Zeraphine
Zeraphine
Interview
Morgens um 11 Uhr auf einer Festivalbühne spielen zu müssen und dann auch noch für gerade einmal 20 Minuten – das ist nicht unbedingt die Wunschvorstellung der meisten Bands. Genau dieses Los traf dieses Jahr Zeraphine ("Kalte Sonne") beim M’era Luna. Die Berliner eröffneten das Festival auf der Main Stage. Erstaunlich viele Besucher waren zu diesem Zeitpunkt bereits aus ihren Zelten gekrochen und zur Bühne gepilgert, um der Stimme von Sänger Sven Friedrich (Ex-Dreadful Shadows) zu lauschen. Im nächsten Jahr sollte den Jungs ein Platz zu späterer Stunde sicher sein. Und auch wenn sie selbst irgendwann zu alt sein sollten, um die Bühne zu erklimmen, brauchen sich die Fans keine Sorgen machen. "Dann schicken wir die nächste Generation auf die Bühne", lautet Plan A von Gitarrist Norman Selbig, bevor er mit der weitaus spektakuläreren Variante herausrückt, "wenn wir jetzt anfingen, uns zu klonen…." Nach dem Auftritt beim M’era Luna hatte ich allerdings noch das Vergnügen mit den Originalen.
Ein ziemlicher kurzer Auftritt und ziemlich früh. Was war Eure Reaktion, als Ihr erfahren habt, dass Ihr um 11 Uhr spielen werdet und nur 20 Minuten Zeit habt?
Sven: „Wir sind Newcomer, insofern ist es völlig klar. Wir können froh sein, dass wir dort überhaupt spielen konnten.“
Norman (lacht): „Wir sind immer so bescheiden…“
Sven: „Nein, das ist aber wirklich okay. Es war ja auch voll vor der Bühne.“
Norman: „Schade war nur, dass es nur 20 Minuten waren, denn vier Songs sind doch ein bisschen wenig.“
Sven: „Es geht zwar alles irgendwie besser – also zu einer besseren Zeit -, aber schließlich sind wir hier mit unserem ersten Album. Mit den Shadows haben wir drei Alben gebraucht, um auf so einem Festival spielen zu können. Vielleicht haben wir ja ein paar Leute für die kommenden Konzerte neugierig gemacht.“
Was denkt Ihr denn über den Auftritt eben? Zufrieden?
Sven: „Ja, auf jeden Fall. Es war schließlich kurz, da kann nicht viel schiefgehen.“
Norman: „Es war schön, hat Spaß gebracht. Aber es hätte gerne noch weitergehen dürfen. Als man beim letzten Song endlich drin war, war es auch schon wieder vorbei.“
So früh am Morgen: Kann man da schon so richtig in der Stimmung sein, um einen guten Gig zu spielen?
Sven (lacht): „Ne, so gar nicht eigentlich. Wir waren sehr weit davon entfernt – ungefähr zehn Stunden.“
Norman: „Aber es ging. So hatten wir danach wenigstens frei.“
Sven: „Stimmt. Man muss nicht auf alles so ewig warten. Wir reden uns ein, dass es auch Vorteile gibt, so früh zu spielen.“
Und die wären…?
Sven: „Man sitzt nicht herum und wartet eine Ewigkeit auf seinen Auftritt. Man ist schnell fertig…“
Norman: „…die Leute sind noch nicht müde vom langen Stehen.“
Sven: „Stimmt. Höchstens noch müde von der langen Nacht.“
Und Ihr wart schon wach?
Sven: „Ja. Naja, teilweise jedenfalls. Physisch.“
Heute morgen war bei Eurem Auftritt schon eine Menge los. Habt Ihr damit gerechnet?
Sven: „nein gar nicht. Wir haben vielleicht auf die Hälfte gehofft. Wir waren wirklich baff. Offensichtlich waren auch relativ viele Leute extra wegen uns schon um diese Uhrzeit wach. Denn nach dem Auftritt sind erst einmal viele wieder weggegangen – vielleicht zum Frühstücken oder Weiterschlafen. Das ganze baut natürlich auf. Die meisten hatten wahrscheinlich weniger Schlaf als wir und kamen dennoch aus ihren Zelten heraus – das ist schon toll.“
Norman: „Das kann man den Besuchern gar nicht hoch genug anrechnen.“
Zur Veröffentlichung von „Kalte Sonne“ ward Ihr in sehr vielen großen Musikzeitschriften präsent. Die Aufmerksamkeit seitens der Presse war groß und über die meisten Kritiken könnt Ihr Euch auch nicht beklagen. Habt Ihr mit all dem gerechnet?
Sven (lacht): „Natürlich! Nein im Ernst, wir wussten anfangs gar nicht, wie was passiert und wie die Leute uns aufnehmen. Wir haben unsere Erwartungen glaube ich selbst ein wenig heruntergeschraubt, damit wir im Notfall nicht enttäuscht sind. Wir konnten uns dann aber im Nachhinein nicht beklagen. Wir machen das ganze aber auch schon zu lange, um uns in irgendetwas hineinzusteigern und Erwartungen ins Unermessliche aufbaut, die sich eh nicht erfüllen.“
Es gibt nicht so viele Bands, die Deutsch singen. Viele schrecken davor zurück. Denken vielleicht auch daran, dass der Erfolg im Ausland dadurch geringere Chancen hat.
