Beyond The Black
Konzert im Auto: Frisst der Teufel Fliegen?
Konzertbericht
BEYOND THE BLACK laden zum Autokonzert: In der Not frisst der Teufel Fliegen?
Corona zum Trotz haben BEYOND THE BLACK zu einer Releaseparty für ihr neues Album „Hørizøns“ geladen, und zwar nicht zu einem Online-Konzert, sondern zu einem „echten Konzi“ mit Band auf der Bühne und den Fans davor. Die einzige Möglichkeit, das momentan durchzuziehen, heißt: Autokonzert. Quasi wie Autokino. Das kann ja nix werden, denkt jeder. Wie soll da Stimmung aufkommen, wenn die Fans im Auto sitzen und in ihre Sitze pupsen? Wie soll man denn dabei abfeiern und bangen? Soll man sich zum Crowdsurfen aufs Auto legen? Circlepit mit Autos ist sicher auch nicht erlaubt, verdammt!
Nach drei unendlich langen Monaten Coronapause sind Bands und Fans konzerttechnisch aber völlig ausgehungert. Der Sommer plätscherte bisher ereignislos dahin, ohne Staub, ohne Lärm, ohne metallische Gemeinschaft. Metal kam nur aus der Konserve. Und das Schlimmste: das Musikbusiness verhungert. Für viele Bands und Veranstalter ist die lange Pause fatal und ein Ende ist nicht abzusehen.
Deshalb zeigen BEYOND THE BLACK nun dem Coronavirus den Stinkefinger und auch Mitarbeiter von metal.de machen sich auf den Weg zum Stuttgarter Flughafen, Parkplatz O. Die Autos sollen nach Höhe und mit Abstand sortiert werden, Cabrios sollen geschlossen bleiben. Fensterscheiben dürfen nur fünf Zentimeter geöffnet werden und zum Dixie darf man nur mit Mund-Nasen-Maske marschieren. Die Erwartungen sind nicht bei Null, sondern weit im Minusbereich.
Wer früh ankommt und ein niedriges Auto fährt, muss zwar eine Weile auf Einlass warten, bekommt aber einen tollen Platz vor der Bühne. Und neben der Bühne ist eine große Leinwand, die auch einem Festival Ehre machen würde. Darauf sind noch einmal die aktuellen Corona-Regeln erklärt und da steht auch, dass das Autoradio auf 92,7 das Konzert empfängt. Werbung läuft natürlich auch, was wohl nicht so läuft, ist der Ticketverkauf: heute hätten noch viele, viele Autos kommen können. Schade.
Hupen und Pommesgabeln
Und dann geht es los. BEYOND THE BLACK werden als „die Symphonic-Metal-Sensation aus Deutschland“ angepriesen und erscheinen unter Schreien der Fans und Hupkonzert auf der Bühne, die dank Backdrop wirkt wie eine verlassene Fabrikhalle. Sie eröffnen mit „Horizons“, dem Titelsong der neuen Platte und obwohl die Band auf der Bühne sofort wie zu Hause wirkt, muss man sich als Konzertbesucher tatsächlich ganz gehörig umstellen. Da sitzt man in einem weichen Sitz, sieht Fronterin Jennifer Haben auf der riesigen Leinwand wie im Fernseher und der Sound kommt astrein aus der sonst eher miesen Auto-Anlage. Popcorn und Open Air passen irgendwie auch nicht zusammen.
Trotz der riesigen Distanz springt der Funke gut über und das liegt nicht zuletzt an der guten Laune von Band und Sängerin. BEYOND THE BLACK machen einfach das Beste aus der Situation und locken das Publikum aus der Reserve beziehungsweise an die Hupen und Lichthupen. Schon beim zweiten Song sitzen viele Fans in den geöffneten Autofenstern und recken die Hände in die Höhe.
Heute ist es sogar zum ersten Mal erlaubt, sich direkt neben das Auto zu stellen. Das ist schon mal viel besser für die Stimmung, aber noch nicht für den Sound. Der Live Sound ist viel zu leise, Abhilfe schafft da, die eigene Anlage auf Volldampf zu stellen. Und dann passt plötzlich alles zusammen. Jennifer hält eine kleine Ansprache: Die Band ist dankbar, dass sie diesen Release überhaupt mit den Fans feiern kann und ein Autokonzert ist eben die einzige Möglichkeit, momentan Konzertfeeling zu erleben – und wie Bands überleben können.
Und das ist genau der Kern der Dinge: wir waren sehr verwöhnt, Konzerte in Hülle und Fülle, Sommer voller Festivals. Und dann kam das große Nichts. Jetzt freut man sich auch wieder an den kleinen Dingen, am Spatz in der Hand. Das gilt übrigens auch für die Band, die wirkt genauso live-hungrig wie ihre Fans, von Langeweile keine Spur! Der Teufel frisst jetzt eben Fliegen. Der Hunger ist groß genug und die Zubereitung ist erstklassig, was will man mehr?
