Vulture Industries
Interview mit Bjørnar

Interview

Gut ein Jahr ist es bereits her, dass die aufstrebende Band VULTURE INDUSTRIES ihr vielgelobtes Debüt „The Dystopia Journals“ veröffentlicht hat. Seitdem werden sie von nicht wenigen als die legitimen Nachfolger von ARCTURUS gehandelt – ein Vergleich, der den Norwegern fasst schon zu den Ohren herausquillt. Demnächst kann man sie hier in Deutschland live erleben, und ich hatte die Möglichkeit, mit Sänger Bjørnar ein paar Worte zu wechseln.

Vulture Industries

Soweit ich weiß, habt ihr unter dem Namen DEAD ROSE GARDEN angefangen, diesen dann aber kurz nach eurem ersten Demo 2003 in VULTURE INDUSTRIES geändert. Da euch die meisten unserer Leser sicherlich noch nicht kennen, kannst du uns ja mal eben in die Band einführen. Wer seid ihr, seit wann seid ihr und wie sind VULTURE INDUSTRIES zu dem geworden, was sie heute sind?

Wir sind eine Band, die sich aus fünf unterschiedlichen Individuen zusammensetzt, die es irgendwie schaffen, gemeinsam Musik zu machen. Wir beschränken uns möglichst wenig, wenn es darum geht, welcher Elemente und Genres wir uns bedienen, wenn wir uns musikalisch ausdrücken. Deshalb bezeichnet man unsere Musik häufig als Avant-garde oder progressiv. DEAD ROSE GARDEN war eine Gothic/Doom-Band, auf ihrer Asche entstand VULTURE INDUSTRIES. Nach einigem Auf und Ab fehlten ihnen noch ein paar Leute in der Besetzung, so dass unser Gitarrist Øyvind mich fragte, ob ich den Gesang übernehmen wollte.
Das erste halbe Jahr war für uns mehr oder weniger eine Übergangsphase. Wir nahmen unser erstes Demo auf, welches noch aus altem DRG-Material bestand, bei dem aber der Gesang an meinen Stil angepasst wurde. Zu dem Zeitpunkt waren wir weder mit dem Namen noch der Musik wirklich zufrieden. Wir merkten schnell, dass sich die Musik in eine andere Richtung entwickelte. Deshalb war es an der Zeit für einen neuen Namen und einen Neuanfang.

„Vulture“ kann vieles bedeuten. Da fällt mir natürlich der Greifvogel ein, aber auch die Bösewichte aus den Marvel-Comics. Doch bevor ich hier weiter spekuliere – was bedeutet „Vulture Industries“ für euch?

Der Name ist offen für Interpretationen, ich persönlich sehe in diesem Begriff ein Abbild der modernen Welt. Ich muss allerdings zugeben, dass die größte Motivation hinter diesem Namen für uns einfach sein toller Klang war.

Euer Album „The Dystopia Journals“ ist zum ursprünglichen Release vor einem Jahr leider an unserem Magazin vorbeigegangen, allerdings ermöglicht uns diese Zeitspanne eine kleine Retrospektive. Man kann wohl sagen, dass das Album ein Erfolg für euch war. Das vorherige Demo fand ja bereits viele lobende Worte, so dass das positive Feedback für „The Dystopia Journals“ sicherlich nicht unerwartet kam. Wir habt ihr denn die Reaktionen auf das Album wahrgenommen?

Sowohl Fans und Presse haben das Album mit offenen Armen empfangen, das hat uns natürlich sehr gefreut. Wir waren sehr zuversichtlich, dass die Reaktionen so ausfallen würden, da wir uns selbst sicher waren, das Album so gut wie nur möglich gemacht zu haben. Trotzdem ist bewegt sich unsere Musik ja nicht im Mainstream, deshalb haben wir auch mit Reviews der Art „Was zum Geier ist das denn??“ gerechnet.

Mit dem Titel im Hinterkopf habe ich das Album als eine Art Reise beschrieben, auf der ihr die Reisenden seid, und den Zuhörern von euren Erlebnissen berichtet. Kannst du uns in das Konzept des Albums einweihen?

