Winterfylleth
Interview mit Sänger und Gitarrist Chris Naughton zum neuen Album "The Divination Of Antiquity"
Interview
Nachdem das dritte WINTERFYLLETH-Album „The Threnody Of Triumph“ erste Ermüdungserscheinungen zeigte, haben die vier Briten mit „The Divination Of Antiquity“ wieder ordentlich zugelegt und Gänsehautpart auf Gänsehautpart, geniale Melodie auf geniale Melodie, großen Moment auf großen Moment folgen lassen. Klare Sache: Das Album hat das Potenzial, in den diesjährigen Top-10-Listen von (Melodic-)Black-Metal-Fans ganz oben zu ranken. Ebenso klare Sache, dass wir uns einen der Musiker geschnappt und nochmal etwas näher nachgehakt haben.
Unser Interview mit WINTERFYLLETH-Sänger und -Gitarrist Chris Naughton zu „The Divination Of Antiquity“:
Hallo Chris.
Seit eurem letzten Album „The Threnody Of Triumph“ sind zwei Jahre ins Land gezogen. In der Zwischenzeit habt ihr neue Fans dazugewonnen, größere Konzerte und auf größeren Festivals gespielt … zumindest ist das mein Eindruck. Kannst du dem aus Insiderperspektive zustimmen? Und wie fühlt sich das für euch an?
Ja, absolute Zustimmung. Die Band ist zwischen den Alben definitiv gewachsen und hat einen großen Schritt nach vorne gemacht. Das lehrt uns Demut und ist, finde ich, eine Maßgabe für all die Arbeit, die wir in das Touren und das Schreiben unserer Musik gesteckt haben. Es ist nicht immer einfach, im großen Meer der Bands gehört zu werden, die heutzutage dort draußen sind. Der Fakt, dass Leute WINTERFYLLETH entdecken und sich damit identifizieren, ist also erstaunlich.
Welchen Effekt hatte das auf das neue Album? Habt ihr irgendwas anders gemacht als bisher? Oder wurde „The Divination Of Antiquity“ genauso geschrieben und aufgenommen wie eure bisherigen Alben?
Wir haben diesmal mehr Zeit in das Schreiben und die Aufnahmen investiert, wobei die Extra-Zeit hauptsächlich ins Schreiben geflossen ist. Wir haben über vielen Versionen der Tracks gebrütet und diese solange umgearbeitet, bis sie genau richtig klangen. Es war diesmal ein schwieriger und mühsamer Prozess, härter als auf den anderen Alben. Ich gebe zu, dass das seine guten und schlechten Seiten hatte, aber ich glaube, dass wir uns dadurch wirklich auf die Qualität der Songs und die Botschaft, die sie überbringen sollen, fokussieren konnten. Ich denke, alle Songs sind davon begünstigt worden, aber insbesondere „A Careworn Heart“, „Warrior Herd“ und „Forsaken In Stone“, die eine Menge verschiedener Versionen gesehen haben.
Wie arbeiten WINTERFYLLETH denn allgemein an einem neuen Album? Gibt es bei euch einen „normalen“ Weg, ein Album zu schreiben?
Normalerweise arbeiten wir zu Hause an neuer Musik, bevor wir irgendwas aufnehmen. Ich habe ein Studio zu Hause, wir verbringen also viel Zeit damit, dort alle Parts zu schreiben und Demos davon anzufertigen, bevor wir irgendetwas proben oder aufnehmen. Meistens legen wir erst ein Albumkonzept – und am Wichtigsten: einen Titel – fest, dann fangen wir mit der Musik an. Alles Musikalische ist normalerweise komplett fertig, bevor wir ins Studio gehen. Dort arbeiten wir eher an den Gesangsarrangements und den Chören. Die Texte habe ich wahrscheinlich immer erst ein paar Tage vor den Aufnahmen fertig, denn das ist der letzte Punkt, um den wir uns kümmern. Ich finde, dass es einfacher ist, Texte zu schreiben, wenn du die Dynamik der Songs kennst, zu denen sie gesungen werden.
Alle eure Alben wurden in einem Zwei-Jahres-Rhythmus veröffentlicht. Hat das eine spezielle Bedeutung oder sind zwei Jahre einfach die Zeit, die ihr für ein Album benötigt?
Ich denke, dass es Bands schaden kann, wenn sie zu viele Veröffentlichungen herausbringen und den Fans keine Zeit geben, diese komplett aufzusaugen. Was mich angeht finde ich zwei Jahre sehr komfortabel, um Alben Zeit zum Atmen zu geben, sie live zu spielen, sie zum Teil des WINTERFYLLETH-Repertoires zu machen und sie schließlich zu reflektieren, bevor man wieder zum kreativen Prozess für das neue Album gelangt.
