Avantasia
Moonglow World Tour live in Bamberg 2019
Konzertbericht
Mit dem aktuellen Album „Moonglow“ hält sich Tobias Sammets Rockoper-Projekt AVANTASIA hartnäckig in den deutschen Albumcharts. Kein Wunder also, dass sich auch die Live-Shows der Truppe größter Beliebtheit erfreuen und viele der nicht gerade kleinen Venues auf der laufenden Tour ein stolzes „Ausverkauft!“ vermelden können. Die sonst in erster Linie von den Bamberger Basketballern genutzte „Brose Arena“ gehört zwar nicht zu diesen, gut 6000 AVANTASIA-Fans sorgen aber dennoch für eine erstklassige Stimmung und spornen so das Personal auf der Bühne ebenso zu absoluten Höchstleistungen an wie beim Konzert in Berlin, bei dem Kollegin Andrea Friedrich die gewohnt fantastischen Bilder für diesen Artikel geschossen hat.
Als nahezu perfekter Entertainer konditioniert Tobi Sammet die Menge vom Start weg darauf, jede Erwähnung des heutigen Spielortes (zur Erinnerung: „Bambeeeerch!“) mit frenetischem Gebrüll zu quittieren, was bis über den Zugabenblock hinaus tadellos funktioniert. Und wo der quirlige Hesse seine eher schmächtige Statur seit jeher mit einer umso größeren Klappe kompensiert, gibt er sich bei seinen heutigen Ansagen überraschend zurückhaltend und geht bei den obligatorischen Fussball-Sticheleien nicht über vage Andeutungen hinaus. Dafür bekommt immerhin die Plattenfirma augenzwinkernd ihr Fett weg, die „The Raven Child“ aufgrund seiner dreizehnminütigen Spieldauer nicht auf Anhieb als Single akzeptieren wollte.
Keine Würze in der Kürze
Sich kurz zu fassen ist also definitiv nicht die Stärke von AVANTASIA – zur großen Freude der Fans, die sich heute über mehr als drei Stunden bester Live-Unterhaltung freuen dürfen. Dabei liegt der Schwerpunkt der Setlist auf „Moonglow“, dessen geniales Cover-Design auch das stimmige Bühnenbild inspiriert hat. Scharfzackige Straßenlaternen und Zaungitter rahmen das Spielfeld der Musiker ein, hinter dem auf einer großen Leinwand animierte Standbilder eingespielt werden, die sich mal mehr, mal weniger stark an die Artworks der zu den jeweiligen Songs gehörenden Alben anlehnen. Einige der morbide-bilderbuchartigen Sequenzen werden vielleicht etwas zu häufig wiederholt, während der für die Projektionen verantwortliche Crew-Mensch es offensichtlich nicht immer auf Anhieb schafft, die richtige Animation auszuwählen. Wirklich negativ fällt dies jedoch nicht ins Gewicht, schließlich ist es die Musik, die hier mit weitem Abstand die Hauptrolle spielt – gleich nach der formidablen AVANTASIA-Sängerriege jedenfalls.
Galerie mit 25 Bildern: Avantasia - Moonglow World Tour 2019Die meisten Mikrofon-Artisten sind bereits alte Bekannte im AVANTASIA-Live-Kontext und bedürfen keiner großen Worte mehr. Dass der englische Märchenonkel Bob Catley (MAGNUM), der sichtlich ergraute Wikinger Jørn Lande, der sein Hemd zu Beginn arg weit offen tragende Ronnie Atkins (PRETTY MAIDS) oder „MR. BIG Mouth“ Eric Martin stimmlich über jeden Zweifel erhaben sind, ist längst keine Neuigkeit mehr. Widmen wir unsere Aufmerksamkeit also lieber denjenigen, die zum ersten Mal mit Tobi Sammet auf Klassenfahrt gehen dürfen. Das ist in erster Linie Geoff Tate, dessen vollkommen allürenfreie Darbietung heute keinen Deut hinter den „Operation: Mindcrime“-Glanzleistungen mit seinen ehemaligen QUEENSRŸCHE-Kollegen zurückstehen muss. Auch Ina Morgan und Adrienne Cowan, die heute gemeinsam mit Herbie Langhans das Background-Trio bilden und zwischendurch natürlich auch einmal für Solo-Spots nach vorne treten dürfen, wissen zu überzeugen – erstere mit einer kraftvoll-klassischen Rock-Röhre, zweitere sowohl mit harschen Growls als auch mit anmutigem Klargesang.
