Van Canto
Interview mit Stefan Schmidt zu "Break The Silence"

Interview

Van Canto

Darüber, ob man mit A-Cappella-Gesang nun wirklich Metal sein kann oder nicht, wird sich die Szene vermutlich noch bis in alle Ewigkeit streiten. Tatsächlich haben VAN CANTO aber mit „Break The Silence“ erneut ein starkes Album abgeliefert, das sowohl Fans als auch Kritiker in ihrer jeweiligen Haltung uneingeschränkt bestätigen dürfte. Das Sextett gehört eben zu jenen Gruppen, die extrem polarisieren. Im Interview wollten wir von Haupt-Songwriter Stefan Schmidt aber nicht nur wissen, wie VAN CANTO mit Hasstiraden im Internet umgehen, sondern auch über die stimmliche Weiterentwicklung in der Band, ihre Live-Shows und das interessante Cross-Media-Projekt „Peer Returns“ sprechen.

Hey Stef. Gratulation zum neuen Album! Mein Review hast du ja gelesen und ich kann nicht leugnen, dass mir „Break The Silence“ ziemlich gut gefällt.

Das ist ja auch nix schlimmes. (lacht)

Nein, überhaupt nicht. Ich muss aber auch gestehen, rückblickend fand ich den Vorgänger „Tribe Of Force“ nicht so stark und hatte den Eindruck, ihr seid da ein wenig zu sehr auf Nummer sicher gegangen. Umso mehr habe ich mich dann gefreut, dass die „Break The Silence“ wieder dieses gewisse Etwas hatte, was ich auf „Tribe Of Force“ irgendwie vermisst hatte.

Das finde ich interessant, weil ich eigentlich die „Break The Silence“ als ziemlich ähnlich zur „Tribe Of Force“ sehe. Ich finde, der Unterschied zwischen „Tribe Of Force“ und „Hero“ war größer als der jetzt. Aber es ist ja immer so, dass jeder bei Musik generell ein anderes Empfinden hat, und derjenige, der es gemacht hat, sowieso noch. Ich habe letztens schon in einem Interview gesagt, dass man die Interviews zu einer Platte eigentlich erst ein Jahr später machen müsste. Erst dann hat man ein richtiges Gefühl für das, was man da gemacht hat. Am Anfang ist das alles noch so frisch und dann macht man seit Wochen nichts anderes als über diese Platte zu erzählen und irgendwann weißt du gar nicht mehr, wie du sie eigentlich selbst findest. Ich bin mal gespannt, wie ich die „Break The Silence“ so im Nachhinein finden werde.

Mir ist halt aufgefallen, dass euer „Instrumentalgesang“ wesentlich vielseitiger geworden ist. Bei euren älteren Sachen war’s mir manchmal ein bisschen zuviel „Rakkatakka“ und zuviel „Da-Reh, Da-Reh“. Jetzt habe ich den Eindruck, dass ihr ein wesentlich breiteres Spektrum abdeckt.

Interessant, das zeigt auch, dass du die Platte richtig hörst, bevor du dich ans Reviewschreiben machst. Damit bist du eine seltene Ausnahme, glaube ich. Aber generell gibt es bei den Sachen keinen Masterplan. Wir haben da keine Liste, wo wir sagen, wir müssen jetzt mehr „Dun-dun-dun-dun“ singen und mehr tiefere Vokale benutzen, dafür aber die höheren weglassen. Das ergibt sich dann doch meistens relativ spontan, wenn man den Song arrangiert. Aber was schon auf „Tribe Of Force“ wirklich geplant war, ist, dass man das „Rakkatakka“ ein bisschen weniger macht, weil live davon nie so viel übrig bleibt. Live kommen dann nur die „k“s und die „t“s raus und dann hören die Leute nur „k-t-k-t-k-t-k-t-k-t-k-t“ und der ganze Ton ist weg. Diese Rückmeldung haben wir bekommen, als wir unsere Konzerte mal für uns live aufgenommen haben. Deshalb haben wir uns irgendwann entschlossen, stärker auf Silben zu gehen, wo mehr Vokale drinnen sind, damit der Ton mal ein bisschen länger stehen kann. Aber das war’s dann auch schon mit bewussten Entscheidungen, der Rest passiert dann doch noch relativ spontan beim Arrangieren.

Ich denke, bei dieser stärkeren Gewichtung von Vokalen kommen dann auch die choralen Elemente mehr zum Tragen.

Das stimmt. Das war zum Beispiel auch etwas, was wir auf der zweiten und auf der dritten Scheibe nicht soviel gemacht haben, dafür aber auf der ersten sehr viel, dass wirklich alle Sänger auch mal singen. Also richtige Töne und Worte, so dass man dann aus dem Gitarrenimitieren auch mal rausfällt und dann solche choralen Parts macht, ohne dass man nochmal eine Spur im Studio aufnimmt, wo dann doch noch sozusagen „eine Gitarre weitersingt“. Das haben wir diesmal wieder ein bisschen mehr gemacht, weil wir auch gemerkt haben, dass das live immer sehr coole Momente sind, wenn man aus diesem Instrumentalen rauskommt und dann alle singen. Das ist dann immer so ein Aha-Effekt, um daran zu erinnern, dass das alles Sänger sind. Dann wirkt das danach umso mehr, wenn man dann wieder „Gitarren singt“.
Ich glaube, man kann generell bei „Break The Silence“ sagen, dass das sehr von dem inspiriert ist, was wir live so erlebt haben. Wir waren mit der „Tribe Of Force“ relativ viel unterwegs und haben eigentlich direkt nach der Veröffentlichung der letzten Platte angefangen, Songs zu schreiben. Die standen dann logischerweise immer sehr unter dem Eindruck der Songs, die live gut geklappt haben. Das hat man dann wohl automatisch im Hinterkopf gehabt, wenn man was neues geschrieben hat. Beim Tempo oder der Art und Weise, wie die Songs arrangiert sind, orientiert man sich dann an denen, die live besser geklappt haben als andere. Das ist wahrscheinlich unterbewusst so, teilweise aber auch gewollt.