Dieser Vergleich von dir trifft es ziemlich genau. „Dystopia“ bezieht sich auf die subjektive Welt des Hauptdarstellers, dem „Ich“ in den Songtexten. Es ist eine schattenreichere und dunklere Reflektion der Welt, in der die meisten von uns leben. Die Tagebücher verbinden seine Erfahrungen, Reflektionen und Reise durch diese Welt. Die meisten der Texte entstanden für sich allein, aber je mehr wir voranschritten, umso deutlicher erkannte ich ein Muster, welches diese Songs miteinander verband. So gesehen ist das Album mehr oder weniger unbeabsichtigt in dieses Konzept hineingewachsen.

Diese Reise findet nicht nur konzeptuell statt sondern auch in der Musik. Ihr verbindet Strukturen von (nicht notwendigerweise Black) Metal und Industrial mit kleinen Experimenten und Avant-garde. Das lässt auf zahlreiche Einflüsse schließen, die euch beim Ausloten neuer Grenzen inspirieren. Was hat den Weg für die Entstehung von „The Dystopia Journals“ geebnet?

Ich denke mal, es ist die Offenheit gegenüber neuen Einflüssen und eine generelle Ablehnung von Konformität, sowohl im Leben als auch in der Musik. Ich finde es wichtig, dass man als Individuum eine aktive Rolle in der Gestaltung seines eigenen moralischen Kodes übernimmt. Die automatische und unkritische Akzeptanz von vorgefertigten Wahrheiten ist die Wurzel fast allen Übels, was sich in der Geschichte abgespielt hat. Diese Ansicht ähnelt auch unserem musikalischen Ethos. Wir haben keine festgesetzten Grenzen für das, was bei VULTURE INDUSTRIES stattfindet. Wir ändern und erweitern sie kontinuierlich. Wenn es richtig klingt und sich richtig anfühlt, dann ist es richtig.

Wie kann man sich denn den Entstehungsprozess neuer Songs bei euch vorstellen, wie geht ihr dabei vor?

Øyvind und ich schreiben den Großteil der Songs. Wir sind beide ein bißchen dickköpfig und gewöhnlich entwerfen wir jeweils für uns selbst erste Ideen für neue Songs. Erst dann setzen wir uns beide daran, und in der Schlußphase kommt der Rest der Band hinzu und fügt jeweils seine persönliche Note bei.

Von Vergleichen habt ihr in den Rezensionen sicherlich schon viele gelesen, auch ich konnte es mir nicht verkneifen, weil „The Dystopia Journals“ klingt, als hätten sich ARCTURUS‘ Album „La Masquerade Infernale“ und ULVERs „The Marriage Of Heaven & Hell“ getroffen. Desweiteren schrieb ich in meiner eigenen Kritik, dass ihr vielleicht die Lücke schließen könntet, die ARCTURUS nach ihrem Ableben hinterlassen haben, ohne euch ein Imitat zu unterstellen. Es ist eher schön zu sehen, dass es eine Band gibt, die auf ähnlichen Pfaden wandelt.

Diesen Vergleich haben wir mindestens tausend mal gehört. Es sind beides sehr gute Bands, die wir selbst sehr mögen, von daher erfreut uns so ein Vergleich auch, auch wenn er manchmal nicht leicht nachvollziehbar ist. Hauptsächlich liegt das wohl an meiner Stimme, die der von Krystoffer Rygg sehr ähnlich ist. Der Gesang ist ein dominantes Element in der Musik, deshalb scheint die Ähnlichkeit anfangs auch so stark zu sein. Problematisch ist das nur, wenn die Leute nicht über diesen ersten Eindruck hinauskommen. Zum Glück haben die meisten Kritiker auch unter die Oberfläche geschaut, um in die Musik einzutauchen.

Deine Stimme ist in der Tat sehr prägnant, sehr charismatisch, und auch ich musste sofort an Garm denken. Ist das eher Zufall, oder hast du speziell für diesen Baritonklang trainiert?

Danke! Meine Stimme klingt einfach so, da kann ich nicht viel dran ändern.

Du bist auch bei BLACK HOLE GENERATOR aktiv. Ist das nur ein Nebenprojekt oder ein wichtiger Gegenpol zu deinem Schaffen in VULTURE INDUSTRIES?

