Üebermutter
Interview mit Sängerin Luci van Org

Interview

Kontrovers, kontrovers… völliger Humbug oder interessantes Konzept? Angebiederter Pseudorock zwischen RAMMSTEIN, SUBWAY TO SALLY und MIA, oder radiotauglicher Metal mit 50er-Jahre-Industrial-BDSM-Flair? Luci van Org stellte sich anlässlich der Veröffentlichung ihres Metaldebüts mit ÜEBERMUTTER einem – teils auch unangenehmem – Kreuzfeuer.

Üebermutter

Hallo Luci! Ich gratuliere zu Deinem Einstand in der Metal-Szene mit ÜEBERMUTTER. Auch wenn ich das Album überaus interessant finde, könnte ich mir vorstellen, dass Ihr mit Eurer Ästhetik und Euren Themen nicht überall offene Türen in dieser eigentlich recht konservativen Szene eingerannt habt, oder?

Natüerlich nicht. Man kann ja nicht behaupten, dass wir puristischen Metal machen – und viele stoßen sich eben an allem, was nicht die “reine Lehre“ ist. Aber um die geht es mit persöenlich einfach nicht. Wäere bei meiner Vergangenheit ja auch albern, wenn ich mich als Metal-Puristin gebärden wüerde, oder?

Nach Deiner Popmusik-Karriere mit LUCILECTRIC warst Du musikalisch hauptsächlich als Komponistin für andere Künstler, aber auch in einigen anderen Bands und Projekten aktiv. Dass Du mit einer Metalband um die Ecke kommst, ist sicherlich nicht nur für mich überraschend. Wie kam es dazu, wie stehst Du zu diesem Musikstil im Allgemeinen, seinen Thematiken, seiner Ästhetik? Bist Du selbst fleißige Metal-Hörerin?

Ich höere gern und fleißig jede Form von häerterer Musik. So, wie ich es schon immer gemacht habe. Ich bin in den 80ern mit Punk, Industrial und dem, was man heute wohl Gothic nennen wüerde, musikalisch sozialisiert worden. In den 90ern kamen dann Metal und Grunge dazu. Und der ebenfalls sehr dunkle, harte Sound der Fetish- und BDSM- Szene, in der ich seit vielen Jahren privat zu Hause bin. All das hat mich gepräegt. Mit meiner letzten Band DAS HAUS VON LUCI haben wir schon 2004 das WGT gerockt und auf Bikertreffen gespielt. Und auch LUCILECTRIC waren (mit Ausnahme der Singles und des zweiten, echt misslungenen Albums) wesentlich heftiger, als man vielleicht heute vermutet. Sogar die B-Seite vom “Mäedchen“ war ein hartes Rockstüeck mit einem Francois Villon-Gedicht als Text. Aber dafür hat sich niemand interessiert, weil es nicht in das Bild von der “Popgöere“ passte.
Was aber durch alle Jahre geblieben ist, ist meine Vorliebe füer Musik mit einer Aussage. Deshalb kann das immens hohe musikalische Niveau vieler Metal-Bands zwar zutiefst bewundern. Wenn es dazu aber keine Aussage gibt, die mich kickt, finde ich trotz aller Bewunderung noch immer wenig gefühlsmäßigen Zugang. Dank der CD- Tipps unserer Schlagzeugerin Sabine Ahlbrecht, die mit KARRAS ja noch in einer Deathmetal-Combo unterwegs ist, gelingt es mir aber immer besser. Ich höere mich da schon noch rein… 😉
Außerdem ist da ja noch unser UNHEILand und Metal-Gitarrengott Michael Brettner. Der Mann ist bei Viktor Smolski in die Lehre gegangen und unzweifelhaft einer der besten Gitarristen Europas. Ist doch klar und ein riesiges Glüeck, dass so ein Ausnahmemusiker ÜEBERMUTTER auch noch seinen Stempel aufdrüeckt.

