Wardruna
Das Antike in die Moderne holen

Interview

Das neue Album „Kvitravn“ wurde bekanntermaßen verschoben. Ursprünglich sollte das neue Album von WARDRUNA, der Nachfolger von „Skald“, am 05. Juni 2020 erscheinen, wurde dann aber aufgrund der andauernden Pandemie und der dadurch bedingten Schließungen der Presswerke auf den Januar diesen Jahres verschoben. Damit ist Einar Selvik sicher nicht allein, aber dennoch ist eine solche Situation immer ärgerlich für einen Künstler. Nun aber erscheint das neue Werk endlich – und wir durften Einar im Rahmen der Promotionskampagne dazu auf den Zahn fühlen.

Entstanden ist ein Interview (durchgeführt von Michael), zusätzlich durfte Kollegin Angela an einem weiteren Presseevent teilnehmen, in dem noch nähere Informationen zu den Hintergründen von „Kvitravn“ gesammelt worden und im folgenden Beitrag als Einschübe in kursiver Schrift zwischengeschaltet sind. Wir haben Einar Selvik zu der Verschiebung der Veröffentlichung befragt, auch zu seiner Beteiligung am Soundtrack zu „Assassin’s Creed: Valhalla“, selbstredend aber auch zu „Kvitravn“ und wie es nun konzeptionell nach dem „Runaljod“-Zyklus weitergeht.

Hallo Einar, wie geht es dir?

Mir geht es gut. Danke der Nachfrage. Es sind geschäftige Zeiten für mich, was speziell dieser Tage etwas Positives ist.

Hat das was damit zu tun, dass du in letzter Zeit auch öfters an Soundtracks gearbeitet hast (Vikings, Assassin’s Creed: Valhalla)?

Ja, das spielt dabei mitunter eine Rolle. Diese Arbeit nimmt sehr viel Zeit in Anspruch. Wenn man daneben dann noch am eigenen Material arbeitet, vergeht die Zeit wie im Fluge.

Lass uns dennoch einmal zunächst über das kommende Album „Kvitravn“ sprechen. Das sollte ja ursprünglich letztes Jahr erscheinen, richtig?

Ja, das sollte ursprünglich im Juni erscheinen. Dann kam COVID-19. Wir haben versucht, so gut es ging an dem ursprünglichen Datum festzuhalten. Aber die Produktion der physischen Kopien der Platte hat sich durch die Umstände einfach verzögert, vor allem weil die Presswerke geschlossen hatten. An diesem Punkt haben wir beschlossen, die Veröffentlichung weiter – richtig weit – nach hinten zu verschieben.

Die Veröffentlichung wollten wir in digitaler und physischer Form gleichzeitig veröffentlichen, da ich der Meinung bin, dass ein solches Werk nicht separat veröffentlicht werden sollte. Die Veröffentlichung eines Albums ist immer eine große Geschichte hinsichtlich Marketing und dergleichen. Die Verschiebung hat uns natürlich allen wehgetan, aber wir konnten hier nun mal nichts anderes machen. Daher haben wir die Bremse gezogen und unsere Pläne für „Kvitravn“ angepasst.

Galerie mit 20 Bildern: Wardruna - Autumn Tour 2017

Wie lange war das Album fertig zu dem Zeitpunkt, als ihr das Album ursprünglich veröffentlichen wolltet?

Das Album war bereits um Mitte März herum fertig. Es ist also eine ganze Weile fertig. Und das, was wir jetzt endlich veröffentlichen, ist tatsächlich die Version, die zu diesem Zeitpunkt gestanden hat. Wir haben im Nachhinein keine weitere Hand anlegen müssen, auch wenn das Schrauben an den Songs hier und da sehr verlockend erschienen ist. Aber irgendwann musst du dich mit dem Endprodukt in seinem Zustand abfinden und es als vollendet ansehen. Ich bin tatsächlich sehr stolz mit dem, was bei unseren Arbeiten diesmal rausgekommen ist, daher habe ich im Grunde auch keine große Notwendigkeit darin gesehen, hier über die ursprüngliche Fertigstellung hinaus aktiv zu werden.

Das erste, was mir aufgefallen ist, ist, dass „Kvitravn“ wieder zugänglicher geworden ist. Woher kam die Entscheidung, von „Skald“ wieder zum „Runaljod“-Sound zurückzukehren?

