Winterfylleth
Dungeon Synth, Isolation, Geschichte

Interview

 

WINTERFYLLETH sind  zwei Jahre nach dem Akustikalbum  „The Hallowing of Heirdom“  (das in diesem Gespräch zwischenzeitlich scheinbar vollkommen vom Interviewer vergessen wurde) mit „The Reckoning of Dawn“ wieder zurück beim Black Metal angelangt. Frontmann Chris Noughton sprach mit uns über Dungeon Synth, wie das Album indirekt mit Corona zusammen hängt, perfekte  Morgengrauen für Fotos und die Wichtigkeit von Kultur und Historie für ihn.

metal.de: Normalerweise habt ihr ja einen Albenzyklus von zwei Jahren, zu eurem letzten Album sind es nun vier Jahre, wart ihr beschäftigt in der Zwischenzeit?

Chris: Halt, das stimmt gar nicht (lacht). Wir haben 2018 ein Akustikalbum („The Hallowing of Heirdom“, auf metal.de bislang nicht besprochen – Anm. d. Red.) heraus gebracht, vielleicht habt ihr das nicht mit bekommen…

metal.de: Ahh, doch, so langsam klingelt’s bei mir…

Chris: Es sind vier Jahre seit wir ein Metalalbum herausgebracht haben. Wir haben an dem neuen Album gearbeitet seitdem unser Akustikalbum herauskam. Es kommt diesen Freitag heraus. Ich bin happy, ein neues „Metalalbum“ heraus zu bringen und bin gespannt was die Fans dazu zu sagen haben. Ich hoffe sie mögen es.

metal.de: Davon gehe ich aus. War es für euch eine wohlverdiente Pause, euch mehr der Akustiklandschaft zu widmen?

Chris: Ich glaube nicht, dass es etwas mit einer „Pause“ zu tun hatte. Vor dem Akustikalbum hatten wir fünf Metalalben draussen. Wir wollten ein wenig neues musikalisches Terrain ausprobieren und wir haben bereits vorher immer akustische Musik mit auf unseren vorigen Alben gehabt. Für mich machte es einfach Sinn, bei einer Black-Metal-Band wie WINTERFYLLETH auch mal ein vollwertiges akustisches Album aufzunehmen. Einige unserer Lieblingsbands wie ULVER oder DRUDKH haben das getan und ich dachte es wäre an der Zeit, dasselbe auch für uns zu versuchen.

Ich hoffe wir haben uns gut geschlagen. Die Aufgabe der wir uns gestellt haben war, akustisch dieselben Emotionen wie auf unseren Metalalben beim Hörer auszulösen, nur mit verschiedenen Instrumenten und anderem Songwritinganspruch. Ich hoffe wir haben das einigermaßen hinbekommen, verstehe aber auch, wenn manche Fans nicht ganz nachvollziehen konnten, warum wir so etwas getan haben oder wieso es nun ein Akustikalbum brauchte. Als ein Künstler musst du Dinge ausprobieren, die du für interessant und gut hältst und ich fand es sehr interessant.

metal.de: Ich finde es nur interessant, da akustische Songs, gerade im Black Metal, ja keine Seltenheit sind: ob in Form von Bonustracks, Splits oder ähnlichem, aber ganze Alben wie bei euch sind da schon seltener… . Würde dich so etwas in Zukunft noch einmal reizen? Vielleicht auch in einer komplett anderen musikalischen Richtung? Eine Menge Black-Metal-Bands haben ja etwa dann später im Dungeon Synth gewildert oder Ambient. Könntest du dir auch so etwas vorstellen?