Wie schätzt Du Deine früheren musikalischen Veröffentlichungen, insbesondere natürlich LUCILECTRIC, heute ein? Betrachtest Du die Entwicklung von EENA Ende der 80er Jahre bis hin zu ÜEBERMUTTER, 20 Jahre, später, als logisch und nachvollziehbar? Hast Du von Beginn Deiner Karriere an einen Plan gehabt, nach einem roten Faden gehandelt?

Schöen wäers, ha ha… !!! Nein, natüerlich nicht. Bei EENA wurde ich im zarten Alter von 15 aus einer Schraddel- Schüeler-Wavepunk-Band weggeköedert. Mit einem Brettharten Acid-Rock-Stüeck, dessen Text ich selbst geschrieben hatte. Kaum war kurz nach meinem 16. Geburztag der Knebelvertrag unterschrieben, musste ich machen, was die Firma wollte. Und die wollten ein Discomäuschen. Dass ich mich damals nicht getraut habe, mich dagegen zu stellen, werfe ich mir tatsäechlich manchmal noch vor. Aber, meine Güete, ich war ein ahnungsloser Teenie, da passiert so was eben. LUCILECTRIC dagegen war, zumindest zu Anfang, genau so gewollt und ein herrlicher Spaß. Und, auch, wenn es draußen vielleicht nicht so ankam – wir waren keine Plastikband. Ralf kam aus dem Umfeld der NEUBAUTEN, unser Keyboarder Ash aus dem von NICK CAVE- kein Metal, aber auch nicht soooo scheiße, oder? Leider haben wir uns beim 2. Album auch mit LUCILECTRIC zu Dingen zwingen lassen, die wir nicht wollten. Mit für uns alle katastrophalen Folgen. Seitdem habe ich mir vorgenommen, dass mir so etwas nie, nie, nie wieder passiert. Meine Freiheit, vor allem die küenstlerische, ist mir absolut heilig.

ÜEBERMUTTER arbeitet mit einer Ästhetik, die aus 50er-Jahre Nachkriegsflair, S/M-nahen Uniformen und Accessoires, postfeministischem Image und pazifistisch-gesellschaftskritisch-moralisierenden Aussagen besteht. Auf mich wirkt dieses Konzept, auch wenn man es bitter sarkastisch versteht, leicht widersprüchlich – kann man gleichzeitig das Frauenbild der 50er Jahre kritisieren und mit seiner Ästhetik arbeiten? Uniformen verwenden und gegen Krieg plädieren?

Klar kann man. Wenn man den Finger in einer Wunde legt, finde ich es nur logisch, gleichzeitig zu zeigen, woher die Verletzung kommt. Und auch, den Spieß mal umzudrehen und das, was einem das Leben schwer macht, füer seine Zwecke zu benutzen. Ist doch auch nichts Neues, sondern seit Jahrzehnten vor allem im Industrial ein beliebtes Stilmittel – eben weil es so wirksam und brachial ist. Und brachial mag ich nun mal sehr.

Du scheust Dich nicht, auf „Unheil!“ brisante gesellschaftliche Themen wie Kindesmissbrauch, sexuelle Freiheit oder das Festhalten an „klassischen“ Rollenbildern bzw. allgemeine Gleichberechtigung offen anzusprechen, die ansonsten im härteren musikalischen Kontext eher ignoriert werden. Ist „Unheil!“ ein politisches Album oder eher ein persönliches? Wie kommen Eure Hörer bis jetzt damit zurecht?

„UNHEIL!“ ist politisch – und gleichzeitig sehr persöenlich. Zum einen, weil ich ein politischer Mensch bin. Und zum anderen, weil die Dinge, um die es auf dem Album geht, mich selbst betreffen. Sowohl als Mutter, als auch, wenn Deine Sexualitäet und Dein Lebensstil nicht unbedingt der gesellschaftlichen Norm entspricht, bekommst Du es üeberall mit der, wie ich finde, immer schlimmer werdenden Bigotterie hierzulande zu tun. Und es scheint vielen so zu gehen. Denn bis jetzt reagieren fast alle Höerer sehr positiv auf das, was wir zu sagen haben – selbst dann, wenn sie mit der Musik nicht so viel anfangen köennen.

