eindruck: Denn das scheint in der großen weiten Welt so ziemlich jeder Schreiberling so zu sehen. Irgendwie machen es sich der Kostudis und seine Kollegen damit natürlich viel zu einfach. Irgendwie trifft es aber eben auch zu. „An wem liegt das jetzt?“, grübelt Kostudis.
The Hirsch Effekt: eine deutsche Erfolgsgeschichte.
Nach kurzem Security-Disput samt altbewährtem Rehaugen-Einsatz schafft es dann auch Kollege Klug noch aufs Festivalgelände. Und das, obwohl hier ab 19 Uhr abends strikte Sperrstunde herrscht. Nach seinem ganz persönlichen Siegeszug eröffnet sich ihm drinnen eine weitere deutsche Erfolgsgeschichte: Nach mehreren Euroblast-Intermezzi nehmen THE HIRSCH EFFEKT erstmals die Position des Tages-Headliners ein. Klar, verdientermaßen. Beim doch recht international aufgestellten Euroblast-Publikum scheint das jedoch zunächst einige Fragen aufzuwerfen. Deshalb ist vor der Bühne natürlich auch etwas weniger los als bei den internationalen Djent-Größen. Was THE HIRSCH EFFEKT-Fans aber auszeichnet, ist Fantreue – und natürlich enorme Textsicherheit.
Dementsprechend belohnen Nils Wittrock, Ilja John Lappin und Moritz Schmidt die wilde Meute vor der Bühne mit einem frisch zusammengemixten Set, das auch im Zuge der jüngsten Jubiläumstour schmerzlich vermisste Tracks wie „Mara“ und „Agitation“ miteinschließt. Und hier registrieren auch die Nicht-Muttersprachler recht fix: Diese Truppe ist schon eine ziemliche Ausnahmeerscheinung. Mit Kammerchor vom Band und Mathcore auf dem Griffbrett verteidigen THE HIRSCH EFFEKT ihre Non-Djent-Außenseiterposition mit Bravour. Und fahren mit dem fragilen Cello-Konzertgitarren-Doppel „Datorie“ die volle Ernte ein. Germany’s finest. Vielen Dank und gute Nacht.
Ein Bericht von Anton Kostudis und Alex Klug. Gastbeiträge: Yannick Thomsen. Alle Fotos von Anton Kostudis.
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