Versengold
"Wenn die Leute ihren Trost in dem Lied finden, hat man als Musiker das Gefühl, dass man etwas bewegt."
Interview
“Nordlicht“ von VERSENGOLD ist im Folk-Rock-Genre wohl eines der stärksten Alben des Jahres 2019, die dazugehörige Tour entsprechend gut besucht und die Band noch viel besser gelaunt. Das mussten wir ausnutzen! So schnappten wir uns Sänger Malte Hoyer vor dem Konzert in Dresden und sprachen mit ihm über Humor und Gesellschaftskritik, über Heimat und Anspruch, über Partys und Balladen, also kurzum über alles, was VERSENGOLD auszeichnet. Dazu sei erwähnt, dass sich im selben Raum auch Violinist Florian Janoske, von Kollege Michael Klaas als “Stimmungskanone und Strahlemann“ betitelt, aufhielt und eigentlich anderweitig beschäftigt war. Eigentlich. In jedem Fall war mit den beiden Musikern gute Laune vorprogrammiert.
metal.de: “Nordlicht“ ist für mich bislang der heißeste Anwärter auf das “Album des Jahres“ aufgrund seiner musikalischen und textlichen Vielfalt und des den meisten Liedern zugrundeliegenden Anspruchs. Vermisst ihr Anspruch und Lyrik in aktueller (Szene bzw. Main Stream) Musik?
Malte Hoyer: Es kommt immer darauf an, schließlich kann man ja privat zu Hause Musik mit Anspruch hören. Aber wenn man das Radio anmacht, vermisse ich das schon sehr oft. Es ist so, dass die Radiolandschaft so ausgelegt ist, dass die Lieder nicht polarisieren und dementsprechend keine politischen Inhalte haben sollen, eigentlich nichts, was irgendjemandem querliegen könnte. Da würde ich mir wünschen, dass das Radio wie früher ein paar Sachen ausgräbt, die die Leute auch mal zum Nachdenken bringen. Momentan geht es mehr um das Dahinwabern und Konsumieren. Das ist bei vielen Bands leider auch so. Die liegen sich darauf aus. Wir von VERSENGOLD wollten das nie machen, haben es nie gemacht und haben das bei dem Album auch nochmal deutlich gemacht.
metal.de: “Thekenmädchen“ und “Butter bei die Fische“ sind für Live-Konzerte ideal. Was macht für euch einen guten Partysong aus?
Na, dass er die Stimmung rüberbringt, dass alle Bock haben, Party zu machen! (lacht)
metal.de: Also gibt es kein Geheimrezept á la “So bastle ich mir einen Partysong“?
Malte Hoyer: Wir lassen uns ja gern vom Irish Folk inspirieren. Für mich persönlich ist das die Partymusik schlechthin. Andere in der Band sehen das anders. Aber VERSENGOLD hat das schon immer so gemacht. Man kann auch viel darauf aufbauen. Zum Beispiel “Der Tag an dem die Götter sich betranken“ oder das “Thekenmädchen“ sind schon davon inspiriert. Und da wir ja eine gute Geige am Start haben und den Flo [Florian Janoske, Geige; Anm. d. Red.] mit seiner Tune-Produktion … (lacht)
Florian Janoske: Sag jetzt nichts Falsches! (lacht)
Malte Hoyer: Da haben wir auf jeden Fall endlose Möglichkeiten solche Partysongs zu schreiben. Das werden wir auch tun. Thematisch ist es nicht immer ganz so einfach. Es ist schön, wenn das Lied auch noch einen gewissen Sinn hat, zumindest eine Geschichte erzählt und nicht einfach nur ein stumpfer Sauf-Song ist. Mal gucken, ob mir irgendwann die textlichen Ideen ausgehen. Da wir aber im Leben so viel Party machen, glaube ich, dass wir immer wieder Inspiration dafür finden werden.
metal.de: Du sagst ja, dass eure Songs oft vom Irish Folk inspiriert sind. Früher beinhaltete dies, dass du Flöte spielst. Auf den Live-Konzerten in den letzten Jahren wurde dein Flötenspiel allerdings immer weniger eingesetzt und auch in den Liedern spielt das Instrument kaum noch eine große Rolle. Woran liegt das bzw. besteht die Möglichkeit auf mehr Flötenspiel in der Zukunft?
Soweit machen wir uns noch keine Gedanken. Wir produzieren die Songs so, wie sie kommen. Und wenn wir finden, dass eine Flöte reinpasst, was ja noch ab und zu der Fall ist, dann bauen wir eine ein und wenn wir finden, dass sie nicht reinpasst, bauen wir sie nicht ein. Tatsächlich hat es sich in den letzten Produktionen so ergeben, dass wir relativ wenig mit der Flöte gearbeitet haben. Ich spiele sie dementsprechend auch weniger und bin deswegen auch nicht mehr so routiniert wie früher. Daher bin ich auch glücklich weniger Gelegenheiten auf der Bühne zu haben, mich zu blamieren. (lacht) 2020 machen wir auch wieder unsere “Nächte der Balladen“. Da werde ich das eine oder andere Mal gezwungenermaßen die Flöte wieder auspacken. (lacht)
metal.de: VERSENGOLD stehen nicht nur für Partysongs, sondern auch für gefühlvolle Balladen. Auf “Nordlicht“ sticht da vor allem “Erinnere Dich (Ein Lied, das nicht vergisst)“ heraus. Welche Reaktionen eurer Fans habt ihr bislang wahrnehmen können und bleiben euch da bestimmte Geschichten besonders im Kopf?