Chris: Gute Frage. Ich glaube, wir mögen einfach die akustische Musik, es portraitiert einfach eine andere Seite an der Band und hat uns ebenfalls erlaubt, mit anderen Künstlern, auf anderen Festivals zu spielen, die normalerweise nicht unsere Zielgruppe sind. Man würde ja wahrscheinlich eher keine Black-Metal-Show in einer Kirche oder einem Theater erwarten, wo wir ja unter anderem unser Akustikalbum präsentiert haben. Die meisten Metalshows finden halt in den normalen Clubs statt. Ich denke mit dem Akustikalbum konnten wir an Orte, auch auf der Tour, zu denen wir vorher keinen Zugang hatten. Wenn ich ein derartiges Projekt wieder tun würde, dann eher als EP.

Ich denke aber, es ist eher sekundär zu unserer Seite als WINTERFYLLETH, denn essentiell sind wir immer noch eine Metalband und das sollten wir nicht vergessen. Es ist auch lustig, dass du Ambient erwähnst. Dan (Capp), der die zweite Gitarre spielt und Mark (Deeks), der Keyboard spielt , mögen beide wirklich gern Dungeon Synth und Ambient, diese ganze Schiene. Ich glaube ihre Lieblingskünstler waren sogar ein paar deutsche Vertreter, MURGRIND (Devilforce Records), ARATH und GRIMRIK. Wir haben sogar eine Ambientversion eines unserer Songs aufgenommen, der nun als Bonustrack auf dem neuen Album drauf sein wird. Wir alle mögen das Synth-Zeug was andere Bands aufgenommen haben, auch wenn wir als Band wahrscheinlich nicht diese Route je beschreiten werden. Aber wir dachten uns es wäre eine nette Idee für unser neues Album.

metal.de: Ja, ich kann mir vorstellen, dass das gut bei den Fans ankommen wird. Ich selber bin kein großer Dungeon-Synth-Fan und kenne mich in der Szene auch nicht sonderlich aus, aber in unserer Redaktion gibt es so einige, die da möglicherweise begeistert sind, da bin ich mir sicher. Kommen wir zurück zu „The Reckoning Dawn“. Das erste was ich mich gefragt habe beim Titel: an wen oder was ist die „Reckoning Dawn“ gerichtet?

Chris: Hm, gute Frage… es sind ja nur drei Wörter, aber der dahinter steckende Gedanke geht tiefer. Du hast ja wahrscheinlich auch mitbekommen, was gerade so abgeht, ich mein ich bin hier in England, du in Deutschland, aber die Situation ist in allen Ländern gerade so ziemlich gleich. Auch gibt es momentan eine grosse Spaltung zwischen vielen Menschen, es gibt viele verschiedene Gruppen, die fast „im Krieg miteinander“ sind, Krieg zwischen verschiedenen politischen Lagern, Krieg zwischen verschiedenen „Ideen“, es gibt viele Bereiche in denen dadurch die Menschen entzweit werden und ich denke das geschieht gerade nicht zufällig. Eine Menge verschiedene Gruppierungen probieren Situationen für sich auszunutzen oder Menschen in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen, egal ob das nun Lobbygruppierungen sind, staatliche Institutionen oder sonstige.

So fühlt es sich an, als ob es für diese Gruppierungen gerade gut ist, dass die Leute nun gegenseitig sich bekämpfen. Also ist die zentrale Idee von „The Reckoning Dawn“ eine Art „Wandel“. „Dawn“ hat ja meistens eine Idee von Beginn, egal ob es der Tagesanbruch ist oder der Anfang eines Kampfes („Dawn“ of Battle) oder in Folklore das Licht, welches „erscheint“ und damit die Finsternis vertreibt oder so etwas. Also geht es um Wandel, um den Beginn von etwas neuem, vielleicht nicht nur buchstäblich, sondern auch mental. Es geht darum, diesen Wandel irgendwie zu den Leuten zu bringen – diesen Wandel von Ideen – um zu schauen, welche gut und schlecht sind und diese nicht dafür zu nutzen, die Menschen weiter zu entzweien. Denn ich denke im Innersten haben wir alle viel mehr gemeinsam, als dass uns verschiedene Ansichten und Ideen trennen und ich denke wir müssen das erkennen.

