Within Temptation
Interview mit Sharon den Adel zum aktuellen Album "Hydra"
Interview
Wirklich einladend wirkt die triste Umkleidekabine, in der ich mich mit Sängerin Sharon den Adel einige Stunden vor dem WITHIN-TEMPTATION-Konzert in der Ludwigsburger „MHP Arena“ zum Interview treffe, wirklich nicht, wofür sich die sympathische Holländerin auch gleich zu Beginn bei mir entschuldigt: „Hier in der Halle ist es nirgendwo wirklich hübsch, deswegen müssen wir leider hiermit vorlieb nehmen.“
Halb so wild, schließlich kommt es doch vor allem auf die angenehme Gesellschaft an. Und in dieser Hinsicht erweist sich Sharon einmal mehr als eine der freundlichsten, unverkrampftesten und bodenständigsten Personen, die man sich nur vorstellen kann. Von Starallüren keine Spur, und das obwohl WITHIN TEMPTATION mit „Hydra“ einmal mehr ein tolles Album abgeliefert haben, das über die Grenzen der Metal-Szene hinaus für Aufmerksamkeit sorgt und die beeindruckende Erfolgsgeschichte der Band fortschreibt.
„Robert passt einfach nicht in die Kleider“
Seit unserem letzten Gespräch anlässlich der Veröffentlichung von „The Unforgiving“ im Jahr 2011 hat sich einiges in der Band getan. Sharons Ehemann und Bandgründer/Hauptsongschreiber Robert Westerholt kümmert sich inzwischen von zuhause aus um alle wichtigen Band-Belange, sowie die gemeinsamen Kinder. „Er macht noch immer alles das, was er früher schon übernommen hat, außer mit uns auf der Bühne zu stehen. Er ist ein Teil der Band, plant die Bühnenshows und kümmert sich um das Management.“ Obwohl er die Band drei Tage später bei ihrem Wembley-Gig besucht, ist ein Gastauftritt nicht geplant. „Robert sieht, dass wir ohne ihn klarkommen und genießt es, sich die Show einfach nur anzuschauen.“
Zur Gänze muss Herr Westerholt auf gemeinsame Auftritte mit seinen Bandkollegen jedoch nicht verzichten: „Ruud (Jolie, WITHIN-TEMPTATION-Gitarrist – Anm. d. Red.) hat ziemliche Probleme mit seinem Rücken, manchmal kann er nicht einmal richtig aufstehen. Es ist nun schon mehrmals passiert, dass Robert dann schnell zu uns geflogen ist, um für ihn einzuspringen. Für Ruud ist es zwar natürlich nicht so toll, wenn das passiert, aber wir sind trotzdem froh, dass Robert immer als Ersatzmann einspringen kann, der die Songs bereits kennt.“
Zwar ist es für Sharon manchmal schwierig, auf Tour vom Ehepartner und den eigenen Kindern getrennt zu sein, „aber auch Männer, die Kinder haben, müssen auf Tour mit derselben Situation klarkommen. Das Geschlecht spielt dabei heutzutage keine wirkliche Rolle mehr, man muss einfach Entscheidungen treffen, um die richtige Balance für sich selbst zu finden. Für uns bedeutet das, dass wir nicht mehr sechs Wochen am Stück auf Tour gehen, sondern zwischendurch immer genügend Pausen einplanen.“
Angesichts der gesellschaftlich noch immer vorherrschenden Diskriminierung von Frauen (Stichwort: gleicher Lohn für gleiche Arbeit) kann der Weg, für den Sharon und Robert sich entschieden haben, dennoch als außergewöhnliches Beispiel einer alternativen Familienplanung gesehen werden. „Ich denke, das sagt mehr über Robert aus als über mich. Dass er derjenige ist, der zuhause bleibt und sich neben der vielen Arbeit für die Band auch noch um die Kinder kümmert, zeigt, dass er sehr modern denkt und auch über eine starke Persönlichkeit verfügt.“ Dabei liegt der wahre Grund für die Arbeitsteilung im Hause WITHIN TEMPTATION natürlich auf der Hand, wie die emanzipierte Frontlady mit einem augenzwinkernden Verweis auf ihre opulenten Bühnenoutfits hinzufügt: „Wir hatten gar keine andere Wahl – Robert passt einfach nicht in die Kleider!“