Für mich klingt „The Divination Of Antiquity“ ganz stark nach WINTERFYLLETH, es gibt darauf keine essenziellen stilistischen Veränderungen. Trotzdem finde ich, dass das Album ein bisschen mehr von allem hat – mehr Gänsehaut, mehr Melodie, mehr Atmosphäre, mehr Schönheit als eure bisherigen Veröffentlichungen. Würdest du zustimmen? Oder wie würdest du das neue Album selbst beschreiben, als das Album an sich, aber auch im Kontext mit euren früheren Werken?
Wir versuchen immer, Musik mit echten Emotionen und echter Leidenschaft zu schreiben, die tonal die Schönheit und das Leid der Geschichten ausdrückt, welche wir erzählen. Black Metal hat immer am bösen Moll-Ende der musikalischen Skala gewohnt, aber für mich hat er den Spielraum, genauso schön und erhebend zu sein wie dunkel und grüblerisch. Vielleicht macht uns das zu Black-Metal-Geächteten, da es gegen den Strich ist? Ich weiß es nicht. Ich bin nicht der Richtige, das zu beurteilen.
Musik sollte genauso mit den Leuten reden wie Worte, und ich denke, man kann Songs fertigen, die die nötigen emotionalen Höhen und Tiefen beinhalten, um jemanden durch die Geschichte zu begleiten, die man erzählt. Bei mancher politisch motivierter Musik (oder durch den Wunsch nach Änderung motivierte Musik, wie auch immer man das sehen möchte) finde ich, dass sie an ihrer Einfachheit leidet, da es oft nur darum geht, die Botschaft der Texte zu überbringen. Für mich braucht man beides; wenn man auch noch großartige Musik hat, bleibt die Botschaft noch besser haften, es ist auf mehr als nur eine Weise aufregend. Vielleicht ist das sehr Un-Black-Metal, da es in dem Genre historisch eher um Nihilismus, Antireligiösität etc. geht. Das mag in mancher Hinsicht auch auf uns zutreffen, aber eher in unserer umfassenderen sozialen Erzählung denn offenkundig.
Ich denke auch, dass eine Botschaft über sozialen Fortschritt, über Anti-Establishment und darüber, sich wieder mit seiner Geschichte und Kultur zu verbinden, eine ziemlich positive Botschaft ist, die durch eine epischere und erhabenere Linse betrachtet werden muss. Dementsprechend bedient die Musik, die wir machen, das volle emotionale Spektrum.
Der Titel des Albums, „The Divination Of Antiquity“, spricht offenkundig für sich selbst. Aber steckt mehr dahinter als die wortwörtliche Bedeutung? Warum habt ihr ihn als Titel für das Album gewählt? Und inwiefern stehen die Texte des Albums mit dem Titel in Verbindung?
Es geht in der Essenz darum, aus der Geschichte zu lernen und, daraus folgend, wie wir diese Erkenntnisse auf unseren Alltag übertragen können. Eine Verbindung zwischen Geschichte und Kultur ist für uns entscheidend, um uns – als Volk oder als Individuen – anzupassen und in der modernen Welt zu gedeihen. Wir versuchen durch die Musik, die wir mit WINTERFYLLETH machen, beständig, die Leute zu bewegen, außerhalb ihres Alltags zu denken. Wir bitte sie, darüber nachzudenken, was vor ihnen war und wie das ihre Ansichten und Taten gestalten kann – in der Zukunft oder jetzt.
Es gibt ein sehr passendes Zitat von Einstein, das Wahnsinn definiert und das ich hier nennen möchte: „Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.“ Ich finde, dass wir als Volk auf unsere Geschichte schauen müssen, um diese Lektion zu lernen. Und auf einer größeren Skala können wir dadurch die Leute ermutigen, unsere Anführer dazu zu bewegen, dasselbe zu tun. Wir leben in einer zyklischen Welt, in der sich Geld und Habgier in Verbindung mit der Ausbeutung von Mensch und Natur in massivem Ausmaß verselbstständigt haben. Das ist in früheren Abschnitten der Geschichte alles schon mal passiert und hat soziale Ungleichheit, Depressionen, Boom-Bust-Gesellschaften, Sklaverei, Armut und Schlimmeres verursacht. Trotzdem passiert heutzutage dasselbe überall um uns herum, obwohl wir die Ergebnisse aus unserer Geschichte kennen.
Das drängt die Frage auf: Sind wir vorprogrammiert, uns so zu verhalten? Sind wir angeborenerweise für eine soziale Gliederung bestimmt, die auf der Formel ‚Geld gleich Wert‘ basiert? Oder untergraben der Profit und die boshaften Lehren unserer diversen Institutionen und Anführer unsere Aktionen so sehr, dass wir uns fürchten, uns anders zu verhalten?
