Deafheaven
EU Tour '22
Konzertbericht
Es ist schon ein ganzes Jahr her, dass uns die aus San Francisco stammenden DEAFHEAVEN mit ihrem Album „Infinite Granite“ und einem drastischen Genrewechsel überrascht haben. Pandemiebedingt kann nun endlich auch in Europa die begleitende Tour angegangen werden. Nachdem sie Skandinavien unsicher gemacht haben, bitten DEAFHEAVEN nun die Berliner in den Festsaal Kreuzberg zum fröhlichen Reigen.
Drei ??? und die Bande von WHISTLER
Doch bevor es soweit ist, betreten erst einmal die DänInnen von WHISTLER die Festsaal-Bühne. Und schnell fragt man sich, warum eigentlich. Oder besser ausgedrückt: Wie kam man auf die Idee, diese Band vor einem Powerhouse wie DEAFHEAVEN auftreten zu lassen? Dass die von WHISTLER praktizierte Musik nicht mal ansatzweise zu der von DEAFHEAVEN passt, ist eine Sache. Aber was WHISTLER hier zeigen, hat weder einen wirklichen musikalischen Bogen, noch weckt es einen auf. Das Gegenteil ist der Fall.
Wenn man es in Worte fassen möchte, dann klingen WHISTLER fast so wie eine aus einem schlechten Paralleluniversum stammenden MÅNESKIN. Sänger Louis Scherfig nuschelt fast schon demotiviert ins Mikrofon und die Gitarrenfront dudelt auch nur lustlos vor sich hin. Wirklich treibender Beat, der in die Knochen geht ist Fehlanzeige. Wirklich schade, dass man für Berlin nicht die für die anderen Deutschlandkonzerte angekündigten SLOW CRUSH gewinnen konnte.
Galerie mit 20 Bildern: Whistler - EU/UK Tour 2022Dem Himmel sei Dank
Angesichts des kompletten Verzichts von Black-Metal-Elementen auf „Infinite Granite“ macht man sich fast Sorgen, ob WHISTLER hier frühe Boten eines eher ruhigen Abends werden. Und fast so, als sei es eiskalt von DEAFHEAVEN so kalkuliert, beginne sie ihr Set auch mit den ersten drei Songs von „Infinite Granite“ („Shellstar“, „In Blur“ und „Great Mass Of Color“). Wenn man den reinen Post-Black-Metal von DEAFHEAVEN gewohnt ist, muss man sich erst einmal kräftig daran gewöhnen, dass Frontmann George Clarke sich nun am reinen Klargesang versucht. Und so richtig möchte der sanfte Gesang (zumindest live) nicht bei ihm sitzen. Dennoch überzeugen die neuen Songs live in voller Form und wirken sogar wesentlich dynamischer und kraftvoller, als auf Platte.
Das mag auch daran liegen, dass Clarke sich von Minute Eins an mit vollem Körpereinsatz in die Songs legt. Schon nach „Shellstar“ badet er komplett im eigenen Schweiß. Doch das scheint ihm egal zu sein, Clarke scheint richtig Bock auf Berlin und Abriss zu haben. So sehr, dass er die eigentlich in ruhigen Tönen gesungenen Passagen von „In Blur“ fast schon mit Reibeisenstimme von sich gibt. Und hier merkt man (und vielleicht Clarke selbst), dass seine Stärke wirklich in den härteren Tönen liegt. Das verleiht dem Song nicht nur eine neue Note – man wünscht sich sogar fast eine Neuaufnahme der Platte in dieser Form.
DEAFHEAVEN strotzen so sehr vor Energie, dass diese mühelos auf das Publikum übergeht. Musik und Masse verschwimmen schon nach 10 Minuten zu einer unzertrennlichen Einheit. Das mag auch daran liegen, dass im Festsaal Kreuzberg kein Graben Publikum und Band voneinander trennt. Ganz im Sinne eines guten Hardcore-Konzerts. Mit „Great Mass Of Color“ legen DEAFHEAVEN dann noch einmal an Intensität zu und mehr und mehr geht der Gesang vollends in den für Clarke berühmten Kreischgesang über. Wer dachte, DEAFHEAVEN hätten dem Black Metal komplett den Rücken gekehrt, wird nun eines besseren belehrt.
Back To The Roots mit DEAFHEAVEN
Denn was DEAFHEAVEN bisher darbieten, ist nur das Warm-Up für die nächsten knapp 50 Minuten. Clarke versichert den Fans: „Ja, wir spielen einige neue Songs – aber wir werden auch einige alte spielen“. Als daraufhin das für den Grammy nominierte „Honeycomb“ angekündigt wird, brechen in den ersten Reihen alle Dämme und über die mehr als 11 Minuten hinweg ist der gesamte vordere Bereich ein einziges Chaos. Man merkt, wie gut es DEAFHEAVEN selbst tut, den Black Metal auszupacken.
Immer wieder springt Clarke zum Bühnenrand und kniet sich zu den Fans runter, um mit ihnen zu kreischen. Und die Fans begrüßen ihn wie einen Heiland aus einem amerikanischen Gottesdienst. Doch damit nicht genug, denn DEAFHEAVEN gehen noch weiter zurück liefern mit „From The Kettle Onto The Coil“ nun vollends den Abriss im Festsaal. Um den Pit wieder etwas runterzufahren DEAFHEAVEN servieren sie uns daraufhin das im Vergleich schon fast melancholische „Worthless Animal“. Mit „The Gnashing“ und „Mombasa“ kommen DEAFHEAVEN dann wieder auf „Infinite Granite“ zurück. Wie auch schon bei „Great Mass Of Color“ werden beide Stücke mit fast gleicher Intensität wie auch „Honeycomb“ gespielt und man möchte fast nicht meinen, dass die Songs eigentlich ruhiger gedacht waren.
Galerie mit 22 Bildern: Deafheaven - EU/UK Tour 2022Ein Abschied der bleiben wird
Nach „Mombasa“ ziehen sich DEAFHEAVEN zu einer verdienten Pause zurück. Nach sehr kurzer Wartezeit wendet sich Clarke an das Berliner Publikum und fragt, ob es noch etwas Zeit für zwei weitere Songs habe. Wer würde das nach dem bisherigen Abend verneinen? Was daraufhin folgt ist der absolute Abriss des beschaulichen Festsaal Kreuzbergs (ob die Betreiber wussten, wen sie da einladen). Denn mit „Brought To The Water“ und dem kultigen „Dream House“ gehen DEAFHEAVEN noch einmal in die Vollen und zelebrieren energiegeladenen Black Metal wie man ihn in der Szene nur selten zu sehen kriegt.
Über 20 Minuten hinweg wird fast der halbe Saal in einen einzigen Moshpit verwandelt und Crowdsurfing wird zur Tagesordnung. Auch Clarke ist so befangen von der rohen Energie, dass er in die erste Reihe hinabsteigt und die Fans selbst kreischen lässt. Was DEAFHEAVEN hier in zwanzig Minuten abliefern ist pure Energie und Leidenschaft am (Black) Metal. Wer nach diesem Abend immer noch glaubt, dass DEAFHEAVEN kein richtiger Black Metal ist, kann sich gerne in seine einsame Waldscharte zurückziehen.
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