„Jeder mag harte Gitarrenriffs und coole Soli“
So langsam wird es nun aber Zeit, dass wir auf das neue Album zu sprechen kommen. „Hydra“ hat zum Zeitpunkt des Interviews bereits einige Wochen auf dem Buckel, dennoch ist die Sängerin nach wie vor äußerst zufrieden mit der Scheibe: „Ich mag das Album genau so wie es ist. Einige der Songs funktionieren live sogar noch besser, wie zum Beispiel ‚Dangerous‘, das komplett durch die Decke geht. Als wir das Video dazu im Internet veröffentlicht haben, waren die Reaktionen nicht ganz so euphorisch. ‚Silver Moonlight‘ mögen wir hingegen auf dem Album total, aber live kommt es nicht so gut an. Viele Leute mögen es zwar irgendwie, aber irgendwie hat es nicht dieselbe Energie wie ‚Iron‘, so dass wir das Lied nun damit ersetzt haben.“
Ebenfalls nicht unproblematisch gestaltet sich die Umsetzung des grandiosen „Whole World Is Watching“, das WITHIN TEMPTATION an diesem Abend zum ersten Mal live auf einer deutschen Bühne spielen. Auf Dave Pirner (SOUL ASYLUM) oder Piotr Rogucki (COMA), die als Gastsänger an den beiden Versionen des Songs beteiligt waren, muss aber leider verzichtet werden. „Deshalb spielen wir das Lied in einer Akustik-Version. Als Schlussstück des Albums funktioniert es hervorragend, weil es darum geht, auf das Leben als Ganzes zurückzublicken. Ich mag den Song sehr, insbesondere weil Dave und Piotr da eine fantastische Leistung abgeliefert haben.“
Mit dem stilistischen Wechsel, den „The Unforgiving“ mit sich brachte, fühlen sich WITHIN TEMPTATION sichtlich wohl, so dass „Hydra“ die logische Fortsetzung dieses neuen Kurses markiert. „Es entspricht einfach dem, wo wir heute als Band stehen. Wir wollten etwas schnellere Songs haben, die voller Energie stecken. Dadurch wurde alles automatisch auch härter und wir lieben das total. Wir gehen zurück zu unseren Wurzeln und sind dabei so heavy geworden wie seit dem ersten Album nicht mehr, als wir uns noch eher im Doom-Metal bewegten. Der Gitarren-Sound war damals extrem heavy und ist es auch jetzt wieder geworden. Dafür haben wir die Orchester-Elemente ein wenig reduziert.“
Herrschte auf „The Unforgiving“ noch eine reichlich düstere Atmosphäre, so kann man „Hydra“ im besten Sinne als „poppig“ bezeichnen, ohne dies – wie sonst in Metaller-Kreisen üblich – als Beleidigung verstanden zu wissen. „Ich würde nicht ‚poppig‘ sagen, aber das Album ist auf alle Fälle sehr eingängig. Und trotzdem ist es auch extrem heavy, was in meinen Augen die beste Kombination ist. Jeder mag doch harte Gitarrenriffs und coole Soli, so lange das Ganze nicht zu technisch wirkt. Ich denke, hier haben wir die perfekte Balance gefunden. Das Songwriting zu ‚Hydra‘ fiel uns auch so leicht wie bei keinem Album zuvor. Wir haben es innerhalb eines halben Jahres geschrieben und aufgenommen, einfach einen Song nach dem anderen.“