Oliver Hartmann greift nach dem Licht
Nicht dabei sind dieses Mal hingegen Kai Hansen und der eigentlich zum Stamminventar gehörende Michael Kiske. Die beiden Kürbisköpfe haben mit den gegenwärtigen HELLOWEEN-Aktivitäten alle Hände voll zu tun, was prompt die Frage aufwirft, wer beim AVANTASIA-Klassiker „Reach Out For The Light“ für Kiske in die Bresche springen soll. Oder streicht man den Trademark-Song gleich komplett von der Setlist? Natürlich nicht! Und weil wir uns von der Zwischenüberschrift sowieso schon haben spoilern lassen (sehr clever, Herr Autor! – Anm. d. Red.), wissen wir auch, dass es Oliver Hartmann sein wird, der eben nicht nur die sechs Saiten, sondern auch seine Stimmbänder aufs Vortrefflichste zu quälen versteht. Klar, der Mann ist kein Michael Kiske, kommt aber qualitativ doch verdammt nahe an ihn heran. Und weil hier ein Highlight sowieso das nächst jagt, folgt der „Moonglow“-Titeltrack als zauberhaftes Duett zwischen Tobias Sammet und Adrienne Cowan.
Und falls das noch nicht ausreichend Wasser auf die Mühlen jener gewesen sein sollte, die AVANTASIA sowieso als kitschigen Pussy Metal abtun, liefert die Band ihren Kritikern prompt einen fetten argumentativen Nachschlag auf dem discokugelförmigen Silbertablett. Andere Musiker würden das Michael-Sembello-Cover „Maniac“ bestenfalls als alberne Parodie anstimmen, nicht jedoch Tobias Sammet – und schon gar nicht Eric Martin, dem dieser Song wie auf den Leib geschneidert zu sein scheint! Beide Sangespartner meinen es mit ihrer Hingabe für den Disco-Klassiker spürbar ernst und setzen dem Song dank der tatkräftigen Unterstützung der von Gitarrist und Produzent Sascha Paeth angeführten Instrumentalfraktion ein metallisches Denkmal.
Den Kollegen das Feld überlassen
Noch vieles gäbe es über die einzelnen Song-Highlights zu schreiben. Über Jørn Landes Trademark-Rollen als „Lucifer“ und „The Scarecrow“, den Bob-Catley-Doppelpack „Lavender“ / „The Story Ain’t Over“, das von Eric Martin und Geoff Tate mit einem perfekten Maß an Wahnsinn dargebotenen „Twisted Mind“ oder das in großer Runde von Herbie Langhans, Oliver Hartmann, Bob Catley und Ina Morgan zelebrierte „Shelter From The Rain“. Und natürlich über den omnipräsenten Mastermind Tobi Sammet, der mit „Ghost In The Moon“ und „Lost In Space“ zwar den ersten und letzten Song des regulären Sets für sich alleine beansprucht, seinen Sangespartnern aber dennoch ganz uneitel den nötigen Spielraum gewährt, um zu glänzen – auch und gerade wenn das bedeutet, für einige Stücke komplett von der Bühne zu verschwinden und den Kollegen das Feld zu überlassen.
Aber realistsich betrachtet wissen das die AVANTASIA-Fans alles längst, während alle anderen diesen Text ohnhin spätestens in Absatz drei wieder verlassen haben. Also belassen wir es einfach dabei und verabschieden uns mit dem vorhersehbaren, aber nicht minder großartigen Zugaben-Doppelpack „Farewell“ (im Duett mit einer einmal mehr brillanten Adrienne Cowan) und „Sign Of The Cross“ (inklusive dem inzwischen ebenfalls obligatorischen „The Seven Angels“-Part) reihum von den Musikern. Zumindest den älteren Semestern im Publikum steckt die dreistündige Show ebenso sichtbar in den Knochen wie den Musikern auf der Bühne, als sie sich gleichermaßen glücklich und erschöpft auf den Heimweg machen.
Setlist:
- Ghost In The Moon
- Starlight
- Book Of Shallows
- The Raven Child
- Lucifer
- Alchemy
- Invincible
- Reach Out For The Light
- Moonglow
- Maniac
- Dying For An Angel
- Lavender
- The Story Ain’t Over
- The Scarecrow
- Promised Land
- Twisted Mind
- Avantasia
- Let The Storm Descend Upon You
- Master Of The Pendulum
- Shelter From The Rain
- Mystery Of A Blood Red Rose
- Lost In Space
- Farewell
- Sign Of The Cross / The Seven Angels
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