 

Du hast gerade schon erwähnt, dass ihr ja alle eigentlich Sänger seid und auch schon in diversen eigenen Bands Erfahrungen als Frontleute gesammelt habt.

Ja, alle bis auf den Ike, unseren Bass-Sänger. Der war in den vielen Bands, in denen er schon gespielt hat, immer Gitarrist, hat auch immer gesungen, aber nie als Lead-Sänger. Aber er singt eigentlich auch schon, seit er Musik macht. Das ist bei vielen Gitarristen so, dass die von der Intonation und dem Gefühl für Gesang her meistens eigentlich ziemlich gut singen können. Aber wenn man nicht mit einer Stimme gesegnet ist, die von sich aus jeden umhaut, dann wird man nicht unbedingt Lead-Sänger. Ich finde, der Ike hat für jemanden, der so tief kommt, eine sehr spannende Stimme, aber er wäre wahrscheinlich keiner, der für ein komplettes Konzert mal schnell die Rolle von Sly einnehmen könnte. Da sind die beiden eben auch ganz unterschiedliche Stimmtypen. Aber gesungen haben wir alle auch schon vorher, ja.

Kommt man sich da aber nicht – insbesondere live – auch manchmal ins Gehege, dass sich jeder gerne selbst ein bisschen profilieren möchte?

Nee, als wir uns gegründet haben, war das ja nicht unsere erste Band, wir hatten alle schon Banderfahrung und wir sind auch alle keine achtzehn mehr. Ich sag mal, wenn man dann merkt, wie weit man dann mit einer Band kommen oder was man alles für schöne Sachen erleben kann, auch wenn man nicht der Lead-Sänger ist, dann fällt es keinem schwer, auch mal einen Schritt zurück zu machen. Ich war zum Beispiel in meiner vorherigen Band Rhythmusgitarrist und Lead-Sänger, aber ich würde momentan auf keinen Fall tauschen wollen, weil ich zwar jetzt auf der Bühne ein bisschen weiter hinten stehe, aber dafür ist das dann die Wacken-Bühne und nicht das Jugendzentrum im Ort. Das kann schon jeder ganz gut einschätzen, dass wir in dieser Konstellation alle bisher am meisten profitieren.

In der Live-Situation profitiert ihr dann aber auch sehr davon, dass außer eurem Drummer niemand nebenher noch ein Instrument bedienen muss. Ihr habt im Prinzip fünf Frontleute da stehen, die Stimmung machen können.

Stimmt, wobei das am Anfang fast eher eine schwierige Aufgabe war. Wenn man immer nur mit einer Gitarre auf der Bühne steht, kann man sich da immer schön dran festhalten. Und du kannst auch nicht immer das ganze Lied über beide Hände am Mikro haben, das sieht dann albern aus. Das war etwas, wo sich diejenigen, die vorher keine reinen Lead-Sänger waren – also Ike und ich – erst einmal reinarbeiten mussten. Klar, Inga und Sly waren das alles schon gewohnt, die sind in ihren vorherigen Bands auch immer alleine da vorne rumgeturnt, und der Ross auch.

Zum ersten Mal habe ich euch 2009 beim Rock am Härtsfeldsee live gesehen. Den Schritt von damals zu der Tour 2010 im Vorprogramm von BLIND GUARDIAN hatte ich in Puncto Live-Stimmung als einen relativ großen empfunden.

Stimmt. Ich kann mich jetzt natürlich nicht mehr ganz genau an den Gig beim Rock am Härtsfeldsee erinnern, aber da waren EDGUY Headliner, oder? Ich versuche mich grade an den Gig zu erinnern und weiß jetzt nicht, ob da vielleicht jemand krank war oder so, sowas passiert natürlich auch immer mal. Aber es ist natürlich klar, dass man umso erfahrener wird, je mehr Gigs man spielt. Und man muss auch sagen, dass wir noch eine relativ junge Band sind, obwohl wir schon unser viertes Album veröffentlichen. Also nicht von unserem Alter, aber von unserer Geschichte her. Und irgendwoher muss ja die Erfahrung kommen. Es wäre auch relativ verdächtig gewesen, wenn das von Anfang an alles total perfekt gewesen wäre. Das war halt nicht so. Das war ursprünglich als Spaß-Projekt geplant – oder gar nicht geplant – und dann haben die Leute auf einmal gesagt: „Spielt doch mal bei uns auf dem Festival!“ Und dann probt man natürlich auch dafür, aber du kannst das nie so gut proben, wie dich dann die Erfahrung auf der Bühne weiterbringt. Bei der BLIND GUARDIAN-Tour hatten wir dann auch schon unsere erste Headliner-Tour und richtige Festivals hinter uns und waren entsprechend gut eingespielt.

Ich wollte damit jetzt auch nicht sagen, dass ihr am Härtsfeldsee schlecht gewesen wärt.

Ich kann mich leider nicht dran erinnern. Es war auf jeden Fall kein Gig, den wir als den besten Gig aller Zeiten in Erinnerung hätten. Bei den BLIND GUARDIAN-Gigs zum Beispiel kann ich mich eigentlich noch genau an jede Stadt erinnern, wie’s da so war. BLIND GUARDIAN-Fans sind eh ziemlich cool drauf, so ein bisschen wie das Wacken-Publikum. Entweder haben sie Spaß daran oder zumindest ein gewisses Interesse. Leute, die kein Interesse daran haben – was es ja immer gibt und was auch völlig in Ordnung ist -, beschäftigen sich dann im Idealfall mit dem Bier an der Theke und nicht damit, die ganze Zeit über ihr Missfallen kundzutun. Von daher ist das als Vorband von BLIND GUARDIAN auch einfach total angenehm, da kann dir nicht viel passieren. Da kannst du Gas geben für Leute, die Spaß daran haben, und die anderen freuen sich dann auf BLIND GUARDIAN.

