Turisas
Interview mit Frontmann Warlord Nygård zum neuen Album "Turisas2013"
Interview
Ist „Turisas2013“ ein unterhaltsames und solides neues TURISAS-Album oder doch eher „die Gurke des Jahres“, wie Kollege Pascal S. tollkühn behauptet? Wie auch immer: „Turisas2013“ polarisiert, und das ist Mathias „Warlord“ Nygård, Anführer der finnischen Battle-Metal-Heroen TURISAS, durchaus bewusst. Wir haben den Frontmann zum Interview zitiert, und dort spricht er nicht nur über den knackig kurzen Albumtitel, Aufnahmeprozesse sowie aktuelle und ehemalige Bandmitglieder, sondern auch über die eher weniger bekannten Geschichten aus Tausenundeiner Nacht.
Lass uns mal chronlogisch anfangen: Letztes Jahr hast Du via Facebook verkündet, dass das neue Album geradewegs in Kansalliskirjasto seinen Anfang genommen hätte – in der finnischen Nationalbibliothek in Helsinki. Was war also der erste Schritt in Richtung „Turisas2013“?
Bei den meisten unserer Alben habe ich damit begonnen, erst einmal eine Idee von der Musik zu entwickeln. bevor die Musik geschrieben wurde. Insofern habe ich die Arbeit am Album genauso wie beispielsweise bei „The Varangian Way“ angefangen: Mit Lesen.
Benötigst Du beim Schreiben der Musik erstmal eine textliche Inspiration?
Es ist nicht notwendigerweise eine klare textliche Inspiration, aber eine Stimmung: eigentlich ist es eher ein Photo oder ein Bild oder manchmal ein kleiner Videoclip in meinem Kopf. Die eigentlichen Texte kommen zuletzt und richten sich nach dem Rhythmus und der Musik. Aber die Idee des Songs gab es in anderen Formen schon vorher, und die Texte geben nur einen sehr kleinen Einblick in diese Idee.
Für das Songwriting und die Produktion des Albums habt Ihr ein altes Haus außerhalb von Helsinki gemietet, wo Du erstmal für Dich selbst gelebt und gearbeitet hast. Später ist Jussi (Wickström, Gitarre; Anm. Red.) hinzugestoßen… Warum habt Ihr diesen Ansatz gewählt und inwiefern hat sich dies bezahlt gemacht?
Wir wollten auch produktionstechnisch neue Arbeitsabläufe ausprobieren, um einen noch einzigartigeren Sound zu erreichen. Wir haben jetzt seit einem Jahrzehnt in Aufnahmestudios gearbeitet, weswegen wir uns dort sehr genau auskennen und gründlich ausgebildet sind. Natürlich hatten wir immer einen Aufnahmetechniker an unserer Seite, der die Musik aufgenommen hat. Diesmal wollten wir aber diese Routinen und Gewohnheiten der Leute vermeiden, die schon seit Ewigkeiten mit uns arbeiten. Deshalb haben wir selbst etwas experimentiert. Und das schloss auch kleine Fehlerchen mit ein.
Wir haben diesen Ansatz auch gewählt, weil ich bislang immer viel spontan arrangiert habe, was viel Studiozeit verschlang. In einem gemieteten Tonstudio kannst Du mit so etwas viel Geld verpulvern. Also wollten wir diesmal mehr oder weniger das Album aufnehmen, während wir es schreiben, und dadurch die Trennlinie zwischen einer Demosession und den eigentlichen Aufnahmen verwischen. In dem Haus hatten wir ein professionelles Aufnahmestudio eingerichtet, das uns nun ein halbes Jahr zur Verfügung stand, und damit konnten wir auch schon die frühen Takes verwenden. Du weißt schon, diese magischen und spontanen Takes, die man nur in einer Demosession hinbekommt und bei den eigentlichen Aufnahmen nie mehr so gut klingen.
Inwiefern ist es eine Inspiration für Dich, live zu spielen?
Ich habe das Schreiben eines Albums immer wie das Schreiben eines Romans angesehen. Wenn du einen Roman schreibst, kannst du natürlich bereits die Verfilmung im Hinterkopf behalten und dich selbst ein Stück weit einschränken, weil eben nicht alles filmisch umgesetzt werden kann… oder du versuchst einfach, das verdammt noch mal beste Buch überhaupt zu schreiben und den ganzen Verfilmuskram auf später zu verschieben!