Eine sehr persönliche Frage, von der ich hoffe, dass Du sie trotzdem beantworten möchtest: Du plädierst für ein liberales Geschlechter-Rollenbild und stellst Dich mit dem Song „Heim und Herd“ deutlich gegen die traditionelle Frauenrolle als Verwalterin des Haushalts und Verantwortliche für die Kindererziehung. Wie handhabst Du das persönlich?

Ich bin und war immer ein Gerechtigkeitsfanatiker. Deshalb kam füer mich nie etwas anderes in Frage, als zwischen meinem Mann und mir alles 50 zu 50 zu teilen. Die Zeit mit dem Kind genauso wie die Arbeitszeit. Es ist doch Schwachsinn, dass Kinder immer zur Mutter gehöeren. Das hieße ja, dass Kinder von allein erziehenden Väetern vöellig gestöert wäeren. Sind sie aber nicht… da gibt es sogar Studien drüeber.

Bands wie RAMMSTEIN, SLIPKNOT oder MARILYN MANSON im Metalgenre, aber auch Künstler wie EMINEM im Hip-Hop arbeiten einerseits damit, der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten, verarbeiten andererseits eine große Menge persönlicher Erfahrungen. Wieviel steckt einerseits von Ina Lucia Hildebrand in diesem Album, und was will Luci van Org andererseits der Welt damit ankreiden?

Bei mir geht es in der Musik eigentlich ausschließlich um persöenliche Erfahrungen, weil ich da die meiste Emotion entwickeln kann. Deshalb steckt auch in jedem ÜEBERMUTTER-Song ein Stüeck meines Lebens. Ja, auch im Missbrauchs-Song “Mäedchen TeilZwo“, auf den Du wahrscheinlich anspielst (Nicht nur, aber auch. – Anm. d. Red.). Und zwar nicht nur im üebertragenen Sinne.

Die musikalische Umsetzung pendelt meiner Einschätzung nach zwischen „Neuer Deutscher Härte“, Industrial- und Alternative-Einflüssen, MIA-Zugänglichkeit, gothic-affinen Refrains und NINA-HAGEN-Ausstrahlung. Was entgegnest Du Kritikern, die behaupten, ÜEBERMUTTER stünden damit kalkuliert in der Schnittmenge von allem, was derzeit in der Rockszene erfolgreich ist?

Whow!!! Das wäere ja großartig, wenn’s so wäere. Das hieße ja, dass wir ganz furchtbar erfolgreich werden müssten!!! Ne, aber jetzt mal im Ernst. Zum Leidwesen meines Portemonnaies habe ich es noch nie geschafft, kalkuliert Musik zu machen. Und wenn man mich, wie beim zweiten Album von LUCILECTRIC, dazu gezwungen hat, ging es immer voll in die Hose. Der Sound von ÜEBERMUTTER ist schlicht und ergreifend die Musik, das, was mich gerade emotional kickt. Nicht mehr und nicht weniger.

Wo wir schon bei Nina Hagen sind: Du hast unter anderem auch für sie, für Nena und viele weitere Künstler als Songschreiberin gearbeitet. Versuchst Du etwa, infiltrierend und konspirierend aus dem Hintergrund, eine neue Gesellschaft in Deutschland aufzubauen? 😉 Hast Du eine Vision, die Du gerne umsetzen möchtest? Was verbindet Dich mit diesen Künstlern?

