Dream Theater
A Dramatic Tour Of Events - Live in Stuttgart 2012
Konzertbericht
DREAM THEATER
Nach einer halbstündigen Umbau- und Wartepause beginnt dann endlich der erfreuliche Teil des Abends. Schon während des Wartens durfte man die drei an perspektive Zeichnungen dreidimensionaler Würfel erinnernden Gebilde im Bühnenhintergrund bestaunen, die sich nun als Leinwände entpuppen, auf denen während des gesamten Auftritts stimmige und spannend gestaltete Beamer-Projektionen abgespielt werden. Als Intro gibt es aber zu Hans Zimmers „Inception“-Soundtrack erst einmal ein Zeichentrick-Filmchen, in dem sich DREAM THEATER in der Gestalt selbstironischer Klischee-Helden selbst auf die Schippe nehmen. Ob Sänger James LaBrie als Piratenkapitän, Keyboard-Wizard Jordan Rudess als Zauberer mit Spitzhut und Robe oder Neu-Drummer Mike Mangini als Flaschengeist, am Ende steigen die Musiker-Alter-Egos gemeinsam in ein Flugzeug und landen wenig später – angekommen in der Realität – auf der Bühne, wo sie mit „Bridges In The Sky“ einen fulminanten Einstieg hinlegen.
Bereits das an zweiter Stelle folgende „6:00“ erweist sich als echte Überraschung, die live aber erstaunlich gut funktioniert. Die Bandchemie scheint zu stimmen, man könnte meinen, dass die Musiker soviel Spaß zusammen auf der Bühne haben, wie seit Jahren nicht mehr. Besonders Sänger LaBrie scheint nach dem Weggang von Drummer Mike Portnoy richtig aufzublühen und darf sogar einige längere Ansagen tätigen. So schmerzlich ein Personalwechsel auch immer sein kann, DREAM THEATER beweisen heute, wie wichtig der frische Wind sein kann, der dadurch ganz automatisch immer in eine Band hineinkommt. So werden in der Mitte des Sets „The Silent Man“ und „Beneath The Surface“ als kleiner Akustik-Block dargeboten, für den sich LaBrie gemeinsam mit Gitarren-Held John Petrucci an den Bühnenrand setzt, während die anderen drei sich dezent im Hintergrund halten – eine Szene, die man sich mit Portnoy als (nicht nur musikalischen) Taktgeber der Band irgendwie nicht so recht hätte vorstellen können.
Galerie mit 38 Bildern: Dream Theater - Dream Theater - A Dramatic Tour Of Events 2012Doch wie schlägt sich nun eigentlich Portnoy-Nachfolger Mangini hinter seinen Kesseln? Zunächst einmal fällt auf, dass er ein ähnlich üppiges Arsenal auffährt wie sein Vorgänger, dieses jedoch stärker um sich herum und in die Höhe baut als in die Breite. Sein Drumming wirkt filigraner und weniger dominant, erreicht dabei aber dieselbe Präzision. Um ihn den Fans angemessen vorzustellen, darf Mangini auch ein Drum-Solo spielen, das zwar nicht ganz so unterhaltsam daherkommt wie jene Portnoys, sich insgesamt aber durchaus hören und sehen lassen kann. Trotzdem bleibe ich dabei, dass ein Drum-Solo prinzipiell zu den überflüssigsten Bestandteilen einer live-Performance gehört und auch DREAM THEATER besser daran täten, stattdessen künftig lieber ein Lied mehr zu spielen.
Musikalisch ist der heutige Abend in jedem Fall ein voller Erfolg. Wie gewohnt liefern DREAM THEATER eine technisch überragende Performance ab, bei der die ohnehin schon brillianten Studio-Versionen ihrer Stücke live noch einmal ordentlich aufgepeppt werden. Da ist es schon irgendwie beruhigend, dass man sich immer mal wieder doch kleinere Spielfehler erlaubt, die das Publikum daran erinnern, dass hier doch nur Menschen am Werk sind. Doch wo ich bei den Prog-Göttern üblicherweise ganz genau hinhöre und hinschaue, um ja kein Detail zu verpassen, erwische ich mich heute immer wieder dabei, verträumt die Augen zu schließen und das Gehörte einfach auf mich wirken zu lassen. Denn bei allem hochtechnischen Gefrickel kommt eben auch das Gefühl nie zu kurz.
Für Fans der ersten Stunde gibt es das „When Dream And Day Unite“-Stück „A Fortune In Lies“, auf das mit „Outcry“ der wohl politischste Song des aktuellen Albums „A Dramatic Turn Of Events“ folgt. Das Stück handelt von den Demokratiebewegungen der arabischen Welt, die im letzten Jahr das Machtgefüge vieler Staaten Nordafrikas ins Wanken brachten, und wird konsequenterweise von beeindruckenden Bildern der Demonstrationen in Ägypten begleitet. Ähnlich plakativ sind die Aussagen James LaBries über das Fortbestehen der Seele nach dem Tod, bei denen ein konkreter Bezug auf irgendwelche Religionen aber bewusst vermieden wird. Jedem in der Halle ist jedoch klar, dass nun „The Spirit Carries On“ auf dem Programm steht, dass vom einleitenden John-Petrucci-Solo bis zum letzten Ton für Gänsehaut sorgt.
Viel zu schnell neigt sich die mehr als zweistündige Show ihrem Ende zu. „Breaking All Illusions“ komplettiert das halbe Dutzend an neuen Songs auf der Setlist, bevor sich die Band verabschiedet und James LaBrie noch anfügt, dass die Band heute soviel Spaß hatte, dass man gerne den Aufenthalt in Stuttgart noch um drei Abende verlängern würde. Ob er das wohl in jeder Stadt sagt? Oder liegt es daran, dass DREAM THEATER heute zum letzten Mal auf dieser Tour in Deutschland spielen? Sei’s drum, natürlich lässt man sich nicht lange bitten, wenigstens noch einmal für eine Zugabe zurückzukehren. Und bei „Pull Me Under“, dem einzigen Radio-Hit der Band, mobilisiert jeder seine letzten Kräfte und singt lautstark mit. Der starke Abschluss eines großartigen Konzertabends, der die amerikanischen Prog-Götter in Höchstform zeigt und jetzt schon Lust auf ihren nächsten Deutschland-Gig macht.
Setlist DREAM THEATER:
- Bridges In The Sky
- 6:00
- Build Me Up, Break Me Down
- Surrounded
- The Root Of All Evil
- Drum-Solo
- A Fortune In Lies
- Outcry
- The Silent Man
- Beneath The Surface
- On The Backs Of Angels
- War Inside My Head
- The Test That Stumped Them All
- The Spirit Carries On
- Breaking All Illusions
- Pull Me Under
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