Rock im Park
Der große Festivalbericht vom 18. Rock im Park in Nürnberg
Konzertbericht
Zusammen mit seinem zeitgleich am Nürburgring stattfindenden Co-Event Rock Am Ring ist das ROCK IM PARK eins der größten deutschen Festivals der härteren Gangart, und daran hat sich auch 2013 nichts geändert: Drei Tage Dauer, mehr als 60 Bands und rund 70.000 Zuschauer sind nur drei Zahlen, mit denen das Festival umrissen werden kann. Auf einen Nenner gebracht: Die eventtechnische Vollbedienung.
Man mag ja darüber diskutieren, wie das Zeppelinfeld in Nürnberg in heutiger Zeit genutzt werden kann, aber sicherlich ist das Rock Im Park die bestmögliche Alternative. Dort, wo das verbrecherische Nazipack vor einigen Jahrzehnten noch seine Reichsparteitage inszenierte, wuseln jetzt rund 70.000 bunte Rockfans munter zwischen drei Bühnen umher: Rock im Park, das etwas kleinere Zwillingsfestival von Rock am Ring, hat zum nunmehr 17. Mal auf dem weitläufigen Zeppelinfeld seine Pforten geöffnet!
Wir erklimmen die Treppen der Zeppelinhaupttribüne und erhaschen einen Blick auf die nahegelegene „Centerstage“, die Hauptbühne, vor der sich eine riesige Menschenmasse über das etwa 90.000 Quadratmeter große Areal verteilt. Durchquert man dieses, findet sich auf einem etwas kleineren Nebenplatz die „Alternastage“, und ein paar hundert Meter weiter in einer Halle, wo sonst die Nürnberg Ice Tigers semi-erfolgreich Eishockey zelebrieren, die „Clubstage“.
Fast sämtliche Grünflächen rund um die nahegelegenen Dutzendteiche und die in größenwahnsinniger Nazi-Architektur errichtete, unfertige Kongresshalle – größer als das Kolosseum in Rom – werden von den Besuchern zum Campen genutzt. Die ca. 40 Meter breite und 1,5 Kilometer lange „Große Straße“, welche die zentrale Achse des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes darstellt und früher für Aufmärsche genutzt worden war, ist zum monumentalen Parkplatz umfunktioniert. Komplettiert wird das Szenario durch zahlreiche Stände und allerlei Bespaßungs-Optionen.
Das musikalische Spektrum der achtzig gebuchten Acts ist enorm und reicht von Elektro über Hip Hop und Rock bis hin zu Metal und Hardcore, darunter so Unterschiedliche wie GREEN DAY, VOLBEAT, THIRTY SECONDS TO MARS, THE PRODIGY, FETTES BROT, CRO, CASPER, LIMP BIZKIT, KORN oder SEEED bis hin zu FRITZ KALKBRENNER, um nur einige beispielhaft zu nennen.
Freitag
Die erste Band, die wir livehaftig gerade noch miterleben, ist PAPA ROACH auf der Centerstage, die ihre Single „Still Swinging“ vom neuesten Studioalbum „The Connection“ in die Menge fetzt und das Set kurz darauf mit seinem Hit „Last Resort“, zu dem es mächtig abgeht, auch schon beendet.
Nach einer kurzen Pause folgen auf der Centerstage die australischen Hardrocker AIRBOURNE. Mit ihren hohen, verzerrten Gitarrenriffs und einem treibenden Schlagzeugbeat inszenieren sie einen rotzigen Rocksound, der deutlich von Bands wie AC/DC, JUDAS PRIEST und MOTÖRHEAD inspiriert ist. Auch BLACK SABBATHs „Paranoid“ wird zwischen zwei Liedern kurz angestimmt. Sänger Joel O’Keeffe bedankt und verabschiedet sich mit den Worten „As long as you are here, Rock’n’Roll will never ever die!“, wobei er das letzte Wort langgezogen ins Publikum schreit: „Dieeeeeee“. Kurz nach dem Konzert treffen wir einen volltrunkenen Landsmann der Band, der seit einiger Zeit in Deutschland lebt und sich ungemein darüber freut, seine Lieblingsband aus Down Under hier live erlebt zu haben. Doch auf diese Freude wird noch einer drauf gesetzt, denn er mogelt sich irgendwie in den Backstage-Bereich und wird von AIRBOURNE kurzerhand zu einem Plausch und einer Erfrischung eingeladen.
Wir können uns nunmal nicht zerteilen und haben für den Auftritt von AIRBOURNE BIFFY CLYRO auf der Alternastage und VIERKANTTRETLAGER in der Clubstage verpasst, und werden nun TOCOTRONIC und THE BOTS links liegen lassen zugunsten der nächsten Kapelle auf der Centerstage: THE BOSSHOSS.
