Zeraphine
Zeraphine
Interview
Letztes Jahr noch als Opener auf der Main Stage des M’era Luna Festivals, dieses Mal am Nachmittag auf der Bühne – und 2004 als Co-Headliner? Warum nicht?! Zeraphine konnten in Hildesheim auf jeden Fall überzeugen. Knapp anderthalb Jahre ist es her, dass sich Sven Friedrich (voc.) und Norman Selbig (guit.) nach dem Ende der fast schon legendären Dreadful Shadows zurückmeldeten und mit "Kalte Sonne" ein mehr als gelungenes Debütalbum unter dem Bandnamen Zeraphine herausbrachten. Verstärkt hatten sich die beiden durch Manuel (guit.), Michael (bass) und Marcellus (drums). Als Band zusammengewachsen bringen die Berliner nun ihre zweite Platte "Traumaworld" auf den Markt. Überraschte der Erstling noch mit komplett deutschen Texten, gibt es jetzt hauptsächlich englische zu hören, was aber noch lange kein Nachteil ist. Wer die Jungs in diesem Sommer auf keinem Festival live sehen konnte, der sollte dies bei der Tour im Winter nachholen. Gute Nachricht auch für die Fans im Norden, die im letzten Jahr entweder weit reisen oder sich von einem der Konzerte erzählen lassen mussten. Sven: "Hamburg ist so weit ich gehört habe, schon ziemlich sicher. Das ist doch schon einmal was!" Und ob! Über alles andere berichteten die Musiker (bis auf Drummer Marcellus, der schon auf dem Rückweg war) am Samstagabend auf dem Festival.
Dieses Mal musstet Ihr ja zum Glück nicht schon als erste Band wie im letzten Jahr morgens auf der Bühne stehen.
Ja, toll nicht wahr? Eine neue Erfahrung…
Damals meintet Ihr: „Wir sind so zehn Stunden davon entfernt gewesen, in der Stimmung für einen richtig guten Gig zu sein.“ Dann waren es jetzt noch fünf?
Sven: Naja, sechs vielleicht… Ach was, das ging schon. Wir sind heute so früh aufgestanden… Letztes Mal hatten wir vorher hier übernachtet, weil wir es sonst niemals geschafft hätten, aber heute… Ich bin um vier Uhr aufgestanden.
Dieses Mal war ja auch kein Ville da, mit dem Mann einen trinken wollte…
Sven: Ne, das stimmt.
Norman: Ach, der Wille, der ist immer da.
Der Auftritt war wieder einmal wunderbar. Die Menge hat Euch gefeiert – genauso wie letztes Jahr.
Sven: Oh ja. Wir waren ein wenig überrascht, weil wir ja fast nur neue Songs gespielt haben. Wir hatten nur drei Tracks von „Kalte Sonne“ dabei. Da ist das schon erstaunlich, denn die meisten kennen das neue Material noch gar nicht. Klar waren wir auch ein bisschen nervös, wie die neuen Songs wohl ankommen würden. Wir haben aber letzte Woche bereits in Bochum gespielt und dort einige ausprobiert und hatten auch Auszugsweise welche im Netz stehen. Die Leute waren aber echt gut heute.
Besonders „No Tears“ kam sehr gut.
Sven: Ja, der macht auch Spaß – aber eigentlich bringen sie alle Spaß. Deshalb musste man ja auch unbedingt neue Songs spielen.
Es hat mich ein bisschen gewundert, dass ihr jetzt bereits das zweite Album herausbringt. Denn vor einem Jahr an selber Stelle hieß es noch: Ihr hättet zwar schon angefangen Songs zu schreiben, diese könne man aber noch keinem vorspielen und überhaupt sei noch nicht sicher, wie es wann weitergehe. Das ging dann ja doch alles recht schnell, ohne dass dabei „Kalte Sonne Teil 2“ heraus gekommen ist.
Sven: Sonst hätte es auch keinen Sinn gemacht. So weit muss man schon sein, um eine wirkliche neue Platte zu machen und keine Kopie abzuliefern. Im Januar haben wir angefangen, uns mit den Kompositionsskizzen, die wir bis dahin hatten, zu beschäftigen und daraus Songs zu machen. Im Februar sind wir dann schon im Studio gewesen und bis April komplett dort geblieben.
Was war es denn für ein Gefühl, endlich die neue Platte in den Händen zu halten und das erste Mal von vorne bis hinten durchzuhören?
Manuel: Das ist unglaublich – gerade dann, wenn man mit dem Ergebnis zufrieden ist und sich einfach jedes Mal freut, die Tracks zu hören.
Sven: Das Album ist so geworden, wie wir es uns gewünscht hatten. Es ist für mich das beste, an dem ich je mitgearbeitet habe.
