Alcest
Spiritual Instinct European Tour 2020 Berlin, Hannover & Stuttgart
Konzertbericht
Berlin, 13.02.2020 – Heimathafen
Nicht weniger als das neue ALCEST-Album „Spiritual Instinct“ wurde die dazugehörige Tour heiß erwartet. Schon im Vorfeld waren Konzerte ausverkauft, und auch in Berliner Heimathafen gingen am Abend des 13.02.2020 die letzten Tickets über den Tisch. Mit einem Beginn um 21:00 Uhr war die Show ungewöhnlich spät angesetzt, und man fürchtete schon, deshalb mit einem gekürzten Set vorlieb nehmen zu müssen. Glücklicherweise kam es hierzu jedoch nicht, und das Berliner Publikum kam in den Genuss eines vollen ALCEST-Sets, das kathartischer mal wieder nicht hätte sein können. Zuvor gab es mit den beiden Supportacts KÆLAN MIKLA und BIRDS IN ROW aber erst mal ein etwas anderes Programm auf die Ohren.
KÆLAN MIKLA
Galerie mit 16 Bildern: Kælan Mikla - Spiritual Instinct Tour 2020 in BerlinDen Auftakt des sehr gemischten Abends bestreiten die Isländerinnen KÆLAN MIKLA, die sich dem Elektro verschrieben haben und dabei eine Art 80er Synthpop/Darkwave mit 90er Techno-Einsprengseln spielen. Das Trio bestehend aus Sängerin, Bassistin und Keyboarderin/DJ verleiht seinem Auftritt neben der zu erwartenden Schrillheit auch ein gewisses Maß an Düsternis, das sich hauptsächlich in der Optik, aber auch zu einem gewissen Grad in der Musik niederschlägt. Alles in allem gefallen KÆLAN MIKLA, sind für den Durchschnittsmetaller aber sicherlich gewöhnungsbedürftig. Sängerin Laufey Soffía setzt ihre Stimme gerne sehr schrill ein, was stellenweise etwas anstrengend sein kann. Dem ausgeflippt-ätherischen Gesamteindruck, der dadurch entsteht, ist aber durchaus etwas abzugewinnen.
BIRDS IN ROW
Galerie mit 15 Bildern: Birds In Row - Spiritual Instinct Tour 2020 in BerlinNach einer flotten Umbaupause geht es mit Kontrastprogramm weiter. BIRDS IN ROW sind Landsmänner von ALCEST und spielen Hardcore Punk. Ihr sehr energetisches Set wirkt nach dem eher entspannten Auftritt ihrer Vorgängerinnen doch etwas übertrieben, vor allem, wenn man bedenkt, dass die meisten – wenn nicht alle – Zuschauer wegen ALCEST hier sind. Für Fans ihres Genres sind BIRDS IN ROW sicher ein kleines Highlight, denn sie setzen ihren Stil handwerklich sehr gut um und bieten wie erwähnt eine energiegeladene Performance. An anderer Stelle wären sie damit um einiges besser aufgehoben, doch auch hier gewinnen sie einen Teil der Zuschauer für sich und ernten ganz ordentlichen Applaus. Sympathiepunkte ernten sie für ihre versöhnliche Message über Zusammenhalt, die sie in Ansagen und auch in ihren Songs vermitteln.
ALCEST
Galerie mit 28 Bildern: Alcest - Spiritual Instinct Tour 2020 in BerlinVon allen sehnlichst erwartet, betreten ALCEST um etwa 23:00 Uhr endlich die Bühne des Heimathafens. In dunkles, blaues Licht gehüllt, finden sich zuerst Drummer Winterhalter sowie Live-Gitarrist Zero und Live-Bassist Indria ein. Ein von Drums begleitetes, atmosphärisches Intro heizt die kaum noch auszuhaltende Vorfreude weiter an, bis endlich Fronter und Mastermind Neige erscheint und für augenblicklich ausbrechenden Applaus und Jubel sorgt. ALCEST haben auf dieser Tour ihr fast noch brandneues Album „Spiritual Instinct“ zu präsentieren, das sich zurecht an die Spitze unseres Oktober-Soundchecks katapultiert hat und von dem vor dieser Tour nur die beiden Singles „Protection“ und „Sapphire“ live gespielt wurden.
