Konzertbericht
Mal ganz ehrlich: Schon mal Prodigy- und Such A Surge-Leibchen auf ’nem True Metal-Gig gesichtet? Nein? Ich schon. Klarer Fall, der Raum Worms ist in Sachen Metal-Events schwerstens entwöhnt, und so trifft sich dann einmal in achtundsiebzig Jahren die gesamte Hartwurst-Community sämtlicher Lager zum fröhlichen Abfeiern der Bands, deren Platten sie normalerweise wahrscheinlich nicht mal mit meterdicken Asbesthandschuhen anfassen würden. Trotzdem haben Saxon natürlich auch am Rhein ein obertreues Following, das – erkennbar an Halbglatzen und Tourshirts von anno schießmichtot – später noch verdammt viel Spaß haben sollte. Doch zuerst einmal wollten die ortsansässigen Still Patient verdaut werden. Mehr schlecht als recht schluchzwimmerte sich das ohne Drummer (!) und Bassisten (!!) auftrumpfende Gothic-Quintett aufs allerbrachialste durch ’ne Handvoll bestenfalls mittelprächtiger Eigenkompositionen, die grob umrissen als unspektakuläre Mischung aus Him, Type O und Secret Discovery durch die Tundra tönen. Nicht wirklich schlecht, aber vom Qualitätslevel der genannten Referenzcombos noch mehrere Galaxien entfernt. So langsam wurd’s übrigens voll in der schnüffig temperierten Jahnturnhalle, und so langsam bekam unsereins so richtig Bock auf ’ne oberamtlicher Knüller-Ladung Melodic Power Metal. Freedom Call wurden einmal mehr als Opener verheizt. Während völlig identitätslose Schaumschläger-Acts der Marke Pegazus und die mittlerweile immer mehr zur Karikatur ihrer selbst verkommenden Hammerfall samt Nachäffer-Gefolge die vordersten Stufen des Siegertreppchens bevölkern, gehört die Band um Gamma Ray-Schlagwerker Dan Zimmermann nach wie vor zum aufbauhilfebedürftigen Semi-Underground. Nicht nur in meinen Augen ’ne absolute Frechheit, hat man mit „Stairway To Fairyland“ doch eines der unbestreitbar besten Power-Scheibchen der ausgehenden Neunziger eingezimmert und schafft’s auch live immer wieder, der halbwegs qualitätsbewußten Koppschwingerschaft mit ungezügelter Spielfreude und eimerweise Jahrhundertharmonien ein dauerhaftes Träumergrinsen ins Gesicht zu meißeln. Unterstützt wurden die Jungs am Keyboard übrigens (wie schon beim diesjährigen Savatage-Gig in Köln) von Gamma Ray-Bassist Dirk Schlächter. Fein, fein. Apropos Gamma Ray: Den Kollegen um Metal-Legende Kai Hansen haben Freedom Call mittlerweile zumindest eines voraus: Gecovert werden nur Pop-Songs, die auch im Original schon gut sind. Statt ‚It’s A Sin‘ also ‚Dancing With Tears In My Eyes‘. Super! Wenn eine Band auf diesem Planeten Rock’n’Roll ist, dann heißt sie übrigens Skew Siskin. Meine Fresse, war das heftig! Für alle Kerle ohne Freundin natürlich auch korrekt fürs Auge: Sängerin Nina C. Alice tritt ihren Fans mittlerweile derart knapp bekleidet und in derart unmißverständlichen Posen gegenüber, daß sich in so mancher Hose erigierende Verzückung geregt haben dürfte. Da ich Kulturbanause mit der Musik des Berliner Donnerquartetts allerdings noch nie so richtig warm geworden bin, hab‘ ich die Gelegenheit der paar freien Minuten genutzt und mich im hintersten Hallenviertel ausgiebig mit meinem halbleeren Colabecher unterhalten. Klartext: Viel kann ich Euch von dem Auftritt nicht erzählen. Außer natürlich, daß der Saxon-Mob dank mit dumpfbackigen Scheibenwischer-Lyrics bestückter Rülpsfeger der Marke ‚Life’s A Bitch‘ oder ‚Let’s Get Drunk And Screw‘ gut in Wallung gehalten wurde. Spaß gehabt hat allerdings ganz besonders Nina: Die war völlig von der Rolle, aus dem Häuschen und im Begriff, völlig durchzudrehen. Daher: solide. Zugegeben: Crematory hab‘ ich eigentlich noch nie besonders gern gemocht. Ihre Schlager-Variante brettharter Gothic Metal-Arien kommt zumeist dermaßen aufgesetzt und peinlich durch die Boxen geschaukelt, daß zartbesaiteten Pseudo-Journalisten wie meiner geschätzten Wenigkeit ebenso schnell angst und bange werden sollte wie jedem anderen auch nur halbwegs anspruchvollen Musikliebhaber. Von denen schienen übrigens weit mehr anwesend gewesen zu sein als erwartet: Obwohl man beim ersten Heimspiel seit mindestens vier Jahren eigentlich enthusiastischere Reaktionen erwartet hatte, hielten sich die Fans doch merklich zurück, zum Ende des Auftritts konnte sogar immer lauter werdendes „Saxon! Saxon!“-Gegröhle nicht mehr überhört werden. Und das, obwohl die Band ihr Material – soviel Objektivität muß einfach sein – von der ersten Minute an souverän und spannungsreich in die feuchtwarme Hallenluft gepustet hat. Der Witz an der Sache: Zwei außerplanmäßige Zusatzsongs wollte man uns trotzdem nicht ersparen. Lahm und nervig. Stark und schaumig dann Saxon. Unglaublich alte Männer mit (für das Alter) unglaublich vollem Haar und nach wie vor unglaublich viel Rock’n’Roll im Blut. So macht das Rentnerdasein Spaß – vergeßt sofort Ozzy, Kiss und die restliche müffelnde Altenheimfraktion! Es ist schlichtweg unglaublich, mit wieviel Power Peter „Biff“ Byford & Co. auch im Jahr ihres zwanzigjährigen Jubiläums noch drauflosbolzen können. Da kann sich selbst ein Großteil der vielgerühmten Newcomer-Acts noch ’ne riesengroße Mammut-Scheibe von absäbeln! Wenn sich bei ‚Crusader‘ selbst ansonsten eher angewurzelt in der Hallenbotanik rumstehende Superlangweiler wie ich dazu verleitet fühlen, zur Abwechslung mal wieder kräftig die gestutzte Matte kreisen zu lassen, dann will das schon was heißen. Ganz weit vorne: der „Metalhead“-Longtrack ‚Sea Of Life‘, der live (mit Biff am Bass!) weit weniger statisch rüberkommt als in der etwas hüftlahmen Studiofassung. Eine feinschliffige Donnerklang-Granate allerreinsten Wassers! Dagegen kann selbst der ein oder andere Klassiker mit aller Entschiedenheit aufs allerderbste abstinken! Zugaben? Na klar. „Fuckin'“? Auch klar. That’s Entertainment, und kaum jemand hat davon momentan mehr Ahnung als fuckin‘ Saxon. In diesem fuckin‘ Sinne: fuckin‘ geiler Abend. See you fuckin‘ next year, dudes!
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