Und der zweite Aspekt, der nicht geplant war, ist, dass wir momentan quasi durch diesen Virus eine „natürliche Abrechnung“ haben, der uns momentan alle in unseren Häusern hält. Auch wenn es nicht ganz dasselbe ist, aber irgendwie passt der Grundgedanke vom Album auch da: Es muss sich etwas ändern in der Welt, einen Wandel geben. Der Virus hat das wie unter eine Lupe quasi vergrößert, alle diese Dinge, die vor ein paar Monaten oder Wochen noch wichtig oder unfassbar groß waren, sind es nun plötzlich nicht mehr und wir nun irgendwie einer neuen Sache ausgeliefert sind, die uns in gewissen Dingen „gleich“ macht, aber die niemand sehen kann. Das war der Grundgedanke, wenn das irgendwie Sinn macht.

metal.de: Ich denke das macht Sinn. Wenn wir da ein wenig näher drauf eingehen wollen, wovon handeln die einzelnen Songs? Ich habe leider keine Texte mit zum Album gehabt, kannst du uns kurz zu allen Songs was sagen?

Chris: Sie sind alle verschieden, aber handeln irgendwie alle von Wegen, wie Menschen kontrolliert werden, quasi was die „sozialen Narrative“ sind. „Misdeeds of Faith“ ist über die unvorstellbaren Dinge, die Menschen im Namen der Religion tun. Es geht um keine spezielle Religion in dem Song nebenbei bemerkt, es ist generalisiert. Leute die sehr tiefen, beinahe sklavischen Glauben haben, tendieren dazu, damit fast alles rechtzufertigen und Unrecht im Namen ihrer Religion zuzulassen oder aktiv zu begehen. Und die Idee dahinter ist, dass man das nur tut um einer der „Auserwählten“ zu sein, wenn dann mal das „jüngste Gericht“ kommt.

„Absolved in Fire“ ist so eine Art „Purity through Fire“, also es hat vielleicht, hm… etwas von einem Phönix, der auch aus der Asche wiedergeboren wird?! Es ist irgendwie auch eine Idee von Wandel, in einer metaphorischen Art und Weise müssen wir die schlechten Ideen, Angewohnheiten und so weiter erst „niederbrennen“ um dann neu beginnen zu können. Es gibt eine Menge Stories die in diese Richtung gehen auf dem Album. Es gibt einen Track, der nicht wirklich in diese Richtung geht, das ist der zweite „A Hostile Fate (The Wayfarer Pt.4)“, der zurück an unser zweites Album „The Mercian Sphere“ und drei Songs darauf anknüpft. Es geht um den „Wayfarer“ und ist inspiriert von dem alten, angelsächsischen Gedicht „Der Wanderer“ und erzählt eine Geschichte von Einsamkeit und Isolation, was wiederum komischerweise sehr gut zur momentanen Situation in der Welt passt, mit allen in Quarantäne, ohne Freunde und Familie.

Die Grundidee dreht sich um jemand, der damit kämpft, wie sich das Leben geändert hat. Wenn man Freunde, Familie in einem Kampf verloren hat. Auf dem Rest des Albums geht es viel um Gier und Korruption. Der Song „A Greatness Undone“ geht um jemanden, der nicht fair spielt, der nicht einfach friedlich mit der Welt um ihn herum koexistieren kann, sondern immer mehr für sich selbst vom Kuchen abschneiden will und seine Mitmenschen, sein Reich so ausnutzen kann für den persönlichen Nutzen. Es geht um diesen König, der mit Freude seine eigenen Untertanen, sein Reich verschärbeln würde, nur wenn es ihm Profit bringt. Im Allgemeinen geht es also darum wie Religionen, aber auch unterschiedliche „Informationspolitik“ uns beeinflusst und genutzt werden kann um Gesellschaften zu spalten und kontrollieren.

