Darkness Guides Us
Neues Extreme-Metal-Festival in Schottland
Konzertbericht
SAMSTAG – 23. November 2019
Bands:
IMPALED NAZARENE
NARGAROTH
SARGEIST
ZEMIAL
HARAKIRI FOR THE SKY
TOTALSELFHATRED
ENISUM
KARG
AKLASH
Melancholischer Start und ein heimlicher Headliner – Tag 1 beim Darkness Guides Us
Mit AKLASH aus Reading eröffnet eine britische Band das DARKNESS GUIDES US 2019. Über die leichte Verzögerung freuen sich alle, die hinter dem Zeitplan im The Classic Grand eintrudeln. Tatsächlich füllt sich der Zuschauerraum im Verlauf des Gigs ordentlich – es ist zu spüren, dass ein extremmetallisches Event dieser Art nicht jeden Monat stattfindet. Der Sound ist okay, wummert aber zu basslastig und ist allgemein zu laut. Musikalisch fallen AKLASH vor allem durch den Klargesang und die Geige auf. Das für Black Metal untypische Instrument verleiht den atmosphärischen Klängen eine interessante Note: Die instrumentale Kombination funktioniert gut – vor allem beim energiegeladenen Finale, als N. Millar mit der Violine vor die Bühne tritt.
KARG lassen sich beim Soundcheck ordentlich Zeit. Das zahlt sich hörbar aus, vergrößert den Abstand zwischen Uhrzeit und Running Order aber noch weiter. Die Österreicher sind einerseits gut platziert, weil der Einstieg ins Festival so nicht mit der Nietenkeule erfolgt, andererseits hemmt es die Stimmung, wenn die ersten Bands im melancholischen Sektor wildern. Die Stimme von V. Wahntraum, der später auch mit HARAKIRI FOR THE SKY auf der Bühne stehen wird, ist wie immer ein zweischneidiges Schwert: Die eine Fraktion schwört auf die Vocals, andere beurteilen vor allem die „Schmerzensschreie“ kritisch. Fakt ist, dass KARG auch bei einem schottischen Festival genug Freunde ziehen, die den Liedern aufmerksam lauschen oder sie per Headbang-Einlage begleiten. Als das Tempo im Song wechselt, verändert sich auch das Licht auf Dunkelrot. Die Atmosphäre ist passend, man hat nicht das Gefühl, dass es mitten am Tag ist. Leider tönen die gesprochenen Passagen, die vom Band kommen, nicht sehr authentisch. Generell lassen KARG lieber ihre Musik sprechen – Ansagen gibt es keine.
ENISUM haben ihr Holzgebilde, das üblicherweise als Mikrofonständer dient, nicht mit nach Schottland genommen. Das beeinträchtigt den Auftritt der Italiener aber nicht. Dafür sorgt hingegen der Sound: Während die Drums zu laut sind, klingt die Rhythmusgitarre zu leise. Schade, denn sie starten mit dem grandiosen Opener „Anesthetized Emotions“ des Neuwerks „Moth’s Illusion“. Vorm zweiten Song wird die Gitarre neu gestimmt, was die Probleme verbessert, aber nicht gänzlich ausmerzt. Trotzdem schwappt genug Energie über den Bühnenrand. Dass die Musiker ihre Stücke leben, ist jederzeit sichtbar: Das ENISUM-Tattoo von Fronter Lys spiegelt die Verbundenheit ihrer Musik zur Heimat wunderbar wider und Bassist Leynir spielt die meiste Zeit mit geschlossenen Augen. Der Konzertsaal ist weiterhin gut gefüllt und bei besonders atmosphärischen und melancholischen Passagen herrscht ein kollektives Schwelgen. Zwar sind die Tempowechsel im Vergleich zu KARG noch extremer, dennoch wird es langsam Zeit für einen Subgenre-Wechsel – inzwischen ist es regelrecht erfrischend, wenn mal todeslastige Riffs eingestreut werden.
Stimmungsvoller Aufschwung? So gar nicht: TOTALSELFHATRED verdunkeln die Seele mit ihrem Depressive Black Metal noch mehr. Während es musikalisch immer kälter wird, hitzt sich der Raum extrem auf – da freut sich die Garderobe. Die erdrückende Schwere im Innenraum passt allerdings gut zu den fallenden Regentropfen im sich verdunkelnden Glasgow. TOTALSELFHATRED gehören ohne Frage zur Speerspitze in ihrem schwarzmetallischen Subgenre, aber so langsam fragen sich die Anwesenden, welchen Sinn die Tagesaufteilung erfüllt. Die Finnen, die mit „Solitude“ ein verhältnismäßig frisches Album (2018) im Gepäck haben, präsentieren ihr Set völlig unbeirrt und auf technisch einwandfreie Weise – gespickt mit tiefwirkenden Songs, die immer wieder bandeigene Akzente setzen.
