Warbringer
Interview mit John Kevill

Interview

Nach einigen Umstrukturierungen meldeten sich WARBRINGER im März mit ihrem neuen Album „Woe To The Vanquished“ zurück. Gleichzeitig zogen sie mit HAVOK los, um das neue Material auf europäischen Bühnen zu präsentieren. So war auch dieser Abend geplant. Wegen zweier Shows in benachbarten Clubs wurde das Berliner Konzert am 15.04.2017 allerdings mit dem von HATEBREED und DYING FETUS zusammengelegt. Eine Kombination, die erstmal seltsam anmutet. WARBRINGER-Fronter John Kevill nahm es aber sportlich und setze sich trotz sehr frühem Set noch mit uns zusammen, um über das neue Album, dessen Hintergründe und den Thrash Metal zu plaudern. Dabei stellte sich schnell heraus, dass er weder auf den Kopf noch auf den Mund gefallen ist. Das Interview ist also etwas ausführlicher geworden, lohnt sich aber gerade deshalb! Besonderer Dank gilt dem Kollegen Dominik Rothe, aus dessen Feder einige der Fragen stammen.

 

Zuerst einmal danke, dass du dir Zeit für uns nimmst!
Heute Abend wurde eure Show mit der von HATEBREED und DYING FETUS zusammengelegt. Wie stehst du dazu?

Ich hoffe nur, dass wir nicht zu früh spielen, das ist meine Hauptsorge. Und wir spielen kürzer, also gibt es da ein paar Nachteile. Aber der Vorteil ist, dass wir für neue Fans und ein neues Publikum spielen können, außerdem konkurrieren so nicht zwei Shows für die etwa gleiche Zielgruppe, davon hätte keiner was.

Du hast also auch kein Problem damit, mit Bands aus anderen Genres zu spielen.

Ich habe mit all diesen Bands schonmal gespielt, von daher… (lacht). Das muss man irgendwie auch machen, denn wenn wir nur mit Thrash Metal Bands spielen wollten, wie viele Bands gäbe es dann noch, mit denen wir spielen könnten?

Ihr seid jetzt etwa in der Mitte der Tour. Wie gut hat sich das neue Material bisher live bewährt?

Es ist mein Lieblingsalbum bisher. Wir eröffnen die Shows mit den ersten vier Songs auf dem Album, und alle lieben das, weil es das massivste Material ist, das wir bisher geschrieben haben.

Ihr hattet ja angekündigt, dass es das härteste Album bisher wird. War das der Plan oder hat es sich einfach so entwickelt?

Nein, das war ein Plan, das ganze Album ist sehr durchgeplant. Wir wollten es auf eine bestimmte Art haben, wir hatten eine Idee davon, was der nächste Schritt für die Band sein sollte. Wir haben uns alle darauf geeinigt, und als wir das neue Material geschrieben haben, haben wir gezielt daran gearbeitet, uns selbst zu toppen. Das Album davor war experimenteller und hatte einen weicheren Sound, verglichen mit einigen unserer anderen. Jetzt wollten wir die Band sein, die einfach alles vernichtet, und wir wollten das krasser machen als alle anderen heutzutage, in jedem Genre. Also, das ist der Plan.

Da kommt dann auch die Symbolik Gesellschaft am Abgrund, Krieg, etc. ins Spiel, was das Hauptthema auf dem Album ist.

Ja. Und ich glaube, dass wir das auf diesem Album viel besser anpacken als in früheren Songs. Wir hatten vorher schon Songs über dieses Thema, aber ehrlichgesagt weniger, als die Leute glauben (schmunzelt). Dieses Album ist zu drei Vierteln darüber, und ich kann mich endlich voll darin ausleben. Ich studiere Geschichte, speziell Militärgeschichte, und da gibt es Thematiken, nicht nur Vorkommnisse, sondern ganze Thematiken, die ich rüberbringen will. Zum Bespiel das Gefühl von rasender Wut auf die Verfehlungen der Menschheit, oder die Frustration wegen unserer scheinbaren Unfähigkeit, uns gegenseitig nichts Schlimmes anzutun.

Würdest du das Album als politischer als andere Alben bezeichnen?

Nein, und ich umgehe gezielt die aktuelle Politik, indem ich fast alles in der Vergangenheit spielen lasse. Ich will die Thematiken rüberbringen, aber für mich sind das menschliche Thematiken, nicht das aktuelle Zeitgeschehen. Das aktuelle Zeitgeschehen spiegeln diese Thematiken wider, nicht umgekehrt. So sehe ich das. Ich versuche, mehr über die Seele der Menschheit zu sprechen, als über Politik.

Also Geschichte, die sich wiederholt?

