Ernie Fleetenkieker
Großes Entertainment ohne verletzte Gefühle
Konzertbericht
Was hat dieser Mann für eine Vita. Unter dem Pseudonym „Seuche“ verdingte sich der Norddeutsche seinerzeit als Sänger und Komponist, der schwermütigen DSBM-Band FÄULNIS, bevor er einem breiteren Publikum durch seinen YouTube-Kanal „Krachmucker TV“ bekannt wurde. Anfangs strahlte Ernie Fleetenkieker dort mehrmals in der Woche Sendungen wie die „Montagsmotivation“, die „Plattentipps“ oder die „Klassiker-Huldigung“ aus, die für viele liebgewonnene und regelmäßige Gründe waren, das Internet aufzurufen.
Ernie Fleetenkieker und das Ende?
Zuletzt hat Fleetenkieker sein „Metal-Manifest“ veröffentlicht, ein Buch, das in einer meist autobiografischen Erzählung, auch eine geschriebene Zusammenfassung aus 319 Folgen „Krachmucker TV“ beinhaltet. Nebenbei legt Ernie oft den Finger in die eigenen Wunden seines Lebens, streut Salz auf die der anderen und lästert doch irgendwie empathisch über das Metal-Arschloch in all seinen Facetten.
Und weil das Buch quasi von heute auf morgen durch die Decke gegangen und bereits die vierte Auflage auf dem Markt ist und Ernie einfach gerne spricht, ist er jetzt auf Lese-Tour. Dass dadurch sein YouTube-Kanal nicht nur deutlich zurückgeschraubt, sondern erstmal auf Eis gelegt wurde, ist also durchaus nachvollziehbar.
Das Metal-Manifest und andere Geschichten
Nachdem Fleetenkieker bereits auf einigen losen Veranstaltungen wie dem Rock Hard Festival oder in Wacken sein aktuelles Programm getestet hat, ist heute der zweite Tag der eigentlichen Tour. Wir treffen uns am frühen Abend mit ihm im Münchner Backstage, dem Veranstaltungsort. Ein wenig gestresst wirkt Ernie auf uns, als er mit leuchtenden Augen von einem überragenden Tour-Auftakt in Stuttgart vom Vorabend erzählt. Seine Verfassung erklärt er mit seinem Lampenfieber, was wir ihm ohne weiteres abkaufen. Immerhin schlürft er innerhalb von einer Stunde mehrere Tassen Tee und verabschiedet sich ruckartig und wortlos in Richtung Backstage-Bereich.
Als der ehemalige FÄULNIS-Sänger pünktlich die Bühne unter frenetischem Jubel der etwa 60 anwesenden Metaller:innen betritt, ist von Aufregung allerdings nichts mehr zu spüren. Einerseits souverän und gleichzeitig spontan beginnt Fleetenkieker damit, aus seinem Metal-Manifest zu zitieren, ehe er dem zurückhaltenden Publikum mit schwereren Geschützen entgegentritt.
Nordische Kühle trifft auf bayrischen Ernst
Es dauert ein paar Minuten, bis der Protagonist auf der Bühne das Publikum auf seiner Seite hat. Spätestens als Ernie mitten im Satz innehält und hinter seinem Lesepult hervortritt, sind aber alle Dämme gebrochen. Immerhin erinnert er sich scheinbar zufällig daran, dass er den Anwesenden ja noch seinen, wie er sagt, „Sharon-Stone-Moment“ schuldig ist. Und so nimmt er wiederum gut sichtbar am vorderen Bühnenrand Platz und schlägt die Beine lasziv übereinander. Dass der Mann dabei knapp sitzende Hotpants und rote Cowboystiefel trägt, macht den Moment nur noch bemerkenswerter.
Aus seinem Buch wird Ernie Fleetenkieker heute nicht mehr viel lesen. Stattdessen gerät er ins Schwelgen, gibt Anekdoten über Platten, Bands und irgendwelche abstrusen Konzerterlebnisse zum Besten und nimmt dabei immer mehr Abzweigungen, bis er vom Hundertsten ins Tausendste und zurück gereist ist. Von teilweise geistreichen und oftmals peinlichen Zwischenrufen lässt er sich nicht aus der Reserve locken und nimmt den Ball bei Bedarf stattdessen gekonnt auf. Was ist dabei so besonders? Niemals macht sich Fleetenkieker auf Kosten anderer lustig, viel mehr wirkt er aufrichtig selbstironisch und das ist einfach unfassbar unterhaltsam. Heute wird ein Akt der Völkerverständigung zwischen Niedersachsen und Oberbayern vollzogen und so ungleich die jeweiligen Mentalitäten auch sein mögen, so vereint feiern alle den Heavy Metal.
Ein bisschen Rock’n’Roll darf nicht fehlen
Und als der Mann gerade über die Sexualgewohnheiten der unterschiedlichen Metal-Genre-Typen referiert, wird er vom Veranstaltungschef freundlich mahnend darauf hingewiesen, dass ihm nur noch zehn Minuten zur Verfügung stünden. Dann sei die längst überfällige Curfew einzuhalten. Ernie ist das letztlich egal und er legt einfach zwanzig Minuten obendrauf. Der Abschluss des Abends gehört den letzten Seiten des Metal-Manifests, aus dem er seine Gedanken zum Ableben von Lemmy Kilmister verliest. Ein Abschluss, bei dem man doch noch einmal eine Träne wegdrücken muss.
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