Ihr seid fünf Leute in der Band und dann kommt noch Thommy Hein als Produzent dazu. Prallen da nicht oft verschiedene musikalische Ideen aufeinander, die gar nicht alle umzusetzen sind?
Sven: Man muss einfach eine Ebene finden, auf der man songdienlich und nicht ego-bezogen arbeitet. Das ist der ganze Trick dabei …und das klappt auch bei uns. Es ist wirklich so, dass alle damit zufrieden und nicht traurig sind, weil irgendeine Linie, die man sich noch vorgestellt hat, dann doch nicht wieder zu finden ist, weil sie den Song vielleicht einfach zu voll gemacht hätte.
Wenn wir jetzt näher auf das neue Album eingehen, muss man zuerst sagen, dass es dynamischer ist als das letzte.
Sven: Ja!!
Die Unterschiede zwischen den einzelnen Songs sind größer, das Album ist sehr variabel. Wobei es auch einige Lieder gibt, die in sich dynamisch sind. War das ein Aspekt, der sich einfach so entwickelt hat oder seid ihr mit diesem Gedanken an das Album herangegangen?
Sven: Teils, teils, das ist schwer zu sagen.
Michael: Als wir diese Skizzen hatten, war das alles noch ein bisschen weiter auseinander und ich dachte, dass man das nie auf eine Platte bekommt, weil die Songs wirklich sehr verschieden waren, aber im Studio hat es sich dann irgendwie alles zusammengefügt.
Sven: Also ich glaube, eine Grundvorstellung vom Sound hatten wir schon. Aber nicht in dem Sinne: Dies muss jetzt exakt so werden und das so. Es ist unsere Herangehensweise, einfach zu gucken, was passt jetzt am besten hierzu oder dazu, um den Song ideal rüberzubringen – zumindest nach unserem Ermessen. Wir haben jedes Mal versucht songbezogen zu arbeiten.
Norman: Das einzige, was wir uns glaube ich von Anfang an vorgenommen hatten, war die Songs etwas leerer zu lassen, mehr Platz für die einzelnen Instrumente zu schaffen und nicht alles voll zu spielen… nicht tausend Gitarren- und Keyboardlinien übereinander.
Manuel: Man ist schnell dabei, alles zuzuspielen. Hier noch ne Melodie, da noch ne Melodie.
Sven: Es fallen einem tausende von Linien ein, die eigentlich auch schön wären. Man muss sich dann aber doch zurücknehmen und sich selbst sagen: Moment, mal gucken, was wir schon haben, ob es nicht jetzt schon funktioniert. Da haben wir eigentlich sehr drauf geachtet.
Norman: Dann kann man das auch einfacher nachspielen… 🙂
Was habt Ihr bei der Arbeit an den Songs im Gegensatz zu „Kalte Sonne“ verändert? Waren alle daran beteiligt?
Sven: Beim Songwriting ist das natürlich immer schwierig. Eigentlich besteht eine Komposition nur aus der Gesangslinie und den Grundharmonien, die da drunter liegen. Insofern ist Komposition der falsche Punkt, aber die Arrangements wurden komplett mit allen gemacht. Es ist schon so, dass wir uns als Band zusammengesetzt haben und an einer vagen Songidee gemeinsam gearbeitet haben. Ich glaube, dass hört man auch ziemlich deutlich.
Das einzige, was ich gerne einmal öfter gehört hätte, ist ein Part wie „Schreit Dein Herz“, wo der Gesang ein bisschen ins Schreien übergeht wie auch bei Passagen von „Kalte Sonne“ und „Lass mich gehen“.
Sven: Bei Kalte Sonne hatten wir das ja auch nur in zwei Songs; dieses Mal nur in einem.
Norman: Es hat sich einfach bei keinem der Songs angeboten.
Sven: Nur weil es vielleicht ein Merkmal ist, sollte man so etwas nicht zwangsweise reinbringen, wenn es nicht wirklich sinnvoll ist. Das wäre Quatsch. Bei „Schreit Dein Herz“ wollte ich es eigentlich auch gar nicht machen, weil es mir zu plakativ erschien, gerade auf dieser Zeile zu schreien, aber das hat der Song ganz einfach – nicht der Text – gefordert. Deshalb haben wir es am Ende doch so gemacht.
Ihr hattet Euch nie auf englische Texte festgelegt, sondern mir z.B erzählt, man wolle sich alles offen halten und es wenn es sich anbiete, auch auf englisch singen bevor man sich auf Deutsch etwas abbreche.
Sven: Ja, genau. Bevor ein deutscher Text nicht gut wird, schreibe ich lieber einen guten englischen. Es hat sich einfach so ergeben.
Gab es denn bei einem der englischen Tracks anfangs einen deutschen Text?