Das kommt drauf an, zu welcher Tageszeit du mich fragst, hehe! Das ist von Zeit zu Zeit unterschiedlich, je nachdem, in welcher Stimmung ich bin, aber grundsätzlich liegt mein Fokus schon auf VULTURE INDUSTRIES. Mit der Band erreichen wir vielseitigere und differenziertere Ausdrucksmöglichkeiten, die mir genügend Freiräume lassen. Bei BLACK HOLE GENERATOR ergründe ich vielmehr meine extremeren Einflüsse. Das Material ist weitaus fordernder, weil es den Fokus meiner negativen Energie darstellt, die mich manchmal ganz schön auslaugt.

Mit BHG hast du 2006 die „Black Karma“ EP veröffentlicht. Steht für die Zukunft schon ein neuer Tonträger in den Startlöchern?

Ja, ein Album wird irgendwann in naher Zukunft erscheinen. Es ging alles ziemlich langsam voran, aber die Arbeit ist nun fast vollendet. Das Album wird im Gegensatz zur EP facettenreicher sein. Es gründet zwar auf den gleichen Voraussetzungen, zeigt aber mehr Variation bei Tempos, in der Atmosphäre und der düsteren Stimmung.

Neben deinem Engagement in BHG und VULTURE INDUSTRIES arbeitest du auch für andere Bands, z.B. TAAKE oder HELHEIM. Gehört das zum professionellen Teil deiner Arbeit als Produzent? In welchen Studios bist du zuhause?

Ich betreibe die Conclave Studios hier in Bergen. Bald werden es wieder die Conclave und Earshot Studios sein. Ich habe mit Herbrand und Arve von ENSLAVED zusammengearbeitet, und die haben den Namen Earshot Studios benutzt. Seit einem Jahr arbeite ich in einem Übergangsstudio, in Mieträumen außerhalb der Stadt. Es ist ziemlich schwer, für die Arbeit mit der Musik die geeigneten Räumlichkeiten in der Stadt zu finden. Allerdings haben wir vor kurzem endlich ein neues und größeres Gebäude für das Studio gefunden, so dass wir die beiden wieder zusammenlegen können.

In ein paar Tagen beginnt eure Europatour, die ihr unter dem Banner „Vikings, Villains and Vultures“ zusammen mit HELHEIM und ATROX bestreitet, und auf der ihr auch in Deutschland Station macht. Was können wir von euch auf der Bühne erwarten? Was denkst du, wie gut lässt sich eure Musik, verglichen zum Studioalbum, live umsetzen?

Wir versuchen, das die Liveshow unsere Musik so gut wie nur möglich reflektiert. Deshalb können sich die Leute auch auf eine intensive und theatralische Show gefasst machen. Das Publikum war bisher immer sehr angetan von unseren Auftritten, bei manchen hat man sogar den Eindruck, dass sie viel lieber zu unseren Konzerten kommen, als sich uns auf CD anzuhören. Wir freuen uns jedenfalls riesig auf die Tour mit unseren Freunden von ATROX und HELHEIM. PANCHRYSIA wird bei sechs Terminen ebenfalls dabei sein.
Wir waren schon mal in Deutschland, und freuen uns darauf, wiederzukommen. Unser erster Auftritt findet in Aalen statt, danach geben wir ein Konzert in Bitterfeld, zusammen mit NEGURA BUNGET. Dann geht’s weiter nach Hamburg und Oberhausen. Außerdem bereisen wir noch Österreich, Tschechien, Slowenien, Polen und die Niederlande.

Was liegt euch eigentlich mehr – solche Touren oder einzelne Gigs?

Auf Tour zu gehen und One-Off-Shows zu spielen sind zwei verschiedene Dinge. Touren ist mehr wie ein Lifestyle, in dem man richtig aufgeht, während solche One-Offs eher wie eine Party sind, zu der man geht. Da bevorzuge ich das Touren, weil man da mal richtig vom Alltag abschalten kann.

Dann wünsche ich euch jetzt schon viele, geile Auftritte und jede Menge begeisterter Fans!

Danke sehr, wir sehen uns!

30.10.2008

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