Prophecy Fest 2016
Ein Wochenende in der Höhle
Konzertbericht
Für Skald Draugir war die Nacht eine kurze. Bereits um 11 Uhr am frühen Samstagmorgen erklimmt der studierte Skandinavist die Bühne der wenige Kilometer entfernt liegenden Hönnetalhalle – und garniert das Prophecy Fest mit weiteren wertvollen kulturellen Akzenten. Mit seinem Nebenprojekt WÖLJAGER untermalt er die Aufführung des Theaterstücks „Van’t Liëwen Un Stiäwen„. Da ein nicht allzu geringer Teil der Anwesenden den erstmals angebotenen Campingplatz allerdings meidet, verpassen einige Besucher das frühe Schauspiel.
Als VÖLUR gegen Mittag dann der Höhle selbst wieder akustisch Leben einhauchen, ruft das schon einige Gäste mehr auf den Plan. Die kanadischen Folk-Doomer sind gerade einmal seit April bei Prophecy Productions gesignt – und legen hier einen wichtigen Grundstein, um das Geheimtipp-Etikett langsam aber sicher abzuschütteln.
Galerie mit 3 Bildern: Prophecy Fest 2016 – Samstag – VölurSetlist
- Breaker Of Skulls
- Es wächst aus seinem Grab
- Breaker Of Silence
- Breaker Of Oaths
Ausgesprochen eng wird es dann aber erst im Anschluss. Doch wie wäre es auch anders von einer Band zu erwarten, deren Hörerschaft sich zu 75 Prozent aus Metalkonsumenten zusammensetzt? BOHREN & DER CLUB OF GORE stellen Geduld und Beherrschung in der nächsten Stunde auf die ultimative Zerreißprobe. Die vom Veranstalter geforderte Schweigsamkeit während der Konzerte („Respect the artist, respect their fans!“) hat sich zwar bereits am Vortag eingestellt, doch gelingt es den dünnhäutigen Metalheads auch, sich im Rahmen einer Doom-Jazz-Show zusammenzureißen?
Tatsächlich. Wer wagt, gewinnt. Während der E-Upright-Bass mit seinen unsäglich tief vibrierenden Tönen die potentielle Einsturzgefahr der Kulturstätte um ein Vielfaches erhöht, bleiben die Münder auch weiterhin geschlossen und die Handys weiterhin verstaut – fast wie früher. Musikalisch kommen die mittlerweile zum Trio geschrumpften Mülheimer inzwischen auch ohne einen Schlagzeuger aus, teilen sich dessen Arbeit lieber fair untereinander auf. Das führt zwar an wenigen Stellen zu leicht untighten, weil mit dem Fuß ausgelösten Beckenschlägen, steht der von Totenstille ummantelten Atmosphäre aber zu keinem Zeitpunkt im Wege. Zeitlupenartige Hypno-Kompositionen mit Fender Rhodes- und Vibraphon-Motiven beschallen Balve, der Zuhörer wird zum Oneironauten, die Snare zur Diskokugel.
Ein musikalischer Umschwung, der im Grunde nach Smoking und Rotwein schreit – wären da nicht die trocken-humoristischen Ansagen von Saxofonist Christoph Clöser. „Unsere Musik funktioniert nach dem Motto: Keine Möbel, aber Hauptsache ‘ne Putzfrau.“ So weit, so gut.
