Waldgeflüster
"Die Fesseln, die mich also an das Leben binden, sind die Stücke, die ich schreibe" – Interview mit Winterherz zu "Meine Fesseln"

Interview

Waldgeflüster

Jan van Berlekom ist das (Winter)Herz von WALDGEFLÜSTER. Im Interview mit Metal.de spricht er über das kürzlich erschienene dritte Album „Meine Fesseln“ und gibt einen Einblick in eine Zeit, in der ihn die Motivation für das Schaffen von Musik zu verlassen schien. Außerdem verdeutlicht er seinen Standpunkt zu allgemeinen Themen des Genre Black Metal.

Hallo Jan. Du hast das dritte Studioalbum unter dem Banner von WALDGEFLÜSTER unlängst veröffentlicht und die Reaktionen sind überwiegend positiv bis überschwänglich. Wenn man so persönliche Musik schreibt: Wie bedeutungsschwer sind da die Meinungen anderer?

Grüß dich, André! Ja, bis jetzt kann ich nicht klagen, was die Reviews angeht. Um deine Frage zu beantworten: Ich lasse meine Musik nicht durch Reviews oder Hörermeinungen beeinflussen. Aber natürlich geht einem jede positive wie auch negative Meinung zu Herzen. Wie du schon geschrieben hast, ist WALDGEFLÜSTER für mich sehr persönlich. Wenn man dazu Kritik bekommt, fällt es nicht immer leicht, das sofort abzutun. Immerhin gebe ich mit jedem Song ein Stück meiner Seele preis. Also ja, die Meinungen anderer sind im gewissen Rahmen bedeutungsschwer.

Ich würde gern direkt in das neue Werk eintauchen. Das Lied „Mit welchen Fesseln“ behandelt scheinbar die Sehnsucht nach dem Vergangenen („Was einst war scheint verloren“) und die Schwere beim Öffnen hinsichtlich des Gegenwärtigen oder Zukünftigen („Wohin soll ich mich noch retten, wenn die alte Welt in Trümmern liegt“). Mich interessieren deine persönlichen Gedanken zu dem Stück. Welche Fesseln halten dich?

Dieses Stück entstand zu einem Zeitpunkt, an dem ich das Gefühl hatte, jegliche Motivation und Inspiration für das Schaffen von Musik verloren zu haben. Wenn man dies aber über so viele Jahre als Lebensmittelpunkt und Inhalt betrachtet, musste ich mir die Frage stellen, was mich denn sonst noch am Leben hält, sollte das wirklich wegfallen. Ironischerweise haben mir eben diese Gedanken wieder Aufschwung und Inspiration geben können, um weiterzumachen. Die Fesseln, die mich also an das Leben binden, sind die Stücke, die ich schreibe. Darauf bezieht sich auch der Albumtitel. Deine Interpretation ist aber mitnichten falsch, auch die Sehnsucht nach Vergangenem, der Blick zurück und dieses Loslassen sind Teil des Stücks. Wie bei so vielen meiner Lieder.

Auch in Bezug auf die vorangegangene Frage: Wie lässt sich das, was du magst und empfindest, mit all dem Neuen wie Internet und Co. verbinden? WALDGEFLÜSTER ist ja auch im Social-Media-Bereich recht aktiv. Alles nur Mittel zum Zweck oder kannst du diesen Entwicklungen auch persönlich etwas abgewinnen?

Ich hoffe, dass ich hier nicht falsch verstanden werde: Ich bin sicher kein reaktionärer Fortschrittsverweigerer. Im gleichen Maße, wie ich eine Sehnsucht für Vergangenes in mir trage, bin ich absolut technologiebegeistert. Ich wäre hier nur für den etwas rücksichtsvolleren Einsatz in Bezug auf die Natur. Ich kann dir aber leider auch nicht sagen, wie sich das verbinden lässt. „Zwei Seelen wohnen ach!, in meiner Brust“. Auf jeden Fall sind die sozialen Medien ein sehr guter Weg, um Promotion für eine kleine Band machen zu können. Warum sollte ich das nicht nutzen? Schlussendlich will ich ja immer noch Musik machen, Konzerte spielen usw. Dazu wird nun mal leider Promotion benötigt. Und wie bei jeder Technologie ist es bei der Verwendung von Social Media nur wichtig, das richtige Maß nicht aus den Augen zu verlieren. Wenn man mit etwas Hirn an die Sache herangeht, sehe ich darin sehr viele Vorteile, und sei es nur, um den Kontakt zu den Studienkollegen von damals zu halten.