„Zeitgleich mit dem neuen Album haben wir auch unser Cover-Album („The Q-Music Sessions“ – Anm. d. Red.) gemacht. Manche Leute hassen das Cover-Album ja regelrecht, was ich überhaupt nicht verstehen kann. Wir haben versucht, diese Pop- und Dance-Songs heavier zu machen, wie es ALIEN ANT FARM mit ‚Smooth Crimincal‘ von MICHAEL JACKSON gemacht haben. Damit so etwas funktioniert, muss der Song selbst natürlich schon gut sein und ich denke, wir haben ein paar richtig gute Songs gefunden, die wir in der Original-Version schon toll fanden. Wir hatten keine Angst davor, einen Song von ADELE oder ENRIQUE IGLESIAS zu nehmen, sofern wir eine Idee hatten, wie wir eine starke Metal-Version daraus machen konnten.“
„Die einzigen Frauen, die er kannte, waren Nutten“
Natürlich kann man sich nicht über „Hydra“ unterhalten, ohne dabei auf die daran beteiligten Gastsänger zu sprechen zu kommen. Insbesondere die Zusammenarbeit mit dem Rapper XZIBIT dürfte dabei viele überrascht haben. „Wir hatten von Anfang an das Gefühl, dass das klappen könnte. Es gibt Parallelen zwischen unserer und der Rap-Musik: die Heavyness, das Rohe und dass es sich – wie bei der Metal-Szene – um eine Außenseiter-Szene handelt. Es gibt viele amerikanische Künstler, die wie AEROSMITH bei ihrer Zusammenarbeit mit RUN DMC einen solchen Crossover gewagt haben, aber in Europa gibt es das überhaupt nicht.“ Die Kombination des theatralischen WITHIN-TEMPTATION-Bombast-Sounds mit einem bekannten Rapper schafft somit tatsächlich etwas, was man beiderseits des großen Teichs so noch nicht gehört hat. „XZIBIT hat bei seinen eigenen Liedern bereits Erfahrungen mit Gitarren und Orchester gesammelt, so dass wir glaubten, er wäre unserer Musik gegenüber aufgeschlossen. Und er liebte es – obwohl er uns natürlich erst einmal googeln musste.“
Den Text seines Rap-Parts hat XZIBIT selbst geschrieben und dabei den Ton des Songs perfekt getroffen, was Sharon regelrecht ins Schwärmen bringt. „Er ist ein ziemlich schlauer Kerl und auch eine echte Inspiration. Er veröffentlicht demnächst ein Buch, in dem er seine Geschichte erzählt. Mit neun Jahren hat er seine Mutter verloren und als er dann mit vierzehn Drogendealer werden wollte, hat ihn sein Vater zuhause rausgeworfen und ihm gesagt, er solle niemals wieder zurückkommen. Daraufhin lebte er lange auf der Straße, bis er eines Tages entschied, dass er dieses Leben nicht mehr länger führen wollte, weil er sonst entweder tot oder als Junkie enden würde. Er ist dann nach Los Angeles gegangen, wo er bei den Eltern eines Freundes wohnen konnte, die ihm unter der Bedingung halfen, dass er sich einen Job suchen und von Drogen fernhalten würde.“
„In seinem Buch geht es nicht darum, wie er reich und berühmt geworden ist, sondern davon, wie sich seine Beziehung zu Frauen im Laufe seines Lebens entwickelt hat. Nachdem er seine Mutter verloren hatte, waren die einzigen Frauen, die er kannte, Nutten. Zu Zeiten von „Pimp My Ride“ (XZIBIT war Moderator der MTV-Auto-Tuning-Show – Anm. d. Red.) mochten ihn die Leute, weil er reich und berühmt war. Aber erst jetzt, mit fast vierzig Jahren, hat er die Frau seiner Träume gefunden und sich entschlossen, sie zu heiraten. Dieser ganze Prozess, wie er Frauen sieht und welchen Einfluss das auf sein Leben hat, könnte auch ein gutes Beispiel für andere Rapper sein, die ständig über nackte Schlampen und solchen Blödsinn singen. XZIBIT vertritt da eine andere Sichtweise und mir gefällt, dass er in seinem Buch eine weichere, verletztliche Seite zeigt.“
„Eine Band ist immer nur so gut wie ihr letztes Album“