Winterfylleth – The Reckoning Dawn – Albumcover – 2020

metal.de: Interessant. Damit hast du mir schon meine zweite Frage vorweggenommen, nämlich wie es zu diesem „Callback“ zu der zweiten Platte „The Mercian Sphere“ mit dem vierten Part von „The Wayfarer“ gekommen ist. War die Zeit einfach reif, die Story wieder aufzugreifen?

Chris: Das Mainriff vom Song hab ich tatsächlich bereits geschrieben, als wir „The Mercian Sphere“ aufnahmen. Aber ich dachte es hörte sich zu ähnlich zu „Wayfarer (Pt.1)“ an und hab es dann 10 Jahre liegen gelassen. Die Idee war, die Story damit weiterzuführen. Es ist fast ein Reprise von „Wayfarer (Pt.1)“, auch im letzten Drittel ist die Harmonie des Gesanges fast gleich. Es referenziert „Wayfarer (Pt.1)“. Es sollte ein neuer Song sein, der aber Referenzen an den alten Song hat und sie somit zusammenführt. Und wir haben sogar auch „Wayfarer (Pt.5) geschrieben und im Studio aufgenommen, er ist aber nicht mit aufs Album gekommen, da wir uns mit den Gesangslinien bei dem Song nicht ganz einig geworden sind und die Zeit drängte. Der Song wird wahrscheinlich dann auf dem nächsten Album drauf sein. Wir haben dreizehn, vierzehn Songs geschrieben, es sind aber nur acht auf dem Album gelandet.

Es soll eine Art 5-Part-Saga werden, mir schwebt auch im Kopf das vielleicht noch einmal gesondert heraus zu bringen, vielleicht als EP, denn es ist quasi ein Song, der durch die gesamte WINTERFYLLETH-Diskographie sich zieht. Ich hoffe die Leute mögen diese kleine Rückschau zu „The Mercian Sphere“, welches auch schon bald 10-jähriges Jubiläum feiert. Vielleicht bringen wir im Herbst, wenn das Jubiläum ist, auch noch einmal eine besondere Edition von „The Mercian Sphere“ heraus, mal schauen.

metal.de: Es hört sich an, als ob das eine runde Geschichte ergibt: das 10-jährige Jubiläum von „The Mercian Sphere“, die Referenzen musikalisch zurück zu eurem zweiten Werk, das Cover. Wenn wir über das Cover reden, zeichnet sich wiederum Simon (Drummer, der bei den vorigen Alben meist aus seiner Fotografie-Sammlung Bilder als Albumcover auswählte – Anm. d. Red.) dafür verantwortlich?

Chris: Nein, aber dir sei verziehen, das zu denken. Leider konnte Simon, der nebenbei bemerkt fast alle unsere Albencover gemacht hat, zu der Zeit zu der wir uns um das Artwork kümmern wollten nicht raus um ein neues Foto aufzunehmen. Deshalb haben wir die reizende Kathy Medcalf gefragt, die relativ nahe zum Lake National District Park lebt. Sie hat das Foto aufgenommen. Gezeigt ist ein Hügel, der sogenannte „Haystacks“, passend zum Albumtitel bei Morgenanbruch, also kommt das Licht gerade über die Hügel. Wenn du mich fragst, schaut das Foto fast gephotoshopt aus, aber auf jedenfall verändert. Es ist aber real.

