Rebellion
„Für mich ist das Vaterland ein gespielter Witz“
Interview
REBELLION veröffentlichen am 23.07.2021 ihr neuestes Werk „We Are The People“. Es gibt einige Veränderungen: in der Band gibt es zwei neue Gesichter, und auch der Sound und die Themen haben sich auf „We Are The People“ verändert. Der ehemalige GRAVE-DIGGER Bassist Tomi Göttlich stellt sich unseren Fragen zur Pandemie, zu den neuen Gesichtern, den Lyrics und gibt uns Einblicke bezüglich möglicher Konzerte im Herbst.
Hi Tomi, wie geht es, wie bist Du und Band bisher durch die Pandemie gekommen?
In der Summe macht es wenig Sinn, sich um die kleinen Versatzstücke zu kümmern oder die ein oder andere etwas schwer zu verstehende Regel, insgesamt glaube ich, dass wir ganz gut in Deutschland durch die Pandemie gekommen, zumindest besser als andere Länder.
Für mich selbst war es eigentlich recht nett, wir leben in einem Drei-Generationshaushalt in Mittelhessen auf einem Bauernhof. Ich war zum Start auf den Philippinen und wollte dort meinen Tauchlehrerschein machen und hatte einen zehnwöchigen Aufenthalt geplant. Die Familie wollte ebenfalls noch nachkommen. Nach dem Shutdown habe ich in einem Traumresort gesessen, wo keine Straße hinführt, sondern wo du erstmal mit dem Schiff in die nächste Stadt fahren musst, und von dort ist der Flughafen nochmals sechs Stunden entfernt. Ich habe den letzten Flieger zwei Wochen nach dem Beginn der Pandemie erwischt. Ab dem Zeitpunkt war alles in Ordnung. Die abgesagten Konzerte haben wir genutzt, um intensiv am Songwriting zu arbeiten. Das hat dazu geführt, dass die beiden Gitarristen Rebellion zu ihrer Band gemacht haben. So haben wir uns ca. ein dreiviertel Jahr Zeit gelassen für das Songwriting und anschließend nochmals sechs Monate für die Produktion beim Uwe Lulis in den Black Solaris Studios.
Wenn du normal jeden zweiten Tag mit der Band zu tun hast, dann hast Du wenig freie Zeit. Dazu sind wir auf dem Dorf, das bedeutet bei aller Vorsicht, dass wie die Corona-Regeln doch etwas entspannter ausgelegt haben. Wenn es Ausgangssperre ab 21 Uhr gab, dann sind wir halt zwischen den Häusern zu unserem Haus zurückgegangen. Ansonsten haben wir uns eher innerhalb der Familie miteinander beschäftigt, so dass wir die Zeit recht angenehm empfunden haben. Wie das in einer 40 qm Mietskaserne aussieht, möchte ich aber nicht wissen.
Homeschooling funktioniert nicht in sozialen Brennpunkten
Du bist im wahren Leben ausgebildeter Pädagoge und Familienvater. Wie bist Du mit dem Thema Homeschooling aus Lehrersicht wie auch aus Vatersicht bisher klargekommen?
Die Digitalisierung bietet sowohl für Homeschooling wie für Homeoffice große Chancen. Die Politik hier in Hessen wie auch die Schulen waren überhaupt nicht auf das Thema Homeschooling vorbereitet. Die Infrastruktur der Schulen ist eine Katastrophe. Wenn Du auf andere Plattformen wie Zoom, Jitsi, etc. ausweichst, dann ist das im Prinzip nicht zulässig. Das hängt dann immer von der jeweiligen Selbstorganisation der Eltern ab. Wenn man sich einig ist, dann gilt wo kein Kläger da kein Richter. Andere Schulen haben sich für ein Jahr eine Lizenz gekauft, die jetzt nicht mehr benutzt werden darf, da der Lieferant in den USA sitzt und nicht mit den aktuellen Datenschutzrichtlinien kompatibel ist. Homeschooling war ein Versuch, welcher für gut behütete und ausgestattete Elternhäuser funktioniert. Kinder aus sozial schwächeren Familien oder sozialen Brennpunkten werden im Homeschooling extremst benachteiligt. Da wird man zum Start in das neue Schuljahr aussortieren müssen was passiert oder auch nicht passiert ist und im Zweifel das Schuljahr nochmal wiederholen.
