Ulver
Die Welt im Niedergang

Interview

Ulver

Mit „Wars Of The Roses“ setzen ULVER dieser Tage ihre vor achtzehn Jahren begonnene Reise durch eine verfallende Welt fort. Unterwegs haben sie vor einiger Zeit mit Daniel O’Sullivan einen weiteren Begleiter gefunden, der ULVER auch auf den Bühnen dieser Welt unterstützt. Anlässlich der Veröffentlichung des neuen Werkes nutzte ich die Gelegenheit, eben diesem Daniel O’Sulliven per Mail ein wenig auf den Zahn zu fühlen. Leider gibt sich Daniel im Vergleich zu unserem Interview vor eineinhalb Jahren ungewöhnlich wortkarg – einen Einblick in die seltsame Welt der Wölfe dürfte unseren Lesern trotzdem gelingen…

 

„Hei!“ aus Deutschland und Gratulation zu eurem fantastischen neuen Album! Wie fühlt ihr euch, wenn ihr so zwischen der Fertigstellung und der Veröffentlichung von „Wars Of The Roses“ herumhängt?

Woops! Ich schätze, da bin ich mit der Beantwortung der Fragen ein bisschen zu spät, das Album ist schon draußen…

…und außerdem habt ihr das Album ja schon live gespielt. Wie waren die Reaktionen der Konzertbesucher?

Insgesamt positiv. Wir haben fast ausschließlich neues Material gespielt, was natürlich nicht für einen Publikumserfolg prädestiniert ist. Wenn man das berücksichtigt, sind wir ganz zufrieden.

Bist du denn der Ansicht, dass die Konzerte die Fans ein wenig auf die Aufnahmen vorbereiten konnten?

Eher umgekehrt: Es ist eine gute Erfahrung, etwas live zu erleben, ohne die Aufnahme dazu im Hinterkopf zu haben – es gibt mehr Raum für Überraschungen.

Ihr spielt ja auch noch nicht so lange überhaupt Konzerte. Bist du der Meinung, dass die Konzerte eure Art, Songs zu schreiben und zu arrangieren, verändert hat?

In gewissem Maße hat es das. Das aktuelle Material eignet sich sicherlich mehr für Konzerte als ältere Alben. Ich würde trotzdem nicht sagen, dass irgendeine unserer Entscheidungen im Studio davon abhängt, ob wir es live umsetzen können.

Lass uns auf „Wars Of The Roses“ zurückkommen. Wie ist die Resonanz bisher? Ist die Fachpresse durchweg begeistert oder geht nur mir das so?

Die Resonanz ist großartig. Danke übrigens.

Wie stehst DU denn zu „Wars Of The Roses“, speziell im „Schatten der Sonne“ [haha – Anm. d. Verf.], seines Vorgängers?

Es ist eine andere Perspektive. Also ganz wörtlich. „Shadows Of The Sun“ war sehr getragen und innerlich, das neue Album ist von eher überspannender Qualität, es sieht die Dinge aus einer kritischen Distanz. Die musikalische Atmosphäre ist auch variabler. Ich würde sagen, „Wars Of The Roses“ ist nicht so holistisch wie „Shadows Of The Sun“, aber nichtsdestoweniger ein gutes Dokument schizophrener Zeiten in unserem Leben.

„Wars Of The Roses“ war ursprünglich unter dem Titel „Critical Geography“ angekündigt. Wie kam es zu der Änderung? Spielte die syntaktische Parallele zu „Shadows Of The Sun“ eine Rolle?

Eine interessante Beobachtung, das hat aber – wenn überhaupt – nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Wir haben uns mit „Critical Geography“ nie so richtig wohl gefühlt. Der Titel schien uns zu weit gefasst, nicht atmosphärisch genug. Oder so. „Wars Of The Roses“ ist eher makrokosmisch, aber fasst den ästhetischen Ansatz zusammen, den wir auf der Platte verfolten: Monarchie, Geschichte, Erbe, die Welt im Niedergang.

Im Song „Providence“ ist die norwegische Soul-Sängerin Siri Stranger mit von der Partie. Wie seid ihr mit ihr in Kontakt gekommen? Sie stammt ja aus einem eher entfernten Genre…

Das ist einfach, wenn man selbst nicht zu einem bestimmten Genre gehört. Wir haben Siri über gemeinsame Freunde im Studio kennengelernt.

Ihr Gesang in „Providence“ ist ja gedoppelt und daher sehr direkt – genau wie Krystoffer’s Stimme. War es ihre Idee, denselben „Effekt“ zu verwenden – und falls nicht, wie ist sie mit diesem Ansatz zurechtgekommen?