Sven: „Das ist Blödsinn. Da muss man nur RAMMSTEIN sagen – ohne jetzt sagen zu wollen, dass die Jungs irgendwelche Vorbilder seien. Wenn man sich den Erfolg der Band im Ausland anguckt, ist das Argument einfach nur lächerlich. Wir haben unser Album auch in einigen Ländern herausgebracht und es ist dort auf gute Resonanz gestoßen. Zum Beispiel in Spanien und Italien, bei Frankreich bin ich mir nicht so sicher.“
Werden die Texte auch in Zukunft immer deutsch bleiben?
Sven: „Wir halten uns alles offen, wollen uns nicht festlegen, dass es immer deutsch sein muss. Zum größten Teil wird es aber so sein. Wenn es sich jedoch anbietet, weil man zum Beispiel bestimmte Sachen auf englisch doch besser sagen, machen wir es lieber so, als uns auf deutsch etwas abzubrechen.“
Wenn man die Texte betrachtet, könnte man denken, Du bist ein durch und durch trauriger, tief melancholischer Mensch, der oft sehr unglücklich ist.
Sven: „Ja, bin ich auch (lacht). Zum einen ist es so, dass ich keinen durchweg positiven Text machen könnte, weil ich es langweilig finde. Ich denke aber, dass das alles gar nicht so wahnsinnig traurig ist. Ich versuche einfach, Leute zum „Sich-Selbst-Erleben“ zu animieren… in irgendeiner Weise. Ich hoffe, dass sie aufgrund von bestimmten Bildern Assoziationen haben, durch die sie sich in irgendeiner Form selbst erleben können oder sich selbst erkennen. Das klingt jetzt alles ziemlich groß und wild, aber zumindest teilweise funktioniert es. Und das ist doch alles gar nicht so wahnsinnig traurig, oder? Manchmal könnte man das ganze natürlich auch in gewisser Weise als „Herunterzeihen“ bezeichnen. Das Ziel ist es einfach, in den Menschen etwas zu bewegen. Es gibt aber keine zentrale Botschaft, schließlich machen wir keine politischen Texte und haben auch nichts mit Sekten zu tun.“
Mit Deinen Songs kreierst Du Stimmungen, schaffst eine bestimmte Atmosphäre. Die Texte sprechen vielen aus der Seele, man findet sich manchmal selbst darin wieder. In was für einer Stimmung musst Du sein, um solche Texte zu schreiben?
Sven: „In der, wonach es sich anhört. Das heißt jetzt aber nicht, dass ich den ganzen Tag so durch die Gegend laufe.“
Norman: „Wenn heute kein Mensch vor der Bühne gewesen wäre und es geregnet hätte, könntest Du jetzt sicher einen guten Song schreiben.“
Was inspiriert Dich denn beim Schreiben? Es ist doch nicht alles autobiographisch…
Sven: „Nein, aber irgendwie doch. Es sind größtenteils Sachen, die mich beschäftigen und die ich dann versuche, in irgendeiner Form unterzubringen. Die Hauptinspiration gibt dann eigentlich tatsächlich die Musik. Obwohl ich schon gehört habe, dass einige der Meinung sind, Musik und Text passen manchmal nicht erwartungsgemäß zusammen. Nach mehrmaligem Hören jedoch merke man, dass es doch zusammen passt. Ich selbst kann das schlecht nachvollziehen. Auf jeden Fall sagen viele, dass man die Songs ein paar Mal hören muss, um die Zusammenhänge zwischen Musik und Text zu verstehen.“
Je öfter man die Songs hört, desto mehr Kleinigkeiten entdeckt man.
Sven: „Ja, das ist bewusst so gemacht.“
Norman: „Meistens haben wir so viele Ideen zu den Songs und eigentlich möchte man alle hineinpacken. Vieles muss man jedoch einfach weglasse, weil sich der Hörer sonst auf gar nichts mehr konzentrieren könnte. Es wären so viele verschiedene Melodien in den einzelnen Songs, dass man sie nicht mehr heraushören könnte. Vieles muss man in den Hintergrund mischen, so dass der Song noch herauszuhören ist.“
Sven: „Wenn man eine Platte zum zehnten Mal hört und immer noch etwas Neues entdecken kann – so etwas mag ich sehr. Denn ansonsten hat man schnell genug von der CD. Die Bedingung ist natürlich, dass man sich auf die Songs einlässt. Das verlangt ein bisschen mehr vom Hörer, als die Musik einfach nur nebenbei laufen zu lassen.“
Wie viele Songs hattet Ihr denn insgesamt für „Kalte Sonne“ aufgenommen?