Das war von Anfang an geplant. „Skald“ war etwas, was ich im Grunde seit Beginn meiner Arbeit als Akustikperformer und Lektor machen wollte. Es gab so viele Leute, die wollten, dass ich so etwas aufnehme und veröffentliche. Es fühlte sich einfach wie der richtige Augenblick an, dies nach dem „Runaljod“-Zyklus zu tun. „Skald“ ist für mich das ideale „In Between“-Album geworden. Aber dabei ist es eben geblieben. Von Anfang an war klar, dass ich wieder zum ursprünglichen WARDRUNA-Sound der Trilogie zurückkehren würde.

Nachdem er sich rund 15 Jahre mit „Runaljod“ beschäftigt hatte, habe er nach dessen Ende eine gewisse Leere verspürt, so Einar. Eine Kombination aus Erleichterung und Niedergeschlagenheit. Das neue Album bewege sich nun in der gleichen Landschaft, gehe aber mehr in die Tiefe und sei persönlicher.

Laut Presseinfo ist „Kvitravn“ dein persönlichstes Werk. Kannst du das vielleicht bitte einmal erläutern?

Ich würde sagen, dass alle meine Werke zu einem gewissen Grad persönlich sind. Gleichzeitig bin ich immer darum bemüht, eine gewisse, notwendige Distanz zu wahren, also mein Leben und meine Arbeit auseinanderzuhalten. Es wird nicht als Wahrheit serviert, sondern eher als Katalog von Fragen. Das erlaubt es dem Hörer, seine eigenen Antworten zu finden beim Hören.

Aber natürlich ist „Kvitravn“ auch wieder sehr persönlich, da alle meine Musik persönlich ist. Es geht um verschiedene Arten von Tieren, wie das Verhältnis vom Menschen zur Natur. Ich versuche die Details zu analysieren und in die Traditionen einzutauchen, wie wir die Natur wahrnehmen und wie wir uns im Lichte spiritueller Traditionen als Mensch selbst wahrnehmen. In dieser Hinsicht ist es persönlicher, da mir diese Fragestellungen persönlich wichtig sind.

Ich habe ein paar zentrale Themen aufschnappen können. Ich weiß nicht ob das der richtige Begriff ist, aber kann es sein, dass WARDRUNA mit „Kvitravn“ etwas moderner geworden sind?

Möglicherweise sind wir damit tatsächlich moderner geworden. Es ist immer noch in gewisser Weise eine Transkription alter Weisen und Traditionen, aber wir können nach wie vor etwas davon lernen. Ja, ich würde sagen dass „Kvitravn“ deutlich direkter, unmittelbarer und moderner geworden ist.

Auch Zeitgenössisches ist für Einar eine Quelle der Inspiration. Er sagt, das, woraus er Inspiration ziehen kann, sei unbegrenzt. Das Genre sei ihm dabei nicht wichtig.

Vielleicht können wir spezifischer über ein paar Beispiele reden, wie zum Beispiel der Titeltrack, der sich auf einen weißen Raben bezieht.

Der Rabe als Bildnis hat verschiedene Schichten, auf denen er funktioniert. Er funktioniert als Symbol für Weit- bzw. Voraussicht, aber auch als spiritueller Leiter. Es geht einerseits um eine spirituelle Verbindung, aber es geht auch im weiteren Sinne darum, wie wir uns Wissen aneignen, ob wir es uns aus externen Quellen aneignen oder ob es immer schon da gewesen ist.

Ich denke es ist eine Balance aus beiden, da wir als Menschen oftmals auch nach einer Wahrheit außerhalb uns selbst suchen, die aber möglicherweise bereits in uns verankert ist. Die Suche nach Wissen, oder, wenn man so möchte: diese Reise führt uns nach außen, aber sie führt uns gleichzeitig auch nach innen.

Der Rabe ist in der nordischen Mythologie ein Bote zwischen den Welten. In vielen Kulturen haben weiße Tiere zudem eine sakrale Bedeutung. Sie umgibt etwas Prophetisches und sie repräsentieren Wandel. Der Name „Kvitravn“ ist für Einar schon lange von großer Bedeutung, was auch sein Künstlername „Kvitrafn“ zeigt. Das Album ist zwar nicht nach ihm benannt, doch es steckt die gleiche Inspiration dahinter.

Ist das auch, worum es in „Skugge“ geht?

