Y-LUK-O
Y-Luk-O
Interview
Auf sieben Jahre Bandgeschichte und fünf Alben kann das deutsch-amerikanische Industrial-Pop Trio Y-LUK-O inzwischen zurückblicken. Gegründet wurde die Band im Jahr 2000 von Yluko und Leonardo von Leibnitz in London, seit 2003 gehört auch Siegfried Grampe zum festen Lineup der Band. Mit „Sin(n)“ melden sich Y-LUK-O 2008 nach einer kreativen Auszeit wieder zurück – Grund genug, sich mit Leo von Leibnitz ein wenig über das Album und aktuelle Themen zu unterhalten.
Das Erste, das mir beim Anblick eurer neuen CD auffiel, war die sterbende Fliege auf dem Cover. Was hat es denn bitte damit auf sich?
Eigentlich kam die Idee zu dem Cover von unserer langjährigen Freundin und Photographin Britta Hüning. Sie hat mehr als zufällig mit ihrem neuen Makroobjektiv gespielt, und dabei die Photos geschossen. Das Thema und der Titel des Albums „Sin(n)“ waren damals schon bekannt und haben irgendwie ganz gut gepasst: Die Fliege und die Spinne sind eher als Metaphern zu sehen. Es war also eine sehr spannende Interpretation unserer Photographin, auch wenn sie quasi eine „Schnappsidee“ war. Ich will aber nicht den Reiz nehmen, indem ich das jetzt einfach alles aufdecke.
Ihr habt als Titel das Wortspiel „Sin(n)“ gewählt. Welches thematische Konzept steckt hinter dem neuen Album?
Der Dualismus in dem Wort war für uns mehr als reizvoll. Man kann das in verschiedener Hinsicht sehen, uns lag vor allem auch „Sünde am Sinn“ am Herzen. Das Album war allerdings nicht als ein homogenes Konzept durchgeplant, sondern entstand Lied für Lied. Wobei die Thematiken sich gut aneinander zu einem einheitlichen Ganzen fügten. Wir haben uns textlich eigentlich nicht auf eine bestimmte Problematik festgelegt, sondern sind bewusst auf die Dinge eingegangen, die uns im täglichen Leben der letzten Jahre, ja auch direkt während der Produktionsphase, beschäftigt haben. Das waren sowohl tragische Momente im Leben nahe stehender Menschen als auch schöne Erlebnisse, auch kleine Anekdoten oder Banales. Aber selbst Banales kann, wenn es künstlerisch umgesetzt wird, sehr reizvoll sein. Summa summarum haben wir uns vor allem mit dem Miteinander der Menschen beschäftigt – wie sie miteinander umgehen, welche Dinge sie sich antun, aber auch über ihre Träume, Ängste, Wünsche
Zwischen „Elektrizitätswerk“ und „Sin(n)“ lagen fast drei Jahre Pause. Wieso kam es zu dieser langen Auszeit?
Eigentlich ja nur 2 Jahre und 2 Monate! Seit November 2005 – nach dem Release der EP „Resistance“ – haben wir erstmal eine Auszeit von der Band nehmen müssen. Seit dem Jahr 2000 hatte ich eigentlich permanent an Y-LUK-O gearbeitet und damit drei komplette Alben und die EP fertiggestellt. Es war zunächst erstmal das Bedürfnis von uns allen vorhanden, etwas Abstand zu bekommen. Ich persönlich habe bis etwa Juni 2006 fast keine Musik gemacht, habe mehr gelesen, geschrieben und Musik gehört und neue Inspiration gesammelt. Erst danach habe ich mich zunächst mit der Produktion für OBSC(Y)RE beschäftigt. Gegen Herbst 2007 war dann langsam in uns allen das Bedürfnis wiedererwacht, für Y-LUK-O tätig zu werden. Diese Pause hatte uns allen sehr gut getan und wir haben uns in der Zeit sicher weiterentwickelt – was schließlich auch der Band zum Vorteil gereichte.
An „Sin(n)“ habt ihr über ein Jahr gearbeitet. Beschreibt unseren Lesern doch mal den Entstehungsprozess eines Y-LUK-O-Albums. Wer ist für was verantwortlich – wie entstehen eure Songs ?
Nach dem Abschluß der „Elektrizitätswerk“ und der damit zusammenhängenden EP „Resistance“ stellte sich für uns die Frage, womit wir uns beschäftigen wollten. Es war – nach einer etwas längeren Pause für andere Aktivitäten – also buchstäblich ein weißes Blatt eines leeren Buches vor uns gelegen, welches wir mit Inhalt nach Belieben füllen konnten.