Sven: „Wir hatten nur die 12 aufgenommen, die auf der Platte sind. Es gab aber insgesamt 14. Die anderen haben wir vorher abgewählt, da wir nur 12 auf das Album bringen sollten.“
Norman: „Die anderen spielen wir dann live manchmal. …je nachdem wie viel Zeit wir haben.“
Sven: „Mit 12 Songs ein ganzes Konzert zu machen, wäre dann schon eher kurz. Bei unserem ersten Auftritt hatten wir gerade einmal sechs Songs. Am Ende haben wir dann noch einmal drei vom Anfang gespielt. Das hat sich dann gleich ein bisschen besser eingeprägt.
Ihr werdet jetzt im Herbst ein bisschen durch die Gegend touren. Was erwartet Ihr von der Tour?
Sven: „Spaß! Was soll man erwarten? Rein wirtschaftlich wird sie uns nicht reich machen, aber sie wird eine Menge Spaß bringen und man kann den Leuten ein bisschen mehr bieten als 20 Minuten. Eine Tour, von der wir etwas erwarten könnten, wäre eher eine Support-Tour, da man sich auf dieses Weise ein neues Publikum erschließen kann. Jetzt werden hauptsächlich Leute kommen, die uns sowieso schon kennen.“
Habt Ihr eine Vorstellung, wie viele Leute Euch pro Auftritt erwarten werden? Angst vor einer Enttäuschung?
Norman: „Wir haben ja eigentlich immer gute Resonanzen bekommen. Klar, wenn wir jetzt unsere eigene Tour machen, weiß man natürlich nicht, wie gut diese besucht ist. Aber ich bin eigentlich ganz frohen Mutes, schließlich haben wir auch schon alleine Konzerte gegeben. Es ist schwer zu sagen, wie viele kommen werden. Die Clubs, in denen wir spielen, sind ja nun nicht so groß. In Leipzig werden sicherlich sehr viele Leute da sein – das ist regional einfach verschieden.“
Die erste Tour mit Zeraphine… aber reichlich Bühnenerfahrung habt Ihr dennoch durch die Dreadful Shadows. Wie ist es da mit der Nervosität? Routine oder gerade weil es jetzt etwas Neues ist besonders nervös?
Norman: „Nervosität ist immer da, aber die Tourerfahrung hilft natürlich. Heutzutage kommt die Nervosität aber immer erst kurz vor dem Auftritt.“
Sven: „Früher fing das bei uns immer schon Tage vorher an. Inzwischen geht es erst eine halbe Stunde vor dem Konzert los. Man denkt mittlerweile: Es wird schon alles irgendwie funktionieren.“
Norman: „Kurz davor ist man nicht mehr wirklich ansprechbar, muss ständig auf die Toilette…“
Der erste Auftritt mit Zeraphine: Wie war das für Euch? Eine Erlösung, endlich wieder auf der Bühne zu stehen?
Norman: „Ja, auf jeden Fall. Das hat uns doch sehr gefehlt.“
Sven: „Es waren ja 1 ½ Jahre dazwischen – eine ganz schön lange Zeit.“
Nach minutenlangem Rätselraten und erstaunten Blicken stellten Sven und Norman fest, dass zwischen dem letzten Auftritt mit den Dreadful Shadows im Dezember 2000 und dem ersten mit Zeraphine doch nur ein halbes Jahr lag! „Das kam uns aber viel länger vor“, war die übereinstimmende Meinung beider.
Sven: „Ich würde jetzt nicht von Angst sprechen, aber so etwas Ähnliches war bei mir bei dem ersten Auftritt auf jeden Fall dabei. Denn es kamen viele Leute, welche die Shadows kannten, aber noch nie einen Zeraphine-Song gehört hatten. Das war natürlich ein bisschen schwierig. Zum Glück war das erste Konzert gleich richtig gut. Die Leute in Leipzig haben wirklich gut mitgemacht.“
Norman: „Dadurch haben sie uns auch Mut zum Weitermachen gegeben. Das war wichtig“
Sven: „Das erste Konzert kann natürlich auch gleich tierisch in die Hose gehen. Dann brauchst Du erst einmal Motivation um Weiterzumachen. Zum Glück war das bei uns anders.“
Und der letzte mit den Dreadful Shadows: Wie schwer war das damals?
Sven: „Das war nicht ganz einfach – wirklich hart. Ich musste ganz schön kämpfen. Es ist einfach ein blödes Gefühl, wenn du weißt, dies ist das letzte Mal, dass du diesen Song spielst. Denn schließlich verbindet man sehr viel mit den Liedern. Aber es geht ja alles irgendwie weiter.“
Norman: „Die Frage, ob wir aufhören Musik zu machen, hat sich eigentlich nie wirklich gestellt. Es war immer klar, dass wir irgendwie weitermachen.
Wie geht es mit Zeraphine nach der Tour weiter?
Sven: „Wenn wir das so genau wüssten. Wir haben schon angefangen, neue Songs zu schreiben, aber die sind noch nicht hörbar, die kann man noch niemandem vorspielen. Wir werden erst mal mit der Plattenfirma einen Plan machen und festlegen, wie wann was passiert. Wenn dann alles gut läuft, werden wir uns an das nächste Album setzen.“
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