Drangsal und Die Selektion
drehen in Heidelberg die Zeit zurück

Konzertbericht

Billing: Drangsal und Die Selektion
Konzert vom 19.03.2017 | Halle 02, Club, Heidelberg

Nach kurzem Aufbau und Soundcheck starten DRANGSAL mit „Der Ingrimm“ ihr Set. Genau der passende Song, da er sich moderat hochschaukelt und die Tanzbeine animiert. Gruber bearbeitet die Gitarre leidenschaftlich und doch routiniert, während der Rest der Band sich zwischen konzentriert und angestrengt einpendelt. Er spricht von Anfang an immer von der Gruppe DRANGSAL, das ehrt ihn. Schließlich weiß jeder, dass er „Harieschaim“ quasi alleine komponiert hat und mit hoher Sicherheit auch alleine spielen könnte, wenn die Klon-Technik doch schon etwas weiter wäre. Das Bandgefühl scheint aber ziemlich gut zu sein, die Truppe wirkt eingespielt und kommuniziert nonverbal. Gegen die musikalische Darbietung kann man wirklich nichts sagen und auch der Club hat eine überraschend gute Akustik.

Wer dachte, dass DRANGSAL hier heute das bejubelte Album „Harieschaim“ am Stück runter rattern, liegt falsch. Mit „Zur Blauen Stunde“ gibt es eine B-Seite, die eigentlich eine A-Seite wäre und mit „Sirenen“ und „Und Du? (10.000 Volt)“ gleich zwei neue vielversprechende Songs. Am kommenden Album arbeiten DRANGSAL nämlich schon und nach der aktuellen Tour geht es mit Max Rieger (u.a. DIE NERVEN, ALL DIESE GEWALT) ins Detail. Stimmlich wirkt Gruber von Song zu Song weiter angeschlagen, was den heiseren Sänger selbst enorm stört. Beinahe zwischen jedem Song kündigt er an, dass er den folgenden Song (bspw. „Do The Dominance“) wohl nicht so kraftvoll singen kann, wie er gerne würde: „Das kotzt mich selbst total an, dass ich hier so rumkrächze wie ein Rabe“ geht er in die Offensive. (@DIE SELEKTION, warum habt ihr eigentlich euren Kracher „Raben“ nicht gespielt?)

Besser gut gekrächzt, als ohne Leidenschaft

Dabei beschwert sich niemand, denn DRANGSAL sind selbst krächzend noch richtig gut, was das Publikum auch umgehend lautstark zurückmeldet. Tapfer kämpft sich Gruber durch die Setlist:“Wir müssen schnell machen, sonst ist das Potential meines Engelsstimmchen für heute aufgebraucht“. Was ihm an Stimmgewalt fehlt, gleicht er auf jeden Fall durch Spielfreude und Redseligkeit wieder aus. Und richtige Hektik entsteht trotzdem nicht, insgesamt geht es entspannt und kurzweilig zu. Zu „Moritzzwinger“ und „Schutter“ gibt es sogar kleine Aufruhr und es entsteht sowas wie ein Mini-Pit im vorderen Teil des Publikums. Max Gruber ist erfrischend selbstbewusst – „Jaja, Schutter“ winkt er gespielt genervt ab, als das Lied öfter mal lautstark gewünscht wird. Und auf einen Zuruf reagiert sogar mit: „Halt mal die Fresse da hinten, sonst komme ich zu dir runter und schlag dir mal meine Gitarre auf den Kopf“. Richtig so, man muss sich schließlich nicht alles bieten lassen.

Drangsal

Plötzlich geht alles ganz schnell, DRANGSAL kündigen den letzten Song an und verlassen dann die Bühne. Laute Zugabe-Rufe ertönen (Anmerk. d. Verf.: Ein Spiel zwischen Künstler und Publikum, das ich niemals verstehen werde.) und jubeln sich die Band wieder zurück auf die Bühne. Max hat sich freigemacht, das Sacko ausgezogen und begibt sich nicht ans Mikro, sondern im Unterhemd hinter das Drumkit. Schon nach wenigen Schlägen ist klar, woher das Siegel „Multiinstrumentalist“ kommt. Der plötzlich überraschend agile DRANGSAL-Bassist Sam Segarra steht stattdessen an der Front und mischt den Laden ganz unterwartet mit „Some Kinda Hate“ von MISFITS auf. Kann man schon so machen, das ist jetzt richtig geil. Nachdem im Club also mal ordentlich abgestaubt wurde, verlassen DRANGSAL wieder die Bühne, nur um nach wenigen Momenten wiederzukehren und dann auch brav ihre Stamminstrumente zu besetzen.

Drangsal

„Einer geht noch, einer geht noch Align“

„Einer geht noch, einer geht noch Align“ versucht Max zu scherzen. Das Publikum scheint den Witz entweder akustisch oder geistig nicht zu verstehen und kontert kollektiv mit „Einer geht noch, einer geht noch rein. Ole, Ole…“. „Oh Gott, so war das jetzt nicht gemeint“ wiegelt der Sänger ab und zückt ganz zum Schluss seinen Hit „Allan Align“. DRANGSAL verlassen im Anschluß unter tosendem Applaus wirklich die Bühne, das Licht geht an. Sieht nicht so aus, als ob es heute noch das METALLICA-Cover „For Whom The Bell Tolls“ geben würden. Es ist erst kurz nach halb zehn, als wir den Club verlassen. Ende Februar mussten wir zu der Uhrzeit noch zwei Stunden warten, bis PETE DOHERTY in der Frankfurter Batschkapp die Bühne betorkelt. Es gibt also doch ausgleichende Gerechtigkeit für fleißige Konzertgänger. Musikalisch kann man die beiden sicher nicht vergleichen, vom Talent und von der offensichtlichen Leichtigkeit im Schaffen schon. Doch Max Gruber wird etwas aus seinem Talent machen und der Musikwelt noch einige guten Alben bescheren. Wer ihn heute erlebt hat, ist sich da sicher.

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20.03.2017

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