Du sprichst es schon an, es gibt nicht nur Leute, denen eure Musik gefällt. Wenn man sich die Kommentare unter jedem VAN CANTO-Review auf unserer Seite anschaue, fällt auf, dass ihr offenbar ziemlich stark polarisiert.

Ich hab die jetzt nicht gelesen, aber was steht dann da drunter? „Das ist doch kein Metal“, oder?

Zum Beispiel, genau. Oder auch: „Das ist nicht neu“, „das ist nicht toll“, „das ist doof“, lauter solche Sachen. Gerade im Internet sind unsachliches Gestänkere und negative Stimmungsmache ja inzwischen der normale Umgangston. Habt ihr aber auch schon persönlich irgendwelche offenen Anfeindungen erleben müssen?

Ich sage mal, das ist schon total unterschiedlich, diese Wahrnehmung im Internet und die Wahrnehmung, die man hat, wenn man quasi in seiner eigenen Welt unterwegs ist. Wenn wir eine Headliner-Tour machen, die 15 Euro Eintritt kostet, dann wird keiner 15 Euro ausgeben, weil er es total scheiße findet, dann da hingehen, sich in die erste Reihe stellen und die ganze Zeit rufen: „Ihr seid so scheiße!“ Ist ja logisch. Und im Internet – mich wundert das auch immer ein bisschen – da scheint einfach vielen Leuten langweilig zu sein oder sonstwas. Ich kann das nicht so richtig verstehen. Wenn ich etwas scheiße finde, kommt mir alles in den Sinn, aber ich würde nie im Internet suchen, wo über diese Band, die ich scheiße finde, geredet wird, und das dann auch noch hinschreiben. Da hab ich echt so viele bessere Sachen zu tun, zum Beispiel Musik anhören, die ich mag.
Ich glaube, das ist halt – wie du richtig gesagt hast – eher so ein Internet-Phänomen. Es ist ja auch alles relativ anonym. Wenn wir unterwegs sind, dann bekommen wir live in meinen Augen eigentlich immer sehr gute Reaktionen, also selbst bei Festivals, wo man nicht unbedingt davon ausgehen kann, dass das alles VAN CANTO-Fans sind. Wir haben letztes Jahr zum Beispiel auf dem Metalfest in Dessau zwischen zwei absoluten Black-Metal-Bands gespielt. Und dementsprechend waren dann auch die Leute, die sind einfach nach der Band vor uns da stehen geblieben, weil sie die Band nach uns sehen wollten. Aber selbst da kannst du, wenn du dein Ding durchziehst, wenigstens ein bisschen Respekt ernten. Es hatten auch Leute Spaß dran – und die, die keinen Spaß dran hatten, haben sich benommen.
Ich glaube, dieser pure Hass, der im Internet ja nicht nur uns, sondern ganz vielen Bands entgegengebracht wird, das ist echt viel Fassade und auch ein bisschen Langeweile. Und vielleicht ist man es auch gewohnt, dass man sich im Internet so verhalten muss, um überhaupt irgendeine Rückmeldung zu kriegen. Wenn man so einen Kommentar schreibt, möchte man ja auch, dass andere Leute darauf reagieren. Das ist ja auch bei Facebook-Messages so. Wenn du einfach hinschreibst „mir geht’s heute gut“, dann interessiert das halt keinen. Wenn du dagegen schreibst „Ach, die neue VAN CANTO ist aber so ein Scheißding!“, kriegt man auf jeden Fall irgendwelche Reaktionen darauf. Und wahrscheinlich ist es das, was die Leute antreibt, keine Ahnung.

Ok, dann lass uns mal wieder auf das Album selbst zurückkommen. Mit „Neuer Wind“ habt ihr ja zum ersten Mal ein deutschsprachiges Stück veröffentlicht. Wie seid ihr auf die Idee gekommen?

Die Idee ist ehrlich gesagt schon total lange da. Schon auf der letzten Scheibe hatten wir das Titelstück „Tribe Of Force“, das hatte auch einmal einen deutschen Text. Aber es ist halt echt haarig, wenn du dann auf einmal die Texte in deiner Muttersprache singst. Ich sage mal, die Engländer sind es ja, oder – ich kann’s mir nur vorstellen – die müssen es ja irgendwie gewohnt sein, dass die Sprache, die auf CDs benutzt wird, eine andere ist als die, die man im Leben benutzt. Es hätte nie eine Band wie AC/DC einen Text schreiben können wie: „She’s got big balls and he’s got big balls“ (gelegentlich waren die Australier da aber schon verdammt nahe dran ;o) – Anm. d. Red.). Wenn man das jetzt auf deutsch schreiben würde, dann würde ja jeder denken: „Haben die sie noch alle?“ Deswegen war das für uns echt schwer, weil wir schon einen Text haben wollten, wo wir nicht denken, dass das peinlich oder albern ist oder allzu hölzern klingt.
Bei „Neuer Wind“ fanden wir, dass das ganz gut geklappt hat und das Thema eigentlich auch sehr cool war, weil das in die textliche Richtung geht, die wir auch bei den englischen Texten machen. Da hat es dann halt einfach gepasst. Der Song wäre mir selbst – weil ich ihn ja geschrieben hab – zu wichtig gewesen, so dass wir den auf jeden Fall in Englisch aufgenommen hätten, wenn irgendeiner Probleme mit der deutschen Version gehabt hätte. Aber so hat es halt endlich mal gepasst. Jetzt gucken wir mal, wie das so ankommt. Wahrscheinlich gibt es auch ganz viele, die sagen, das ist ja ganz furchtbar scheiße, aber egal.
Man kann auch nicht die Musik danach machen, was dann irgendwer dazu sagt oder schreibt. Das bringt ja alles nix. Dann musst du einfach die Musik machen, die dir gefällt, selbst wenn dir jetzt ein anderer Stil gefällt als noch vor vier Jahren, das musst du dann auch so machen. Das merkt man ja sofort, wenn irgendeine Band etwas nur noch macht, weil sie es schon immer so gemacht hat, aber es eigentlich gar nicht mehr geil findet. Das sind dann meistens die Platten, die nicht wirklich zünden.

