Wolves In The Throne Room
"Den Einfluss der Natur auf unsere Kreativität kann man gar nicht genug betonen."

Interview

WOLVES IN THE THRONE ROOM schaffen es seit ihrem Debüt “Diadem Of 12 Stars” mit beeindruckender Regelmäßigkeit, von der Kritik und den Fans gefeierte Alben zu veröffentlichen, deren traditionsverbundener musikalischer Ansatz perfekt mit der umwelt- und naturbewussten Intention harmoniert. Ihr neues Werk “Primordial Arcana” – abermals ein Treffer mitten ins Schwarze – zählt gar zu den bisherigen Highlights im Schaffen der Wölfe aus dem Bundesstaat Washington.

 

Grund genug, uns einen zu Recht entspannten, hörbar zufriedenen und sehr höflichen Aaron Weaver (Drums, Gitarre, Keyboards, Gesang), der neben seinem Bruder Nathan und dem Gitarristen Kody Keyworth ein Drittel der Band ausmacht, zu schnappen und über “Primordial Arcana” und WOLVES IN THE THRONE ROOM zu sprechen.

Mit WOLVES IN THE THRONE ROOM über Magie und “Primordial Arcana” …

Zunächst mal herzlichen Glückwunsch zum neuen Album “Primordial Arcana”, welches meiner Meinung nach ein sehr starkes neues Album ist. Wie fühlst du dich damit?

Also, ich bin gerade natürlich sehr glücklich und stolz. Für mich fühlt es sich sehr frisch an. Die Band hat eine neue Ära eingeleitet. Das Album ist voller Aufregung, Vitalität und Energie und wir sind voll inspiriert, weitere Musik zu erschaffen.

Ja, so ähnlich wollte ich es auch gerade einschätzen. Es ist irgendwie faszinierend, “Primordial Arcana” klingt sehr frisch, aber auch zu einhundert Prozent so, wie WOLVES IN THE THRONE ROOM klingen und klingen sollten. Wie habt ihr das erreicht? Was habt ihr dieses Mal vielleicht etwas anders gemacht als bisher?

Es war von vorn bis hinten eigentlich ein komplett neuer Prozess. Wie du vielleicht weißt, ist “Primordial Arcana” das erste Album, das wir vollständig im “Owl Lodge” aufnahmen, das Studio, das wir uns in Olympia gebaut haben. Außerdem haben wir zum ersten Mal ohne außenstehende Produzenten oder Tontechniker aufgenommen. Also ist alles auf dem Album genau so, wie wir drei es uns vorgestellt haben. Aus diesem Grund hat das Album einen einzigartigen Sound. Dieser Sound, denke ich, besteht aus dem, was unsere Herzen und Köpfe nun auf sehr klare Art und Weise ausdrücken können.

Du hast es gerade angesprochen: Alles entspricht dem, wie ihr es als Trio wolltet. Ist euer Gitarrist Kody Keyworth (der seit 2017 dabei ist, aber bereits seit 2010 bei Live-Konzerten unterstützt – Anm. d. Red.) nun vollständig ebenbürtig zu dir und Nathan, wenn es um das Songwriting, die Produktion und so weiter geht?

Ja, definitiv. Das ist eine weitere größere Veränderung auf diesem Album. Es ist das erste, bei dem Kody vollständig mit von der Partie und von Anfang an involviert war. Er ist tatsächlich ein gleichwertiger Bruder für uns in WOLVES IN THE THRONE ROOM. Seine Stimme hat genau so viel Gewicht, wie die von Nathan oder mir.

Das ist für uns sehr wichtig, denn viele Jahre lang waren Nathan und ich die einzigen Entscheidungsträger bei WOLVES IN THE THRONE ROOM. Es war Zeit, sich zu entwickeln und zu expandieren. Wenn du nur zwei Punkte hast, entsteht lediglich eine Linie. Aber mit Kody ist es jetzt ein Dreieck und zwischen uns dreien gibt es Raum. In diesem Raum kann sich Magie und wunderschöne Musik entfalten.

Magie: Nathan, Aaron & Kody

Das klingt in der Tat sehr schön. Kannst du beschreiben, was Kody musikalisch zu WOLVES IN THE THRONE ROOM mitbringt, was ihr anderen beiden von allein vielleicht nicht machen würdet?