„Skugge“ heißt ja „Schatten“ und handelt im weiteren Sinne von derselben Sache. Wir wissen eine Menge an Dingen, aber der Schatten per se ist auch eine faszinierendes Bild. Es ist eine dunkle Seite von uns selbst. Du kannst ihn nicht fangen, gleichzeitig kannst du ihm aber auch nicht entkommen. Der Song philosophiert darüber, auch über die Idee, dass wir die Antworten bereits wissen, nach denen wir außerhalb von uns selbst suchen. Während du also außen suchst, suchst du gleichzeitig innen.

Worum handelt der Song „Ni“, der nach der Nummer 9 betitelt ist?

Das ist ein eher obskurer Song. Man kann sagen, dass er so eine Art Einführung ist in gewisse Lehren von alter Volksmedizin respektive nordischer Zauberei. Der Song erforscht oder beleuchtet die verschiedenen Vorstellungen in Hinblick auf die Zahl 9 und welche Bedeutung dahinter steckt. Das geschieht durch die Darstellung verschiedener, obskurer Dinge aus der Zauberei. Dabei spielt auch Okkultismus eine zentrale Rolle.

Was heißt Okkultismus hierauf bezogen? Ich verwende gerne den Begriff Volksmedizin. Das ist im Grunde das, was Okkultismus bedeutet. Es bezieht sich auf Verschiedenes, von Heilung hin zum Wunsch, etwas zu entdecken oder Materie zu verändern. Die Absicht ist dabei immer individuell. Damit geht der Song ins Spezielle, ohne jedoch mit spezifischen Fachtermini um sich zu schmeißen. Neugierige, im Okkultismus bewanderte/belesene Hörer können hier sicher das ein oder andere Kleinod finden.

Einar glaubt, dass ein Grund, weshalb die Musik von WARDRUNA so viele Leute anspricht, deren Suche nach Konnektivität ist, nach etwas Größerem und Bedeutenderem. In dieser Suche wenden sie sich der Tradition zu. Diese ist aus der Natur und unserer Verbindung zu ihr geboren. Einer selbst lässt sich für WARDRUNA stark von der Natur inspirieren und sieht sich selbst als Teil seiner Umgebung. Die Natur, das Wetter und die Landschaft haben immer einen großen Einfluss auf naturgebundene Kulturen. Die nordische Musik neigt daher dazu, sehr dunkel und melancholisch zu sein. Die nordische Kultur erkennt aber auch die Schönheit an, die in der Melancholie liegt.

Ist diese Lehre der Volksmedizin damit abstrakter als beispielsweise die Lehre der Alchemie?

Ich denke schon, dass die Volksmedizin abstrakter als Alchemie ist, da sie sich deutlich mehr ans Spirituelle anlehnt als die Alchemie.

Würdest du mit dieser Dualität zwischen Spirituellem und Persönlichen sagen, dass du mit WARDRUNA so etwas wie moderne Philologie betreibst?

Das ist nicht so leicht zu sagen. Ich weiß nicht, ob WARDRUNA etwas rein Musikalisches ist, ob diese Arbeit Archäologie ist oder ob sie Philologie ist. Ich versuche einfach immer, in die primären Quellen einzutauchen, um irgendeine Form von Fundament zu finden, auf Basis dessen ich meine Kunst entwickeln kann. Ich versuche, das Wissen, das uns zur Verfügung steht, abzurufen, bevor ich mich in die Praxis des Musizierens stürze.

Dadurch, dass mir sowohl der akademische als auch der praktische Ansatz zur Verfügung stehen, kann man definitiv sagen, dass es sich um eine Art musikalischer Archäologie handelt. Und natürlich kann man dazu auch einen artistischen, philosophischen oder sprituellen Aspekt hinzufügen. Es ist ein vielschichtiges Biest, wenn man so möchte.

Auf „Kvitravn“ finden sich einige neue Instrumente, die aber aus den gleichen Instrumentenfamilien stammen wie die, die man bisher von WARDRUNA kennt. Unter anderem nutzt Einar eine Replika der ‚Trossinger Leier‘. Ihm ist es wichtig, den Klang eines Instruments durch Ausprobieren selbst zu erforschen, bevor er sich anhört, wie es gespielt wird.

Einar Selvik (Wardruna) beim Presseevent. Im Hintergrund rechts neben ihm die Replika der Trossinger Leier.