Galerie mit 24 Bildern: Prophecy Fest 2016 – Samstag – Bohren & der Club Of GoreSteht nun etwa der nächste richtige Trauermarsch an? Nun ja, für ihre depressive Grundstimmung und die einstige Involvierung von Ex-ANATHEMA-Buddy Duncan Patterson werden ANTIMATTER in der Metalszene seit Jahren hoch angesehen, Songwriter Mick Moss und seine Kollegen werden folglich freudig in der Tiefe des Hönnetals empfangen. Wie schnell sich wehmütige Klagelieder dann aber in euphorische Hymnen verwandeln lassen, zeigen die Briten bereits mit der eröffnenden „Killer“ vom aktuellen Studioalbum „The Judas Table“ – Spielfreude wird im Hause Moss nämlich durchweg groß geschrieben. Eine emotionale Hingebung, die sich schnell auf die vordersten, von textsicheren Anhängern gefluteten Reihen übertragt. „Leaving Eden„, „Stillborn Empires“ – jede Note, jede Zeile wiegt schwer und entlädt sich in der bittersüßesten Melancholie, die ein schlichtes Rockkonzert überhaupt noch auszustrahlen mag. Kudos, ANTIMATTER!
Galerie mit 12 Bildern: Prophecy Fest 2016 – Samstag – AntimatterEndlos viele Gitarren, endlos viele Delay-Pedale, endlos viele Wiederholungen – Dinge, die das Post-Rock-Herz höher schlagen lassen. So eigentlich auch die unserer Redakteure. Die isländische „Dark Spectral Shoegazer“-Combo GLERAKUR will davon aber offenbar ein bisschen viel auf einmal und übernimmt sich in Sachen Atmosphäre auf ganzer Strecke. Manch gutes Riff macht zwar schon einen halben Post-irgendwas-Song, aber nahezu jedes aus dem Ärmel geschüttelte Stück ihrer Debütplatte „Can’t You Wait“ fußt auf drastisch redundanten Wiederholungen. Atmosphäre kommt da zwar gewissermaßen schon auf und auch vor der Bühne gibt sich manch einer hypnotischen Körperzuckungen hin. Wirklich eigenständig und aufregend kommt das Material aber trotz mannigfaltiger Eigenschubladisierung von Red Metal bis Krautmetal nicht mal im Ansatz daher.
Galerie mit 3 Bildern: Prophecy Fest 2016 – Samstag – GlerAkurSetlist
- Polycide
- Willocide – Part 1 & 2
- Can’t You Wait
- Strings – Part 1 & 2
ALCEST haben es mit ihrem melancholischem Post-Rock, der seine Metal-Wurzeln mehr und mehr abstreift, mittlerweile zu einer beachtlichen Fangemeinde gebracht. Als begeisterten Hörer der ersten beiden Alben freut es einen natürlich, zu lesen, dass die Franzosen beim Prophecy Fest „Écailles de lune“ am Stück darbieten. Ein neues Album haben Neige und Konsorten übrigens auch schon in den Startlöchern: „Kodama“ erscheint am 30. September über Prophecy Productions erscheinen.
Das Set hangelt sich zunächst in korrekter Reihenfolge am oben genannten zweiten Langspieler der Band entlang. In dunkle Blautöne und viel Nebel gehüllt kommen die Songs äußerst stimmungsvoll daher, und man merkt den in den letzten Jahren live immer perfektionistischeren Musikern ihre Spielfreude wahrlich an. Erwartungsgemäß hat sich auch beinahe das gesamte Prophecy-Publikum in der Höhle eingefunden – ALCEST werden amtlich gefeiert. Jedes Stück strahlt unheimliche große Energie und Leidenschaft aus, nicht einmal der Sound macht dem Ganzen einen Strich durch die Rechnung. Nach „Écailles de lune“ folgen noch „Autre temps“ und „Là où naissent les couleurs nouvelles“ von der dritten Platte „Les Voyages De L’âme“ sowie „Délivrance“ vom aktuellen „Shelter„. Eines der unbestrittenen Highlights des Prophecy Fests!