Klar, da gab es schon viele Reaktionen, da es sich ja um das Thema Demenz dreht, die Leute in ihren Familien ihre Erfahrungen gemacht haben und sich daher gut hineinversetzen können. Da habe ich schon die eine oder andere Geschichte gehört. Was mir da im Kopf geblieben ist sind Dinge, die ich so nicht weitergeben würde. Das ist natürlich sehr privat. Manchmal ist das auch ein bisschen niederschmetternd, wenn man sich diese Sachen anhört. Aber wenn die Leute ihren Trost in dem Lied finden, ähnlich wie in “Haut mir kein‘ Stein“, hat man als Musiker das Gefühl, dass man etwas bewegt, dass man den Leuten sogar geholfen oder sie unterstützt hat. Das ist natürlich ein tolles Gefühl.
metal.de: Wie schwierig ist es, diesen Song auf einer Bühne zu singen, da es sich ja um ein sehr emotionales Thema handelt?
Das bin ich ja gewohnt. Bei den Balladen ist es ja schon seit mehreren CDs, seit wir den krassen Märchenfaktor abgelegt haben, um solche ernsten Themen zu verstecken – wir haben es ja schon immer bearbeitet, nur in anderer Form – so, dass ich mich auf der Bühne emotional sehr nackig mache. Das gehört zu VERSENGOLD dazu. Das ist auch irgendwie schön, weil die Leute merken, dass es von Herzen kommt. Das berührt dann auch live mehr. Wir werden ihn heute übrigens nicht spielen. Wir heben ihn uns für die Nacht der Balladen auf. Wir spielen am Abend nur eine Ballade, wenn wir ein Partykonzert spielen. Das muss natürlich “Haut mir kein‘ Stein“ sein, sonst würden uns das sehr viele Menschen übel nehmen. Daher haben wir uns dafür entschieden, einige Songs von der neuen CD, wie zum Beispiel “Küstenkind“, exklusiv auf der Nacht der Balladen zu spielen. Das macht das Ganze auch nochmal besonderer.
metal.de: Ein Lied, das mit persönlich sehr viel bedeutet ist “Die Blätter, die im Frühling fallen“. Ihr kritisiert hier ein System, das Perspektivlosigkeit von Jugendlichen nichts entgegenzusetzen hat bzw. nicht in der Lage zu sein scheint, an den richtigen Stellen zu helfen. An welchen Stellschrauben müsste man drehen, was muss sich verändern?
Ich glaube an ziemlich vielen! Man muss zu dem Song sagen, dass ich den Refrain schon vor vielen Jahren geschrieben habe. Ich bin selbst studierter Sozialpädagoge und in der Zeit bin ich mal auf die Idee gekommen, weil mich da sehr viel erschüttert hat, auch Begebenheiten, die man jetzt nicht unbedingt abdrucken sollte. Erschüttert hat es mich unter anderem, weil niemand darüber spricht. Das hat zwar irgendwie auch seinen Sinn, denn je mehr man über gewisse Themen spricht, desto mehr verlieren manche Leute verlieren Hemmungen. Aber das war damals der Ausgangspunkt für diesen Song. Dann habe ich das für mich noch erweitert, schließlich gibt es noch weitere Arten, das eigene Leben aufs Spiel zu setzen oder es nicht mehr so zu handeln, wie man es vielleicht tun sollte. Dazu zählen drastische Beispiele wie sich dem IS anzuschließen und in den Krieg zu ziehen, weil man hier keine Perspektive mehr sieht. Und da sind für mich als Sozialpädagoge auf jeden Fall die Stellschrauben präventiv zu drehen, wie gerade in den Ballungszentren, die nicht klug aufgebaut sind. Dort leben zum Beispiel viele Leute mit Migrationshintergrund oder Leute in armen Verhältnissen, also auch viele Deutsche – da muss man anpacken, Alternativen bereitstellen für Freizeitbeschäftigung oder vorhandene Institutionen finanziell besser unterstützen. Eigentlich geht es schon im Kindergarten los. Das würde ich mir wünschen.
metal.de: Vermisst du noch manchmal deine Arbeit als Sozialpädagoge?
Ich habe gar nicht so richtig in dem Beruf gearbeitet. Ich musste noch Zivildienst machen, habe 13 Monate im Integrationskindergarten gearbeitet und bin daher überhaupt erst auf diese Schiene gekommen. Vorher hatte ich gar keine Lust zu arbeiten. Ich wollte keinen “9-to-5-Job“ machen. Durch den Integrationskindergarten habe ich meine Leidenschaft gefunden und habe eine Erzieherausbildung gemacht, bin davon raus ins Studium gegangen und habe währenddessen immer ehrenamtlich im Jugendamt gearbeitet. Dort habe ich für Kinder mit Migrationshintergrund zum Beispiel Jugendgruppenbetreuungen gemacht. Also habe ich sehr wohl in dem Bereich gearbeitet, aber nach Abschluss meines Sozialpädagogikstudiums gab es VERSENGOLD schon, womit ich mein Studium auch teilweise finanziert habe. Als ich dann durch war, haben ich und meine damalige Beziehungspartnerin uns selbstständig gemacht und einen Bonbon-Laden eröffnet. Wir hatten einen Süßwarenstand, den gibt es auch immer noch. Der ist auf Festivals und Mittelaltermärkten unterwegs. Sie war auch Sozialpädagogin, ich habe da Musik gemacht und sie hat den Stand geleitet. Das hat sich ja nun so erfolgreich entwickelt, dass ich nie wieder im sozialpädagogischen Bereich Fuß gefasst habe, zumindest nicht beruflich.
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