Band Nummer fünf und weiterhin wird den Zuschauern irgendwas in der Schnittmenge aus Melancholie, Leid und Atmosphäre geboten. Puh. Liebe Festivalveranstalter, bitte beim nächsten mal mehr Wert auf Abwechslung legen oder das Ganze in DEPRESSIVE GUIDES US umbenennen. HARAKIRI FOR THE SKY haben sich in ihrem achtjährigen Bestehen eine große Post-Black-Metal-Fanbase erspielt – entsprechend voll ist der Konzertsaal im The Classic Grand. Das Set beginnt mit einem für J.J. typischen Schrei und hohem Tempo – wenigstens etwas. Zudem interagiert die Band deutlich mehr mit dem Publikum und reckt noch zum Opener kollektiv die geballten Fäuste. In den vorderen Reihen bewegen sich etliche Menschen, während der Fronter wie gewohnt herumtigert. Die gequälten Vocals pendeln erneut zwischen gekonnt und gekünstelt – je nachdem, in welche Gehörgänge sie gelangen; es ist das gleiche Zwei-Lager-Dilemma wie bei KARG. Trotz aller Melancholie gibt es bei HARAKIRI FOR THE SKY immerhin etwas Schlagzeuggeballer – vor allem die Doublebass ist sehr aktiv. Unpassender sind die Animationsversuche der Musiker, aus denen trotzdem einige Klatscher resultieren. Ganz besonders begeistert ist ein Typ vorne links, der sich nicht entscheiden kann, ob er zu Liedern wie „Calling The Rain“ zuerst klatschen, hüpfen oder headbangen soll. Musikalisch ist das alles wie aus einem Guss.
Inzwischen liegt das Programm schon über eine Stunde hinter dem Zeitplan. Das vergessen die meisten aber, sobald ZEMIAL richtig loslegen. Endlich der erhoffte Stimmungswechsel! Die Griechen sind nicht besonders bekannt, haben aber einen ausgeprägten Kultstatus – nach der Gründung 1989 wurde das Debütalbum im Jahr 1996 veröffentlicht und bis heute sind nur drei Studioalben erschienen. Musikalisch gehen ZEMIAL andere Wege als ihre Bühnenvorgänger. Hier regiert angeschwärzter Thrash Metal mit einer gehörigen Heavy-Schlagseite und einer facettenreichen Lead-Gitarre. Auffällig ist zunächst der Sänger, der mit einem Kopfmikro ausgestattet auf der Bühne rumschlawinert und dabei mehr wie eine Kreatur (Gollum?) als ein Mensch wirkt. Die instrumentale Palette in Liedern wie „Eclipse“ vom 2013er-Album „Nykta“ ist beeindruckend: von Humppa, über brutal, bis zu progressiv und episch ist vieles dabei. Optisch ebenso auffällig ist der eher modisch als metallisch gekleidete Bassist, den man in eine Doom-Band „schubladisieren“ würde. Spannend: Visuell passt hier kaum etwas zusammen, musikalisch faszinieren ZEMIAL dafür umso mehr. Das betrifft auch die Vocals, die entweder vom Gitarristen (Krächzen) oder vom Drummer (Growls) stammen. Am interessantesten klingen ZEMIAL aber, wenn die Leadgitarre ins Rampenlicht darf: dann folgt eine teilweise minutenlange technische Demonstration, die am Ende zu Recht stark beklatscht wird. Zum ersten Mal entspringt sogar ein kleiner Pit aus der Menge. Dass sich erneut technische Probleme dazugesellen (Ausfall des Mikros zum Beispiel), ist schade, aber kein Beinbruch. Als das eh schon große instrumentale Spektrum durch gelungene Black-Metal-Passagen ergänzt wird, sind sich viele sicher, hier schon ein Highlight des gesamten Festivals zu sehen.