Du würdest also auch sagen, dass es grundsätzlich einfacher ist, Texte auf Englisch zu schreiben als auf Deutsch?

Für mich total, weil ich mich da immer ein bisschen dahinter verstecken kann, dass ich einfach einen Text mache, der für mich in dem Moment Sinn macht, ich aber nicht mit jedem, dem ich es vorspiele, in eine Diskussion komme, ob das jetzt tolles Englisch ist oder nicht. Das hatten wir auch noch nie bei den englischen Texten, wenn wir das irgendwo im Ausland gespielt haben, dass dann irgendeiner gesagt hätte: „Mein Gott, eure Texte sind einfach scheiße!“ oder so.

In gewisser Weise erwartet man vielleicht auch von Rockbands, dass da textlich nicht alles perfekt ist.

Ja, vielleicht, ich weiß auch gar nicht, ob das so schlimm ist. Auch diese Diskussion, ob man hört, dass wir Deutsche sind, wenn wir Englisch aussprechen zum Beispiel. Da gab es auch schon Rückmeldungen, dass wir eine sehr deutsche Aussprache hätten, da denke ich mir dann: Mein Gott, wir sind halt Deutsche, immerhin können wir die andere Sprache! Es gibt bestimmt genug Engländer oder Amis, die wirklich nur ihre eigene Sprache können. Und da findet man es dann eher cool, wenn dann irgendeiner deutsch singt. Man findet das dann ja generell ziemlich cool, wenn man seine ursprüngliche Herkunft noch hört, dann ist das quasi ein Stilmittel. Wenn irgendeine Schlagertante eigentlich aus Frankreich kommt und dann „so schön fronsösisch singt“, dann findet man das romantisch. Und so hört man halt bei uns, dass wir Deutsche sind, das finde ich nicht schlimm.

Das heißt, wir werden in Zukunft vielleicht noch öfter deutsche Stücke von euch zu hören kriegen?

Ja, wie bei allen Sachen gibt es da echt keinen Masterplan. Wenn das jetzt super ankommt, kann ich mich trotzdem nicht hinhocken und sagen: „So, ich muss jetzt auf jeden Fall ein deutsches Lied schreiben!“, wenn mir dann keins einfällt, dann fällt mir halt keins ein. Wenn mir auf einmal ganz viele einfallen, machen wir vielleicht auch mal zwei oder drei.

Ihr schreibt ja nicht nur selber Stücke, sondern nehmt auch Lieder von anderen Künstlern auf. Welchen Stellenwert haben für euch diese Coverversionen? Und vor allem: Hat sich das in den letzten Jahren auch ein bisschen geändert?

Für uns als Band hatte das eigentlich immer den gleichen Stellenwert, das einzige, was sich ein bisschen geändert hat, war vielleicht die jeweilige Plattenfirma, die das anders gesehen hat. Wir hatten ja auch schon auf der allerersten Platte ein Cover drauf und das war dann auch das erste, was ich jedem vorgespielt habe. Das kommt ja nicht von ungefähr, das brauche ich jetzt ja nicht weglügen. Natürlich ist es so, wenn du jemandem einen neuen Sound zumutest, dann ist es für ihn immer leichter, diesen Sound beurteilen zu können, wenn er das bei einem Song tut, den er schon kennt. Dann muss er sich nicht an einen neuen Song und einen neuen Sänger und an sonstwas gewöhnen, alles gleichzeitig, sondern er kann erstmal dem Song folgen, weiß jetzt, was als nächster Teil kommt, und kann dann darauf achten: Oh, wie haben die jetzt das gesungen, was im Original die Gitarre spielt? Deswegen war uns von Anfang an wichtig, dass wir covern, es war uns aber auch von Anfang an wichtig, dass das Verhältnis stimmt, damit halbwegs klar ist, dass wir uns schon auch als Songwriter sehen.
Da gibt es jetzt – wie bei allen Sachen – Leute, die sagen: „Die können ja überhaupt keine Lieder schreiben!“ und „Im Vergleich zu den Covern kackt das ja total ab!“ Auf der anderen Seite, wenn ich mir dann die Platten am Stück anhöre und da sind dann so Dinger drauf wie „Master Of Puppets“ und „Fear Of The Dark“ – da haben es ja noch nicht mal die Originalbands geschafft, Lieder zu schreiben, die dagegen nicht abkacken, da finde ich, da sehen wir doch gar nicht so schlecht aus. Auch live ist es nicht so, dass, wenn wir dann auf einmal „The Mission“ oder „To Sing A Metal Song“ spielen, sich alle umdrehen und warten, bis das nächste Cover kommt. Von daher sehen wir uns schon als Musiker, die auch Songs schreiben wollen, aber zu VAN CANTO gehören die Cover einfach dazu. Und ich weiß, dass das, was wir bisher erreicht haben, natürlich auch daran liegt, dass wir covern und dann entsprechend auf jedem Festival immer für ein bisschen Stimmung sorgen können. Aber das finde ich legitim, Musik darf auch unterhalten. Wir sind alle keine Frustkasper und wenn dann irgendeiner Spaß hat, weil er uns sieht, ist das völlig in Ordnung.

Auf dem neuen Album habt ihr je ein Stück von MANOWAR als auch von SABATON gecovert. Beide Bands sind sich ja sehr ähnlich, verkörpern aber eine ganz andere Generation. Welche von beiden hältst du aktuell für „truer“?