Keine neue Gesellschaft in Deutschland… mir geht es natüerlich um die Weltherrschaft!!!! Und darum, mit möeglichst vielen, großartigen Küenstlern zu arbeiten. Meine Vision bei allem, was ich mache, ist, unnöetige Grenzen einzureißen. Im Herzen und im Kopf. Unnöetige Grenzen verletzen und machen Menschen das Leben schwer. Auch oft an Stellen, wo man es nicht vermutet. Ich bin zum Beispiel Schirmherrin der Verwaisten Eltern in Deutschland e.V., eines Vereins, der sich um Eltern küemmert, denen Kinder verstorben sind. Mit welchen Vorurteilen und Grenzen diese Menschen, die ohnehin vom Schicksal die volle Packung abbekommen haben, täeglich käempfen müessen, kann man sich gar nicht vorstellen.

Du bist nicht nur Musikerin und Komponistin, sondern auch Schauspielerin, Moderatorin und Autorin. Woher ziehst Du Deine kreativen Inspirationen für all diese Tätigkeiten, und woher nimmst Du die Zeit? Wie lässt sich das mit Familie (und Heim und Herd) vereinbaren, und was erwartet uns in Zukunft noch an Luci-van-Org-Aktivitäten?

Ich mache ja nicht immer alles gleichzeitig, sondern nacheinander. Trotzdem ist meine Zeit immer zu knapp und ich muss sie mir sehr sorgfältig einteilen. Weniger machen möechte ich trotzdem nicht, denn ich glaube, dass gerade dieses “Herummäeandern“ sehr wichtig füer meine Kreativitäet ist. Immer wieder etwas Neues zu tun und Neues zu lernen, ist eine meiner gröeßten Triebfedern. Deshalb kann ich auch noch gar nicht sagen, was noch kommt – aber im Moment hat ÜEBERMUTTER natüerlich erstmal Prioritäet.

Deine Unheilsarmee besteht aus Gitarrist Michael Brettner und einem Trio hübscher junger Frauen – wer sind die Damen, und wie hat diese Band zusammen gefunden? Wie handhabt Ihr die Umsetzung der Musik auf der Bühne? Ihr wart bereits im Februar auf Tour – wie ist das gelaufen? Bei welchem Publikum habt Ihr das meiste Unheil gestiftet?

Michael Brettner ist ja auch sehr jung und hüebsch… und die Damen sind genauso wie er phantastische Musikerinnen. Mit unserer Bassistin Anja Schlemm habe ich vor Jahren schon mal als Gast in einer anderen Rockband zusammengespielt. Und sie spielte bei STIEFMUTTER, einer reinen Frauenband, die Stüecke von RAMMSTEIN und NIRVANA gecovert hat. Das fand ich sehr interessant und habe es mir angesehen – und war sofort hin und weg! Falls irgendjemand noch immer behaupten sollte, Frauen könnten nicht rocken, nicht moshen und es käeme kein Brett von der Büehne (auch so ne unnöetige Grenze…) – der soll zu ’nem ÜEBERMUTTER- Konzert kommen, sich in Grund und Boden schäemen und sich wegblasen lassen!! Und wer das nicht glaubt, soll sich ein paar Konzert-Rezis der letzten Tour im Netz ansehen. Bisher gab es näemlich höechstens die Kritik, dass wir zu laut und zu hart sind, ansonsten waren alle begeistert!

Ist ÜEBERMUTTER ein eher einmaliges, image-bezogenes Projekt, oder plant Ihr weitere Alben und Konzerte? Was würde uns da erwarten?

Wir haben doch gerade erst angefangen. Unsere Ideen reichen füer unzählige Alben und Konzerte. So leids mir tut, Ihr werdet uns nicht los!!!

08.04.2008

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1 Kommentar zu Üebermutter - Interview mit Sängerin Luci van Org

  1. Toreso sagt:

    Dann wissen wir’s ja. Sie wurde missbraucht, und ist deshalb in die SM-Szene abgerutscht. Wie so viele die von der Gewalt nicht mehr los kommen.