Äh … gute Frage. Also seine vorigen Bands waren alle … die Band, bei der er vor WOLVES IN THE THRONE ROOM war, hieß ALDEBARAN. Das ist eine extrem langsame, Cosmic-Funeral-Doom-Band, sehr heavy. Und ich denke manchmal, seine Stärke liegt wirklich in den langsameren Riffs. Er bringt aber auch einen starken Death-Metal-Einfluss in die Band. Wir alle stehen auf Death Metal, seitdem wir Kids sind. Bei Kody scheint das aber im Riffing deutlicher durch.

Viel wichtiger ist aber meines Erachtens nach nicht, was er an Neuem in die Band trägt, sondern, was durch ihn beständig bleibt. Wir funken einfach auf einer Wellenlänge, wir drei haben die gleiche spirituelle Vision für die Band, die gleiche Vorstellung, wie die Musik klingen soll. Daher macht er das Songwriting auch gleich viel harmonischer und kollegialer.


Wir Fans und Pressemenschen lieben es ja, Dinge miteinander zu vergleichen. Müsste ich “Primordial Arcana” mit seinem Vorgänger “Thrice Woven” vergleichen, würde ich sagen, dass das neue Album einen viel größeren Fokus auf starke Melodien und Strukturen legt.
Die meisten Melodien sind einprägsam, geradezu “catchy”, aber sie vermeiden es gekonnt, trivial zu sein. Verstehst du, was ich meine?

Absolut. Ich nenne sie einfach “Hooks”. Wir lieben einfach große Melodien und Hooks. Weißt du, gestern habe ich mir vom Studio einen Tag frei genommen, um mit meiner Familie einen Ausflug zu machen. Wir fuhren Richtung der Strände bei Aberdeen (Washington). Während wir da so durchfuhren, haben wir ein paar Alben von NIRVANA angehört. Dabei habe ich gemerkt, wie wichtig sie für mich als jungen, musikbegeisterten Menschen waren – genau wegen ihres Gespürs für Melodien und Hooks, die, wie du sagtest, einprägsam, aber nicht trivial sind.

Es ist Magie, wenn eine starke Melodie den Song aufwertet und sich mit deinen Empfindungen, deinem Herzen verbinden kann, im Gegensatz zu den ganzen Candy-Pop-Melodien da draußen.

Ich finde “Primordial Arcana” auch etwas dunkler, etwas melancholischer als zuvor.

Wirklich? Hm … ich denke, es ist ein bisschen einsamer. Es fühlt sich isolierter an. Dieses Album wurde besonders von hohen Bergspitzen beeinflusst, Orten von immenser Einsamkeit. Orte, an dem uns unsere Bedeutungslosigkeit um Spiel mit den Naturkräften und den Gesetzen des Kosmos bewusst wird. Das ist aber natürlich ein Gefühl, das mit vielen anderen verwoben sein kann: Melancholie, Herzschmerz, aber auch Hochgefühle haben dort Platz.

„Man kann eigentlich nicht genug betonen, wie wichtig die Natur für unsere Kreativität ist.“

Ihr macht das also buchstäblich so: raus in den Wald oder die Natur gehen und sich dort bewusst inspirieren lassen oder gleich Musik schreiben?

Absolut. Man kann eigentlich nicht genug betonen, wie wichtig die Natur für unsere Kreativität ist. Offensichtlich waren wir viel im Gebirge wandern und klettern, aber unser neues Studio liegt auch direkt an einem riesigen Wald. Es ist etwas besonderes, weil es eigentlich ein etwa tausend Morgen großes Naturschutzgebiet ist, das vor etwa 120 Jahren, als die ersten weißen Siedler hierherkamen, abgeholzt wurde. Seitdem konnte der Wald aber auf natürliche Weise zurückwachsen. Seit fünf Jahren oder so ist es offiziell ein junger, aber gereifter “Cascadian Rainforest”. Dort im Wald gibt es all die Tiere und Pflanzen, die das Totem dieser Region darstellen und frische, unberührte Wasserquellen. Wir sind also sehr mit dieser majestätischen und eindrucksvollen Landschaft verbunden und sie wird sich immer in unserer Musik wiederfinden.