Boah, diese „truer“-Frage ausgerechnet mich zu fragen … . Egal, was ich da sage, man wird es mir eh nicht abnehmen. Ganz ehrlich, wenn du dir meinen CD-Schrank anguckst, dann sind das zu 99 Prozent Power- und True-Metal-Bands und ich stehe da auch wirklich dazu. Aber ich bin jetzt nie so, dass ich sagen würde, ich lasse nichts anderes zu. Wenn mir irgendeiner eine Black-Metal-Band vorspielt, gefällt sie mir mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht, dann höre ich sie mir halt nicht an. Von daher weiß ich nicht, ob es Sinn macht, die Bands zu vergleichen, wer da „truer“ ist. Ich finde sie halt beide auf ihre Art sehr faszinierend und merke auch, dass wir bei VAN CANTO generell scheinbar Bands gut finden, denen es im Internet genauso geht wie uns.
Gerade SABATON mussten sich am Anfang auch extrem viel anhören, weil das ja alles angeblich so kitschig war und da viel zu viele Keyboards seien und die auch noch zu laut … . Wenn du jetzt siehst, was die Jungs in den letzten Jahren live so abräumen und wieviel Mühe die sich geben und wie hart die da daran arbeiten, dann kann keiner mehr sagen, das wäre keine Metalband. Man muss zumindest dem Respekt zollen, wie die mit der Sache umgehen.
Bei MANOWAR sehe ich das eigentlich ähnlich, auch wenn ich da jetzt persönlich die älteren Sachen – die wir ja auch covern – stärker finde als das, was so ab Ende der Neunziger kam. Aber trotzdem, die haben auch schon immer auf die Fresse gekriegt für das, was sie gemacht haben, aber so richtig anpissen kann man sie ja nicht, weil alleine der Sänger – wenn Eric Adams anfängt zu singen, dann können schonmal 99 Prozent der anderen Metal-Sänger einpacken und nach Hause gehen. Das ist etwas, was man auch einfach mal respektieren kann. Wenn ich natürlich nichts anderes zu tun habe, kann ich mich auch ins Internet einloggen und unter ein YouTube-Video von Manowar schreiben, wie schwul die doch sind in ihren Leder-Fell-Kostümen oder sowas. Man kann das aber auch einfach bleiben lassen.

Du hattest aber vorhin auch gemeint, dass die Glaubwürdigkeit leidet, wenn sich der persönliche Geschmack geändert hat, man aber weiterhin versucht, einen Stil rüberzubringen, den man vor zehn Jahren mal aus Überzeugung gespielt hat. Genau dieses Problem sehe ich gerade ein bisschen bei MANOWAR, du nicht auch? Oder stehst du nach wie vor hinter dem, was die musikalisch aktuell noch machen?

Siehst du das so? Klar, ich meine, die haben einen nicht unglaublich weiten musikalischen Horizont, aber von sowas wie „Kings Of Metal“ über „Triumph Of Steel“, wo sie dann auf einmal angefangen haben, fast schon progressiv zu werden, und dann so ein Biker-Album wie „Louder Than Hell“ zu machen – da finde ich schon, dass sie immer ungefähr das gemacht haben, wonach sie sich gefühlt haben.

Ich wollte auch eher auf diese aktuellen Hörspiel-Geschichten anspielen …

Ja gut, das brauch ich auch nicht, da skippe ich dann auch weiter. Ich finde das auch nicht besonders gut gemacht. Gerade wenn sie dann solche Klassik-Sachen machen, da gibt es andere Bands, die solche Sachen mit einem Orchester zusammen schon in Perfektion gemacht haben. Auf den letzten Alben gab es immer zwei oder drei Songs, die mir richtig gut gefallen und die ich dann auch öfters höre, aber es stimmt schon, von den letzten Alben hatte ich bei keinem Lust, es ganz oft auf Dauerschleife zu hören.
Ich finde es aber auch echt zuviel verlangt, dass jede Band quasi immer die beste Band aller Zeiten sein muss. Selbst die ganzen Dinos, die es jetzt gibt, die sind ja eigentlich auch nur deshalb noch Dinos, weil sie irgendwann mal einen Riesenkracher hatten. Da ist es fast schon Glück, wenn man eine Band wie METALLICA hat, die in ihrer Karriere mit „Master Of Puppets“ und dem „schwarzen Album“ sogar zwei Riesenkracher hatte. Das ist dann halt so, die Leute werden älter, verändern sich und haben auch andere Lebensumstände. Und so eine Platte ist ja deswegen so erfolgreich, weil sie in einem bestimmten Moment, in einer bestimmten Konstellation von Menschen entstanden ist, die da zusammengearbeitet haben. Und so einen Moment kann man eben nicht wiederholen, das ist ja auch das spannende an der Musik. So lange einem keiner verbietet, die alten Alben zu hören, kann auch eigentlich nix passieren. Ich finde „St. Anger“ wirklich grottenscheiße – kann ich das hier so sagen? – und ich finde das auch nicht schlimm, weil ich dann ich halt „Master Of Puppets“ einlege und mir denke: „Boah, ist das ein geiles Album!“

Okay, aber nun wieder zurück zu eurer eigenen Platte. Du warst, glaube ich, ein wenig enttäuscht, dass ich in meinem Review nicht auch auf die drei Bonus-Tracks eingehen konnte …

Da bin ich aber nicht von dir enttäuscht, sondern ein bisschen verwundert, dass die Plattenfirma die in ihrem Online-Tool nicht zur Verfügung gestellt hat. Weil das ja nur ein Mausklick gewesen wäre, zu sagen, wir stellen nicht zehn Tracks online, sondern elf, zwölf oder dreizehn.

Ich glaube, da steckt halt immer noch die Angst vor Raubkopien hinter. Obwohl ich die Stücke aber bislang noch nicht hören konnte, nutze ich an dieser Stelle einfach die Gelegenheit, mit dir über die drei Stücke zu reden. Zunächst wäre da die RUNNING WILD-Coverversion „Bad To The Bone“. Warum habt ihr euch gerade für diesen Song entschieden und habt ihr von Rock’n’Rolf schon ein Feedback zu eurer Version bekommen?