Ehrlich gesagt entwickelte sich der Schaffensprozeß des Albums zu einer spannenden Abenteuerreise, welche ja auch über eineinhalb Jahre andauerte. Zunächst bestand unsererseits die Idee eines reinen Cover-Albums mit dem Lieblingssongs der Bandmitglieder. Nach der Fertigstellung eines ersten Stückes waren bei der Arbeit an Fragmenten so viele Ideen entstanden, dass dann auch ein minimal-elektronisches Werk ins Auge gefasst werden sollte.
Aus dieser Idee heraus reifte dann das Konzept für ein Gesamtwerk mit Cover-Stücken und neuen Songs mit einem einzigen roten Faden: Der Beschränkung auf eine Handvoll Instrumente, welche jeweils als Grundgerüst Verwendung fanden durften. Zwar entwickelte sich im Verlauf der kreativen Erarbeitung der Lieder ein nicht so minimaler Klangcharakter und auch die Struktur wurde bandtypisch wieder komplexer als ursprünglich angedacht, aber die Klänge blieben für jeden Song die Ausgangsbasis. Sie wurden nach Belieben verfremdet, gefiltert und verbogen, aber blieben immer, wenn auch manchmal mehr unterbewusst, ein verbindendes Element, welches zum großen Teil den jetzt so kompakten Klang des Gesamtalbums ausmacht. Wir konnten uns durch die Reduzierung der Klangauswahl auf diese wenigen Sounds viel mehr als jemals zuvor auf die Musik und das Lied selbst konzentrieren, weil man nicht von der stundenlangen Suche in Soundbänken von diversen Synthesizern erschlagen wurde. Es war quasi auch befreiend für die Arbeitsweise und für das Musizieren, was deshalb locker und entspannt ablaufen konnte. Daher hat sich die Herangehensweise und auch der Fokus drastisch geändert.
Diese Entwicklung ist natürlich konsequent durchgezogen, aber sicher keineswegs etwas, was man als Weiterentwicklung bezeichnen kann – eher ein kontrollierter Schritt zurück zur Musik. Wir empfinden dies natürlich als gewaltigen Schritt nach vorn!
Mit „Walking On The Moon“ und „Astronaut“ begebt ihr euch gleich 2x in spacige Gefilde. Hat jemand in der Band da etwa eine Vorliebe für Ausflüge in das Weltall ?
Sicher nicht. Der Text ist schon etwas mehr als nur die vordergründigen Worte. Wenn man die Bedeutung der Figur des Ikarus und auch die Zeile „I don’t want to be back home“ betrachtet, ergeben sich da sicher etwas andere Sichtweisen zu dem Thema.
Wie kam es zu der Idee, auf „Sin(n)“ auch verstärkt akustische Instrumente zu verwenden ?
Akustische „klassische“ Instrumente haben wir schon oft verwendet. Auf „Resistance“ haben wir z.B. auch einen Flamenco in Industrialgewand transformiert. Mit der Reduktion der Auswahl elektronischer Sounds auf ein Minimum, gewannen alle anderen Instrumente in der Gestaltung einfach nur eine höhere Gewichtung. Warum wir uns auf die wenigen Synthesizer-Sound beschränkt haben, habe ich ja bereits weiter oben dargelegt.
Hast du einen persönlichen Lieblingssong auf dem Album ? Wenn ja, welchen und warum ?
Also für mich persönlich ist „Symphony Of Eternity“ der Favorit. Aber wahrscheinlich nur aus dem Grund, weil es der erste Song war, der für das neue Album entstanden ist und damit irgendwie die Kettenreaktion initiiert hat.
Ihr konntet in der Vergangenheit große Erfolg in den USA feiern. Wie kam es dazu dass ihr ausgerechnet auf College- und Internetradios so oft gespielt wurdet ?
Da unser amerikanischer Kollege sehr aktiv in den USA in der Szene unterwegs ist, haben wir viele Verbindungen zu Promotern für alle möglichen Marktsegmente. Die Szene in den USA ist auch ganz anders strukturiert. Dort gibt es kaum Printmedien, auch sind die großen Internetportale allesamt europäischen Ursprunges. Insgesamt ist die Szene sehr klein und familiär, was man spätestens dann merkt, wenn man in den Staaten tourt. Man kann es schon sehr mit der deutschen Szene Anfang der neunziger Jahre vergleichen, bevor hier alles in den kommerziellen Wahn abdriftete und auch viel gemeinsamer Geist verloren gegangen ist. Für mich sind die Besuche in den USA damit immer irgendwie auch eine Zeitreise in die Jugend. Der Grund für das ausgeprägte Airplay ist einfach auch darin zu suchen, dass die Szene sehr offen für neue Musik ist, und nicht so festgefahren und von den großen Firmen dominiert.
