Euroblast 2016
Prog-Meeting in Köln
Konzertbericht
Sonntag, 2. Oktober
Ein Kater, der geht schnell vorbei, genau wie drei Tage Feierei. Aufgrund 500 Kilometer langer Abreisen sind die Damen und Herren Kollegen heute gänzlich nüchtern vor Ort – und erleben die eröffnenden SHIELDS sowie NO CONSEQUENCE trotzdem nur aus weiter Ferne.
Kaum entziehen kann man sich dafür heute der Show der Lokalmatadoren AYAHUASCA. Die Verfechter der südamerikanischen Death-Metal-Psychedelica sind eine jener Truppen, an deren stetigem Wachstum der jährliche Euroblast-Besucher Stück für Stück teilhaben kann. Und der Ausbau der Besetzung auf mittlerweile acht Musiker trägt ebenso große Früchte wie das namensgebende Kaffeestrauchgewächs. Im Laufe des halbstündigen Sets treibt die vitalisierende Verbindung von groovigem GOJIRA-Material mit PORCUPINE TREE-Momenten und südamerikanischen Tribal-Einsprengseln auch dem verkatertsten Besucher die letzte Müdigkeit aus dem Körper und mündet in einer Headbang-Orgie, um die manch semi-professionelle Kapelle den Kölner Nachwuchs beneiden sollte. Dass die Gitarrenarbeit bei insgesamt 23 Saiten nicht in allen Momenten klar und differenziert durch die Boxen dringt – geschenkt.
Ordentlich Wumms, etwas zu routiniert
Wesentlich lockerer, aber leider schon etwas zu routiniert gehen anschließen die Pariser NOVELISTS ihr Set an. Sänger Matt Gelsomino, dem schillernd bunte Farben durch die geschändeten Ohrlöcher scheinen, macht zunächst keine Kompromisse: „Everybody to the front, come on, Cologne!“ Seine Bandkollegen agieren im Gegensatz zu VEIL OF MAYA am Vortag daraufhin etwas weniger mit dem Schlachtermesser, der Frontmann selbst punktet im Vergleich zu anderen Djent-Truppen aber auch einmal mit überzeugenden Cleangesängen. Trotz fetter Party vor der Bühne bleibt heute aber vor allem ein bisschen viel Dicke-Eier-Gelaber und ein bisschen viel Bassdrop-Wumms hängen.
Manche Djenter erzwingen schon nach wenigen Minuten die Versenkung ihrer Stücke im ewigen Pop-Morast, andere Bands hingegen sind in diesem Pool der catchy Melodien perfekt aufgehoben. DISPERSE zum Beispiel, die getrost und ohne böse Hintergedanken als polnische Djent-Version LINKIN PARKs bezeichnet werden dürfen. Bei den Zuschauern sorgt insbesondere Saitenmann Jakub ?ytecki für offenstehende Münder. Als alleiniger Gitarrist der Band verbindet er intelligentes MESHUGGAH-Riffing mit gefühlvollen FLOYD-Bendings und progressiven Jazzläufen der Marke EXIVIOUS. Fronter Rafa? Biernacki garniert das Ganze mit spacigen Synth-Sounds und großen Pop-Gesten mit himmlischer Reibeisenstimme. Da hat sogar Kollege Klug, der den meisten Euroblast-Truppen gerne mal das Mikro runterpegeln würde, rein gar nichts zu meckern.
Die letzten Atemzüge der Menschlichkeit
„Wir hacken unser Fleisch noch selbst“, entfuhr es dem Herren Kostudis am Vortag nach dem Brutalo-Gig VEIL OF MAYAs. Wenn wir uns also schon auf dieser metaphorischen Ebene duellieren, dann drehen HUMANITY’S LAST BREATH wohl die gesamte Erdbevölkerung durch den akustischen Fleischwolf. 40 Minuten lang schlägt den Euroblast-Besuchern der nackte Hass entgegen. Die Schweden vertonen blinde Wut in Reinform, das Ergebnis klingt wie eine zeitgenössische Djent-Karambolage aus DYING FETUS und JOB FOR A COWBOY. Wenn das die letzten Atemzüge der Menschlichkeit sein sollen – man möchte sie keinesfalls persönlich miterleben müssen.