Naja, ja. Sie wiederholt sich nicht, sie gleicht sich. Da gibt es ein Zitat, jemand hat das mal gesagt, „it doesn’t repeat, it rhymes“ [„History doesn’t repeat itself, but it often rhymes“ – angeblich Mark Twain, Anm. d. Red.]. Eine Epoche, das ich auf dem Album oft behandle, ist der erste Weltkrieg, den man oft vergisst, weil man viel mehr über den zweiten weiß. Dadurch erhält man ein unvollständiges Bild. Denn wo kommen die Nazis denn bitte her, muss man sich fragen. Speziell viele Amerikaner haben dieses Bild, dass da plötzlich etwas Böses war, und niemand weiß genau, wo es herkam. So, wie die Amerikaner seit dieser Zeit das Selbstbild der Weltretter haben, und dass jeder nur darauf wartet, dass sie wieder zu Hilfe eilen. Die Geschichte des ersten Weltkriegs, wie es zu all dem kam, wird oft vergessen, weil es so eine deprimierende, sich wiederholende, seelenzermürbende Geschichte ist.

Bevor man dieses monumentale Böse hat, hat man erstmal Verantwortliche, die einfach dumm sind, und der Schaden, den die anrichten, zieht sich noch durch die nächsten Generationen. Deshalb müssen wir als Menschheit extrem besonnen handeln, denn wir schaden nicht nur unserer eigenen Welt, sondern auch der Zeit danach. Und der zukünftige Schaden könnte noch viel schlimmer sein, denn der erste Weltkrieg hatte vielleicht 15 Millionen Opfer, und der zweite gleich ca. 60 Millionen. Die Ursachen des ersten Weltkriegs sind größtenteils Unsinn, vermeidbarer Kram. Wer weiß wo wir als Menschheit stünden, wenn in einer Art alternativen Geschichte nichts davon je passiert wäre. So denke ich da, und wenn ich Professor bin, will ich das zum Thema meiner Arbeit machen. Ich will die Geschichte zwischen der französischen Revolution und dem zweiten Weltkrieg erzählen, denn ich sehe einen roten Faden, der sich durch all das zieht.

Sorry, ich arte aus (lacht). Also auf dem Album versuche ich wie gesagt mehr die Thematiken zu bearbeiten als die Ereignisse, denn die sind kompliziert und lang, und Musik ist nicht wirklich das passende Medium für sowas. Für die Musik will ich lieber ein Gefühl von Wut und seelenzermürbender Traurigkeit. Ihr werdet sehen, dass der erste Teil des Albums eher der wütende, feurige Teil ist und gegen Ende ist es einfach nur traurig, bitter und untröstlich. Es geht um die Seele der Menschheit, und ich benutze den Krieg als Linse, durch die das betrachtet wird.

Es gibt ja die Diskussion, ob der Mensch an sich grundsätzlich böse oder gut ist. Hast du dazu eine Meinung, oder ist das alles ungewiss?

Nein, dazu habe ich eine bestimmte Meinung, und ich bin auch ziemlich sicher, dass ich Recht damit habe. Es ist eine komische Antwort, aber die Antwort ist: Beides. Und die gleiche Person kann beides sein. Es ist eine Dualität der menschlichen Natur. Wenn man sich das genauer anschaut, stößt man auf so viele ethische Fragen, die man nicht beantworten kann, weil es eben so paradox ist. Viele Dinge können in einem Kontext ehrenhaft und glorreich sein, aber auf der anderen Seite tust du im Namen dessen schreckliche Dinge. Egal ob du für einen Totalitarismus oder eine Demokratie kämpfst, die Ergebnisse können die gleichen sein. Da fällt mir die Geschichte vom demokratischen Athen ein, die wir in der westlichen Welt immer dafür loben, als erstes eine von Bürgern gewählte Regierung gehabt zu haben. Die haben Krieg gegen Syrakus geführt, eine andere Demokratie, und zwar nur aus imperialen und politischen Motiven. Und am Ende hat es zum Ende ihrer goldenen Ära beigetragen. Im Wesentlichen ist jeder Mensch ein wenig gut und ein wenig böse. Unser Handeln ist von extremer Wichtigkeit, und wir dürfen es nicht auf die leichte Schulter nehmen.

Sorry, jetzt bin ich ganz rausgekommen.

Ich auch! (lacht)

Also, zum Album. Ihr hattet einige Personalwechsel seit dem letzten Album. Hatte das Auswirkungen auf den Schreibprozess?

Stimmt. Zwei von fünf sind neu. Drei von uns haben schon zusammen aufgenommen. Ich war auf allen fünf Alben, Adam Caroll war auf den Alben eins bis drei, und jetzt Nummer fünf. Carlos [Cruz] war auf den Alben drei bis fünf. Im Grunde haben ich, Adam und Carlos das Album geschrieben, deshalb klingt es auch nach der gleichen Band.