Das ist sehr surreal, es sieht unecht aus, ist aber echt. Sie hat es perfekt geschafft, diesen Moment einzufangen und setzt den „Rahmen“ für das Album sehr gut. Ich bin wirklich froh, dass wir sie dafür bekommen konnten. Normalerweise nimmt sich Simon zwei bis drei Tage Zeit zum Wandern, schiesst Fotos und wir wählen dann aus diesen aus. Dieses Mal wollten speziell ein „Dawn“-Photo haben, das den Albumtitel referenziert. Und Simon konnte das dieses mal nicht tun, er hatte auch kein Foto im Fundus, dass den Anforderungen gerecht geworden wäre. Und glücklicherweise haben wir Kathy gefunden, sie macht Landschaftsfotographie und hat ein sehr tolles Foto eingefangen.

metal.de: Ich hätte beim Foto ehrlicherweise nicht dran gedacht, dass das ein unbearbeitetes Foto ist, beeindruckend! Auch von der Farbgebung wieder ein Callback zu „The Mercian Sphere“ in gewisser Weise. Es ist ziemlich klar, wenn man sich mit euch beschäftigt, dass eure Umgebung einen grossen Einfluss auf euch hat: Die englische Kultur und Geschichte spiegelt sich in allem wieder: Artwork, Texte, Musik. Wie entscheidest du, was davon in WINTERFYLLETH kommt, wie gelangt die Inspiration in die Kunst?

Chris: Puh… das ist schwer, aber wenn du mit einem neuen Album rauskommen willst… lass mich anders anfangen. Bevor ich mit dem Komponieren der Musik anfange, habe ich gern schon einige Dinge stehen, etwa den Titel, um grob das Konzept des Albums zu haben. So hat man schon erste Anhaltspunkte für die Geschichten, die man erzählen will und weiß, wie etwa das Artwork aussehen könnte oder welche historischen Quellen man sich vornehmen kann für die Texte. Beim neuesten Album ist das wahrscheinlich am besten zu sehen, mit dem Konzept kamen Texte, die Grundstimmung des Albums und so weiter recht schnell, bei unseren älteren Alben ist das eher weniger so bzw. vielleicht nicht so sichtbar.

Nimm etwa das Folkalbum: Es hat ein anderes Cover, darauf ist kein Foto sondern ein Gemälde zu sehen. Die Idee dahinter war, dass es eine „softere“ Seite zeigt, da es kein Metalalbum ist. Es gibt mehr warme Farben, unser Bandlogo fehlt und so weiter. Wir haben immer versucht, beeindruckende Landschaftsaufnahmen zu haben, um die Leute an die Natur da draussen zu erinnern, daran, dass sie da ist. Um einen ein wenig aus dem Alltag heraus zu holen. Du fährst zur Arbeit oder bist zu Hause in deinen vier Wänden und dann schaust du dir das Cover an und wirst daran erinnert, dass solche Landschaften da draussen wirklich existieren.

Wir probieren die „moderne Welt“ aus unseren Bildern komplett raus zu halten, also keine Häuser, Autos oder so etwas. Es soll nur die puritanische Natur zeigen, die letztlich hinter allem steckt, auch uns. Viele Menschen denken da nicht dran. Wenn die Natur kaputt geht, gehen wir auch kaputt. Es gab bei WINTERFYLLETH auch immer eine kleine ökologische Seite mit dabei. Vielleicht nicht so sehr im Vordergrund, aber sie schwingt mit. Und das probieren wir auch ein wenig mit in den Covern zu reflektieren.

metal.de: Wenn es um den Erhalt von Umwelt, aber auch „Erbe“ im Sinne von Tradition und Kultur geht, – ich erinnere mich etwa an ein paar „Pastorals“, die ihr etwa auf „The Hallowing of Heirdom“ hattet – ist das etwas, was heute immer mehr verloren geht und Leute das nicht „finden“ würden, wenn Künstler wie ihr es nicht wieder hervor holt?