Wenn ich also Musik schreibe und arrangiere, denke ich gar nicht so sehr an die Liveumsetzung, sondern konzentriere mich darauf, was am besten klingt. Nachdem das Album fertig ist, verwenden wir in der Regel eine Menge Zeit darauf, die Arrangements für die Livesituation umzuschreiben. Üblicherweise betrifft das die Instrumentierung, da wir sechs Musiker auf der Bühne sind, auf Platte aber bis zu dreißig, die alle unterschiedliche Instrumente und Sachen spielen.
Ich habe nie verstanden, warum Leute bei einem Konzert erwarten, dass die Band sich anhört wie auf Platte. Bei einer Liveperformance geht es doch um Spontanität und darum, dass die Umsetzung ein einmaliger Moment ist. Das ist doch die Magie eines Konzerts. Unsere Songs sind niemals ein Kompromiss, sie sind einfach anders. Sie sind live!
Während der Vorproduktion hat sich das Line-Up der Band ein weiteres Mal verändert, als Jaakko Jakku am Schlagzeug und Jesper Anastasiadis am Bass zu TURISAS gestoßen sind. Was waren die Gründe für diesen Wechsel?
Nachdem Hannes (Horma, Bass; Anm. Red.) die Band 2011 verlassen hatte, hat uns Jukka-Pekka Miettinen eigentlich nur als Übergangsbassist ausgeholfen – wobei wir nichtsdestotrotz eine großartige Zeit miteinander hatten. Also war es klar, dass wir uns nach einer dauerhaften Lösung umsehen müssen. Beim Schlagzeug war es so, dass Tude (Lehtonen; Anm. Red.) schon vor Jahren angedeutet hat, dass er vielleicht irgendwann einmal nicht mehr den Funken hat, um wirklich einhundert Prozent zu geben und auf Tour zu gehen. Insofern war uns immer klar, dass dieser Punkt früher oder später einmal erreicht sein würde. Es kam darauf an, einen günstigen Zeitpunkt für den Wechsel zu finden, der die Band am wenigsten in Mitleidenschaft zieht. Es gab niemals schlechte Stimmung deswegen, aber zum Leben gehört einfach dazu, dass sich mit der Zeit die Prioritäten ändern. Deshalb respektiere ich wirklich unsere ehemaligen Mitglieder, wie eben Tude, der gesagt hat, dass die Band einen Drummer verdient, der mit vollem Herzen dabei ist, und dass er eben den Schritt gegangen ist, als das bei ihm nicht mehr der Fall war.
Was ist die bemerkenswerteste Eigenschaft von Jaakko und Jesper?
Sowohl Jaakko als auch Jesper sind sehr vielseitige Musiker. Beide haben Musik studiert und einen Abschluss und haben bereits in vielen Bands ganz unterschiedlicher Stilrichtungen gespielt. Wir wollten Mitglieder haben, die auf Metal stehen, aber einen vielseitigen musikalischen Hintergrund haben. Wir wollten beispielsweise keinen modernen super-technischen Metalschlagzeuger, da wir eh mit dem Album in eine eher organischere Richtung gehen wollten. Dieser ganze Turbo-Pro-Tool-bearbeitete Schlagzeugstil war das Letzte, was wir auf dem Album hören wollten.
Vielmehr haben wir einen Drummer gesucht, der einen guten Groove hat und auch mal etwas ganz anderes spielen kann, was mit Metal nichts zu tun hat, der aber gleichzeitig Tempo und Double-Kick-Drums drauf hat. Jesper und Jaakko sind zudem beide gute Sänger, womit wir jetzt sechs Leute in der Band haben, die singen können. Live können wir jetzt ziemlich coole Sachen machen. Diese neue Konstellation hat sich definitiv auf die Vokalarrangements auf dem Album ausgewirkt, und es gibt dort sogar ein paar richtig fette QUEEN-Momente.
Warum ist „Turisas2013“ für die Band ein Schritt nach vorne?
