Bell Witch
Live In Berlin
Konzertbericht
Funeral Doom in Berlin am Donnerstag? Im Lido? Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, aber die Popularität des Subgenres macht es möglich. Dass dies nur bei einer Band wie BELL WITCH funktioniert, ist einem exponentiell anwachsender Fankreis zuzuschreiben, der in den vergangenen Jahren einer echten Explosion gleichkam. Dass BELL WITCH diesen Status quasi als Koryphäe innehalten, wird beim Besuch vieler anderen Veranstaltungen im Doom-Sektor deutlich.
ENDLICH: DOOM DISKO!
Aber langsam: Berlin ist an diesem Abend düster und grau und begrüßt die ersten Gäste, die sich um 20 Uhr an der Lokation eingefunden haben, mit leichten Regen. Glücklicherweise ist die Pizza schnell verzehrt, sodass sich die Security etwa fünf Minuten nach acht ihrer Hauptaufgabe widmen kann und die ersten Doomer dankbar aus dem Regen ins Lido verschwinden können. Der noch leere Saal wirkt riesig und die große Diskokugel strahlt unheilvoll …
FUOCO FATUO eröffnen den Abend mit einem Hammerschlag. Der italienische Vierer hat sein letztes Album im Handgepäck und demonstriert mit der ersten Note, dass Anwesende ohne Gehörschutz heute nichts zu lachen haben. Der brutale Death Doom, der auf „Obsidian Katabasis“ recht gut funktioniert, ist live leider sowohl vom undifferenzierten Gitarrensound, vordergründigem Bass und unmenschlicher Lautstärke auch an diesem Abend wieder kaum zu ertragen. Eigentlich schade, denn sowohl der ganze Bühnenaufbau als auch die War-Metal-Optik sind schon beeindruckend.
FUOCO FATUO: AUSDRUCKSSTARK UND LAUT
BELL WITCH haben auch ihr neues Album dabei: Das besteht aber nur aus einem einzigen Track, der auf dieser Tour in seine Gänze in sage und schreibe über 80 Minuten dargeboten wird. Das Duo Dylan Desmond und Jesse Shreibman hat sich in ihrer über zehnjährigen Karriere zum Doom-Überflieger entwickelt und so schafft es die Band aus Seattle auch unter der Woche einen mittelgroßen Klub in der Hauptstadt ordentlich zu füllen.
„Future’s Shadow Part 1: The Clandestine Gate“ ist das vierte BELL WITCH Album und wartet im Gegensatz zu den Vorgängern mit vielen Orgelpassagen auf, die stark im Vordergrund der Musik stehen. Die Band hatte bereits die letzte Platte „Mirror Reaper“ als Ganzes live auf die Bühne gestellt, aber die Umsetzung der Organs ist eine echte Herausforderung. Das Ganze kommt nicht wie anfangs irrtümlich angenommen vom Band, sondern Drummer Jesse bedient die Synthiesounds zusätzlich zum Drumming mit den Füßen.
Die beiden Musiker sind von Anfang hoch konzentriert und eine Interaktion mit den Gästen findet zu keiner Zeit statt. Nach dem überlangen Orgelintro legen sie dann los und es ist deutlich spürbar, dass sie eine ganze Weile brauchen, um vollends zueinander zu finden. Wer die Platte kennt, weiß, dass es etwas dauert, ehe der Song in Fahrt kommt oder ehe es die ersten Growls zu vernehmen gibt.
Rein von der untermalenden Optik machen BELL WITCH aber alles richtig: Es gibt einen Videoeinspieler für die komplette Dauer des Songs, der emotional gut auf die Stimmung des Tracks abgestimmt ist und von schönen Sequenzen bis hin zu sehr beunruhigenden Bildern in seinem Spektrum stark variiert und das komplette Live-Konzept für diese Albumpräsentation sehr gelungen aufwertet. Allein die erste Sequenz während des überlangen Organ-Synthie-Parts, in dem noch keine Saite zu hören ist, wird immer wieder im blauen Licht eine flackernde Kerze gezeigt, die, bevor man in den nächsten Part einsteigt, vielsagend ausgedrückt wird.
VORREITER IM EXTREM-DOOM: BELL WITCH
Die größte Problematik des Gigs ist die im Klub vorherrschende Unruhe. Der Sound bei BELL WITCH ist im Verhältnis zu vormaligen Auftritten der Band im Rahmen der letzten Touren zwar laut genug, um nicht jedes Gespräch der Anwesenden mitzuhören, aber um sich dem musikalischen Geschehen vollends hinzugeben, fehlt einfach der nötige Ruhepol. So ist es wenig verwunderlich, dass sich neben den konzentriert Lauschenden eine Reihe von Leuten unentwegt bewegen. Andere haben gleich den Saal verlassen und trainieren ihr Sozial- und Trinkverhalten.
BELL WITCH haben es ganz klar wieder geschafft, etwas Extravagantes auf die Bühne zu stellen und das Konzept mit unbeirrbarer Beharrlichkeit aufzuführen. Insgesamt darf man von einem anspruchsvollen, fordernden Abend sprechen, der ohne deplatzierte Vorband und bestuhlt noch um einiges intensiver gewesen wäre.
Text und Bilder: Oliver Schreyer
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