Wenn auch mit Abstand: BEYOND THE BLACK gehen ins Publikum
Schon nach kurzer Zeit hupt das Publikum auf Kommando von Jennifer im Takt. Arm hoch heißt tröten. Das muss ein bisschen geübt werden, klappt aber bald gut und überhaupt ist es der herausragenden Bühnenpräsenz der Sängerin zu verdanken, dass die Fans auftauen und im oder am Auto bangen und vielleicht auch verbotenerweise singen. Oder ist das inzwischen erlaubt bei drei Metern Abstand? Wer weiß das schon, die Corona-Regeln ändern sich täglich.
Die Stimmung ist jedenfalls so gut, dass BEYOND THE BLACK hintereinander drei Songs akustisch spielen können, ohne dass selbige absackt. Gitarrist Chris Hermsdörfer sitzt mit akustischer Gitarre vorne am Bühnenrand, Jennifer singt, sie barmt, sie lässt ihrer Stimme freien Lauf. Besonders bei „Songs Of Love And Death“ lässt sie sie kippen, tanzen, laufen, hüpfen – und trifft jeden Ton. Sehr schön! Da lohnt es sich, ins Auto zu steigen und auf Halbkonserve, sprich Autoradio, umzusteigen und einfach nur zu genießen. Im Auto selbst hat man ein Klangerlebnis wie auf CD: jeder Gitarrenton kann genossen werden, Jennifers Gesangskunst kommt lupenrein rüber und da hier Kunst von Können kommt, ist das wirklich ein Ohrenschmaus.
Irgendwann erscheint plötzlich Chris gitarrespielend zwischen den Autos und kurz danach auch Jennifer Haben, singend mit Mikrophon. Die gehen da so unerwartet zwischen den Fans im Abendrot spazieren, dass ein riesiges Hupkonzert angestimmt wird und die Stimmung auf dem Siedepunkt ankommt. Also damit haben wir nicht gerechnet, das ist ja wirklich richtiges Konzertfeeling hier! Unglaublich!
Die Zahl der Besucher ist schwer zu schätzen, aber vermutlich würden sie in einen kleinen Club passen. Verteilt über die riesengroße Fläche machen die paar Hanseln extrem viel Radau mit den Autohupen, bangen, klatschen und freuen sich ganz offensichtlich auch über die Songs des neuen Albums. BEYOND THE BLACK polarisieren in der Metalszene und haben mit „Hørizøns“ den Symphonic- und den Metalfaktor noch etwas heruntergeschraubt, dafür den Popfaktor erhöht. Das ist natürlich Geschmackssache und nichts Schlechtes.
Was den einen freut, ist des anderen Leid, in diesem Fall leiden die Metaller, denn harte und orchestrale Passagen und reichlich Growls ergaben einen schönen Kontrast zu Jennifers Gesang. Das hat dem Ganzen die Würze gegeben und auch eine gewisse Eindringlichkeit. Besonders schade ist, dass die Growls der Jungs heute im Sound untergehen. „n The Shadows“ und „Hallelujah“ vom Debütalbum geben zum Schluss noch einmal richtig Gas. Die Stimmung lässt sich nach der langen Abstinenz fast mit einem „echten“ Konzert vergleichen, Mitsingen und Schmetterlinge im Bauch inclusive.
Da fehlt nur noch die Einhundert-Euro-Frage (100 Euro hat heute ein Ticket für ein Auto und 2 Insassen gekostet): lohnt sich ein Autokonzert? Wer unter starken Entzugserscheinungen leidet und keine großen Erwartungen hat, kann es wagen. Um nicht alleine in der Karre zu versauern, packt man sie am besten voll mit Kumpels und Gerstensaft. Wenn dann noch ein charismatischer Fronter dazukommt und eine Band, die so dankbar auf der Bühne agiert wie heute BEYOND THE BLACK, dann ist es sogar ein tolles Erlebnis. Man kann es mit einem normalen Livekonzert so wenig vergleichen wie die berühmten Äpfel mit Birnen, aber wir hatten allen Unkenrufen zum Trotz immer wieder Anflutungen von Endorphinen und sind auf Wolke Sieben geschwebt. Danke BEYOND THE BLACK und F**k Corona!
Galerie mit 32 Bildern: Beyond The Black - Live on Stage Releasekonzert in StuttgartSetlist:
Horizons
Hysteria
Burning In Flames
Million Lightyears
Wounded Healer
Heart Of The Hurricane
Human
Through The Mirror (acoustic)
Misery (acoustic)
Songs Of Love And Death (acoustic)
Written In Blood
Lost In Forever
When Angels Fall
In The Shadows
Golden Pariahs
Hallelujah
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