Galerie mit 26 Bildern: Prophecy Fest 2016 – Samstag – AlcestSetlist
- Écailles de lune – Part 1
- Écailles de lune – Part 2
- Percées de lumière
- Abysses
- Solar Song
- Sur l’océan couleur de fer
- Autre temps
- Là où naissent les couleurs nouvelles
- Délivrance
Hierzulande gastieren SOL INVICTUS seit gefühlten Jahrzehnten nur noch äußerst selten. So verwundert es auch nicht, dass einige Besucher des Prophecy Fests ihre teils äußerst weiten Strecken vor allem wegen der britischen Neofolk-Formation auf sich genommen haben. Seit fast dreißig Jahren und einer stattlichen Anzahl an verschiedensten Tonträgern im Gepäck zieht Tony Wakeford mit immer mal wieder wechselnden Besetzung sein Ding durch. Um den eigentlichen Neofolk-Kern herum geht es dabei mal klassisch, mal experimentell, mal elektronisch zu. Bereits vor ihrem Auftritt kann man die sympathische Truppe zur Autogrammstunde treffen.
Nach den großartigen ALCEST halten SOL INVICTUS das Niveau hoch und legen einen wunderbaren Auftritt hin. Bei klarem Sound und angenehm farbigem Licht spielen die Briten aus voller Seele und können ihr Publikum problemlos mitreißen. Los geht es mit „We Are The Dead Men“ vom 2005er „The Devil’s Steed“. Querbeet bedient man sich aus dem reichen Fundus Wakefords – der auf der Bühne natürlich den Mittelpunkt bildet. Zum harten Kern von SOL INVICTUS haben sich zu diesem besonderen Konzert noch Ex-AGALLOCH-Gitarrist Don Anderson, Geiger Matt Howden sowie Cellistin Jo Quail gesellt. Das obligatorische „Black Easter“ und „Kneel To The Cross“, welches Wakeford augenzwinkernd als AGALLOCH-Cover ansagt, beschließen das abwechslungsreiche Set. Ein rundum gelungener Auftritt, der noch lange im Gedächtnis bleiben wird.
Galerie mit 22 Bildern: Prophecy Fest 2016 – Samstag – Sol InvictusSetlist
- We Are The Dead Men
- Media
- Sawney Bean
- Stay
- Fall Like Rain
- English Garden
- The World Shrugged
- In Days To Come
- Old London Weeps
- Killing Tide
- Hill Of Crosses
- Twa Corbies
- Blackleg Miner
- Black Easter
- Kneel To The Cross
Wer sich zu SOL INVICTUS noch entspannt am Bierchen nippend zurückgelehnt hat, dem dürfte spätestens jetzt die Müdigkeit in den Knochen stecken. Doch zum Abschluss des Wochenendes kontert das Prophecy-Team noch einmal mit voller Breitseite – nämlich mit VEMOD. Die seit dem Jahre 2000 aktiven Norweger stützen sich nun schon seit vier Jahren auf ihr bis dato einziges Studioalbum „Venter På Stormene„. Ein ätherisches Stück Black Metal, dem Prophecy Productions mit dem jüngsten Re-Release endlich etwas mehr Aufmerksamkeit verschaffen konnte. Nach minutenlangen Klargesang-Introgesten verfallen die Norweger dann schnell in eiskalte Raserei und sorgen damit für die vermutlich umfassendste musikalische Verdunklung des Wochenendes – eine musikalisch messerscharfe Herausforderung, der sich zu später Stunde nicht mehr jeder Geist zu stellen vermag. Ein Stadium zwischen dem Willen, auch ja bis zur letzten Minute dieses Ausnahmeevents dabei zu sein und schweigsam überforderndem Transzendentalismus – so, wie eben jedes exzellent organisierte Liebhaber-Festival enden sollte.
Galerie mit 10 Bildern: Prophecy Fest 2016 – Samstag – VemodSetlist
- Intro I
- Intro II
- At First Light
- Der Guder Dør
- Venter På Stormene
- Ikledd Evighetens Kappe
- Interlude
- Og Vinden Sang Mitt Navn
Bericht: Alex Klug und Ruth Gräbeldinger
Fotos: Ruth Gräbeldinger (alpha-photography.net) und Alex Klug (2 Right Make 1 Wrong)
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