Im Februar 2020 hat REBELLION sein letztes Konzert in der alten Besetzung gespielt auf dem The R-Evolution Of Steel Rocks Hamburg VI im Hamburger Bambi Galore. Kannst Du uns die beiden neuen Gesichter, Drummer Sven Tost und Gitarrist Fabrizio Costantino, vorstellen? Woher kennt Ihr euch?
Martin ist schon seit jetzt zwei Jahren dabei. Den habe ich im zarten Alter von 17 Jahren kennengelernt. Er war Gitarrist in einer Musical AG und ich war dort ebenfalls etwas eingebunden. So sind wir in Kontakt geblieben und ich habe seine Shows mit seinen bisherigen Bands verfolgt und ihn menschlich kennen gelernt. Ich habe Martin dann gefragt, als der Oli (Anmerkung der Readaktion: Oliver Geibig) die Band verlassen hatte. Martin hat aber die harte Einstiegsschule durchlaufen. Wir haben uns fünf Gitarristen angesehen und spätestens danach war klar, dass es Martin wird. Fabrizio und Martin kennen sich vom Studium und sind in einem Produzententeam gemeinsam aktiv, wo die Film- und Werbemusik anbieten. So passen die beiden Gitarristen perfekt zusammen als eingespieltes und lange befreundetes Team.
Mir ist immer wichtig, dass wir Leute aus dem lokalen Raum bekommen, so dass wir abends auch proben können und das nicht nur digital. Beim Drummer war es etwas komplizierter: Martin arbeitet auch als Gitarrenlehrer und er fragte in der lokalen Szene der Musikschulen nach einem Drummer. Sven war anfänglich noch nicht so weit, hat sich aber innerhalb kurzer Zeit bestens weiterentwickelt und war bereits vorher REBELLION-Fan. Wir hatten in der Vergangenheit häufig Wechsel an den Drums. Sven brennt für die Band und bearbeitet neben den Drums auch noch die sozialen Medien und das macht er sehr gut. Ich könnte das gar nicht, ich habe von Spotify und Co. keine Ahnung. Jetzt haben wir drei junge Musiker in der Band und das puscht mich als erfahrenen Menschen nochmal. Wir haben eine flache Hierarchie und als Pädagoge lernt man junge Menschen zu steuern.
„We are the People“ soll warnen und wachrütteln
Nach Shakespeare, Wikinger und Sachsen ändert sich das Thema für „We are the People“. Die Lyrics gehen über die Schlachtfelder der letzten zwei Jahrhunderte und liest sich wie eine Anklageschrift in Richtung der Unfähigkeit der Menschheit in Frieden leben zu können. Möchtest Du die jetzige Generation warnen und wachrütteln?
Ja, schon, ich bin kein Freund von politischen Platten und wir haben auch noch keine politische Platte gemacht. Aber die Situation, die wir bereits vor Corona hatten, dass wir in fast allen europäischen Ländern neue rechte Parteien haben, die mehr oder weniger mit dem Faschismus spielen, so wie es die AfD oder auch Bands wie FREI.WILD oder die BÖHSEN ONKELZ tun, hat mich nachdenklich gemacht. Über die sozialen Medien finden sich Plattformen, wo der Staat noch nicht reglementierend eingreift und sich so diese Menschen ihre Echohallen geschaffen haben. Früher hattest du in jedem Dorf jemanden, der potentiell rechts oder auch extrem rechts tendierte. Der hat aber über seine sozialen Gemeinschaften klar signalisiert bekommen, dass es Dinge gibt, die ein sozialisierter Mensch nicht sagt, denkt oder tut.
Nach der Wiedervereinigung ist das mehr und mehr ins Rollen gekommen durch eine gut vernetzte rechte Szene in der ehemaligen DDR. Da sind von staatlicher Seite einige Entwicklungen verschlafen worden. Es wurde keine Strategie entwickelt, wie man den Aktivitäten der rechten Gruppierungen entgegenwirken könnte. Es gibt ganze Landstriche, wie zum Beispiel die sächsische Schweiz, wo solche Denkmuster über Jahrzehnte gepflegt worden sind und diese Denkmuster endeten nicht mir der Wiedervereinigung. Es hat sich verstärkt, da die staatlichen Kontrollen weggefallen sind und mit dem Einzug die sozialen Medien konnten sich die entsprechenden Denkmuster vernetzten. So sind viele Sachen, welche vor einigen Jahren noch unsagbar waren, mittlerweile hoffähig geworden. Der Höcke ist ein Beispiel, der rudert einen Meter vor bis er eine blutige Nase bekommt. Dann rudert er aber nur einen halben Meter zurück und so werden bestehende Grenzen überschritten. Das ist aber nicht nur in Deutschland der Fall, das Muster zieht sich durch fast alle europäischen Staaten. Das ist eine Art Pendel, welches nun in eine andere Richtung ausschlägt. Da wollte ich nicht still zusehen, ich möchte nicht, dass diese Veränderungen unkommentiert bleiben.
