Euroblast Festival 2018
Tightness ohne Ende
Konzertbericht
Sonntag, 7. Oktober 2018
Tag drei des Euroblast Festivals beginnt mit Personalabbau – die einen hängen noch am Bericht des Vortages, die anderen verspäten sich dank Alte-Schulkameraden-Socialising – und ganz andere mussten bereits komplett die Segel streichen. Viele Gründe, aber keine Entschuldigung gibt es dafür, dass die metal.de-Belegschaft den Sonntagsauftakt in Form von TIME, THE VALUATOR komplett verpasst. Nichtrepräsentative Befragungen ergeben aber, dass das Essener Trio mit vorrangig dezenten Tönen wohl ganz passabel gewesen sein soll. So so!
Düster und bedrückend in Tag 3
Ebenfalls zu dritt sind DHARK angereist, und zwar aus Wien. An diesem Slot prangte seit längerem ein Dringlichkeitskreuzel. Zwar mutete das im Vorfeld gesichtete Material vor allem im Gesang stellenweise starr an – dennoch versprach die Doom-Progressive-Schiene einiges. Die entsprechende Bühne dafür stellt klar der Keller dar – düster und bedrückend ist die Atmosphäre eh, und muss nur noch mit passenden Klängen gefüllt werden. Gesagt, getan: DHARK liefern dort einen authentischen Auftritt mit schwermütiger Poesie ab. Die Österreicher hebeln damit das Zeitgefühl aus und bereiten Gehör und -hirn bestens auf das Tagesprogramm vor. Der Hang zum Downtempo erweist sich als goldrichtig – die Ruhe vor dem Sturm, der mit LETTERS FROM THE COLONY gleich auf der Hauptbühne folgt.
Füße hoch, der kommt flach: Alter Schwede, diese Schweden! Wenn man eine Liste mustergültiger Progressive-Metal-Auftritte beim Euroblast zusammenstellen mag, LETTERS FROM THE COLONY gehören definitiv mit drauf. Nach dem eingangs ein Kinderstimmchenchor noch etwas Heiterkeit verspricht, bricht alsbald ein Groove-Gewitter aus, das das Publikum sofort erfasst. Das Borlänger Quintett hat Bock. Mehr als offensichtlich ist das bei der Instrumental-Crew, bei Fronter Alexander Backlund braucht es einen zweiten Blick: Obwohl die Kollegin nicht zwingend auf Performance pocht, fällt sein anfangs doch etwas zurückhaltendes Engagement auf. An ihm wird die schiere Energie, die LETTERS FROM THE COLONY freisetzen etwas gebremst – aber besser so und authentisch, als aufgesetzt den Kasper mimen. Mit der Zeit gibt die Band aber ein sehr stimmiges Bild ab und macht schlicht Spaß. Highlight eins des Tages ist gesetzt, das war mehr als ordentlich!
In der Folge ist es erst einmal Zeit für einen Schichtwechsel: Während sich in den verschiedenen Stockwerken EDEN CIRCUS und ADMIRION die Klinke in die Hand geben, klatschen sich draußen Kostudis und Klug ab, woraufhin sich letzterer aber erst einmal in den transzendentalen Welten der Glutamat-Chilisauce am Nudelstand verliert. Zwei Galleonen Waschbeckenwasser später findet sich Kollege Klug dann mit wohlig gefülltem Magen bei LAKE CISCO im Keller wieder.
Wiedersehen mit LAKE CISCO
Und die Bonner sind hier am Rhein keinesfalls Unbekannte: Kollege Klug jedenfalls konnte sich erst vor wenigen Wochen beim gemeinsamen Gig mit THE HIRSCH EFFEKT ein Bild vom Quartett machen. Und das erweitern LAKE CISCO heute noch um einigen Konturen. Was zunächst als luftigere Version von PORCUPINE TREE (oder eher THE PINEAPPLE THIEF) daherkommt, ergänzt die Gruppe im Laufe des 40-minütigen Sets um immer mehr Nuancen. Hier ein bisschen Synth von Band, dort ein bisschen ALCEST-Delaygitarre, zwischen drin erklingen sogar Vocoder-Spielereien á la BON IVER. Bedenkt man, dass LAKE CISCO bereits seit 2009 bestehen, scheint die Band dem Hype tatsächlich voraus gewesen zu sein. Das honorieren nun die vielen Zuschauer, die sich in den engen Keller quetschen – und fortan wie gebannt an den Lippen von Frontmann Florian Sczesny hängen.
Videodreh beim Euroblast
Mit viel Pathos geht’s dann auch bei ORGANIZED CHAOS weiter. Bei denen ein weiterer alter Bekannter auf der Bühne steht. Ex-DESTINY POTATO- und jetzt SORDID PINK-Vordenker David Maxim Micić versteckt sich bei den Serben hinter den Tasten. Dort nimmt er aber eine vergleichsweise passive Rolle ein, liegt der Fokus doch insbesondere auf dem Charisma versprühenden Sänger Vladimir Lalić. Mit seinem teils schon schrillen, deutlich im klassischen Progressive Rock verorteten Klargesang baut dieser von der ersten Sekunde eine Verbindung zum Publikum auf, welches das Ganze zunächst durchaus verhalten beobachtet. Lange können sie dem Pathos und Charme der Truppe allerdings nicht widerstehen, zu ansteckenden ist die von dieser theatralischen Mixtur hervorgerufene Grinsebacken-Euphorie. Die Zeit vergeht fix, trotzdem schaffen es ORGANIZED CHAOS irgendwie noch, in die verbleibenden 15 Minuten ein Musikvideo zu drehen, Rap-Parts einzubauen und mit Spielgeld um sich zu werfen. Irre.