Sven: Ja, auf jeden Fall. Der war dann aber einfach nicht gut genug. Man kann auch nicht sagen, er hätte nicht zur Musik gepasst, aber es war nicht hundertprozentig das dabei herausgekommen, was ich eigentlich gerne gehabt hätte. Auf Englisch ging es viel leichter, deswegen bot es sich dann an. Dies war bei „Light Your Stars“ der Fall. Bei einigen anderen Liedern hatte ich die Texte anfangs auch auf deutsch verfasst, aber früher aufgegeben. Die Songs sind einfach englischer. Mehr kann ich dazu gar nicht sagen.
„Wenn Du gehst“ – ein perfekter, ruhiger Titel am Ende des Albums mit den Streichern und Flöten, der sich von den anderen abhebt. War das der Grund, den Song ans Ende zu packen?
Sven: Es ist einfach ein Song, nachdem man ganz schlecht noch weitermachen kann.
Norman: In jeder Hinsicht… 🙂
Sven: Nein, wirklich. Er bringt das Album einfach zu einem Abschluss, das ist ganz komisch. Wenn der Track ausklingt, ist einfach gut. Danach muss nicht mehr viel gesagt werden.
Manuel: Es ist das finale Stück. Man muss es auf sich wirken lassen und das geht am Ende am besten.
Sven: Wir hatten ursprünglich versucht, das Depeche Mode-Cover „In Your Room“ extra zu nehmen, also aus der Mitte der neuen Songs rauszunehmen, um es abzusetzen und nach „Wenn Du Gehst“ zu bringen, aber das wäre einfach nicht gut gewesen.
„In Your Room“ habt Ihr auch schon oft auf Euren Konzerten gebracht, wo das Stück immer sehr gut ankommt – daher die Entscheidung, die Version auf das Album zu packen?
Sven: Ja, der Song macht einfach Spaß und wie Du gesagt hast – er kommt bei den Leuten immer sehr gut an. Es gab keine weiteren Ideen für andere Neuinterpretationen. Wir dachten uns, wenn wir eine Coverversion auf die Platte bringen wollen, dann diese. Wir haben live ja immer noch ein bisschen mit anderen Coverversionen herumexperimentiert, weil wir noch gar nicht so viele Songs hatten, aber „In Your Room“ ist eigentlich das einzig wirklich ernst gemeinte Cover.
„Wonderland“ hebt sich sowohl textlich als musikalisch ebenso ab. Klingt fast so, als sei der Text – obwohl auf vieles übertragbar – in der Zeit, als sich der Irak-Krieg anbahnte, entstanden.
Sven: Ja, definitiv. Das trifft aber eigentlich auf die ganze Platte zu, denn zu der Zeit, als diese entstanden ist, waren die Nachrichten ja voll mit diesem Thema. Das hat natürlich einen Einfluss auf die Gedanken, die man sich macht. „Wonderland“ ist in dieser Hinsicht ein sehr offensichtlicher Song. Ich verschlüssel ja sehr gerne und bei dem Track habe ich das einfach mal weggelassen.
Gab es im Gegensatz zu „Kalte Sonne“ etwas anderes, das für die Musik und die Texte als Inspiration diente?
Sven: Sollen wir das jetzt sagen…?? Ne… naja, wir haben in der Zeit viel Musik gehört.
Norman: Es kann sich ja jeder einen Spaß daraus machen, die CD anzuhören und zu überlegen: Wo haben die Jungs ihre Eindrücke her?
Sven: Das können sie dann gerne ins Forum schreiben und derjenige, der Recht hat, bekommt dann etwas.
Norman: Man muss ja nicht alle seine Einflüsse preisgeben. Diese sind ja auch gar nicht immer bewusst.
Sven: Das kommt noch dazu. Dass man ein Album hört und denkt, „ja, genau so etwas müssen wir machen“, wäre ja Quatsch.
„For a Moment“ wunderschön tragend, melancholisch, vielleicht auch etwas be- und erdrückend. Wunderschön!
Sven: Den muss man ganz laut hören, damit man auch alle Kleinigkeiten erkennt und der Song wirken kann.
…gibt es denn ein Lied auf dem Album, das Euch persönlich sehr am Herzen liegt?
Norman: Mir liegen sie wirklich persönlich alle sehr am Herzen. Es gibt meiner Meinung nach keinen Song, bei dem ich dachte, wir hätten ihn weglassen können. Ich finde sie alle total wichtig und sie haben auch alle ihren Sinn auf der CD – genau so, wie sie sind.
Sven: Über Sachen, die mich nicht beschäftigen, würde ich nicht schreiben, insofern liegen sie mir von Haus aus eh alle am Herzen. Ich habe sie ja mehr oder weniger alle geschrieben – bei fünf Songs hatte ich einen Co-Writer.