Deutsche Texte werden oft auch kritisch bewertet, manche Leute sagen immer wieder die deutsche Sprache sei nur bedingt „salonfähig“. Wie steht ihr dazu und wie wichtig ist es euch, auch deutschsprachige Songs zu schreiben, siehe den Titeltrack „Sin(n)“ und „Traum“.
Ich empfinde die deutsche Sprache als wesentlich ausdruckstärker und kräftiger als das Englische. Das kann natürlich auch daran liegen, dass ich kein „english native speaker“ bin. Aber man muss sagen, dass Deutsch in den letzten Jahren gerade durch Bands wie „Rammstein“ auch international sehr angesagt ist. Insbesondere in den USA kommen deutsche Texte sehr gut an. Das war aber auf keinen Fall der Beweggrund, in Deutsch zu schreiben. Wir haben die Texte immer so ausgewählt, dass sie den Inhalt optimal transportieren konnten. Manchmal war es eben englisch, obwohl ich mir gewünscht hätte, mehr deutsch zu schreiben.
Auf „Sin(n)“ gibt es gleich drei Coverversionen zu hören. Wieso habt ihr gerade diese Songs von INXS, PINK FLOYD und den ROLLING STONES ausgewählt ?
Die Auswahl war sicher nicht einfach. Ursprünglich wollten wir neben einem neuen Album mit eher minimal-elektronischem Charakter ja auch für uns einfach mal ein Cover-Album machen. Als sich dann die Idee mit dem reduzierten Soundpool ergab und ein erster Song bereits daraufhin produziert worden war, wollten wir umschwenken und mussten uns auf einige Songs beschränken. Das hat natürlich einiges an internen Diskussionen gebraucht, bis wir uns auf diese Stücke einigen konnten, da von jedem von uns dreien ja bereits drei Lieblinge, also insgesamt neun Songs, geplant und z.T. auch schon bearbeitet waren.
Ich muss gestehen, dass ich kein großer Fan von Coverversionen bin. Was macht es denn aus der Sicht eines Künstlers für einen Reiz aus, solche Coverversionen einzuspielen ?
Eine gute Frage. Für uns bestand der Reiz eigentlich schon lange, einmal Lieder, die wir persönlich sehr gerne hören so umzusetzen, dass sie dem Film in unserem Kopf entsprachen. Wir haben also versucht, die Stücke so auszuleben, wie wir sie interpretiert haben und dem Hörer das widerzuspiegeln, was wir dabei empfinden. Jeder nimmt sich aus einem Lied und einem Text eine eigene Message, einen Sinn mit, der nicht unbedingt (im Idealfall ganz und gar nicht) mit der Idee des Künstlers übereinstimmt. Oft lässt man ja den Hörer im Unklaren und erzeugt somit eine lebhafte Phantasie. Das ist ja auch sehr schön so – und wir haben unserer Phantasie einfach freien Lauf gelassen, und unseren Film „vertont“. Es ist auf der anderen Seite dann schon auch ein seltsames Gefühl, so berühmte Songs zu bearbeiten. Vor allem auch, sie einzusingen. Wenn man Mick Jagger singt, dann beschleicht einen schon eine leichte Gänsehaut…
Inwieweit verfolgst du die aktuelle Elektro-Szene ? Welche CD aus der Elektro-/Industrial-Szene hast du dir als letztes gekauft – welches Konzert als letztes als Zuschauer besucht?
Die letzte herausragende Scheibe im letzten Jahr war für mich die yelworC „Icolation“. Ganz ohne Zweifel. Wir alle verfolgen die Szenen, in denen wir verwurzelt sind, sehr genau. Siegfried ist hierbei eher in der Rock- und Metal-Szene, aber auch bei Akustik und Mittelaltermusik bekannt. Yluko und ich beobachten eher die Elektronika- und EBM-/Electro-Szene. Das letzte Konzert waren DE/VISION und MICHIGAN.
Labels schließen, die Musikindustrie jammert, neue Vertriebswege über das Internet und das Aussterben der CD werden in letzter Zeit immer häufiger diskutiert. Wie siehst du die Zukunft der Musik-, speziell der Elektroszene?
