Alcest
Alcest & Lantlôs live in Deutschland
Konzertbericht
Leipzig, UT Connewitz, 12. September 2015
Der eher unspektakuläre Eingang zum UT Connewitz, einem der ältesten noch erhaltenen Lichtspieltheater Deutschlands, ist in dieser mondlosen milden Nacht gesäumt von freudig angespannten Besuchern. Die Spatzen von Avignon pfiffen es bereits seit Längerem von den Leipziger Dächern: „Heut wird’s shoegazig!“ Wer zu dem Zeitpunkt noch nicht wusste, was ihn im Innenraum des 1912 erbauten Kinosaals optisch erwartet, muss hinsichtlich der Architektur des Konzertraumes mit Empore und abgesenktem Steinboden einfach geflasht sein. Eingerahmt durch ein ursprüngliches Pilasterrelief thront das Backdrop des Headliners ALCEST über der Szenerie. Der Raum füllt sich zusehends mit Publikum, welches aufgrund angenehmer Bierpreislage auch schon punktuell mit „SLAYER“-Ausrufen seiner persönlichen Vorfreude Ausdruck verleiht (könnte allerdings auch am jüngst erschienenem „Repentless“ liegen). Die erhebliche Anzahl stilvoll gekleideter Damen gleicht die vereinzelt anwesenden männlichen Höhlentrolle letztlich aber aus.
Punkt 21 Uhr betreten die Herren von LANTLÔS die Szenerie. Die Setlist am Pedal Board des Bassisten Chris Schattka verrät, dass in den folgenden 45 Minuten der bewährte Fahrplan der Tour eingehalten wird. Mit „Bliss“ hauen die Jungs erst mal den letzten Putz von den morbiden Wänden des Lichtspielhauses, bevor die „Melting Sun“-Reihe dem Frontmann Markus „Herbst“ Siegenhort auch zartere Töne entlockt. Wie ein moderner Cobain dirigiert er seine blaue Marauder mit der interessanten Pickup-Kombination auch durch sanftere Songstrukturen. Die drei Gitarristen zeigen dabei eindrucksvoll, dass Kompositionen nicht nur unisono umgesetzt werden können. Dazu drückt sich der weiche Bass gemeinsam mit den Drums schön tight den kopfschüttelnden Zuhörern entgegen. „Chris, ich will ein Kind von Dir!“ ertönt eine männliche Stimme aus dem hinteren Teil des gut gefüllten Saals. Der Beleuchter meint es gut mit den Musikern und dreht alle Lampen auf, als wäre es eine Schulaufführung. ALCEST’s Fronter Neige genießt den Auftritt seiner Ex-Bandkollegen derweil von der Empore aus. Leider variiert die Bühnenoptik kaum bei den folgenden Stücken von „Melting Sun“ und „.neon“, sodass die düsteren Passagen ihren rauhen Bann verlieren. Dennoch: Das Publikum bleibt sichtlich angefixt zurück.
Setlist:
- Bliss
- Melting Sun I: Azure Chimes
- Melting Sun II: Cherry Quartz
- Melting Sun IV: Jade Fields
- Pulse/Surreal
- Coma
Lange muss es nicht warten: Endlich verdunkelt sich die Bühne und „Wings“ vom „Shelter“-Album lässt alle amourösen Pärchen zum Bühnenrand strömen. Wer jetzt noch nicht verliebt ist, bekommt mit aller Gewalt eine Portion Sentimentalität ins frisch geföhnte Haar gehaucht. Eine kurze Pause bremst das In-Gang-Kommen dann allerdings vorerst aus. Vereinzelt überforderte Männer versuchen mit pubertären Zwischenrufen in ruhigen Passagen, die sich wiegenden Massen zur Vernunft zu bringen, aber der Zug zum „Festival von Avignon“ ist bereits abgefahren. Da scheint auch kaum zu stören, dass hier weder Samtvorhang noch Stuck die übersteuerten Klänge der Franzosen schlucken können und der nackte Innenraum förmlich übersättigt von gleißenden Höhen und rauschenden Drums erzittert. Jeder will jetzt Souvenirs aus dieser anderen Welt mit nach Hause nehmen. Die beibehaltene Tour-Setlist wirkt wie ein Pendel, welches im Jugendstil-Saal geradezu passend in vergangene Zeiten ausschlägt. Neige taut gleichzeitig im nostalgischen Ambiente auf und verkündet, welch Ehre es sei, in diesem Bau zusammen mit LANTLÔS zu Gast sein zu dürfen.
Auch der Beleuchter scheint aus alten Zeiten zu stammen, indem er das Backdrop pulsierend zu „Percées De Lumière“ in schönstem Nachtblau anstrahlt. Nur Besucher, die sonst modernere Interpretationen der progressiven Konzertkunst gewohnt sind, könnten sich daran stören. Die aufgeforderten ALCEST-Jünger huldigen mit Klatschsalven dem elbengleichen Neige und dessen Mitstreitern. Nebenbei klappert die umtriebige Bar-Crew, die wohl das Leergut für den Getränke-LKW zu packen scheint, in den zarten Passagen der Songs sogar etwas weniger nervig. Vielleicht sollte man eher Rotwein in Pappbechern zu sphärischen Blackgaze ausschenken? ALCEST mit einem sich an sein Herz haltenden Frontmann packen noch zwei obligatorische Zugaben drauf und entlassen die Reisenden schließlich mit „Délivrance“. Mehr Kitsch ging nicht. Allerdings war der heutige Abend für die zuletzt geschundene, sächsische alternative Seele auch mal gut. Merci.
Setlist:
- Wings
- Opale
- Summer’s Glory
- Écailles De Lune – Part 1
- Les Iris
- Souvenirs D’un Autre Monde
- L’eveil Des Muses
- Là Où Naissent Les Couleurs Nouvelles
- Sur L’océan Couleur De Fer
- Percées De Lumière
- Autre Temps
- Délivrance
Text und Fotos: Lydia Wolff
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