Ihre Musik ansprechend in Szene zu setzen, zeichnet WITHIN TEMPTATION schon lange aus. So ist „Hydra“ auch in einer äußerst schicken Digibook-Version mit einem insgesamt 100 Seiten umfassenden Booklet (!) erschienen, das viele stilvolle Schwarzweiß-Fotos der Band präsentiert. „Ich denke, CDs zu verkaufen ist noch immer unser tägliches Brot und eine wichtige Einnahmequelle für die Band. All diese Dinge schaffen hoffentlich einen Kaufanreiz für unsere Fans, die zu schätzen wissen, wieviel Mühe wir uns mit unseren Alben geben. Vor allem die älteren Fans schätzen es sehr, sich eine schön gestaltete Platte ins Regal stellen zu können. Die Kids werden es sich wohl ohnehin runterladen und wir können den Fortschritt nicht aufhalten, das wissen wir auch. Ich denke, in ein paar Jahren wird ‚Spotify‘ alles übernommen haben und es wird keine physischen Tonträger mehr geben. Aber so lange es noch geht, werden wir daran festhalten und wenn jemand unsere Alben kauft, sollte er dafür auch belohnt werden.“
Während sie tapfer die Fahne der physischen Tonträger hochhalten, nutzen WITHIN TEMPTATION zugleich gekonnt moderne Marketing-Möglichkeiten und sind gerade in sozialen Netzwerken so präsent wie kaum eine andere Metalband. „Wir versuchen uns mit jungen Leuten zu umgeben, die da stets up-to-date sind, aber ich bin auch selbst ein großer Fan von Twitter und anderen Social-Media-Plattformen. Aber es gibt auch eine Grenze, man muss sehr genau aufpassen, was man auf welche Weise nutzt. Wir experimentieren da auch noch viel herum, weil sich das alles so schnell verändert und immer wieder neue Dinge entstehen. Jetzt gibt es Instagram, das gerade Twitter überholt und wir überlegen, ob wir das auch nutzen wollen. Gerade junge Bands, die damit aufgewachsen sind, nutzen die sozialen Netzwerke ziemlich stark und auch wir versuchen, allem neuen gegenüber aufgeschlossen zu bleiben.“
Für den kommerziellen Erfolg einer Band bedarf es jedoch mehr als nur einer gut gepflegten Präsenz in den einschlägigen sozialen Netzwerken. „Eine Band ist immer nur so gut wie ihr letztes Album. Wenn das letzte Album Schrott ist, kann die Social-Media-Präsenz noch so gut sein, man wird dennoch keine Platten verkaufen und niemand wird zu den Konzerten kommen. Es ist wirklich wichtig, das richtige Gleichgewicht zu finden und ein Album zu schreiben, dass die Leute mögen.“ Dabei verlassen sich WITHIN TEMPTATION – wie die meisten Bands – auf ihr eigenes Gespür. „Wenn wir es mögen, dann wird es wahrscheinlich auch einer Menge anderer Leute gefallen. Wir mögen die unterschiedlichsten Arten von Musik, wir mögen Rap, wir mögen Popmusik, wir mögen Dance – aber im Kern sind wir wirklich eine Metalband, da kommen wir her. Wir flirten nur gerne mit verschiedenen Einflüssen und das hält unseren Sound frisch, denke ich.“
Zum Abschluss gibt uns Sharon noch einen kurzen Ausblick auf die Zukunft von WITHIN TEMPTATION: „Wir haben noch immer große Pläne, obwohl wir schon so lange im Geschäft sind. Wir hoffen, dass wir zukünftig die ‚Black Symphony‘ auch nach Deutschland bringen und dabei möglichst viele Gastmusiker mitnehmen können, die mit uns die Bühne rocken – das wäre ein echter Traum! Hoffentlich kommen möglichst viele Fans zu unseren Festival-Shows, beispielsweise beim ‚M’era Luna‘. Hoffentlich spielen wir noch viele weitere Festival-Shows hier und hoffentlich kommen auch viele deutsche Fans zu unseren ‚Theaters on Fire‘-Shows in Holland im nächsten Jahr.“