Chris: Ja, ich denke es ist wichtig. Weißt du, ich komme ja aus England – und du hast vielleicht eine Menge negativer Dinge über England in letzter Zeit bei euch in der Presse gelesen – und wir sind ziemlich getrennt, „Brexit, Brexit“ und so weiter und teilweise wird uns auch eine eigene Kultur abgesprochen. Ich denke es hat auch etwas mit einer bewussten Entscheidung zu tun, etwa die eigene Herkunft und Geschichte nicht aufzuarbeiten. Als jemand, der durch das Schulsystem hier als Kind gegangen ist, kann ich dir sagen dass diese Dinge uns nicht beigebracht wurden, man hat sie als junger Erwachsener zufällig entdeckt und ist irgendwie interessiert daran hängen geblieben. Andernfalls gehen die  kulturelle und historischen Ursprünge Englands an vielen vollkommen vorbei.

Und es gibt eine reichhaltige, alte Kultur, für die sich eine ganze Menge Leute interessieren würde, da bin ich mir sicher, wenn sie denn nur mal hinschauen und zuhören würden. Als wir die Band vor dreizehn bis vierzehn Jahren gestartet haben, waren wir sehr daran interessiert, Erbe, Kultur und Historie mit in die Band zu nehmen. Zum einen, weil es zu Black Metal passt, textlich, aber auch ästhetisch. Nimm nur Bands wie ULVER oder frühe ENSLAVED, die das etwa gemacht haben. Aber auch weil ich wirklich überzeugt bin, dass viele Leute in meinem Land, aber auch vielleicht in anderen Ländern, nicht realisieren, was für eine reichhaltige Geschichte England hat. Jeder kennt gefühlt Fenris und Thor, alle diese noridschen Folkstories, die so existieren. Die wenigsten werden parallele Strukturen oder Stories in der englischen oder germanischen Mythologie kennen oder erkennen. Ich denke es sind einfach interessante Geschichten, die es wert sind erzählt zu werden.

Und ich möchte den Leuten begreiflich machen, dass wir nicht nur diese „moderne, kulturlose“ Insel sind. Es gibt viel zu entdecken, was sich lohnt. Und es macht es schwerer, in Menschen diese Begeisterung zu wecken, wenn man gleichzeitig von Leuten vorgeworfen bekommt, rechts zu sein, nur weil wir über diese Dinge in unseren Texten reden. Ich meine, wir tun es ja nicht in einer schlechten Art und Weise. Wir referenzieren vergangene Geschichten, Brauchtümer und so weiter, damit die Leute drauf aufmerksam gemacht werden, denn ich denke die wenigsten wissen Bescheid und werden auch nicht unterrichtet in der Schule oder in der Geschichte. Ich hoffe wir machen das auf eine positive Art und Weise und nicht auf eine negative Weise, die andere herabsetzt.

metal.de: Ja, ich denke es hängt immer stark davon ab, wie man die eigene Vergangenheit beziehungsweise den Umgang damit präsentiert, denn so gut wie jedes Land auf dieser Welt hat eine reichhaltige Geschichte, im positiven wie negativen Sinne, aber deshalb muss man die von anderen nicht als besser oder schlechter bewerten. Es ist relativ lustig, wie man auch teilweise durch Bands, die aus vollkommen anderen Breitengraden kommen, auf Kultur aufmerksam gemacht wird. Ich bin zum ersten Mal mit schottischer Folklore auf den Alben von ABSU (amerikanische Black-Metal-Band – Anm. d. Red.) wie „Tara“ und „The Sun of Tiphareth“ in Berührung gekommen. Gleichzeitig ist der Name von ABSU natürlich aus der sumerischen/mesopotamischen Mythologie, die natürlich aus dem nahen Osten stammt und am anderen Ende des Erdballs liegt. Also hab ich mich auch begonnen, dafür zu interessieren. Diese gemeinen „Topoi“ wie die nordische Mythologie sind für mich ein wenig „ausgelutscht“ im Metal wenn ich ehrlich bin, ich hab Bands die über ihre Ursprünge und ihre Kultur gesungen haben und wo ich neue Dinge lernen konnte immer interessant gefunden. Nicht nur die Mythologie, aber auch reale Dinge wie gewisse Bräuche, Orte, Historie und so weiter, die sonst vielleicht ein wenig in Vergessenheit geraten sind. Künstler wie ihr sind immer ein guter Weg, um genau solche Sachen neu zu entdecken oder vielleicht auch wiederzufinden.