„Karhunkierros“ ist der Name für die Bärenrunde, eine Wanderroute im Norden Finnlands. Ich gehe stark davon aus, dass du sie auch gelaufen bist, doch erfüllt sie im Kontext des Albums eine rein symbolische Aufgabe oder sind Gedanken zum neuen Album, zu den Texten tatsächlich dabei entstanden?

Der Text zu „Karhunkierros“ handelt wirklich von diesem Trek bzw. einem Gedanken, der mir dort gekommen ist. Der Text ist als Dialog zwischen dem „Weg“, also Karhunkierros, und dem lyrischen Ich, welches ihn betritt, um auf ihm sich selbst und das ewige Streben zu vergessen und so zu innerer Zufriedenheit zu finden, angelegt. Der Titel hat also keine rein symbolische Aufgabe. Und ein Großteil des Textes zu „Mit welchen Fesseln“ ist tatsächlich während diesem Trek entstanden.

Aus meiner Sicht ist das grundlegende Konzept diesmal nicht so schnell erkennbar wie bei den zwei Vorgängern. Man muss sich schon näher mit den Texten befassen, statt nur auf die Titel zu schauen. Mit deinen Worten: Wo liegt der inhaltliche rote Faden?

Diesmal gibt es auch keinen beabsichtigten roten Faden, auch bei „Herbstklagen“ war dies nicht der Fall. Die Stücke stehen eigentlich für sich alleine, was sie verbindet, ist die musikalische Ausrichtung und dass sich jedes mit meinen persönlichen Gedanken und Gefühlen beschäftigt. Wenn es so etwas wie einen roten Faden geben sollte, ist es wahrscheinlich „Veränderung“. Viele der Stücke handeln von Veränderung, dem Älter- bzw. Erwachsenwerden, welche Auswirkung das haben kann und wie man bzw. ich damit umgehen soll.

Vermutlich nicht mit WALDGEFLÜSTER, aber reizt es dich prinzipiell, lyrisch und konzeptionell auch mal andere Wege abseits der Naturthematik zu gehen?

Auf jeden Fall. Der letzte Versuch war mit einem Elektro-Projekt, das ich mit einem ehemaligen Live-Gitarristen von mir immer mal wieder nebenher betreibe. Dort haben wir lyrisch wie musikalisch sehr unterschiedliche Wege betreten, und ich hoffe, das in Zukunft auch noch machen zu können. Ehrlicherweise muss ich aber gestehen, dass ich glaube, bei dieser Naturthematik einfach am besten zu sein. Abgesehen davon, ob das, was ich da schreibe, wirklich gut ist oder nicht, halten meine anderen Texte, glaube ich, da nicht wirklich mit.

Mir erscheinen die Drums mitunter etwas dünn, in der Rezension bin ich aber nicht weiter darauf eingegangen, weil die Gitarren eh omnipräsent erscheinen. Bist du im Endeffekt komplett zufrieden mit dem Sound, mit der Produktion?

Doch, eigentlich bin ich sehr zufrieden mit dem Sound. Klar, die Bassdrum hätte etwas mehr Kick vertragen können, die Snare hätte an manchen Stellen etwas lauter sein können, aber im Großen und Ganzen bin ich zufrieden. Ich musste auch irgendwann aufhören. Am Schluss habe ich nur noch im Kreis gemischt. Das ist immer das Problem, wenn man alles selber machen will. Ich denke aber, dass ich mich hinter anderen Black-Metal-Produktionen sicher nicht verstecken muss. Es gibt noch sehr viel besser produzierte Alben, aber dieser High-End-Sound würde auch nicht ganz zu WALDGEFLÜSTER passen. Mein Sound muss noch etwas „erdig“ sein und ein paar Ecken und Kanten aufweisen, sonst fehlt einfach das Feeling. Zumindest sehe ich das so.

„Meine Fesseln“ wurde offiziell als „das musikalische und emotionale Bindeglied zwischen den zwei letzten Alben“ bezeichnet. Das kann auch als Abschluss interpretiert werden – vielleicht nicht in Bezug auf die Band an sich, doch was kommt, wenn man so ein Dreierpaket geschnürt und abgeschickt hat?