Umso mehr erfreut es, als ersten Song des Abends den Album-Opener „Les Jardins De Minuit“ zu hören. Sobald das Stück richtig Fahrt aufnimmt, legt sich der Zauber von ALCEST über die Zuschauer, der einen in eine ganz andere Welt versetzt und auf einer Welle von wechselnden Emotionen mit sich fortträgt. Stimmungsvolles Licht begleitet die ruhigen Passagen, während gleißend helle Strobos die rohen, schnellen Parts in Szene setzen. Von einer Bühnenshow im eigentlichen Sinne ist bei ALCEST kaum zu sprechen, denn sie machen das, was bei den meisten anderen Bands langweilen oder gar zu Kritik führen könnte: Sie stehen meist einfach nur da und spielen ihre Songs. Dass ALCEST sich dies erlauben können, sagt viel über die Qualität der Musik und die handwerkliche Umsetzung aus.
Trotzdem sind alle Augen – sofern nicht verträumt geschlossen – gebannt auf die Bühne gerichtet. Drummer Winterhalter schlägt doch sehr expressiv auf seine Felle ein, und Neige besitzt, so leger er auch in seinem TYPE O NEGATIVE-Shirt wirken mag, eine unglaubliche Strahlkraft. Die eigentliche Sensation sind aber natürlich die Klangwelten, in die ALCEST entführen. Nach dem Opener reißt einen das schwermütige „Protection“ mit sich in den Abgrund, bevor „Oiseaux De Proie“ die Menge in Bewegung bringt. Abgelöst wird es von „Autre Temps“, das eine so unglaubliche Schönheit ausstrahlt, dass einem die Tränen in die Augen zu steigen drohen. Mit dem etwas sperrigeren, mittlerweile zehn Jahre alten „Écailles De Lune – Part 2“ laden ALCEST dann auf eine zehnminütige Reise durch verschiedenste Stimmungen ein.
„Sapphire“ und „Le Miroir“ bringen uns zurück zum aktuellen Album, bevor mit „Kodama“ der Song gespielt wird, auf den wahrscheinlich die meisten sehnsüchtig gewartet haben. Vom Intro über den reduzierten Mittelteil bis zur sukzessiven Steigerung am Ende, die mit der Herzmelodie des Stücks kulminiert, reißt wirklich jede Sekunde dieses Meisterwerks mit. Das zeigen auch die Publikumsreaktionen, die Neige immer wieder dazu bringen, zwischen den Stücken innezuhalten und sich bei den Zuschauern zu bedanken, unter anderem auf Deutsch. Es komme ihm so vor, als seien bei jedem Berlin-Konzert mehr Leute da, sagt er, und merkt an, dass man die Stadt bald wieder besuchen müsse.
Die bescheiden-zurückhaltende Art des sympathischen Frontmanns macht seinen ganz besonderen Charme aus, der sich auch in der finalen Verabschiedung nach der Zugabe bestehend aus „Là Où Naissent Les Couleurs Nouvelles“ und „Délivrance“ zeigt. Während die übrigen Musiker die Bühne verlassen, sinkt er auf dieser zu Boden und reckt seine Gitarre im letzten, verklingenden Akkord in die Höhe. Umstrahlt von Licht ist sie das Symbol, das Werkzeug und das Vehikel, mit dem die gar unfassbare Musik, die diesem wunderbar wunderlichen Kopf entspringt, ihren Weg in unsere Hirne und Herzen findet. Mit auf das Herz gepressten Händen bedankt sich Neige ein letztes Mal bei den Zuschauern und streckt ihnen noch ein Herzchen entgegen, bevor auch er von der Bühne abgeht.
Setlist:
1. Les Jardins De Minuit
2. Protection
3. Oiseaux De Proie
4. Autre Temps
5. Écailles De Lune – Part 2
6. Sapphire
7. Le Miroir
8. Kodama
9. Là Où Naissent Les Couleurs Nouvelles (Zugabe)
10. Délivrance (Zugabe)
Bericht aus Berlin: Angela
Fotos aus Berlin: Andrea Friedrich
Bericht aus Hannover: Sven Lattemann
Bericht aus Stuttgart: Björn Gieseler
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