Cradle Of Filth
Lustmord and Tourgasm 2019
Konzertbericht
Nostalgie ist angesagt, und das nicht erst seit gestern. Auch die Musikindustrie ist auf diesen Zug natürlich aufgesprungen und versucht, aus dem bestehenden Portfolio den maximalen Ertrag zu ernten. So hat es sich schon lange eingebürgert, dass Record-Labels alte Klassiker Jahre oder gar Jahrzehnte nach Release nochmal als Remastered Editions oder pompöse Big-Shot-Fancy-Pants-Box-Sets herausgeben, um zusätzliche Umsätze einzufahren. Zudem hat sich in jüngerer Vergangenheit das Phänomen der „Anniversary Tour“ etabliert: Metal-Bands mit Veteranen-Status präsentieren dabei dem geneigten Publikum ihre klassischen Alben live in voller Länge, so geschehen in den letzten Jahren beispielsweise mit SIX FEET UNDERs „Haunted“ oder MAYHEMs „De Mysteriis Dom Sathanas“. Auch Extreme-Metal-Ikonen CRADLE OF FILTH reihen sich nun in diese illustre Riege ein und schwören die Anhängerschaft aktuell mit einer Jubiläums-Tour zum 1998er Album „Cruelty and the Beast“ auf den kommenden neu gemischten Re-Release desselben ein. Wir waren beim Kickoff des europäischen Anniversary-Tour-Legs im Substage in Karlsruhe dabei.
ACOD eröffnen die Show
Als wir etwa zehn Minuten vor dem angesetzten Beginn der Show die Halle betreten, fällt zunächst der geschrumpfte Zuschauerraum auf. Wie bei kleineren Acts, ist das Parkett hinter dem Mischpult mit einem schwarzen Vorhang abgehängt, sodass man von der – folgerichtig nahezu leeren – Galerie und dem hinteren Parkettbereich quasi nichts sehen kann und sich das Publikum im vorderen Bereich des unteren Raums konzentriert. Trotz dieser Maßnahme ist der Saal allerdings nicht wirklich voll. Wobei zuerst noch Support-Act ACOD dran sind. Pünktlich um 20:00 Uhr betreten die Franzosen die Bühne, um der versammelten Metallerschaft ihren Black-Thrash-Mix zu präsentieren. Das machen die Jungs ordentlich und trotz der Tatsache, dass alle ganz offensichtlich nur auf CRADLE OF FILTH warten, ist in den vorderen Reihen auch das ein oder andere rhythmische Kopfnicken auszumachen. Mit einem atmosphärischen Piano-Part verstummen die Instrumente nach einer starken halben Stunde.
Die Umbaupause ermöglicht dann nochmals, den Blick durchs Publikum schweifen zu lassen. Merklich voller ist es immer noch nicht geworden. Der hintere Teil des Raumes ist ohnehin leer aufgrund der Sichtbehinderung, aber sogar an der Seite ist noch ausreichend Platz und so steht man sich auch an der Bar kaum auf den Füßen. Zudem ist die Publikumsdemographie auffallend. Viele der Anwesenden müssen beim ursprünglichen Release der Platte im späten Teenageralter oder in ihren frühen Zwanzigern gewesen sein, Vertreter der jüngeren Generation sind kaum zu sehen. Einer der Altersgenossen brachte diesen Umstand so taktvoll wie treffend in folgendem Wortlaut auf den Punkt: „Das ist, wie wenn Du heute zu einem Backstreet-Boys-Konzert gehst: Da sind auch nur alte Weiber.“
„Cruelty and the Beast“ – Alte Besen kehren gut
Als der Blick wieder an der Bühne hängenbleibt, wo die Techs gerade den Soundcheck durchführen, fällt auf, dass CRADLE OF FILTH wohl größere Venues gewohnt sind: Das XXL-Banner lässt sich im gemütlichen Substage nicht auf volle Größe ausrollen und so bleibt der Bandschriftzug verdeckt, nur der obere Teil der in Blut badenden Gräfin ist zu sehen. Die Gute wird aber in diesem Moment auch in Dunkelheit getaucht. Gegen 21:15 Uhr betritt der Hauptact des Abends zum Intro „Once Upon Atrocity“ einer nach dem anderen die Bühne. Sängerin und Keyborderin Lindsey Schoolcraft schimmert im grauen Glitzerkleidchen mit Krönchen – wohl ein Verweis auf die adelige Protagonistin des Konzeptalbums. Als letzter erscheint schließlich Bandveteran und Mastermind Dani Filth auf der Bühne.