Das wird sich zeigen. „Meine Fesseln“ ist eben ein Bindeglied zwischen den letzten Alben, da ein Teil der Songs zwischen „Herbstklagen“ und „Femundsmarka“ geschrieben wurde und somit ältere Ideen mit Neuen gemischt wurden. Für das nächste Album muss ich mal wieder von Null starten. Ich denke, dass mir das viel Freiheit für den kreativen Prozess geben wird, und ich freue mich auf viele Experimente.

Das neue Album ist erstmals auch in den Staaten erschienen. Kündigen sich bereits neue Möglichkeiten wie Konzerte außerhalb von Europa an?

Nein, bis jetzt leider noch nicht. Aber so kurz nach der Veröffentlichung ist es wohl auch etwas früh dafür. Ich würde mich auf alle Fälle freuen, wenn sich das mal realisieren lassen würde.

Ich würde gerne noch ein wenig über den Black Metal an sich, über das Genre sprechen. Gibt es für dich anspruchsvollen Black Metal?

Definitiv. Wobei man hier wohl anspruchsvoll erstmal definieren muss. Es gibt für mich drei Sorten des Anspruchs in der Musik – technisch, lyrisch und emotional. Wobei die Grenzen fließend sind. Mit „technisch“ meine ich die technischen Fertigkeiten der Musiker sowie die kompositorischen in Bezug auf Arrangement etc. Ein Beispiel im Black Metal sind hier für mich DEATHSPELL OMEGA. „Lyrisch“ sollte selbsterklärend sein, Aushängeschild ist hier klar NOCTE OBDUCTA (wobei diese ebenso in die erste Gruppe eingeordnet werden können). Mit „emotional“ meine ich die emotionale Herausforderung, vor die ein Stück den Hörer stellen kann. Auch wenn es nicht unbedingt zum Black Metal gezählt werden kann: NADJA ist so ein Fall. Aus dem Black Metal könnte man z. B. AUSTERE dazuzählen.

Sind Kategorisierungen hilfreich, um den Überblick bei den vielen Bands und Veröffentlichungen zu behalten? Und würdest du die Musik von WALDGEFLÜSTER zum Beispiel als Post Black Metal bezeichnen?

Ja, ich denke Kategorisierungen sind wichtig. Wie sonst soll man sich über Musik unterhalten? Kategorisierungen sind hier ein wichtiges Hilfsmittel, und ich kann nicht ganz nachvollziehen, warum sich manche Bands darüber aufregen. Ich muss mit der Kategorisierung eines anderen ja nicht unbedingt konform gehen, und eine Genre-Einteilung sagt ja nur etwas über einen kleinen Bruchteil der Musik aus. Ich persönlich würde WALDGEFLÜSTER nicht unbedingt als Post Black Metal bezeichnen, da für mich zu wenige Elemente, die für mich zu Post gehören, enthalten sind. Ich kann dir beim besten Willen aber auch keine bessere Kategorisierung nennen. Es ist immer schwer, die eigene Musik einzuteilen, dafür ist man zu nah dran. Ich überlasse das einfach euch und somit ist Post Black Metal für mich auch vollkommen ok.

Bands wie WOLVES IN THE THRONE ROOM distanzieren sich vom Black Metal der älteren Schule. Wie stehst du dazu?

Schwierige Frage. Der Black Metal der frühen 90er hat ein ganzes Genre geprägt, und einige der Tracks sind für mich auch heute noch wahnsinnig gut. Das hat sich bei mir aber immer nur auf einen Teil der frühen 90er beschränkt, viel war noch nie mein Fall. Was deren Einstellung und Message angeht, ist mir vieles zu platt, auch wenn z. B. die Rock’n’Roll-Attitüde von Fenriz faszinierend ist. Ich sehe keine Notwendigkeit, mich vom ursprünglichen Black Metal zu distanzieren, allerdings ist er nur noch ein kleiner Teil meiner musikalischen Vorlieben oder meiner Lebensphilosophie.

Jan, ich danke dir für das Interview und für ein frühes Album-Highlight in diesem Jahr. Möchtest du noch etwas loswerden?

Danke dir für dieses Interview und allen, die „Meine Fesseln“ die nötige Zeit zum Reifen geben. Man sieht sich auf den kommenden Shows.

01.02.2014
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