Chris: Ja, das ist denke ich die Aufgabe von Künstlern. Die Leute zu zwingen sich mit etwas anderem auseinanderzusetzen, versuchen, Leute an andere Plätze als ihr alltägliches Leben gedanklich zu bringen. Für mich liegt es sogar in der Verantwortung von Künstlern, die Leute so ein wenig „aufzuklären“, denn im täglichen 24/7 ist es so einfach, dass diese Dinge nicht mehr beachtet werden und verschwinden, man schwimmt so dahin. Das ist schlecht. Und versteh mich nicht falsch, dass geht mir im Alltag wahrscheinlich genauso wie dir, auch wir haben nicht ständig das alles im Blick. Wenn man in manchen Hörern durch diese Ideen ein wenig das Nachdenken provozieren kann, auch wenn sie möglicherweise nicht mit einem übereinstimmen, ist schon viel gewonnen.

metal.de: Wenn wir musikalisch über „The Reckoning Dawn“ reden, ist es für mich quintessenziell immer noch WINTERFYLLETH, aber gefühlt habt ihr dieses Mal ein wenig mehr Dynamik mit drin. Wiederholung ist für mich ein Kernelement im Black Metal um diese Trance-artige Atmosphäre aufzubauen, aber es wird auch schnell fade für mich. Es ist ein schmaler Grat, auf dem man geht, sozusagen. Das umschifft ihr geschickt mit diesen kleinen Farbtupfern wie den akustischen und orchestralen Elementen oder auch Tempowechseln hin und wieder. War das etwas, was sich natürlich ergeben hat oder habt ihr euch da schon mit Hintergedanken an die Komposition gesetzt?

Chris: Ich glaube, ein wenig was von beidem. Ich denke, wir haben viel von unserem Akustikalbum gelernt. Wir haben ein wenig andere, schwierigere Gesangslinien geschrieben, wir mussten nun mit Instrumenten, die wir sonst nicht spielen (Violine, Cello) und nicht besonders bewandert sind, dieselbe emotionale Atmosphäre transportieren und auch also anders an die Arrangements herangehen, wie wir es sonst tun. Ich mein etwa Nylonseiten sind nicht sehr bekannt dafür, gut zu resonieren, sie sind relativ leise und warm, sie ringen nicht sehr lange aus… wir mussten uns viele Gedanken machen, wie die Instrumente miteinander in Kontext zu setzen sind. Und auf diesem neuen Album mussten wir uns da ebenfalls miteinander auseinandersetzen. Wie lange spielt man Parts, ohne dass es langweilig wird, aber auch nicht zu kurz, sodass man quasi versteht, was als musikalisches Grundmotiv vorhanden ist.

Und darum mussten wir dann bauen und die restlichen, exotischen Instrumente einfügen. Es gibt hier quasi mehrere Ebenen und die sind dafür da, genau diese Langeweile von der du gesprochen hast ein wenig aufzulockern. Es passiert eigentlich alle 10-20 Sekunden etwas neues in den Passagen, wo wir länger mal ein Riff halten, nur meist auf einer anderen Ebene. Ich denke wir sind uns sehr bewusst, wie wir nun besser Atmosphäre transportieren können mit den Instrumenten. Die zusätzlichen Dinge sollen die Musik ja auch nicht zustopfen, eher Dinge neu mit einbringen. Auch so Dinge wie Lead-Gitarre. Wir spielen ja keine Solos oder sehr komplizierte, schnelle Leads, dieses Mal haben wir da aber mehr Parts als noch auf vorigen Platten. Ich hab auch probiert ein wenig harschere Vocals zu haben, mehr Kante. Die Synths haben wir genutzt um noch ein wenig mehr Atmosphäre einzubringen in Songparts, die das vorher vielleicht nicht hatten. Ich hoffe das, so wie du gesagt hast, es ein WINTERFYLLETH-Album ist, aber vielleicht mit noch 10% extra Dynamik, was es bei uns nocht nicht so sehr gab.

metal.de: Ich habe mich ein wenig über die frühe Tourankündigung mit MORK für den Mai gewundert, mit Corona und allem. Denkst du, ihr könnt das Datum halten?