Von THEIA kriegt die Belegschaft dann nur noch am Rande etwas mit. So viel ist klar: Auch hier geht es mit überbordenden Emotionen weiter. Der Prog Metal der Italiener stößt auf viel Gegenliebe, Publikum und Band übertrumpfen sich gegenseitig in lautstark dargebrachten Danksagungen. Deutet Kollege Klug die Mienen der Bandmitglieder richtig, so dürfte dies für die 2015 gegründete Band die Show ihres Lebens gewesen sein.
HUMANITY’S LAST BREATH – so schön böse
DIE Show des Festivals, so ist sich Kollege Klug sicher, steigt nun aber auf der Hauptbühne. Seit 2012 suchen HUMANITY’S LAST BREATH das Euroblast mehr oder minder im Zweijahresturnus heim. Und was soll man sagen: Sie werden jedes Mal brutaler. Entsprechend hoch liegen die Erwartungen nach dem 2016er-Triumphzug. Gut, dass Kollegin Kostudis da relativ unvoreingenommen rangehen kann. In zwei Worten beschreibt sie das, was HUMANITY’S LAST BREATH da auf der Hauptbühne anrichten wie folgt: absolut böse. In ein paar weiteren: unfassbar. Unfassbar fies, tief und brachial laden die Schweden den Saal auf. Dazu ist der Sound derart fett, dass man die Dezibel beinahe als Teilchenstrom am Körper zerschellen spürt. Here it is, der Euroblast-Moment als Deathcore-Tauchbad.
Mit ungebremster Härte geht es im Keller weiter. Hier dreschen HEPTAEDIUM ihr sphärisches Material in die Menge. Und laut sind sie, die Franzosen (deren Facebook-Seite im Nachgang als Genre “Baguettecore” ausweist – Humor haben sie definitiv!). Durch leicht nervige, weil übersteuerte Intros und sich ziehende Sampler wird das Ganze aller BPMs zum Trotz leider etwas langatmig. Freunde der gepflegten Drescherei dürften hiermit aber mehr als zufrieden sein. An dieser Stelle seien nochmals die alljährliche Freude über und Dankbarkeit für das vielseitige Line-up dieses Festivals betont.
DESTINY POTATO wird zu SORDID PINK
Und nach hart kommt da eben auch mal herzlich. So ein Festival-Programm ist ja prinzipiell ein Angebot. Das Schöne an Angeboten ist, dass man sie notfalls auch ablehnen kann. Nötig wird das leider bei DESTINY POTATO, nun SORDID PINK. Obwohl das Beisein von Prog-Gitarrero David Maxim Micic eigentlich Qualität verspricht – und an der Instrumentalfront kann so rein technisch auch nicht gemeckert werden – schreit dieser Slot zumindest für die Kollegin Kostudis nach einer Draußen-Pause. Nicht, dass sie nicht auch für schlichte Melodien zu begeistern wäre. Aber poppy Damengequäke, so hartgerifft es zum Teil auch untermalt sein mag, ist nicht ihrs. Schön für SORDID PINK, dass ihnen dennoch genug Jubel und am Ende sogar Zugabe-Beifall entgegenschlagen – von den zahlreichen textsicheren Alt-Fans einmal ganz abgesehen. Allerdings verlassen während des Auftritts mehr Menschen die Essigfabrik als hineingehen. An den Serben scheiden sich anscheinend ein paar Geister.
Kollege Klug steht das Set brav durch – sieht sich dann aber auch wieder einmal mit dem vorzeitigen Ende seiner Aufnahmefähigkeit konfrontiert. Oder es liegt einfach an den im Keller aufspielenden WHITE WALLS, die mit ihrem Adidas-basierten Jogginghosen-Outfit zu Beginn jetzt nicht unbedingt einen Stein bei ihm im Brett haben. Zwar bietet der rumänische “Dynamic Progressive Metal” (sic!) mit klassischen Doom-Metal-Anleihen abermals etwas Abwechslung zum allgegenwärtigen Djent-Geschehen, als wirklich vitalisierend erweist sich das Ganze aber dann auch zwanzig artig ausgeharrten Minuten nicht.
Würdiges Ende mit LONG DISTANCE CALLING
Schön, dass auf manche Dinge aber dann doch noch Verlass ist. Wie etwa auf die Live-Qualitäten LONG DISTANCE CALLINGs – und insofern auch auf das Händchen der Organisatoren für passende Schlussacts. Noch einmal die Meute vor der Bühne mit groovigen Gitarrenwänden durchbügeln, noch einmal die Atmosphäre in luftige Höhen treiben. LONG DISTANCE CALLING können das. LONG DISTANCE CALLING tun das.
Die Halle hat sich nach SORDID PINK zwar noch einmal um einige Hundertschaften geleert, was angesichts der teils quer durch Europa führenden Anreisestrecken aber auch nicht weiter verwundert. Und ein umso größerer Radius bleibt schließlich auch für die tapferen Seelen, die hier zu den Klängen einer der wohl besten instrumentalen Rockbands überhaupt hin und her baumeln. Und mit “Metulsky Curse Revisited” endet dann schließlich Deutschlands schönstes Liebhaberfestival. Für die ganz Harten geht es noch zur Aftershowparty, zu denen sich das Köln-Dresdener Doppelgespann dann allerdings nicht mehr zählt. Aber dafür haben wir in diesem Jahr ja eines gelernt: Beim Euroblast kommen nicht immer nur die Harten in den Garten.
Ein Bericht von Anton Kostudis, Sophia Kostudis und Alex Klug.
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