Zeal & Ardor
"Es ist immer noch ein Spielen, ein Versuchen."
Interview
Das Schweizer Avantgarde-Projekt ZEAL & ARDOR steht mit einem neuen Streich in den Startlöchern. Das selbstbetitelte dritte Studioalbum „Zeal & Ardor“ wird am 11.02.2022 veröffentlicht und zeichnet sich durch ein noch bunteres Sammelsurium an Stilen aus als die bisherigen Platten. Das zu Späßen aufgelegte Mastermind Manuel Gagneux gibt im Interview Einblicke in den Schaffensprozess.
Hi Manuel! Wie geht es dir?
Manuel: Eigentlich prächtig. Ich bin gerade im alten Haus meiner Oma und schreibe hier oben in den Bergen Musik, in der Idylle.
Also so Schweizer Berge, wie man sich das vorstellt?
Manuel: Ziemlich genau so.
Dann fangen wir mal an. Das neue Album „Zeal & Ardor“ ist selbstbetitelt. Das macht man sicher nicht einfach so, sondern hat sich gut überlegt, dass es dieses Album ist, das den Bandnamen tragen soll. Du sagst auch, es habe den Sound, den du dir von Anfang an für das Projekt vorgestellt hast. Kannst du uns den Findungsprozess ein wenig genauer beschreiben?
Manuel: Wir hatten dieses Mal einfach etwas mehr Zeit. Bei den anderen Alben war es so, dass es zwar Songs waren, die wir schon live gespielt hatten, die aber nicht als homogene Songsammlung funktioniert hätten. Dieses Mal haben wir auch darüber diskutiert, was uns eigentlich ausmacht, womit wir uns eigentlich identifizieren. Vieles ist auch auf der Strecke liegen geblieben. Zumindest jetzt – in meinem jetzigen Zustand – finde ich, dass dies das Beste ist, was wir machen konnten. Deshalb wollte ich es auch self-titled rausbringen. [Pause] Vielleicht auch ein bisschen, weil wir für den Namen keine besseren Ideen hatten [lacht].
Das Album ist sehr heterogen – also noch heterogener als das, was ZEAL & ARDOR bisher gemacht haben. Daran habe ich mich etwas aufgehängt, was du auch an den fragen merken wirst. Mir fehlt zum jetzigen Zeitpunkt ehrlichgesagt noch das Vokabular, um das für unsere Leser:innen aufbereitet in Worte zu fassen. Kannst du uns daher in deinen eigenen Worten beschreiben, was die krassesten Unterschiede zu eurer bisherigen Musik sind?
Manuel: Es hat damit angefangen, dass wir uns gesagt haben, dass wir uns unter diesem Schirm auszutoben versuchen, solange die Atmosphäre einigermaßen in unserer Welt bleibt. Dann sind auch alle Grenzen ein bisschen gesprengt. Das geht von wirklich nervendem Synthesizer-Gedöns oder Getröte bis zu Jazz-Akkorden. Es hat auch sehr viele Field Recordings drin, also einfach Geräusche, die man vielleicht nicht so erkennt. Eine marschierende Armee, die ein bisschen schneller gemacht wird, hört sich an wie Klatschen. Auch ein Theremin ist drin. Es hört sich so richtig schrecklich an, wenn ich das so beschreibe [lacht], aber man kann’s hören, versprochen! Es funktioniert, irgendwie halt [lacht].
Wie genau kann man sich den Schaffensprozess vorstellen? Man hat bei ZEAL & ARDOR – oder zumindest ich habe das – immer noch das Einmannprojekt im Kopf, obwohl ihr mittlerweile natürlich eine ganze Band seid. Du sprichst davon, was „ihr“ vorhattet und diskutiert habt. Ist dieses Album also mehr ein Co-Projekt als die bisherigen?
Manuel: Also die Diskussionen im Plenum hatten wir, aber die Songs geschrieben habe dann trotzdem ich alleine. Weil ich ein Stück weit ein Kontrollfreak bin [wir lachen]. Ist halt so, ich kann’s offen zugeben.
Aufgenommen hast du zusammen mit Marc Obrist [Backing Vocalist bei ZEAL & ARDOR]. Was hat er oder was haben die anderen denn gesagt? Waren Sie überrascht? Hast du dich vielleicht sogar selbst mit manchem überrascht?
Manuel: Das ist eigentlich immer die Mission. Natürlich ist es teils ernste Musik, aber es ist immer noch ein Spielen, ein Versuchen bei mir. Ich glaube, solange ich das beibehalten kann, solange mache ich auch gerne Musik. Die anderen haben bei manchen Sachen gekichert und waren nicht überzeugt, dass es funktionieren würde. Teils zurecht, teils nicht so zurecht. Ich bin etwas ungeduldig und relativ zügig mit meinem Beitrag zufrieden. Und Marc, zum Beispiel, hat mich dazu getrieben, Sachen vielleicht noch mal zu spielen. Er hat also diese Consultingrolle übernommen. Außerdem hat er natürlich alles mikrofoniert und tatsächlich auch aufgenommen.
Du sagst, dass du den Songs keine besondere Bedeutung beimessen willst, weil jede:r eine eigene Bedeutung für sich finden soll. Kann man dir trotzdem etwas entlocken, inhaltlich oder dazu, welche Stücke musikalisch vielleicht besonders bedeutsam für dich sind, weil du musikalisch noch etwas Neues in dir entdeckt hast?