Die sieben mit Cowboyhüten und Sombreros ausstaffierten Recken praktizieren bekanntermaßen einen äußerst partytauglichen Crossover aus Country, Punkrock, Blues, 60s-Garage-Rock und Rockabilly, mit dem sie in der folgenden Stunde das Volk ordentlich zum Zappeln bringen werden. „Hello, we come from Berlin, Mississippi“ schallt es zur Begrüßung von der Bühne, und dann liefern sie ihr unterhaltsames Set mittels elektrischer und akustischer Gitarren, Waschbrett, Kontrabass, Keytar, Mundharmonika, Mandoline, Stylophon, Drums und einer gehörigen Prise Coolness. Gespielt werden diverse launige Cover-Versionen, etwa von BEASTIE BOYS („Sabotage“), CAMEO („Word Up“) oder MINISTRY („Jesus Built My Hotrod“), kombiniert mit eigenen Stücken, unter denen natürlich auch ihr Hit „Don’t Gimme That“ nicht fehlen darf. Fazit: Ein Konzert der Jungs aus „Tijuana, Mexico“ (von woher sie später laut Ansage stammen) ist immer einen Besuch wert.
Mächtig Dampf von der Bühne fabrizieren danach STONE SOUR, deren Sänger Corey Taylor, ansonsten noch in Diensten von SLIPKNOT, sich gar zu der Aussage hinreißen lässt, Rock im Park sei „eines der besten Metal-Festivals der Welt“. Hallo, mal auf das Line-Up geschaut? Ihr Alternative-Metal pumpt abwechslungsreich und druckvoll, Taylor selbst präsentiert sich in Hochform, aber nach den ersten vier Songs (dem heute großartigen „Gone Souvereign“, „Absolute Zero“, Mission Statement“ und „Reborn“) ist die Show für uns zu Ende – wir wandeln am hinteren Ende des Zeppelinfeldes entlang zur Clubstage, wo CLUTCH sich gleich die Ehre geben werden.
Die Halle ist getaucht in völlige Düsterheit, die nur von den rot-weiß-blauen Strahlern auf der Bühne durchbrochen wird – welch ein Kontrast zum grellen Sonnenschein draußen. Mehrere tausend Besucher tummeln sich auf der Saalebene, die Ränge mit Sitzplätzen, die sich an allen Seiten der Arena befinden, sind für sie jedoch noch gesperrt. Bei späteren Auftritten wird sich das ändern. Der Vierer aus Germantown / Maryland verschmilzt auf technisch hohem Niveau groovigen, puren Rock’n’Roll mit Stoner-Elementen und liefert eine gelungene Show mit Schwerpunkt auf dem aktuellen Album „Earth Rocker“, zu der die Kopfnicker und Mattenschüttler sich austoben.
Nach einer anschließenden Wanderung zurück zur Centerstage, durch Menschentrauben und diverse Wellenbrecher hindurch, werden wir aus Richtung der Alternastage von herüberwehenden Synthie-Klängen des britischen Duos HURTS sowie einem pittoresken Sonnenuntergang begleitet.
Vor Ort angekommen, ertönen schon die ersten Gitarrenriffs von VOLBEAT aus Kopenhagen: „Hallelujah Goat“ ist der Opener, bei dem ihre Affinität zu Elvis Presley (dessen Name als Tattoo auch den linken Unterarm von Sänger und Gitarrist Michael Schøn Poulsen ziert) deutlich zum Tragen kommt – aber auch Anklänge an Johnny Cash oder Bands wie METALLICA und SOCIAL DISTORTION (Poulsens Tattoo am rechten Unterarm) schimmern im Lauf des Auftritts immer wieder als Inspirationsquelle durch.
Vor wechselnden Leinwänden hinter der Bühne, zu eingängigen Refrains und einem Musikstil, der eine Brücke zwischen dem Rock der 60er und Heavy Metal schlägt, heizen sie die Menge immer wieder an mitzusingen und sich zu bewegen, und die liefert das entsprechende Echo umgehend zurück. Ohnehin hat das Quartett die Gabe, ihr Publikum zu mobilisieren: Sei es, dass Circle Pits initiiert oder kleine Scherze zwischen den Songs gerissen werden, aufgefordert wird, alle Frauen auf die Schulter zu packen, oder zwischendrin ein Medley erschallt aus RAMMSTEINs „Keine Lust“, JUDAS PRIESTs „Breaking The Law“ und SLAYERs „Raining Blood“ – Letzteres als Reminiszenz an den kürzlich verstorbenen Jeff Hanneman. Zu „Sad Man’s Tongue“ schwebt minutenlang – ähnlich der vom Wind getragenen Tüte im Filmklassiker „American Beauty“ – ein aufgeblasenes, von der aufsteigenden Hitze getragenes Kondom über die tobende Menge. Nach einer zwanzigminütigen Zugabe, die mit „Pool Of Booze, Booze, Booza“ endet, verlassen VOLBEAT schließlich zu einem Outro vom Terminator-Soundtrack die Bühne. Ihr Konzert zählt sicher zu den Highlights dieses ersten Tages.