Zurück nach Finnland: SARGEIST sind die erste Band mit Corpsepaint, wenn man vom exzentrischen ZEMIAL-Fronter absieht. Räucherstäbchen und „Let The Devil In“ vom gleichnamigen Album aus dem Jahr 2010 eröffnen das Set. Weiter geht es mit „Black Fucking Murder“ vom 2003er-Debüt „Satanic Black Devotion“, bevor der Fronter mit Klangschalen hantiert. Trotz stimmungsvoller Humppa-Parts hüllen SARGEIST das Classic Grand in fiese Dunkelheit und zerren auch die Letzten, die noch in der Melancholie der ersten Bands feststecken, mit Gift und Galle ins Höllenfeuer. Black-Metal-Puristen verdrehen derweil die Augen, weil erneut ein Pit ausufert. Auch hier scheiden sich wohl die Geister zwischen „Lasst die doch feiern“ und „WTF“ – letzteres umso mehr, als jemand die Slam-Death-Kelle auspackt. Den zweiten WTF-Moment entfacht ein Crowdsurfer. Bei Satan, sowas geht doch nicht! Oder doch? Darf man das? Herrje. Der Sound ist übrigens gut und kommt diesmal ohne merkliche Probleme aus. SARGEIST lassen sich auf die Partystimmung ein und stellen hin und wieder eine stabile Faust-zu-Faust-Verbindung zu Menschen in der ersten Reihe her. Zwischen all dem Sarkasmus in den hiesigen Zeilen: Die Kapuzenträger liefern einen sehr starken Auftritt ab, der in ein fulminantes Finale mündet.
Dann ist es soweit: Der heimliche Headliner tritt auf. NARGAROTH sind vielfach umnebelt, tapsen für einige fleißig in der Grauzone herum, sind für andere musikalisch gänzlich irrelevant und wieder andere feiern die Band himmelhoch (oder höllentief) ab. So oder so: Ash, der dem schmalen Fotograben zu Beginn einen Besuch abstattet, und seine Mitmusiker starten mit dem bekanntesten Lied: „Black Metal Ist Krieg“. Der Bandkopf bangt von Beginn an heftig, verrenkt sich exzentrisch und keift leidenschaftlich. Generell findet auf der Bühne viel kollektives Propellern statt, während auch im Zuschauerbereich schnell klar wird, dass NARGAROTH nicht nur einen brachialen (im positiven Sinne) Sound, sondern auch einen extrem guten Tag haben. Die Energie im Saal ist spürbar. Musikalisch liefern NARGAROTH mit „Conjunction Underneath The Alpha Wheel“ ein echtes Highlight vom letzten Studioalbum „Era of Threnody“. Zu „Seven Tears Are Flowing To The River“ surft wieder jemand über die Publikumswellen – es bringt ja nichts, sich über Tatsachen aufzuregen, also erfreuen wir uns lieber an gut ausgewählten Black-Metal-Nummern, die zusammengenommen, man kann es nicht anders sagen, einen mächtigen Auftritt darstellen. Da ist der eine oder andere definitiv „Possessed By Black Fucking Metal“. Das ist Ash sowieso, der auch beim Singen bangt und dem Publikum vorm letzten Song die Wahl lässt: „Hunting Season“ oder „Abschiedsbrief Des Prometheus“? Die Reaktion ist weiter hinten nicht eindeutig, aber es wird der erstgenannte Song. Beim rein instrumentalen Liedfinale verlässt Ash vorzeitig die Bühne.
IMPALED NAZARENE haben es nach NARGAROTH schwer. Vor der Bühne ist es leerer und auch die Resonanz ist schwächer. Das könnte aber auch am ständig erigierenden Mittelfinger des Fronters liegen, dessen Vocals viel zu leise aus den Boxen kommen. Immerhin sprechen die Finnen mit dem Publikum und kündigen sich höflicherweise selbst an: „We are IMPALED NAZARENE from Finland“. Das platte „Are you ready to die?“ hätten sie sich auch sparen können, andererseits passt es zum stumpfen Geballer mit War-Metal-Feeling. So gesehen ist der Abschluss des ersten Festivaltages musikalisch gelungen: Hirn aus, Fresse polieren lassen, Abfahrt. Zur Feier des Tages hat die Band auch eine Pulle Schnaps am Start – hoffentlich standesgemäß schottischer Whisky. Die letzten Energiereserven gehen vor allem bei den Humppa-Passagen drauf, bevor man sich mitten in der Nacht – die langen Soundchecks und technischen Probleme haben der von Beginn an präsenten Verzögerung nicht gutgetan – ins Hotel, an die Bar oder sonst wohin bewegt.
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„Wirklich übel sind einige Shirt-Motive, die nichts mehr mit Grauzone zu tun haben“ …Sie meinen Braunzone?
Leider ja.