Ihr habt euch eure Kontinuität also bewahrt.

Es war uns wirklich wichtig, das zu machen. Wir wollten nicht als komplett anders klingende Band wiederkommen. Wir wollten wir selbst sein, besser, schärfer, ernsthafter, cleverer, und tighter. Wir wollten im Grunde WARBRINGER sein, wie zuvor, aber verbessert auf allen Ebenen, die ultimative Version.

Es gibt einen elfminütigen Song auf dem Album. War das auch geplant oder ist das halt so passiert?

Ich wollte einen langen, epischen Abschlusssong machen, aber die Länge von elf Minuten war nicht geplant. Ich hatte mehr an sieben bis acht gedacht. Aber die Jungs haben dann diesen Instrumentalteil geschrieben, und das ist tatsächlich ein Punkt wo Jessie und Chase, die neuen Mitglieder, mitgeschrieben haben. Der lange Soloteil im Song wurde von ihnen komponiert und so hatten wir das ursprünglich nicht geplant. Aber wir fanden das toll, und mit dem Fadeout an Ende waren es dann 10:53 Minuten oder so. Und weil der Song über das Ende des ersten Weltkriegs ist, der auf unheimliche und prophetische Weise um elf Uhr morgens am 11.11. geendet ist, haben wir den Song auf genau 11:11 Minuten verlängert.

Du hast vor einer Weile ein Interview mit dem Forbes Magazine gemacht. Da hast du gesagt, dass eine Europatour um die 40,000 Dollar kosten kann „bevor das Flugzeug überhaupt landet“.

Bevor man selbst Geld damit verdient, so war das eher gemeint. Das haben die etwas dramatisiert. Aber ja, zuerst mal die Flüge. Selbst mit null Crewmitgliedern müssen fünf Leute transatlantik fliegen, das ist teuer. Dann braucht man Transportmittel und Ausrüstung, denn da kann man nicht alles mitnehmen. Um Sachen für eine einmonatige Tour mitzunehmen zahlt man beim Flug nochmal leicht 500 bis 1000 Dollar drauf. Und man muss Crew anheuern. Das nötige Startkapital ist also wirklich hoch, und das muss man erstmal reinholen, bevor man überhaupt Gewinn machen kann. Wenn man das mal geschafft hat, ist eigentlich alles soweit in Ordnung. Busse werden normalerweise nicht plötzlich teurer. Wenn man mehr Crew bucht, oder bessere Ausrüstung, hat man Zusatzkosten, aber die Grundausgaben sind dann gedeckt. Ob man eine große oder eine kleine Band ist macht da wenig Unterschied, weil man ja das Gleiche macht, mal abgesehen von extra Trucks mit Spezialausrüstung oder so, wenn man das Level mal erreicht hat. Für uns ist das wirklich schwierig, denn erstmal zu dem Punkt zu kommen, wo man seinen Unterhalt verdient, ist hart. Oder gar mit Gewinn heimzukommen, selbst wenn die Tour erfolgreich war.

Ihr seid ja auf einem Level, wo ihr keine wirklich kleine Band mehr seid. Wie realistisch ist so eine Tour, auch für kleinere Bands?

Wir können das machen, wir kommen da klar. Aber werden wir mit vollen Taschen nach Hause kommen? Nein. Als Band sind wir auch an einem Punkt, wo wir uns quasi wiederbeleben. Deshalb investieren wir das Geld, das wir verdienen, wieder in die Band, um ein Niveau zu erreichen, das an das von großen Bands heranreicht, oder sogar übertrifft. Denn wir denken, dass wir uns als Musiker mit so ziemlich jedem da draußen messen können. Wenn man eine neue Band live sieht, dann oft ohne, dass sie einen Soundcheck hatten, zehn Dezibel leiser als der Headliner, aufgebaut vor dem Drumkit, mit schlechterer Ausrüstung, also einfach vielen Nachteilen. Und dann sagen alle „naja, also der Headliner war besser“. Ach, was du nicht sagst… Und das ist ein anderes Problem, mit dem kleine Bands kämpfen.

Dagegen will ich angehen, denn ich will eine 10/10 Live-Performance hinlegen. Ich denke, wir haben eine Band, die das kann, und das will ich pushen. Aber heute wirst du merken, dass du keine unserer Banner sehen wirst. Unser Drumkit steht vorne vor dem der Hauptbands, und wir spielen eine halbe Stunde, um 18:00 Uhr. Wir spielen vor einem großen Publikum, aber wir können nicht das volle Programm abziehen, und das ist schade, denn wir sind eine Band, die jetzt fünf Alben hat, und ich will das. Naja, es müssen wohl mehr Leute unsere verdammten Alben kaufen (lacht), und das kann man nicht herbeiführen. Man kann nur die Musik machen, an die man glaubt, und am Ball bleiben.