Chris: Die Tour sollte heute in einer Woche starten, ist zwischenzeitlich aber logischerweise gecancelt worden. Wir haben sie verlegt auf nächstes Jahr. Das ist für uns als Band zum Promoten des Albums natürlich ein wenig blöd, aber ist ja nicht so, als wären wir momentan die einzigen, die damit zu kämpfen hätten. Wir haben allerdings für den Herbst eine Tour mit PANOPTICON geplant, es herrscht Optimismus, dass das klappen kann, aber vielleicht macht uns das Virus doch noch einen Strich durch die Rechnung. In dem Fall wird es wahrscheinlich auch auf nächstes Jahr verschoben. Wir haben trotzdem nicht den Albumrelease verschoben, da wahrscheinlich momentan so viele Leute zuhause sitzen, nicht wissen was sie tun sollen und als ein Künstler hast du nun neues Material, du hast eine gute Vernetzung zu anderen Bands und Künstlern und hoffentlich können wir ein wenig Freude zusammen verbreiten mit unserer Musik und später tollen neuen Shows.

metal.de: Ja, vielleicht ist es sogar von Vorteil nun in dieser Krise neue Musik heraus zu bringen, es konnten sogar ein paar Metalbands vergangenen Monat in Deutschland charten.

Chris: Das würde mich auch interessieren, denn unser Label sagte mehr oder weniger dasselbe zu uns: Weil nun alle Leute drinnen sind und Zeit haben, hören sie vielleicht auch mehr Musik und kaufen dann neue Platten. Momentan kommt nicht viel heraus, wir hatten auch eine Menge Pre-Orders und das könnte interessant werden, als Black-Metal-Band zu charten (lacht). Ich kann mir nicht vorstellen, dass je in UK ein Black-Metal-Album charten würde, aber wer weiß.

metal.de: Wenn du dir ein Dream-Lineup aussuchen könntest zum Touren, wer wäre das?

Chris: Es wäre wahrscheinlich mit alten ULVER, nicht ihre neue Elektronikmusik, und DRUDKH, von denen ich schon sehr lange ein Fan bin. Aber ich bin auch schon mit PANOPTICON sehr zufrieden, ich glaube die Tour wird echt toll. Viele Leute in Europa wollen die dringend sehen. Es ist eine interessante Situation für Bands momentan. Für ein „Dream-Lineup“ kämen natürlich auch die ganzen klassischen Bands in Frage, wie zum Beispiel EMPEROR. Das ist aber eher unwahrscheinlich.

metal.de: Das wäre es so weit von mir, gibt es noch etwas, was du loswerden willst?

Chris: First things first: Das Album kommt diesen Freitag raus, hört rein, ich hab aber noch mit meinem anderen Projekt ATAVIST, die Death/Doom spielen, ein Album, was am 19. Juni heraus kommt. Der Titel ist „Absolution“. Ich wäre dankbar, wenn Leute ATAVIST auch anchecken, denn wir haben fast dreizehn Jahre lang nichts gemacht. Es ist ein altes Projekt, was wir vor kurzer Zeit wieder ausgegraben haben. Für Fans von alten SHAPE OF DESPAIR, EVOKEN und so weiter.

metal.de: Danke für deine Zeit Chris, bleib gesund und munter, hoffentlich geht es nächstes Jahr besser weiter.

Quelle: Chris Noughton
12.05.2020
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