(Es ist übrigens bemerkenswert, dass sich Aaron noch ein gutes Stück hingebungsvoller und enthusiastischer anhört, wenn er über die Natur spricht, als wenn es “nur” um seine Musik geht. – Anm. d. Red.)

Gibt es andere Dinge, die ihr für ein ideales kreatives Setting braucht? Eine bestimmte Atmosphäre oder bestimmte Dinge mit denen ihr euch umgeben müsst, während ihr Musik schreibt oder aufnehmt?

Ja, solche Dinge gibt es. Unser gesamtes Studio ist in gewisser Weise ein Tempel, weil es kein Studio ist, in das andere Leute einfach so kommen. Es ist nur für unsere eigene Arbeit und vielleicht einige wenige ganz enge Freunde. Es ist voller Dinge, die für uns speziell oder irgendwie magisch sind.

Tatsächlich sind der Altar mit dem Wolfsschädel und all die anderen Sachen, die du auf dem Cover von “Primordial Arcana” siehst, Dinge, die zum Inventar unseres Studios gehören. Wir wollten damit das Albumcover ein bisschen wie unser Studio aussehen lassen, weil es die Quelle unserer Musik ist, weil unsere gesamte persönliche Arbeit dort stattfindet.

Sehr gut, ich wollte sowieso über das Cover sprechen. Es ist wunderschön. Es ist eine Art Stillleben und sieht dadurch ganz anders aus als die meisten eurer bisherigen Artworks. Abgesehen davon wird man es im Plattenladen sofort erkennen und das ist natürlich auch eine coole Sache.

Das war eine Kollaboration. Wir wussten, wir wollten eine Art Stillleben haben, das an die Alten Meister aus den Niederlanden oder ältere, mittelalterliche Arbeiten erinnert. Wir haben also all diese Dinge gesammelt, aus unserem Studio, aber auch aus unseren eigenen Besitztümern, aus den Hinterlassenschaften unserer Vorfahren, aus dem Wald und der Umgebung. Wir haben mit dem Fotografen Amjad Faur zusammengearbeitet, der Metalhead ist, ein Fand der Band und Freund von uns.

Es war eine tolle Zusammenarbeit. Wir haben einen Tag bei ihm im Studio verbracht, alle Gegenstände arrangiert, aber es ab einem gewissen Punkt auch ihm überlassen. Denn er beherrscht die Fotografie von Stillleben meisterhaft. Also war die Idee unsere, die Ausführung lag bei Faur.

Wie müssen wir uns den kreativen Prozess, aus dem ein Song von WOLVES IN THE THRONE ROOM geboren wird, vorstellen?

Eigentlich beginnt alles immer mit einem Gitarrenriff. Sehr selten bilden Synthesizer-Motive, Schlagzeugparts oder Gesangslinien das Fundament eines Songs. Fast immer geschieht es aus der wochen- oder monatelangen Auseinandersetzung mit der Gitarre und dem Ausarbeiten von Melodien, Riffs und Harmonien.

Wenn wir erst eine größere Sammlung von Ideen und Konzepten haben, beginnen wir, die Songs zusammenzustellen. Das ist pure Akribie. Denn für uns sind die Arrangements sehr wichtig. Wir wollen, dass sich die Songs gleichermaßen unendlich, so dass man sich darin verlieren kann, als auch kurzweilig anhören. Wenn es sich anfühlt, als würde die Zeit in unmöglicher Weise gedehnt oder gerafft werden, wissen wir, dass ein Song fertig ist.

Habt ihr in den gesamten vier Jahren seit dem Release von “Thrice Woven” Riffs und Ideen gesammelt oder erst in jüngerer Zeit mit dem Songwriting begonnen?

Wir mussten komplett bei Null beginnen. Eigentlich gibt es immer eine ganze Menge Material vom jeweils vergangenen Album, das übrig bleibt, was normalerweise daran liegt, dass das Zeug einfach nicht gut genug ist, um auf einem Album zu landen, um ehrlich zu sein.

Für mich ist es wichtig, dass die Musik aus den Umständen entsteht, die meinem momentanen Leben entsprechen – wo bin ich gerade in meinem Leben, wie fühle ich mich und so weiter. Deswegen nehmen wir uns – normalerweise im Winter – immer zwei bis drei Monate extra frei, nur um Riffs zu schreiben. Wir nennen das unser “Erz”. Weißt du, das rohe Erz, das aus den Minen kommt. Der Prozess des Schmiedens und Veredelns kommt dann später.