Das wird in den nächsten Monaten sicher leider Realität werden. Da es dem deutschen Volk zunehmend schlechter geht, und man hinsichtlich der musikalischen Vielfalt in der Szene immer weniger Alternativen angeboten bekommt, ist die Krise noch nicht einmal richtig losgegangen. Problematisch ist vor allem, dass der Marktwert der Musik mittlerweile auf unter dem eines trockenen Brötchens von vorgestern verfallen ist. Leider werden das die Konsumenten (also auch unsere Szene) erst merken, wenn nur noch eine Handvoll Bands übrig sind, die sich durch Kontakte zu großen Bookingagenturen noch mit teuren Konzertengagements über Wasser halten können. Madonna’s neuer Vermarktungsvertrag oder die neue Veröffentlichung von Radiohead sind da nur die Spitze des Eisberges, aber ein deutliches Signal, in welche Richtung wir gehen.
Welchen Stellenwert hat die Band in eurem Leben? Seht ihr Y-LUK-O eher als eine Art „Hobby“ oder als „Fulltime-Job“, der auch noch dem Brötchenerwerb dienen soll?
Wir sind in der glücklichen Lage, unsere Musik keinerlei Marketingstrategie oder Labelpolitik unterordnen zu müssen. Wir sind dahingehen völlig „indiependent“. Wir sind im Jahr 2000 angetreten, um Musik zu machen, wie sie uns gefällt – ohne Kompromisse. Geld zu verdienen war nie unser Ziel, dafür müssten wir andere Musik machen. Und wir haben auch gesagt, dass wir dies solange tun werden, wie wir Spaß dabei haben. Mit „Sin(n)“ hatten wir soviel Spaß und Erfüllung erfahren, wie vorher in der gesamten Bandgeschichte noch nicht. Also kann ich mit Fug und Recht behaupten, dass wir sicher noch weitermachen werden. Für uns ist Y-LUK-O weder „Hobby“ noch „Job“, es ist ein Teil unseres Lebens geworden. Und darauf sind wir schon auch ein bisschen stolz. Denn es hat unser Leben um vieles reicher und schöner gemacht, auch wenn es manchmal schon Nerven, Geduld, Verständnis, Schweiß und Tränen aller Beteiligten gekostet hat!
In der Vergangenheit habt ihr mit Szenegrößen wie KIEW, KIRLIAN CAMERA, FRONT 242 und IN THE NURSERY zusammengearbeitet. Sind weitere spannende Kooperationen in Planung?
Auf „Sin(n)“ haben wir mit Olaf Martin („Die Schinder“) erstmals einen Gastgitarristen dabei gehabt, und auch eine Violinisten. Lucy hat einige backing vocals beigesteuert. Wir sind immer gern bereit und dankbar, Hilfe und Inspiration von außen mitwirken zu lassen. Das macht die Arbeit facettenreicher und spannend. Geplant ist derzeit nichts Konkretes, aber man weiß ja nie. Manchmal ergibt sich eine Zusammenarbeit einfach bei einem Bier oder Wein an einer Hotelbar nach einem Auftritt.
Wie sieht die kurz- und mittelfristige Zukunft von Y-LUK-O aus? Gibt es Pläne für eine Tour? Kann man schon mit neuem Material in absehbarer Zeit rechnen?
Tour in Deutschland ist für uns derzeit eher ein Reizthema. Der Markt in Deutschland ist leider zu sehr kommerzialisiert und von Geld und Einfluss dominiert, als dass wir da für uns eine reale Chance sehen, die Musik so dem Publikum vorzustellen, dass es den Gästen und Musikern Spaß macht. Die Umsetzung der Musik ist einfach schon zu aufwändig, als das wir das zu dritt tun könnten. Für die USA ist das schon eher machbar, aber nicht konkret geplant. An neuem Material werden wir arbeiten, sobald „Sin(n)“ in den Läden ist.
Die letzten Worte gehören dir …
Wir hoffen, dass unsere Musik viel Freude, Nachdenken und vielleicht auch das ein oder andere Schmunzeln hinterlassen wird.
Und zum Abschluß möchte ich eher Bertolt Brecht für uns sprechen lassen, der treffend das sagte, wie wir uns als Band in der Szene sehen:
„Wofür bist Du Dir zu gut?
Wälze Dich im Dreck
Umarme den Schlächter
Aber verändere die Welt – denn sie braucht es!“
Good night, and good luck!