Manuel: „Death To The Holy“ ist ein Song, den ich sehr mag, weil es inhaltlich natürlich nicht um den Mord an sämtlichen Heiligen geht, sondern um das Philosophische, das man sich nicht zu kritisieren oder zu diskutieren erlaubt. Es geht um freedom of speech und darum, dass man nichts auf ein Podest heben sollte. Ich mag den Song auch, weil er eigentlich alles ein bisschen zusammenfasst, was wir sind. In drei Minuten. Wenn man nur einen Song hören sollte, um eine bessere Idee von dem Album zu bekommen, kann man diesen hören und eine kleine Einsicht bekommen. [Werbesprecher-Stimme] Ab dem 11. Februar im Handel [Ende Werbesprecher-Stimme] [lacht].
Galerie mit 22 Bildern: Zeal & Ardor – Full Force 2019Ein krasser Song für mich war vor allem „Götterdämmerung“. Das reinste Black-Metal-Rumpelstilzchen trifft auf den souligen Klargesang. Die Kombi hatten ZEAL & ARDOR schon immer, aber hier ist es auf die Spitze getrieben. Es klingt fast, als hättest du versucht, ein Black-Metal-Klischee hinzustellen.
Manuel: Mir ging es da einfach darum, das zu destillieren, was wir machen. Wenn wir schon ins Extrem gehen, dann dürfen wir auch bis zum Ende diesen Korridor verfolgen. Metal generell ist ja so knapp an ulkig vorbei. Und sobald jemand schreit, dass der Kaiser gar keine Kleiner anhat, dann ist er nackt. Das kann man natürlich mit Angst ansehen oder es auch zelebrieren. Und ich hab‘ mich für das Zweite entschieden.
Ich würde dann gerne noch kurz über die EP „Wake Of A Nation“ sprechen, die ihr Ende 2020 veröffentlicht habt. Dort habt ihr eine ganz klare, sehr wichtige Botschaft. Musikalisch hört man, finde ich, schon dort die Entwicklung Richtung „Zeal & Ardor“. Ursprünglich war auch geplant, dass die damals entstandenen Songs später auf einem Album erscheinen sollten, oder?
Manuel: Genau, es war eigentlich als Teil dieses Albums geplant, aber bei dem, was zu der Zeit alles an traurigen Ereignissen geschehen ist, war es dringend, das herauszubringen. Mir war es auch ein Anliegen, aus so einer Situation kein Kapital zu schlagen. Deshalb haben wir uns auch entschieden, keine Presse dazu zu machen oder 18 verschiedene Vinylversionen rauszubringen. Ich mag es lieber, ein bisschen obskur und indirekt zu schreiben, aber habe gemerkt, dass man das mit so arg politischen Sachen vielleicht nicht machen sollte.
Bestätigt hat das jetzt ein Blick auf unsere Kommentarspalte auf Youtube, wo Leute irgendwie überrascht sind, dass wir in solchen Sachen Farbe bekennen. Ich gehe aber mal davon aus, dass das die Ausnahme ist. Trotzdem war es mir wichtig, direkt darüber zu sprechen. Ich hatte auch Panikattacken während dieser Zeit, weil ich mich so um meine Familie in den Staaten gesorgt habe. Man wusste halt nicht, ob das da drüben jetzt tatsächlich kippt und ob die dann OK sind, in dieser Einöde der USA. Deshalb haben wir die EP isoliert und diese Songs in diesem Kontext rausgebracht.
Kommen wir noch mal darauf zurück, dass die Fans sich ihre eigene Bedeutung in den Songs suchen sollen. Du bekommst sicher auch viel Feedback von Fans dazu, was ihnen die Musik persönlich bedeutet. Welche krassen oder berührenden Dinge spielen die Fans euch zurück?
Manuel: In den Staaten haben wir zum Beispiel auch sehr viele Schwarze, die unsere Konzerte besuchen. Einerseits sind sie froh, in irgendeiner Form Repräsentation in diesem Genre zu bekommen. Wir sind natürlich nicht die Einzigen, aber das ist eine Komponente. Das andere ist die Inkorporation von unserer Musik, von ihrer Musik in diesem Genre. Dann gibt es auch Geschichten von Leuten, die sagen, ‚ich hatte so eine dunkle Zeit‘ oder bei denen wichtige Menschen gestorben sind und denen die Musik durch die schwere Zeit geholfen hat.
Und das meine ich, wenn ich sage, die Leute sollen ihre eigene Bedeutung suchen. Wenn ich jetzt diktiere, welcher Song welche Bedeutung hat, dann habe ich das Gefühl, dass ich für die das Fenster, Bezug zu einem Song zu bekommen, schließe oder kleiner mache. Denn in dem Moment ist das nicht mein Song, und ich habe ihn auch nicht geschrieben, weil jemand in meinem Umfeld gestorben ist, aber es sollte trotzdem diese Bedeutung haben können.
Was steht als Nächstes bei dir an? Planen ist ja gerade etwas schwierig.
Manuel: Zurzeit schreibe ich an Musik, nicht für ZEAL & ARDOR, sondern für ein anderes Projekt. Aber wir gedenken, mit MESHUGGAH auf Tour zu gehen, im Mai und Juni, und spielen dann auch ein paar Festivals, wie das FULL FORCE. Sofern das über die Bühne gehen sollte, natürlich.
Hast du von deiner Seite noch etwas loszuwerden?
Manuel: Ich hab‘ was. Ich war vorhin auf metal.de und habe eines meiner Lieblingsalben gesucht. Und es war tatsächlich eines mit neun Punkten, und das hat mein Herz erwärmt.
Und welches war das?
Manuel: Es war GOLEM mit „Dreamweaver“.
Dann haben wir ja zumindest schon mal den richtigen Musikgeschmack.
Manuel: Total, das hat es jetzt bewiesen [lacht].
Vielen Dank für das Interview!
Manuel: Vielen Dank!