Es war eigentlich so, dass wir geplant hatten, ihn zu fragen, ob er nicht mitsingen will. Aber da war er gerade mitten in den Nachbearbeitungen zu dieser Abschieds-DVD, glaube ich. Irgendwas hat er auf jeden Fall gemacht, was ihn sehr beschäftigt hat, das kann ich dann auch verstehen. Wenn man mitten in so einem Ding drinnen ist, hat man vielleicht nicht unbedingt die Muse, sich auf was ganz anderes einzulassen. Da waren wir aber mit dem Song schon fertig. Wir hatten den Song, um anzufragen, extra soweit aufgenommen, dass sich das einer, der VAN CANTO nicht kennt, schon irgendwie vorstellen kann. Und dann haben wir gedacht, nachdem wir schon soviel Arbeit reingesteckt haben, singen wir ihn halt selbst und nehmen ihn dann als Bonus-Track.
Es war eine andere Entscheidung, diesen Song zu covern, als bei anderen Songs, wir wollten halt wirklich was mit Rock’n’Rolf machen. Das hat nicht geklappt, deswegen ist es ein Bonus-Track geworden. Die anderen Cover-Songs wollten wir wirklich covern, weil wir uns diesmal auch Cover ausgesucht haben, bei denen wir das Gefühl haben, die hätten auch wir schreiben können, vom Stil her und wie sie gemacht sind. Das sind vielleicht nicht die größten aller Hits, „Bed Of Nails“ beispielsweise oder „Primo Victoria“. Okay, das ist natürlich schon ein Hit, aber nicht vergleichbar mit „Fear Of The Dark“. Bei RUNNING WILD war die Idee, etwas mit dem Originalsänger zu machen. Und da das nicht geklappt hat, ist es jetzt eben ein Bonus geworden, damit man sich das wenigstens im VAN CANTO-Stil anhören kann.

Beim zweiten Bonus-Track, „Betrayed“, habt ihr mit einem Orchester zusammengearbeitet.

Genau. Das haben wir ja auf „Tribe Of Force“ auch schon gemacht (beim Stück „Magic Taborea“ – Anm. d. Red.) und das ist dieselbe Kooperation, also wieder mit diesem Online-Rollenspiel „Runes Of Magic“. Nur war das letzte Mal diese Entscheidung relativ schnell gekommen. Da war es so, dass Orchesteraufnahmen für das Spiel schon feststanden und dann zwei Wochen vorher gefragt wurde, ob wir nicht einen Soundtrack dafür machen wollten. Da hatten wir nur noch Zeit, schnell ein paar Akkorde zu komponieren, und dann wurde dazu so ein Orchester aufgenommen, das mehr oder weniger nur die Akkorde hält, und dann war so ein Lied fertig.
Diesmal hatten wir viel länger Zeit und haben dann probiert, ein bisschen Soundtrack-mäßiger zu komponieren, mit eigenem Orchester-Thema und so weiter. Das wünscht sich ja jeder Komponist, so größenwahnsinnig, wie man da eben ist, dass man mal irgendwann etwas schreibt, was dann ein ganzes Symphonie-Orchester spielt. Und da wir dann die Chance hatten, das zu machen und es nicht selbst bezahlen zu müssen – weil das ansonsten auch einfach nicht gegangen wäre, das muss ich auch ehrlich sagen – haben wir das natürlich sehr gerne gemacht. Ich finde „Betrayed“ im Vergleich zu unserem anderen Orchester-Song kompositorisch auf jeden Fall stärker, weil wir uns halt wirklich dieser Orchester-Sache gewidmet und das nicht nur irgendwie nebenher gemacht haben.

War dann auch die Erfahrung allgemein so, dass ihr das gerne wieder machen würdet?

Ich finde das total geil, wenn die eigenen musikalischen Ideen als Orchesteraufnahme zurückkommen. Aber natürlich ist es so, dass das dann eigentlich in jeder Band funktionieren würde. Da ist es bestimmt so, dass die beiden Orchester-Songs, die wir jetzt gemacht haben, A-Cappella-mäßig nicht die stärksten Songs sind, weil du dem Orchester ja auch ein bisschen Raum geben willst. Dann singen wir halt eher ein bisschen choraler, als dass wir das jetzt noch zuballern mit ganz vielen „Rakkatakkas“. Deswegen, ob das jetzt für VAN CANTO auf Dauer was tolles ist, weiß ich nicht. Ich finde, bei einem Track von dreizehn, der da als Bonus-Track mit dabei ist, ist das cool, das würde ich auch nochmal machen, wenn ich dürfte, aber das jetzt wirklich auszubauen, VAN CANTO mit Orchester, das kann ich mir momentan nicht vorstellen. Das wäre wohl ein bisschen über das Ziel hinausgeschossen.

Wie du schon sagst, würde es eben auch den Grundansatz eures A-Cappella-Metal kaputtmachen…

Ja, was heißt „kaputtmachen“? Da bin ich auch vorsichtig. Am Anfang hieß es, man kann auf keinen Fall Metal ohne Gitarren machen. Und jetzt haben wir zum Beispiel einen Song, bei dem der BLIND GUARDIAN-Gitarrist mitspielt (Marcus Siepen zupft die Akustik-Klampfe bei „Spelled In Waters“ – Anm. d. Red.), da gibt es bestimmt auch wieder welche, die sagen: „Das ist jetzt aber kein reiner A-Cappella mehr!“ Ich finde diese ganzen Dogmen, die man da auferlegt bekommt … so denke ich als Musiker nicht. Wenn ich Lust habe, etwas zu machen, dann mache ich es einfach. Und wenn das dann ein Track auf dem Album ist, dann kann auch jeder absolute Die-Hard-Fan einfach weiterskippen und hat dann immer noch elf andere Songs. Ich finde, so viel muss man als Musikhörer auch aushalten können, dass man bei einer Band – oder bei einer Konstellation von menschlichen Wesen, die Musik erzeugen – auch mal ein bisschen Veränderungen zulässt. Das ist manchmal schwer, aber das muss man schon zulassen, sonst passiert halt nie irgendwas.