Nach einer kurzen Atempause während des Auftritts der Latzhosen-Partyfraktion VOLUMES geht es dann abermals in die Katakomben der Elektroküche. Auf der Bühne stehen diesmal nicht DEAD LETTER CIRCUS sondern – Achtung – DEADLY CIRCUS FIRE. Ein kleiner, aber feiner Unterschied, den der geneigte Fan aber rasch zur Kenntnis nimmt. Völlig egal hingegen, dass die Briten seit einem Monat auf Sängersuche sind und den heutigen Gig einfach mal ohne Vocals bestreiten. „We are one man down, but we don’t give a shit, we only give a shit about music and about those like you that came here to see us tonight!“ Eine Ansage von Basser Mike Enort, die sich glücklicherweise bestätigt. Denn die Kompositionen erweisen sich als äußerst mächtig: Zu fix für Ritual Doom, zu intelligent für Stoner Doom, zu asozial für Prog Metal. Angesichts der Agilität und der unfassbaren Spielfreunde des Trios braucht es keine Genrebezeichnungen mehr. Fetzt.
Status der Christen-Deathcoreler bleibt unantastbar
„I wanna see every-fucking-body in this fucking room jumping the fuck around.“ Da schaltet sich das Gehirn manchmal etwas schneller als erhofft ab. Trotz massiver Selbstzelebrierung liefern BETRAYING THE MARTYRS im Obergeschoss eine Co-Headliner-würdige Djent-Interpretation, die dank hymnischer Refrains, epischer Synth-Chorale und ausgereifter Gitarrensoli durchaus im Ohr bleibt. Metalcore Stufe 2 eben. Dass sich das vordere Drittel der Essigfabrik nicht nur zur „Let It Go“-Coverversion aus die „Die Eiskönigin“ als textsicher erweist, unterstreicht den Status der Christen-Deathcoreler zusätzlich.
Etwas mehr Herzblut gibt es zur selben Zeit im Keller zu bewundern: JINJER, die spätestens mit ihrem jüngsten Zweitwerk „King Of Everything“ in aller Hardcore-Munde sind, verwandeln den schmalen Bereich vor der Bühne in einen einzigen Gummizellen-Albtraum für Klaustrophobiker. Doch auch wenn die Bude brechend voll ist und mächtig die Ellbogen geschwungen werden: Die Clean-Vocals der eigentlich so charismatischen Tentakel-Frontdame Tatiana Shmailyuk erweisen sich als ungenießbare Zutat der sonst wunderbar groovigen Hardcore-Suppe.
BORN OF OSIRIS-Headliner-Show: Schön, aber zu kurz
Beim lang erwarteten Headliner BORN OF OSIRIS trifft dann größtmögliche Erwartungshaltung erneut auf größtmögliche Routine – im positiven Sinne. Kaum eine andere Szene-Band versteht es, das Publikum mit wenigen Kniffen derart schnell in Feierlaune zu bringen wie der Fünfer aus Illinois. Überzeugend ist aber nicht nur die instrumentale Leistung, sondern auch der Umstand, dass die stimmliche Doppelspitze ihre hymnischen Mitsing-Refrains ohne erzwungen poppigen Klargesang aufs Parkett bringt. Durch die ständigen Wechsel zwischen einhändigem Gedjente und rasanten Tappingeinlagen auf NECROPHAGIST-Niveau gerät das Ganze zwar auf Dauer etwas einseitig, doch die gänzlich mit bewegungsintensiven Deathcore-Kids gefüllte Halle gibt der Band natürlich recht. Dass BORN OF OSIRIS in Anbetracht dessen allerdings nicht einmal ansatzweise ihre gebuchte Spielzeit von 70 Minuten vollmachen, lässt manchen Die-Hard-Fan dann berechtigterweise mit gemischten Gefühlen zurück.
We are family
Kaum gemischte Gefühle haben hingegen die Bediensteten der nächstgelegen Tankstelle. Denn in den vergangenen Tagen avancierte der dortige 24h-Schalter wieder einmal zur beliebtesten Anlaufstelle vieler Festivalgäste. „Die Leute sind klasse drauf, wirklich nett. Das ist nicht immer so„, berichtet eine Kollegin. „An manchen Abenden kommen auch weniger coole Leute, die sind dann oft auch irgendwie eklig. Aber hier jetzt die Tage … die sind alle super, ehrlich!“
Stimmt. Beim Euroblast ist keiner eklig. Denn das Euroblast schweißt mental zusammen. Und egal, ob Fan, Musiker oder Organisator – wer jährlich am ersten Oktober-Wochenende in Köln-Poll aufschlägt, weiß eines genau: Euroblast is love. Euroblast is family.
Text: Alex Klug
Fotos: Anton Kostudis | AKOS Livemomente
Interessante Alben finden
Auf der Suche nach neuer Mucke? Durchsuche unser Review-Archiv mit aktuell 37294 Reviews und lass Dich inspirieren!
Kommentare
Sag Deine Meinung!