Als „Thirteen Autumns and a Widow“ in die Menge schallt, wird diese allerdings zunächst unangenehm überrascht. Der Sound ist zu Beginn wirklich schlecht: verwaschen, schlecht abgestimmt, die Vocals viel zu laut, die Snare klingt hohl und hallt extrem. Noch im Verlaufe des Songs wird allerdings kompetent nachgestellt und ab der Mitte des Tracks sind die Probleme behoben. Einzig eine unsägliche wiederkehrende Rückkopplung begleitet die Truppe den gesamten Gig über, was aber nicht allzu tragisch ist.
Die musikalische Performance begeistert die Menge hingegen. Obwohl Dani im Vergleich zur Originalaufnahme ein wenig die stimmliche Breite abgeht. Generell sind die Vocals eher etwas dunkler als auf dem Album, die Screams sitzen aber immer noch wie eine Eins. Das Publikum honoriert die Show und feiert die Truppe. CRADLE OF FILTH spielen die Platte ohne Unterbrechung durch. Die weiblichen Vocals und Spoken-Word-Passagen gibt Keyboarderin Schoolcraft zum Großteil live zum Besten, das ekstatische Stöhnen beim Interlude „Venus in Fear“ lassen die Briten aber dann doch vom Band laufen. Alles in allem eine absolut runde Performance, die richtig Spaß und offensichtlich auch Lust auf mehr macht. Denn als die letzten Töne von „Cruelty and the Beast“ gegen 22:15 Uhr im Substage verhallen, bleibt die Anhängerschaft fordernd zurück.
Doch Dani und seine Mannen lassen sich nicht lumpen und legen noch ein ausgiebiges Encore drauf. Erst jetzt scheint dem Frontmann aufzufallen, dass er noch gar nicht zur Menge gesprochen hat. Die überfällige Vorstellung wird mit einem Nebensatz geleistet: „We are Cradle of Filth, by the way…“. Die Zugabe bedient dann unter anderem noch die früheren Alben bis zur Jahrtausendwende „Dusk and Her Embrace“ und „Midian“, nicht zuletzt aber auch den aktuellen Silberling „Cryptoriana“. Das Volk ist zufrieden und entlässt die Briten mit lautstarker Honoration gegen 22:45 Uhr wohlwollend in den verdienten Feierabend. Alles in allem ein wirklich gelungener Gig. „Cruelty and the Beast“ ist ein Klassiker der Bandhistorie, der diese Ehrung auch verdient und an diesem Abend nicht nur hochgradig professionell, sondern auch mit Leidenschaft vorgetragen wurde.
Setlist:
- Once Upon Atrocity
- Thirteen Autumns and a Widow
- Cruelty Brought Thee Orchids
- Beneath the Howling Stars
- Venus in Fear
- Desire in Violent Overture
- The Twisted Nails of Faith
- Bathory Aria: Benighted Like Usher / A Murder of Ravens in Fugue / Eyes That Witnessed Madness
- Portrait of the Dead Countess
- Lustmord and Wargasm (The Lick of Carnivorous Winds)
Encore:
- Malice Through the Looking Glass
- Heartbreak and Séance
- Wester Vespertine
- Saffron’s Curse
- From the Cradle to Enslave
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