Damit tun sich wohl insbesondere die Metal-Fans immer schwer, weil die Szene doch relativ traditionsbehaftet ist.

Ja, ich bin ja wie gesagt auch so. Ich weiß gar nicht, wie ich jetzt darauf reagiert hätte, wenn ein anderer auf die Idee gekommen wäre. Vielleicht hätte ich das ja auch total doof gefunden, ich weiß es nicht. Ich denke mal, dass wir polarisieren liegt auch einfach zu großen Teilen daran, dass wir selbst unsere Musik „Metal“ nennen. Und das kann ich auch voll verstehen, wenn irgendeiner sagt: „Nee, das ist aber kein Metal!“ Natürlich ist es so, wenn man sich so eine Marke gibt, wenn man sagt „wir machen Metal A-Cappella“, dann macht man das ja nicht, weil man gerade so eine Idee hatte, sondern weil man dachte, damit kommt man dann irgendwie an die Zielgruppe, von der man glaubt, dass es sie interessieren könnte, besser ran. Wenn wir einfach gesagt hätten „wir sind eine A-Cappella-Band mit Schlagzeuger“, dann hätte sich nie irgendeiner dafür interessiert, weil die normalen A-Cappella-Liebhaber, die sonst die WISE GUYS hören, gedacht hätten: „Mein Gott, was ist das denn für ein Krach?“ Und an die Metaller wären wir nie rangekommen, weil ein Metaller sich wahrscheinlich nicht unbedingt abends hinsetzt und erstmal nach „A Cappella“ googelt. Das war natürlich schon die Idee, sich damit auch ein bisschen ans Metal-Publikum zu wenden.
Das ist eben so mit diesem ganzen Traditionsbewusstsein. Ich bin da eigentlich selbst auch so, wenn ich Musik höre, aber auf der anderen Seite finde ich es auch immer spannend, wenn wirklich mal wer was ganz anderes macht. Zum Beispiel war meine Lieblingsband als Jugendlicher – oder fast noch als Kind – immer EUROPE, „The Final Countdown“ war die erste Single, die ich mir mit sechs gekauft habe. Damals fand ich die Gitarren cool, und das Keyboard auch. Irgendwann in den Neunzigern gab es die dann nicht mehr, da hat dann ihr Lead-Sänger Joey Tempest angefangen, Singer/Songwriter-Alben zu machen. Da dachte ich auch erst: „Boah, warum singt der jetzt so tief und warum geht das nicht so richtig ab?“ Aber mit Abstand betrachtet ist es trotzdem eine geile Platte von einem Typen, der in dem Moment einfach gesagt hat, er fühlt sich jetzt wie ein Singer/Songwriter und dann halt so eine Platte gemacht hat. Er hätte ja ganz einfach sagen können: „Die nächsten zwanzig Jahre tingel‘ ich jetzt durch die ganzen Weinorte und spiele in irgendwelchen Zelten ‚The Final Countdown‘, so lange bis ich irgendwie sechzig bin und mich keiner mehr hören will.“ Und dann finde ich es gut, wenn einer auch mal was anderes macht. Und so sehe ich das eigentlich bei uns.

Okay, einen Bonus-Track haben wir noch: „A Storm To Come“ habt ihr als Preview auf das Cross-Media-Projekt „Peer Returns“ angekündigt. Was muss ich mir darunter vorstellen?

Das ist im Grunde was ganz anderes, was auch mit der Musik alleine nicht wirklich zu beschreiben ist, deswegen heißt es ja auch „Cross-Media“. Es wird dazu eine „Musik-Welt“ und eine „Bild-Welt“ geben, wahrscheinlich auch eine bewegte, also so Zeichentrick-mäßig. Deswegen haben wir der Bonus-Edition von „Break The Silence“, wo dieser Song drauf ist, auch ein Poster beigelegt, wo man schonmal einen Blick in diese Bildwelt werfen kann. Da sind dann schonmal alle Charaktere gemalt und ein paar Szenen dargestellt.
Letztendlich kann man sich das Ganze wie ein Musical vorstellen, wo „A Storm To Come“ sozusagen die erste Szene im ersten Akt darstellt. Das soll aber was sein, was uns nebenher, unabhängig von irgendwelchen Plattenveröffentlichungen, die Möglichkeit gibt, mit VAN CANTO ein bisschen theatralischere Sachen zu machen, wo man nicht darauf achten muss, ob das irgendwann mal live umsetzbar ist oder nicht. Da ist es so, dass jeder auch mal im Chor mitsingt und da gibt es halt viel mehr Stimmen, die dann gedoppelt sind. Es klingt sehr bombastisch und sehr voll, das könnten wir in unserer Fünf-Sänger-Besetzung nie live machen, weil dann einfach drei Viertel der Stimmen fehlen würden. Und das ist natürlich auch was schönes, wo man dann wirklich mal mit ganz anderen Stimmen arbeiten kann. Wir haben jetzt auf dem Stück Helen Vogt von FLOWING TEARS dabei. Das ist auch mal interessant, wenn du eine Sängerin dabei hast, die eigentlich aus dem Gothic-Bereich kommt und gleich mal anderthalb Oktaven tiefer singt als zum Beispiel Inga. Wenn du solche Stimmen dann in deine Musik integrieren kannst, ist das natürlich spannend.
Ja, das soll uns halt so ein bisschen begleiten, abseits von Live- und Album-Aktivitäten, werden wir da in loser Folge Folgen veröffentlichen, die man sich im Internet angucken oder auf sein Handy runterladen kann. Wir müssen da noch überlegen, wie wir das genau machen, aber musikalische Ideen sind schon genug vorhanden und da wollten wir schonmal einen kleinen Vorgeschmack geben.