„Turisas2013“ ist in erster Linie ein Produkt seiner Zeit. Wir haben das Album zwischen 2012 und 2013 geschrieben und aufgenommen – eben als die Leute, die wir sind, mit dem Line-Up, das wir haben, in den Umgebungen und Umständen, in denen wir gelebt haben, und in der Welt, wie sie zu diesem Zeitpunkt war. Es ist ein Album, das sich komplett auf das Hier und Jetzt fokussiert, und nicht auf die Vergangenheit oder wo und was wir in der Zukunft sein wollen.
Wie auf den Alben zuvor gibt es auch auf „Turisas2013“ einen bunten Mix aus verschiedenen Einflüssen und Stilen. „Run Bhang-Eater, Run“ beispielsweise erinnert mich sehr stark an ALAMAAILMAN VASARAT – inwiefern hat Dich deren Geschick, Klezmer mit Balkan-Folklore zu verbinden, bei diesem Song inspiriert?
Der Haupteinfluss für diesen Song sind im Grunde genommen ein paar Geschichten aus Tausendundeiner Nacht, auf denen er lose basiert. Es sind allerdings jene Geschichten, die es nicht in einer Disney-Version gibt: Die Geschichten über Sex, Drogen und Obszönitäten. Gleichzeitig ist er auch musikalisch strukturiert wie ein Traum oder ein schlechter Trip, wo eine Fortsetzung nicht viel Sinn macht. Die Inspiration war eine Kombination von diesen Geschichten aus Tausendundeiner Nacht und diesem schlechten Traum, den vermutlich jeder kennt, wo man sich plötzlich nackt auf einem belebten Platz wiederfindet und von dem man dann, den geringsten Schaden nehmend, abzuhauen versucht. Ich habe diesen schlechten Traum genommen und auf einen belebten mittelöstlichen Basar verlegt.
Was ALAMAAILMAN VASARAT angeht, so bin ich von Anfang an ein großer Fan gewesen, aber ich glaube, sie haben eher die Instrumentation und den Sound beeinflusst – dadurch dass sie Saxophon und Klarinette als führendes Instrument eingesetzt haben. Aber die Musik selbst kommt eher von meinem generellen Interesse an östlichen ethnischen Einflüssen.
„Turisas2013“ würde ohne die Arbeit von Filmmusikkomponisten vermutlich ganz anders klingen. Gibt es solche Komponisten, die einen Einfluss auf Dich und Deine Musik ausgeübt haben?
Um ehrlich zu sein, höre ich mir gar nicht viel Filmmusik an – oder zumindest nicht so viel, wie die Leute immer glauben. Ich genieße eher Filme als Ganzes, wobei ich natürlich auch auf die Musik achte. Ich glaube, worin die Leute die Musik von TURISAS mit Filmmusik verbinden, sind das Drama und der Dialog in der Musik, die vielleicht bei Rockmusik weniger üblich sind und beim Film und in den darstellenden Künsten gebräuchlicher.
Auf „Turisas2013“ ist der Filmmusikeinfluss eher eine Klanggeschichte als eine Sache des Stils. Ich wollte diesen modernen überlebensgroßen Kinotrailersound vermeiden, den heute scheinbar jeder einsetzt, und vielmehr neue Wege des Orcherstersounds ausloten. Die Orchesterarrangements sind also ein bisschen anders als beispielsweise auf „Stand Up And Fight“, und der Klang ist eher trocken. Ich denke, die Einflüsse sind ziemlich verwischt, aber in meinen Augen gibt es etwas Lalo Schifrin hier, vielleicht etwas Morricone und Vangelis dort. Ersterer beim Sound, Letztere eher im Feeling.
Habt Ihr diesmal bewusste Änderungen am Sound vorgenommen wie beim letzten Album „Stand Up And Fight“?
Auf „Stand Up And Fight“ spielte das Orchester eine bedeutende Rolle und nahm einen großen Platz ein. Dieses Mal wollten wir alles ein wenig verlagern und die Band mehr in den Mittelpunkt stellen. Ich glaube nicht, dass die Änderungen im Sound riesig sind, alle wesentlichen Elemente sind immer noch vorhanden, aber der Schwerpunkt ist ein anderer. Wir wollten die Band auch roher erscheinen lassen und waren mit der Bearbeitung sehr vorsichtig, wodurch alles kantiger und weniger poliert erscheint.