Es gefällt ihr. Es war unsere Idee, ihre Stimme zu doppeln, aber das sicher nichts Neues für sie.

Ich finde ja, „Providence“ steht sowohl musikalisch als auch atmosphärisch in der Tradition von „A Life All Mine“ vom THE GATHERING-Album „Souvenirs“, auf dem Krystoffer ein Duett mit Anneke singt. Würdest du mir zustimmen?

Ich persönlich würde dir da nicht zustimmen.

Wir haben ja gerade schon über Gastmusiker gesprochen. Mit Stian Westhus, Steve Noble und Alex Ward habt ihr einige durchaus bekannte Gäste auf „Wars Of The Roses“ – doch mir scheint es, als hätten sie sich zurückgehalten (oder zurückhalten lassen). Die gedämpfte Trompete in „Island“ ist zum Beispiel kaum zu hören (was ich persönlich sehr schade finde). Wie siehst du die Balance zwischen dem Herausstellen eines Instrumentes oder Musikers und der Integration des Beitrages in das Gesamtbild?

Wir arbeiten mit Klang. Wie haben kein Interesse daran, ein Instrument nur um seiner selbst Willen in den Vordergrund zu rücken. Die gesamte Instrumentierung des Albums wird impressionistisch verwendet, in gewisser Weise um ein Klangbild zu erschaffen. Wenn man dann die Klangquelle nicht genau erkennen kann, ist das umso besser, denn es ist nicht wichtig.

Das bringt mich zu einer anderen Frage: Ebenfalls in „Island“ sind natürliche Geräusche wie Möwen, knarrendes Holz und Taue zu hören – aber sie sind imitiert und haben elektronische Quellen. Was ist der Grundgedanke hinter dieser „Verfremdung“? Was wollt ihr damit ausdrücken?

Eine Beschreibung von akusmatischer Musik wird diese Frage sehr gut beantworten [Natürlich. Hätte ich mir ja auch denken können… – Anm. d. Verf.].

Lass uns abschließend über das fünfzehnminütige „Stone Angels“ sprechen. Ihr habt ein Gedicht des US-amerikanischen Autors und Übersetzers Keith Waldrop gewählt. Es ist ja nicht das erste Mal, dass ULVER sich in der Literatur bedienen (man denke nur „The Marriage Of Heaven And Hell“ von William Blake oder den Song „Gnosis“, der auf einem Gedicht von Arthur Rimbaud basiert) – wie seid ihr speziell auf Waldrop, einen Dichter der Gegenwart, gestoßen?

Er ist ein Kollege von Jørn. Wir lieben seine Arbeiten. „Stone Angels“ ist ein wunderschönes Paradoxon zwischen dem, was als „Anderswelt“ oder „transzendent“ bezeichnet wird, und den unausweichlichen, unvermeidlichen Aspekten des menschlichen Daseins.

Die Art und Weise, wie ihr das Gedicht in Klanglandschaften „übersetzt“ habt, ist für ULVER eher ungewöhnlich: Du hast das Gedicht ja nicht gesungen, sondern rezitiert und auf diese Weise intakt gelassen. Habt ihr überlegt, Krystoffer singen zu lassen oder war das von Anfang an keine Alternative?

Wir waren der Meinung, die Umsetzung sollte schnörkellos und eher sprechorientiert sein.

Ich habe im Internet Aussagen gefunden, dass „Stone Angels“ sich eigentlich auf einen Friedhof in Rhode Island bezieht [was wiederum im Hinblick auf den ursprünglichen Albumtitel interessant wäre…]. Seid ihr die Vertonung mit diesem Hintergrund angegangen oder habt ihr das Gedicht in einem anderen Kontext gesehen?

Für die Inszenierung fühlt sich das durchaus richtig an, ja. Wir haben jedoch nicht versucht, die Geräuschkulisse eines Friedhofs nachzuahmen. Dieser eher Soundtrack-artige Ansatz muss meiner Meinung nach mit sehr viel Vorsicht verfolgt werden.

Ich halte „Stone Angels“ für ein wundervolles Stück Musik – man muss sich aber darauf einlassen, man muss die Worte begreifen. Es gibt eine Zeile, die sich mir ziemlich eingeprägt hat und die ich auch in meiner Rezension zitiert habe: „The worst death, worse than death, would be to die, leaving nothing unfinished.“ – Kannst du die Zeile in Bezug zu ULVER setzen? Würdest du sie vielleicht sogar für bisherige, aktuelle und zukünftige Veröffentlichungen gelten lassen?

Die Schönheit der Unbeständigkeit. Definitiv.

Das war dann auch meine letzte Frage. Vielen Dank für die Beantwortung – die letzten Worte gehören dir.

Take care.

19.05.2011

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