Und wen habt ihr euch da sonst noch mit ins Boot geholt, gerade für die Bilder beispielsweise?

Das Ganze ist initiiert von einem Menschen namens Gregor Hopf. Der ist in der Musical-Szene sehr bekannt, weil er die ganzen großen Musicals als Producer nach Deutschland gebracht hat, also nach Hamburg, diese großen Produktionen wie „König der Löwen“ und so weiter. Der wollte, nachdem er das alles gemacht hat, auch mal was eigenes machen, künstlerisch. Er hat uns mal auf einem Konzert gesehen und sich gesagt, das wäre genau das, was er gesucht hat, also theatralische Musik, die aber auch irgendwas hat, was es noch nicht gab.
Die Zeichnerin heißt „Gab“, kommt aus Berlin und macht viele solche Sachen wie interaktive Zeichentrickfilme oder Computerspiele. Die ist also eher aus dem Bereich, dass sie zwar zeichnet, aber das auch immer im Hinblick darauf macht, dass das später animiert wird oder dass es was Interaktives ist. Ich weiß gar nicht, natürlich hat sie auch einen richtigen Namen (Gabriel deVue bzw. A. Gabriel Kretzschmar – Anm. d. Red.), aber irgendwie schreibt sie selbst auch immer nur, dass sie „Gab“ heißt.
Es gibt aber auch eine Webseite zu dem ganzen Ding, www.peer-returns.com, die wir hoffentlich bis zum Release noch soweit kriegen, dass die Leute, wenn sie sich das Album kaufen und da drauf gucken, auch was finden. (Inzwischen findet man auf der Seite tatsächlich schon einiges an Material, das erste Details der an die norwegische Peer-Gynt-Sage angelehnten Geschichte verrät. – Anm. d. Red.)

Okay, dann werde ich da gleich mal vorbeischauen. Ansonsten sehen wir euch bald wieder live auf Tour?

Genau, es geht direkt am 30. September los, eine Woche nach dem Album-Release. Erst ein Gig in Deutschland, dann fahren wir neun Tage in Europa rum, zum ersten Mal auch in vielen Ländern, wo wir noch gar nicht waren. Ungarn zum Beispiel und Tschechien, in England waren wir auch noch nicht, in Frankreich auch noch nicht – und dann kommen wir nochmal für fünf Gigs nach Deutschland. Und dann machen wir vielleicht Ende des Jahres nochmal was, aber das steht noch nicht ganz fest. Wir wollen natürlich die neue Platte genauso live vorstellen, wie wir das bei der letzten auch gemacht haben. Und dann geht das wahrscheinlich immer so weiter, Album, Tour, Album, Tour, Album, Tour, mal gucken.

Vermutlich so lange, bis man merkt, dass man irgendwann auch mal eine Auszeit braucht.

Ja, dafür dass wir die Band eigentlich gegründet haben, ohne irgendwas zu erwarten, haben wir jetzt echt schon ziemlich viele coole Sachen erleben dürfen. Wir haben schon gesagt, wenn irgendwann mal einer auf der Bühne merkt, oh oh, es fühlt sich nach Arbeit oder Routine an, dann sollte man schleunigst sagen, okay, wir machen mal ein Päuschen. Momentan sehe ich das noch nicht, momentan scharren alle mit den Hufen, dass wir endlich mal eine Europa-Tour machen können, aber bei diesem Tempo kann ich mir schon auch vorstellen, dass wir irgendwann mal ein bisschen Gas rausnehmen müssen, sonst fällt man irgendwann tot um, da hat auch keiner was von.

…außer vielleicht die Kritiker aus dem Internet.

Ich würde jetzt nicht soweit gehen, dass die sich freuen, wenn einer von uns tot umfällt. Sicher kann man das nicht wissen, aber zieh mal von den ganzen Internet-Kommentaren 80 Prozent Hass ab und dann bleibt wahrscheinlich übrig: „Ich wollte mich auch mal beschweren und wollte auch mal was ins Internet schreiben.“

Okay. Ansonsten wäre es das jetzt soweit von meiner Seite. Gibt es sonst noch irgendwas, was du euren Fans und Kritikern an dieser Stelle mitteilen möchtest?

Also jeder ist eingeladen, wenn er uns irgendwo trifft – wir sind jetzt auch nicht die Band, die sich nach dem Gig direkt im Bus verkriecht – er kann da gerne mit uns drüber reden. Aber ansonsten bin ich nicht auf einem Kreuzzug gegen die Gitarre, wie manche Leute vielleicht denken könnten. Wir sind einfach nur eine Band, es gibt ein Angebot von 5.000 Metalbands und wenn wir irgendeinem nicht gefallen, dann soll er doch eine von den 4.999 anderen hören, die gerade eine Platte rausbringt.

Alles klar, dann bedanke ich mich recht herzlich, mir hat’s Spaß gemacht und dir hoffentlich auch ein bisschen.

Auf jeden Fall, ja. Ich find’s cool, wir haben ganz schön viel geredet, immerhin eine dreiviertel Stunde.

Mich freut das immer, ist auf jeden Fall besser als ein Interview, wo man nur „ja“ und „nein“ als Antwort bekommt.

Ja, nö, ich glaube, du hattest vor allem auch das Glück, dass du seit langer Zeit wieder das erste deutsche Interview machst. Da kann man dann endlich mal sagen, was man sagen will, weil ich im Englischen dann immer rumstottere und froh bin, wenn ich den Satz halbwegs unfallfrei über die Bühne gekriegt hab. Aber im Deutschen kann man dann ja mal in seiner eigenen Sprache seinen Gedanken Ausdruck verleihen, das ist doch schön.

05.10.2011
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