Freaks Of Nature: WOLVES IN THE THRONE ROOM.

In der Metalwelt ist es fast zum Klischee geworden, über WOLVES IN THE THRONE ROOM als die “autarke Hippie-Gang aus dem Wald” zu sprechen. Da wir alle spirituelle Menschen sind und Black Metal allgemein spirituelle Musik ist, habe ich mich gefragt, bis zu welchem Grade der Begriff Pantheismus deine bzw. Eure Einstellung reflektiert.

Keine Ahnung, eigentlich sind Schubladen und Etiketten in meinem Leben nicht so wichtig. Aber eine pantheistische Sichtweise ist sehr nah dran an dem, wie ich die Welt wahrnehme. Vor allem nun, da ich älter werde und einige der eigenen kulturellen und gesellschaftlichen Prägungen und pathologische Ego-Strukturen dekonstruieren kann. Für mich ist es so, dass ich mich inzwischen auf einer sehr tiefen Ebene mit den Geistern der Erde verbunden fühle.

Und ich meine das sehr konkret. Ich fühle, dass ein bestimmter Baum einen eigenen Geist hat. Eine eigene Seele, eine Persönlichkeit, eine eigene Sprache, eine bestimmte Resonanz. Eine Pflanze kann eine energetische Signatur haben, die mit meinem Körper interagiert, ihn unterstützt. Es ist ziemlich wundervoll, die Möglichkeit zu haben, diese Art von Beziehungen zur Umwelt zu entwickeln. Zu den Pflanzen und Tieren, aber ich würde auch sagen, zu den Steinen, der puren Erde selbst.

Gut, was hast du in den letzten Monaten so gern gelesen?

Mal sehen … um ehrlich zu sein, lese ich inzwischen gar nicht so viele Bücher mehr. Als ich wesentlich jünger war, so im Alter von 7 oder 8, habe ich unersättlich gelesen. Ich war nie ohne Buch unterwegs, meist über Geschichte oder Mythologie oder vielleicht etwas wie “Der Herr der Ringe”. Aber ungefähr im Jahr 2012 habe ich aufgehört zu lesen. Mein Geist hat sich überentwickelt angefühlt, sodass ich mich mehr auf meinen Körper und mein Herz fokussieren wollte. Deswegen habe ich erst kürzlich wieder angefangen zu lesen, meist Lyrik.

Gestern Abend habe ich ein Buch des Westküsten-Dichters und Philosophen Gary Snyder gelesen. Kennst du ihn?

Leider nicht.

Oh Gott! Er ist vielleicht mein größter philosophischer Einfluss. Er ist fantastisch. Er spricht mit der Stimme der Berge in Kalifornien mit solch einer Autorität und Präzision, dass es sehr aufschlussreich für den Geist und das Bewusstsein ist. Er ist ein Magier und ein Meister, er ist ein Mann der Wildnis der mit der Stimme der Wildnis spricht. Also wirklich Lese-Fans: Ihr solltet Gary Snyder auschecken!

Okay, das werde ich nachholen.

Genau, das Buch von dem ich sprach, heißt “Practice Of The Wild”.

Dankeschön für den Tipp. Meine letzte Frage wäre dann, was eure unmittelbaren Zukunftspläne mit WOLVES IN THE THRONE ROOM sind.

Naja, Corona macht die Dinge natürlich erheblich schwieriger. Wir würden sehr gern in Europa auf Tour gehen, aber ich fürchte, wir müssen das noch ein bisschen hinauszögern. Also sind wir gerade darauf konzentriert, das Album am 20. August zu veröffentlichen.

Wir werden im Winter dann zurück ins Studio gehen und eine EP aufnehmen. Also werden wir im Sommer 2022 dann wirklich nach Europa zurückkommen und gleich brandneues Material im Gepäck haben.

Vielen Dank für das angenehme Gespräch, Aaron und ich wünsche dir noch einen schönen Tag.

Danke Johannes, dir auch einen schönen Abend.

Quelle: Aaron Weaver via Zoom
13.08.2021

Redakteur | Koordination Themenplanung & Interviews

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