Wir schieben uns nun im Strom von Tausenden durch die relativ schmalen Gänge, die vom Zeppelinfeld zur nebenan gelegenen Alternastage führen, wo THE KILLERS jeden Moment ihren Auftritt beginnen. Gerade noch rechtzeitig angekommen, eröffnen sie ihren Gig mit einem ihrer größten Erfolge, „Mr. Brightside“. Wir gönnen uns noch ein paar Eindrücke ihrer meist ruhigen, teils rockigen Mischung aus Pop-Elementen und Indie-Rock, die den klaren Gesang und flirrende Keyboard-Passagen von Frontmann Brandon Flowers transportieren, dann wandern wir weiter zur Clubstage: Der Gig der schwedischen Retro-Rocker von GRAVEYARD überschneidet sich, und wir geben diesem den Vorzug.
Ein schwarz-weißes, psychedelisches Mosaik thront an der Wand hinter der Bühne, und der volle, tiefe Gitarren- und Basssound wummert über die Köpfe der prall gefüllten Arena hinweg; bisweilen verliert sich die Gitarre in langen, progressiven Soli, die von Orgel-Attacken getragen werden, um dann wieder zurück in die Spur zu grooven. Nicht nur musikalisch, auch optisch erinnert das Quartett um Sänger und Gitarrist Joakim Nilsson an Rock- und Bluesbands der siebziger Jahre, aber garniert mit einem ordentlichen Schuss verschwommener, staubtrockener Desert-Rock-Vibes; der oft hohe und klare Gesang, das präzise wie ein Uhrwerk tackernde Schlagzeug und die durch mehrfachen Instrumentenwechsel sehr unterschiedlichen Gitarrensounds komplettieren die ansprechende musikalische Zeitreise.
Ganz im Sinne von Monthy Python heißt es danach: „And Now For Something Completely Different“ – wir ziehen weiter zu THE PRODIGY.
Der Freitags-Headliner der Centerstage präsentiert sich in guter, alter 90er-Jahre-Formation mit Mastermind Liam Howlett samt den beiden Sängern und Anheizern Keith Palmer alias Maxim Reality und Punk-Lookalike Keith Flint. Über die Musik braucht man wohl nicht viel Worte verlieren – knarziger, äußerst druckvoller Elektrosound, oft mit Breakbeats, Samples und prägnanten Gitarrenriffs gepimpt… zahlreiche bekannte Hits, die vor allem in ihren Anfangsjahren sowohl in jedem Elektro- als auch Alternative-Club in Dauerrotation liefen, gibt es ja zuhauf. Und diese werden auch fast alle gespielt, von „Voodoo People“, „Breathe“, „Firestarter“ oder „Poison“ bis hin zu „Their Law“ und „Smack My Bitch Up“ – fast alle altbekannten Kracher stehen auf der Setlist und werden mit ein paar aktuelleren Titeln à la „Invaders Must Die“ oder „World’s On Fire“ erweitert, kurzum: anderthalb Stunden Vollgas-Mucke mit Smashern aus mehr als 20 Jahren Bandgeschichte werden geboten. Und die drücken mit satten 150 kW Ton in die Menge, befeuert von einem Lichtspektakel aus 600 Bühnenlampen. Keith Flint und Maxim Reality gehen wie üblich auf der Bühne ab, als hätten sie gerade einen Eimer Koks gezogen, vor derselben wird gesprungen, getanzt, mitgegrölt, gestagedivet und gecirclepittet, das volle Programm, und obendrauf immer wieder das übliche Angestachel und Gelobe via Mikro: „Respect to all you motherfuckin‘ warriors“.
Die Reaktionen auf das Konzert sind dennoch geteilt, während etwa Tina aus Köln „eher gelangweilt von dem ganzen Bumm-Bumm“ war, findet Ramon aus Frankfurt „das Ganze saugenial“, es hätte seiner Meinung nach nur „viel länger gehen können für einen Headliner“. Lassen wir das einfach mal so stehen als repräsentativ. Ach so, unsere eigene Meinung? Wir fanden’s gut, eine solche Energie bringt sonst keine andere uns bekannte Elektro-Band zustande, und Rampensäue sind sie noch dazu. Wir schenken uns anschließend BOSSE und SELIG, kriegen zum Abschiedsbier des ersten Tages noch ein bisschen was von THE BLOODY BEETROOTS LIVE mit, die mittels einer Art Elektro-Punk das Gelände in einen Riesen-Dancefloor verwandeln, und trollen uns von dannen.
Zurück bleibt die Frage: Wie haben es all die Typen in ihren Ganzkörper-Kostümen, die als wandelnde Bananen, Krümelmonster oder Teletubbies immer von uns wieder gesichtet wurden, nur bei dieser Hitze ausgehalten? Und was ist aus denen geworden, die mittags schon besoffen in ihrer eigenen Kotze vor wessen Zelt auch immer lagen? Oder denen, die schon früh klatschnassgeschwitzt mit pseudowitzigen T-Shirts à la „Ich kack zuhause“ oder „Zeig mir Deine Titten“ über das Gelände torkelten? Egal. Unser Respekt ist Euch sicher.
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