Ich habe Kontakte zu verschiedenen Menschen in der Welt, aber eins verbindet uns: das ist die Musik. Wir sollten über Werte Gemeinschaften definieren. Wir haben in Europa aus den vergangenen Kriegen gelernt. Den Nachbarn kannst Du nicht auslöschen, egal wie du ihn bearbeitest, am Ende ist er immer noch da. Also muss der Mensch eine Strategie erarbeiten wie er miteinander leben kann und nicht wie er seinen Nachbarn auslöschen könnte. Das Pendel bewegt sich gerade in die andere Richtung. Trotzdem glaube ich, dass es eine kleine Minderheit ist, was sich in den AfD-Wahlergebnissen zeigt. Im Schnitt werden die Rechten im Bund es schwer haben, die 10% zu erreichen. Es wird einfach Zeit, dass die normal denkende, leise Mehrheit der Menschen auch seine Stimme erhebt und in diesem Kontext möchte ich die neue Platte verstanden wissen.
Der erste Weltkrieg trug die Industrialisierung aufs Schlachtfeld
Es sind Sequenzen unter anderem von Nazipropaganda bei „Vaterland“ zu hören. Über Kriege, auch gerade den zweiten Weltkrieg, hat sich auch SABATON ausgelassen, mit reichlich Panzer und Armeeklamotten auf der Bühne. Stellt „We Are The People“ den Gegenentwurf mit einer klaren Stellungnahme seitens REBELLION da?
Ganz ehrlich, SABATON ist nicht meine Band, überspitzt gesagt spielen SABATON Hausfrauen-Metal und das ist einfach nicht mein Ding. Die sind kommerziell erfolgreich und das gönne ich jeder Band, welche nicht zu weit in der rechten Ecke steht. Wenn ich einen Text über eine Schlacht im Teutoburger Wald schreibe mit viel blutigen Lyrics, dann ist das im Prinzip wie der Film Gladiator. Das war eine andere Art der Kriegsführung. Wenn Du jemanden mit deinem Schwert den Bauch aufschlitzt, dann hast Du gesehen was du getan hast. Der erste Weltkrieg war der erste Krieg, der die Industrialisierung der Wirtschaft auf das Kriegsfeld getragen hat.
Ich war in Verdun und ich habe mir die Geschichte dort angesehen. Das war extremst beeindruckend, da sind Menschen für 50 Meter nach vorne oder 50 Meter nach hinten einfach nur gestorben. In Verdun sollten die französischen Soldaten ausbluten, das war Teil der deutschen Kriegsführung. Die Menschen, welche dort oder in Stalingrad, der Schlacht um Berlin mit 14jährigen Kindern an der Front, gestorben sind, sind im Glauben an ihr Vaterland gestorben. Aber was ist denn das Vaterland? Das war von 1933 bis 1945 ein faschistischer Diktator, der Menschen in den Tod schickte. Für mich ist das Vaterland ein gespielter Witz. Ich tue nichts für Deutschland. Ich tue etwas für Werte, hinter denen ich stehe. Ich bilde gerade an der Uni zukünftige Lehrer aus. Da sind immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund dabei. Das zeigt, dass diese Migranten mittlerweile schon lange angekommen sind. Diese Menschen sind in Deutschland geboren, studieren oder sind akademisch ausgebildet und passen eigentlich in keine Schublade, weil sie zum Beispiel Mohammed oder Aische heißen. Mit diesen Menschen verbindet mich weit mehr als mit dem AfD-Wähler aus der sächsischen Schweiz.
„Gods Of War“ mit überraschender Saitenarbeit
Die gesamte Scheibe wirkt härter und anklagender als einige andere Outputs, die eher die Geschichte von zum Beispiel Wikingern erzählen. So sind für den REBELLION-Kosmos recht überraschende schwarzmetallische Riffs bei „Gods Of War“ zu hören. Wer hat die Musik zu „Gods Of War“ komponiert?