Das ist ein guter Punkt, den du da anbringst. Was können Fans machen, um euch am besten zu unterstützen? Ist es der Merch, sind es Konzertbesuche…?

Alles das. Alben, Merch, Shows. Jede Art der Unterstützung, die die Musikindustrie auch nachverfolgen kann. Nicht nur Dinge, die der Band Geld einbringen, sondern auch alles, was ihren Bekanntheitsgrad erhöht.

Also auch Mundpropaganda, etc.

Ja, auch. Aber aus Sicht der Musikindustrie vor allem auch was wie oft verkauft wurde. Also auch, wenn eine Band nicht so viel an den CDs verdient, haben die Verkäufe Einfluss darauf, wie sie von der Industrie wahrgenommen wird, und das ist wichtig. Für uns als Band entscheidet das, ob ihr uns auf dem nächsten großen Festival zu sehen bekommt, etc. Natürlich würden wir die gerne spielen, aber das ist nicht wirklich unsere Entscheidung. Es gibt bestimmte Festivals, wie Bloodstock oder Hellfest, die uns halt noch nie gefragt haben, denen wir egal sind. Oder 70000 Tons of Metal, das ist noch so eins. Denen sind wir scheißegal. Wir haben jedes Jahr angefragt, aber nein, kein Interesse.

Das überrascht mich, denn als ich da war, waren da echt auch weniger interessante Bands, als ihr es seid.

Ich weiß. Die mögen halt hauptsächlich kitschiges Keyboard-Zeug. Es geht auch oft um Networking, wer gerade an welchen Bands interessiert ist, oder wer zufällig wen getroffen und mit ihm ein Bier getrunken hat. Oder auch einfach darum, wie man als Band wahrgenommen wird. Wir kämpfen gegen sowas. Wir haben sehr jung angefangen und haben ein typisch rohes, schluderiges Trash-Album gemacht, und alle tun so, als wären wir immernoch diese Band. Aber das war vor zehn Jahren, und mittlerweile können wir eine Show abliefern, die meiner Meinung nach so ziemlich alle alten Achtziger-Bands zerlegt. Keine von denen spielt so hart wie wir, keine. Nicht mal SLAYER und so. Wir spielen Songs, die wir geschrieben haben, um extremer zu sein. Auf hohem Niveau beim Songwriting und mit besseren Solos. Und während wir das tun ist uns bewusst, dass das, was wir machen, im echtem, tatsächlichem Metal verwurzelt ist. Und das wollen wir auf eine Art machen, die intensiver und auf einem höheren Niveau ist, als wir es bisher gehört haben.

Ich denke jetzt haben wir das geschafft, jedenfalls habe ich das Gefühl, und das will ich der Welt zeigen. Dass Heavy Metal kein Genre ist, das nur in den Achtzigern gut war, oder bei dem es keine guten neuen Alben mehr gibt. Ich hoffe, die Metalszene wird ihre Einstellung da ändern, und neue Bands mehr unterstützen. So, dass auch sie headlinen können und wirklich eine Chance haben, auf dem Level mitzuspielen. Die meisten neueren Bands da draußen schreiben interessantere Alben und spielen intensivere, leidenschaftlichere Shows, wo mehr geheadbangt wird und es mehr abgeht, also alles das, weshalb man zu Konzerten geht. Meiner Meinung nach sind die wirklich Retro Thrash Metal Bands heutzutage die alten Typen, die versuchen, sich daran zu erinnern, was zur Hölle es war, zu thrashen. Wir wollen vorangehen und einen neuen Thrash-Sound machen, und die alten Thrash Metal Bands versuchen, an die alten, glorreichen Tage anzuknüpfen. Also welche sind dann die Retro-Bands?

Ihr spielt ja gleich schon, und die letzten Worte gebühren natürlich dir.

Das aktuelle Album ist das fünfte WARBRINGER Album, hört mal rein, es wird euch weghauen. Und wenn das sechste rauskommt, wird es das auch tun. Wir versuchen, das höchste Niveau an Performance und Songwriting zu erreichen. Dazu sind wir fähig, und sobald wir das nicht mehr sind, verpissen wir uns von der Bühne, denn das machen Musiker mit Ehre. Keep it metal, keep it heavy und denkt daran, dass diese Musik auch morgen noch gebraucht wird. Sie sagt etwas aus, und bringt dich dazu, etwas zu fühlen, was kein anderer Stil kann. Deshalb müssen wir sie spielen!

Vielen Dank für das Interview!

Quelle: John Kevill, Warbringer
04.05.2017

headbanging herbivore with a camera

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