Für die Clubs wird die Single „Be My Rain“ herausgebracht. Warum der Song? Ich mag ihn zwar auf jeden Fall, aber ich glaube ich hätte „No Tears“ gewählt.
Michael: Da bist Du nicht alleine.
Sven: Es standen vier oder fünf Songs zur Auswahl: „Light Your Stars“, „No Tears“, „No More Doubts“, „Be My Rain“ und noch irgendeiner. Wir waren alle total unentschlossen, hätten sie wahrscheinlich alle genommen. Die Plattenfirma hat auch genau dieselben wie wir vorgeschlagen und irgendwann musste eine Entscheidung her. „Be My Rain“ ist vielleicht ein Pop-Song, der ein bisschen härter ist.
Er ist in sich ja auch dynamisch, spiegelt die Platte daher vielleicht im Kleinen wieder.
Manuel: Ja und eigentlich ist es auch der beste Track zum Remixen. Bei einigen anderen wäre es schon etwas schwieriger geworden.
Norman: Weil sie so wie sind in ihrer Wirkung unheimlich stark sind – von den Instrumenten usw. Bei „Be My Rain“ ist das alles sehr offen, so dass man etwas mit dem Track machen kann, ohne dass dieser seine Wirkung verliert.
Bei „No Tears“ ist es besonders der Anfang, der einen sofort in den Song hineinzieht und ja auch immer wieder vorkommt.
Sven: Ja, genau. Den hätte man für die Radio-Version wahrscheinlich auch komplett umbauen müssen, weil der Refrain dafür einfach viel zu spät kommt. Das hätte so kein Radio-Sender gespielt und das sind dann auch so Aspekte, bei denen man sagt: Dann nehmen wir doch lieber einen anderen. „No Tears“ baut sich auf eine bestimmte Art auf und irgendwann, relativ spät, es verzögert sich immer mehr – kommt es dann halt.
Die weiblichen Stimme von Viola Manigk, die bei drei Songs zu hören ist („United and lost“, „Failing breath“ und „For a moment“), ist sehr stark im Hintergrund. Wolltet Ihr dieses typische Schema Männerstimme und weiblicher Gegenpart vermeiden, oder hätte das einfach nicht gepasst?
Sven: Es hat sich so ergeben. Wir wollten die weibliche Stimme als Klangfarbe haben, nicht als Duettpartner. Das hätte sich bei keinem Stück angeboten und von den Texten her einfach nicht gepasst. Wir haben ihre Stimme einfach immer als Farbe verstanden und daher ist sie auch im Hintergrund.
Ihr habt dieses Mal Instrumente wie Violinen, Cello und Flöten eingesetzt. Wie wäre es mal mit einem kleinen Orchester, mit Streichern auf der Bühne zu stehen?
Sven: Ja, mein Gott, gerne! Das wäre natürlich toll, aber das ist leider sehr aufwendig und dementsprechend auch teuer. Das Problem ist, dass du spezielle Leute dafür brauchst, die natürlich auch mit einer Band zusammen spielen wollen und können – das wird bei Klassikern dann schon schwierig. Bei „Wenn Du Gehst“ haben wir ja die Streicher von Letzte Instanz dabei und wenn es sich ergibt, dass wir zusammen irgendwo sind, dann werden wir auch gemeinsam spielen. Alles andere wäre wohl zu aufwendig. Wir spielen ja auch nicht auf den Riesen-Bühnen, auf denen unendlich viel Platz ist.
Gibt es einen Wunsch, den Ihr Euch mit der Band noch nicht erfüllen konntet?
Sven: Ich kann jetzt nur für mich reden, aber ich stecke die Ziele für mich nie zu hoch. Ich lasse einfach alles auf mich zukommen und dann schaut man. Was willst du machen, wenn du dir hohe Ziele setzt und diese aus irgendeinem Grund nicht erreichst? Dann bist Du demotiviert oder deprimiert und das ist auch nicht wirklich schön. Wir machen einfach unser Zeug – wie Hannawald es jetzt formulieren würde. Bisher läuft es ja auch ziemlich toll. Es ist wirklich erstaunlich, wie weit wir bisher schon gekommen sind.
Im nächsten Jahr seid Ihr hier Headliner…
Sven: Davon mal ganz abgesehen! Es läuft alles so gut, steigert und entwickelt sich weiter.
Dankeschön für das Interview! Die letzten Worte gehören wie immer Euch.
Regen!! …schönen Dank an die Leute, die uns heute in der glühenden Sonne unterstützt haben. Wir waren gerade selbst draußen bei Killing Joke und es ist schon sehr anstrengend. Die Leute sind echt toll.
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