Das kommt von unseren beiden neuen Gitarristen, der Fabrizio hat „Gods Of War“ und „Vaterland“ geschrieben. „Vaterland“ sollte ursprünglich „Liberté, Égalité, Fraternité“ werden. Ein Teil von dem Song hatte ich gehört und da wusste ich, dass es der Refrain ist und da passte die Nationalhymne perfekt dazu. Durch die Pandemie hatten wir einfach die Zeit mehr zu probieren. So hat sich ein anderes Feeling für die neue Scheibe ergeben, ohne das der Rebellion-Vibe verloren geht. Der Bruch zur „A Tragedy In Steel Part II: Shakespeare’s King Lear“ ist schon größer, da wir diese old school im 90er Jahre Style produziert haben. Das bedeutet, zwei Gitarren mit viel Raum für Gesang und Bass. Mir gefallen die Songs „Gods Of War“ oder „Vaterland“ sehr gut, weil die etwas anders sind, als dass, was wir bisher musikalisch geliefert haben.
„All In Ruins“ ist in Teilen schon mehr Doom als Power- oder Heavy Metal. Ein gewollter Streifzug über die Genres oder Zufall?
Ja, das ist absolut gewollt. Im Refrain wollte ich ein Gefühl von einem alten Horrorschinken unterbringen und habe so den Bass unterlegt. Es sollten durch die neuen Musiker auch neue Einflüsse erkennbar sein. Wir proben bereits die neuen Songs und wir haben auch Konzerte für den Herbst geplant, wo es noch nicht klar ist, ob diese auch stattfinden dürfen. Gebucht haben wir die bereits vor einem Jahr. Ich habe die Hoffnung, dass bis Herbst kleine Veranstaltungen wieder laufen können. Die Impfungen gehen gut voran und ich als Lehrer bin bereits zweimal geimpft.
„We Are The People“ greift auf 1989 zurück
Der Schluss mit „We Are The People” erinnert textlichen in Teilen an die friedliche Revolution 1989. So ist „Wir sind das Volk, die Kraft und die Menge, Wir sind die Menschen, die aufstehen und schreien“ zu hören. Macht REBELLION nun seinen Namen alle Ehre und rebelliert gegen den immer mehr aufkommenden Nationalismus und Rassismus?
Das haben wir bewusst so gewählt. Die neuen Rechten eigenen sich etwas an, was ihnen nicht zusteht. Das ist kultureller Diebstahl. Die Menschen, die Ende der 80er auf die Straße gegangen sind, hatten völlig andere Ideen als das, was die neuen Rechten daraus machen. Das wollten wir geraderücken und uns dieses Stück Kulturgut wiederholen.
Lass uns noch zu zwei Topics über den REBELLION Tellerrand schauen. Dein Name wird immer mit Schottland und GREAVE DIGGER verbunden bleiben als Ideengeber zur „Tunes Of War“. 2020 veröffentlichten GRAVE DIGGER mit „Fields Of Blood“ den dritten Teil über Schottland. Verfolgst Du die Outputs von GRAVE DIGGER?
Nein, ich habe mich damit überhaupt nicht befasst. Ich habe mir ab und wann mal etwas angehört von GRAVE DIGGER und das hat mich nicht berührt. Trennungen von Bands sind manchmal auch etwas schmutziger und solche Dinge haben eventuell Langzeitwirkung.
Wir müssen das Thema Live auf der Bühne noch kurz ansprechen. Konzerte Corona konform ein Thema für euch?
Wir haben Konzerte geplant im Herbst. Wenn wir diese Konzerte durchführen dürfen, dann führen wir die Konzerte unter den Bedingungen durch, welche dann gelten. Besser ein Live-Konzert unter Bedingungen als kein Live-Konzert. Mir macht es Spaß live zu spielen, dafür mache ich Musik.
Danke für das Interview und Deine Zeit, der Schlusssatz ist bei Dir.
Haltet durch und kommt zu den Konzerten, wenn wieder welche stattfinden, besser Sitzplatzkonzerte als keine Konzerte.
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Stile | Heavy Metal, Power Metal |
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>sind im Glauben an ihr Vaterland gestorben. Aber was ist denn das Vaterland? Das war von 1933 bis 1945 ein faschistischer Diktator, der Menschen in den Tod schickte. Für mich ist das Vaterland ein gespielter Witz.<
Grundsätzlich richtig(!), aber mir mißfällt der überhebliche Unterton. Man muss das im zeitlichen Kontext sehen. Mit dem Hintern im Warmen läßt sich immer gut (ver)urteilen..