„Turisas2013“ ist ein sehr vielfältiges Album, und jeder Song hat so etwas wie eine eigene Welt. Auch wenn die einzelnen Songs weniger als jemals zuvor miteinander verbunden sind, ist es doch sehr interessant, dass man das Album intensiver hören muss, um den roten Faden zu finden. Die Songs sind vergleichbar mit den Endpunkten eines Sterns, und wenn man alle sieht, verbinden sie sich vor dem inneren Auge in der Mitte und ergeben ein vertrautes Bild.
Es gibt viele neue Elemente in der Musik, wie beispielsweise Synthesizer, Punk, größere Hintergrundchöre und so fort. Gleichzeitig gibt es all die bekannten Elemente, wie Chöre, Orchestrierung, monumentale Breite, ein bisschen Gaudi und auch ein paar verrückte Momente.
Wenn man darüber sinniert, was TURISAS so einzigartig macht, kommt unweigerlich Deine Stimme in den Sinn. Ein Fan hat mal gesagt, er würde ein Album kaufen, selbst wenn Du nur ein Telefonbuch vorlesen würdest… klingt das albern?
Vielleicht sollte ich so etwas wie Spoken Word-Kram machen, oder gleich eine eigene Radioshow moderieren, haha!
Anfang des Jahres wart Ihr in China auf Tour. Wie muss man sich so eine Tour durch China vorstellen – gerade vor dem Hintergrund, dass es ein nicht demokratisches Land ist, in dem es Zensur gibt und bei Konzerten manchmal das Militär auftaucht?
In China zu spielen ist erstaunlich ähnlich zu Konzerten anderswo auf der Welt. Natürlich musst du vorher diesen ganzen Visakram erledigen, aber das ist eigentlich einfacher als das Prozedere, wenn man in die USA einreisen möchte. Ich mache mir selbstverständlich Gedanken über die politische Lage in Ländern, wo wir live spielen, gerade wo Russland im Moment in eine beängstigende Richtung zusteuert. Aber wenn wir nur in Ländern spielen würden, mit deren Politik wir übereinstimmen, würden wir gar nicht mehr live spielen. Dadurch, dass wir in solchen Ländern spielen, können wir immerhin einen positiven Einfluss auf manche Leute nehmen, was wir nicht könnten, wenn wir sie boykottieren würden. Du musst auch daran denken, dass die Leute, die während einer Show arbeiten oder ein Konzert besuchen, nicht notwendigerweise dieselben politischen Ansichten wie die Mehrheit in einem Land teilen oder die Politik ihres Landes unterstützen. Wir spielen ja nicht für die Länder, sondern für die Menschen.
Was ist eigentlich aus Eurem ehemaligen Akkordeonspieler Lisko geworden – der ist ja eines Tages einfach verschwunden und seither nicht wieder aufgetaucht?!
Er war eine Zeitlang verschwunden, und so wie es scheint, ist er jetzt wieder in Finnland und arbeitet an seinen eigenen, sehr andersartigen Projekten. Ich habe sogar mit ihm gesprochen, als er mich letzten Herbst völlig unerwartet angerufen hatte. Das war echt nett von einem Kerl zu hören, der 2008 ohne ein Wort zu sagen einfach verschwunden war.
Das war’s auch schon. Vielen Dank für Deine Zeit! Hast Du noch irgendwelche letzten Worte an unsere Leser?
„Turisas2013“ ist eine Scheibe, die für Kontroversen sorgen wird, weswegen ich hoffe, dass sich jeder seine eigene Meinung bilden wird. Es ist nicht „Battle Metal 2“. Einige werden das Album lieben, andere hassen. Es ist kein einfaches Album, aber wenn man unvoreingenommen an die Scheibe geht, kann einem die Scheibe einiges bieten.
Wie auch immer, kommt einfach bei der Heidenfest-Tour vorbei, die im September bis Oktober stattfindet. Großartige Tour zusammen mit ENSIFERUM, EQUILIBRIUM und SUIDAKRA. Wir sehen uns!
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Stile | Folk Metal, Pagan Metal, Symphonic Metal |
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