Wenn wir uns nicht anschauen, wie sich Geschichte wiederholt, was macht das aus uns? Idioten oder Schlimmeres? Sind wir vielleicht Feiglinge, dass wir nicht den Mut haben, etwas dagegen zu unternehmen? Oder kommt das vielleicht daher, dass wir schlecht informiert sind und mit Fehlinformationen bombardiert werden, dass niemand weiß, was man glauben soll?
Dies ist ein Typ von Sozialtechnik, der nur dazu dient, dir deine Freiheit zu nehmen. Deshalb versuchen wir als WINTERFYLLETH, die Leute über diese Themen aufzuklären und ihnen zu helfen, auf persönliche Veränderung hinzuarbeiten.
Ein anderes Thema:
Das Cover-Artwork von „The Divination Of Antiquity“ zeigt ein naturalistisches Bild oder Foto von einem See, der von Bergen umgeben ist. Damit ist es ein mehr oder weniger typisches WINTERFYLLETH-Cover. Kannst du beschreiben, woran du denkst, wenn du das Bild siehst? Was bedeutet es dir? Und warum habt ihr es als Cover für das Album ausgesucht?
Das ist ein echtes Foto von einem Ort namens West Water im Lake District [Nationalpark im Nordwesten Englands – Anm. d. Red.]. Unser Drummer Simon hat das Foto gemacht und wir haben es benutzt, weil es die unermessliche Weite und Schönheit von England repräsentiert. Wir haben bisher immer Bilder von Natur und Landschaften in unseren Artworks genutzt, das ist also eine Weiterführung desselben Themas. Landschaften rufen eine visuelle, mentale und physische Reaktion in Menschen hervor – und natürlich auch in mir und meinen Bandkollegen -, erst recht, wenn man sie in persona sieht.
Das Zusammentragen so vieler verschiedener Elemente, um diese visuelle/physische Erfahrung zu kreieren, ist dem Erschaffen eines Albums nicht unähnlich. Jeder kleine Teil einer Landschaft trägt zur allgemeinen Schönheit der Aussicht bei, wie Instrumente und Layer die Klänge eines Albums formen. Ich kann mich an Spaziergänge durch den Peak District [Hochland-Gebiet in Nord- und Zentralengland – Anm. d. Red.], Snowdonia [Nationalpark im Norden von Wales – Anm. d. Red.] oder sogar Orten wie Alderley Edge [Gemeinde in Cheshire, nahe Manchester – Anm. d. Red.] in den frühen Tagen unserer Band erinnern, und wie inspiriert wir uns fühlten, Musik zu schreiben, die die epische Schönheit und die Ehrfurcht vor dieser Natur und ihrer Umgebungen einfängt.
Ich glaube, dass uns das auf den drei bisherigen Alben auf unsere Weise gelungen ist, und zu einem potenziell größeren Ausmaß auf „The Divination Of Antiquity“.
Und wie sieht es mit euren Live-Plänen aus? Auf eurer Facebook-Seite sind für die nähere Zukunft bisher nur eine Menge UK- und Irland-Konzerte bestätigt, aber keine für den Rest von Europa. Plant ihr auch, auf diese Seite des Kanals zu kommen? Und kannst du uns schon verraten, wann wir euch (ungefähr) erwarten können?
Ja, es wird im November 2014 ein paar Shows in Europa geben – Belgien, Holland und möglicherweise Deutschland. Außerdem werden wir 2015 auf ein paar Sommerfestivals spielen, die Leute werden uns dort also auch sehen können.
Und generell: Wie sehen die Pläne für die Zukunft aus? Was kommt als nächstes? (Sofern du schon was erzählen kannst.)
Im Dezember 2014 spielen wir die UK-/Irland-Tour mit BEHEMOTH, außerdem planen wir eine Menge Sommerfestivals und weitere Touren für 2015 ein. Des Weiteren denken wir über ein Akustikprojekt für WINTERFYLLETH nach. Haltet eure Ohren dafür bereit.
Und zuletzt eine „Bonusfrage“:
Was sind bisher deine favorisierten Black-Metal-Alben aus 2014, und was deine allgemeinen Lieblingsalben 2014?
In Sachen Black Metal mag ich das ARX ATRATA-Album „Oblivion“ sehr gerne, welches im Frühjahr 2014 herauskam, glaube ich. Über das Lieblingsalbum 2014 bin ich mir noch im Unklaren. PALLBEARER, ALCEST und VOICES stehen bei mir momentan ziemlich weit oben.
Dann danke ich dir für deine ausführlichen Antworten!
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Stile | Black Metal, Folk Black Metal, Melodic Black Metal |
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