Und das spielt auch bei deiner Aktivität als Komponist für diese Soundtracks eine Rolle, richtig?

Absolut. Es ist faszinierend, für diese verschiedenen Projekte zu arbeiten. Als ich am Soundtrack für den neuen Assassin’s Creed-Teil gearbeitet habe, war das so wie der Tradition der Skalden meine Stimme zu leihen. Es geht dabei natürlich auch darum, die richtige Stimmung zu erzeugen. Für mich selbst geht es dabei weniger darum, die Vergangenheit wiederaufleben zu lassen. Mir ist wichtiger, etwas Neues zu erschaffen, das seine Wurzel in der Vergangenheit hat.

Für Assassin’s Creed ist diese Arbeit natürlich sehr spezifische gewesen. Es war etwas strikter hinsichtlich der Instrumentierung, gleichzeitig sind die Stücke auch von kompromissloser, skaldischer Natur. Wer das „Skald“-Album kennt, wird dieses Format wiedererkennen.

Neben „Assassin’s Creed Valhalla“ erscheint die Musik von WARDRUNA und Einar Selvik nach wie vor in der TV-Serie „Vikings“. Dort durfte Einar sich in Staffel 4, Episode 6 quasi selbst spielen. Er sagt, es sei eine tolle Erfahrung, aber auch eine Herausforderung gewesen, und er habe aus Nervosität, als die Klappe fiel, sogar kurz seinen eigenen Text vergessen. Eine weitere lustige Anekdote: Im Vorfeld hatte er gescherzt, am Set sicher seinen eigenen Wohnwagen zu bekommen. Diesen bekam er dann tatsächlich. Einar stellt aber auch klar, dass WARDRUNA nicht ‚Viking‘ sind, sondern er den Begriff ‚Norse‘ bevorzugt, der die nordische Kultur als Ganzes erfasst, statt sich nur auf das Wikinger-Zeitalter zu beziehen.

Hast du da direkt mit Jesper Kyd und Sarah Schachner zusammengearbeitet?

Wir hatten verschiedene Ansätze und Anweisungen, was die Kompositionen betrifft. Ich hatte mein Aufgabengebiet und sie hatten die ihrigen. Trotzdem fanden wir glücklichweise Stücke, auf denen wir zusammenarbeiten konnten.

Dann vielleicht eine abschließende Frage, allgemein gestellt: Was kannst du generell darüber sagen, wie die Rhythmik von antiker, norwegischer Sprache in deine Musik hineinfindet?

Das ist eines der Dinge, die ich sowohl mit WARDRUNA als auch mit den Soundtracks, an denen ich gearbeitet habe, versuche, umzusetzen. Ich versuche die nordische Kultur darzustellen. Viele Komponisten benutzen die altnordische Sprache mit anachronistischen Kadenzen und Rhythmen. Wir wissen natürlich nicht alles, aber es gibt Übereinkünfte in der Sprachwissenschaft. Es gibt ja Leute, die sagen, dass das heutige Isländische direkt mit der alten, nordischen Sprache verwandt sei, aber das stimmt nicht. Auf dem Papier sieht die Sprache ähnlich aus, aber das alte Norwegische ist deutlich langsamer mit anderen Diphthongen und die Aussprache wäre auch etwas anders.

Was die Rhythmik angeht, so gibt es sehr viele Skaldengedichte, die relativ gut überliefert sind. Die Versarten respektive Metrik von später entstandener Lyrik ist dabei oft ähnlich wie die der alten Gedichte, was uns ein Gefühl von der damaligen Rhythmik gibt. Wir wissen auch über verschiedene Arten des Gesangs. Durch diese Forschung kann man schon relativ viel über die alte Sprache sagen, wie sie geklungen haben mag, was genau das ist, was ich versuche umzusetzen.

Neben Altnordisch und sogar Urnordisch, das er sich kontinuierlich selbst beibringt, unter anderem mit der Hilfe von Philologen, lässt Einar auch seinen eigenen norwegischen Dialekt – oder, besser gesagt, den seines Großvaters – mit in die Texte von WARDRUNA einfließen.

Dann danke ich dir für die Zeit, die du dir genommen hast.

Gerne. Danke für das Interview.

Quelle: Einar Selvik, Foto: Arne Beck
17.01.2021

Redakteur für Prog, Death, Grind, Industrial, Rock und albernen Blödsinn.

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