Turdus Merula
Interview mit Turdus Merula

Interview

Turdus Merula

TURDUS MERULAs „Herbarium“ ist das beste (BM-)Album nicht nur dieses Jahres, das die Stärken von DARKSPACE, alten ARCKANUM und JOTUNSPOR in sich vereint und in Sachen Klasse in die Sphären von „Dead As Dreams“ vorstößt. Ein mehr als zwingender Grund, Dísa mit ein paar Fragen zu behelligen, zeichnet die Schwedin doch allein für den musikalischen Inhalt der Scheibe verantwortlich.

Da es gerade aktuell ist: Womit hast Du dieses Jahr Freunde und Verwandte zu Weihnachten beglückt? Was, außer Weihnachten, gefällt Dir besonders am Winter?

Hehe, interessante Frage für den Anfang. Normalerweise mache ich Geschenke selbst und versuche so, das Dezemberchaos in der Stadt zu vermeiden. Aber eigentlich mag ich Weihnachten nicht besonders, obwohl es natürlich schön ist, ein paar Tage frei zu haben. Ich begehe die Wintersonnenwende, was mit Kommerz, dem Coca-Cola-Weihnachtsmann und christlichem Glauben wenig zu tun hat.

Ich mag den Winter, weil ich Schnee und Skifahren liebe. Das ist das Beste am Winter, viel besser als Weihnachten.

Du hast Dein Soloprojekt nach der Amsel benannt. Warum? Welche Bedeutung hat dieser Vogel für Dich? Es ist an sich ja eine fast schon originelle Wahl, wenn man bedenkt, dass sich im BM sonst nur Raben und Krähen rumtreiben, und vielleicht noch ein paar Adler oder dergleichen.

Die Amsel hat einen ganz speziellen Platz in meinem Herzen. In meiner Jugend hatte ich jede Menge Probleme, und um die zumindest kurzzeitig hinter mir zu lassen, habe ich frühmorgens oder spätabends lange Spaziergänge gemacht. Ganz allein, bzw. fast ganz allein: mit dabei war immer auch die Amsel, außer mir das einzig wachende Wesen. Ich war fasziniert von ihrem wunderschönen Gesang und von ihrer Stärke, ganz allein hoch in den Bäumen…

Ich war auch immer sehr angetan von nordischer Folklore. In Schweden gilt die Amsel als Vorbote von Wetterumschwüngen im Winter. Merula bedeutet außerdem ‚allein‘ und beschreibt das reservierte Verhalten dieser Vögel. In einigen Teilen Schwedens (Öland und Gotland) ist die Amsel als Solsvärta bekannt, was ungefähr ‚Sonnenbeschatter‘ heißt. Da ich eine dunkle Jugend hatte, sind das alles Dinge, mit denen ich mich identifizieren kann; und als ich dann einen Namen für ein sehr persönliches Soloprojekt brauchte, fiel mir die Suche nicht mehr sonderlich schwer.

Da Du neben TURDUS MERULA noch in anderen Bands und Projekten tätig bist, müsste ich natürlich fragen, wozu es noch eines Soloprojektes bedarf. Ich frage allerdings lieber andersrum: Wozu brauchst Du die anderen Spielwiesen, wo TM doch viel besser ist als der andere Kram? Ich will ja nicht behaupten, dass z.b. KORPBLOD schlecht wären, aber TURDUS MERULA spielt schon in einer ganz anderen Liga.

Alle Bands, in denen ich involviert bin, verfolgen verschiedene Intentionen. Ich bin ein ruheloser Mensch und brauche Abwechslung und unterschiedliche Ausdrucksmöglichkeiten. Sound, Atmosphäre und Texte unterscheiden sich in meinen Projekten deutlich voneinander.

Wie würdest Du die Essenz von „Herbarium“ Leuten beschreiben, die mit dem Projekt nicht vertraut sind? Was ist der Kern des Albums, was war die treibende Emotion während Komposition und Aufnahme?

Die Aufnahmen zu „Herbarium“ fanden während der ersten Urlaubswoche statt, die ich in zehn Jahren Arbeit und Studium hatte. Da hatten sich eine Menge Dinge angestaut, die irgendwie rausmussten, und „Herbarium“ ist das Ergebnis dieses Prozesses. Sowohl die textlichen Inhalte als auch das Tempo und die Atmosphere der Musik beschwören meine Vergangenheit herauf, öffnen aber auch eine Tür in die Zukunft von TM und bereiten das nächste Kapitel vor.

Und da mit dieser wenig greifbaren Antwort nur wenige etwas anfangen können, hier die direkte Version der vorangegangenen Frage: Nenne drei Bands oder Alben, die musikalisch und spirituell dem am nächsten kommen, wo Du mit TURDUS MERULA momentan bist. Oder wohin Du Dein Projekt gerne bringen würdest.

Das ist eine komplizierte Frage (ist es nicht! -Ed.), und unglücklicherweise sehe ich mich nicht im Stande, hier eine griffigere Antwort zu produzieren. Ich werde nur wenig von anderen Bands inspiriert und versuche auch nicht, wie bestimmmte Vorbilder zu klingen. Ich spiele einfach das, was aus mir raus will. Momentan höre ich nicht einmal besonders viel Black Metal. Bands, denen ich mich im Geiste verbunden fühle, kommen eher aus der Ambient-Ecke: SVARTSINN, ARKTAU EOS, SEPHIROTH. Und ab und an höre ich auch etwas E-Musik, bspw. Brahms, Pärt oder Mahler.

In dem Herbarium, das ich in der Schule angefertigt habe, befanden sich ein paar stinknormale Blätter und Blumen. Was beinhaltet das Herbarium von TURDUS MERULA, d.h. worum geht’s textlich?

Nun, alle Blumen und Kräuter in meinem „Herbarium“ sind Teil meiner Vergangenheit. Ich habe eine persönliche Beziehungen zu allen darin vertretenen Gewächsen, werde das aber an dieser Stelle nicht weiter analysieren.

Was mir an dem Album auch sehr gefällt, ist die Aufnahme, der Klang. Sehr dicht und intensiv. Was, abgesehen von jeder Menge Verzerrung, ist Dein Geheimnis? Würde „Herbarium“ mit NB-Budget anders klingen?

Für mich ist Atmosphäre in der Musik sehr wichtig, das ist für mich eins der wichtigsten Dinge beim Komponieren. Draug, ein Freund von mir, war für Mix und Mastering zuständig, er hat sicherlich Anteil an der dichten Atmosphäre der Scheibe. Ich weiß nicht, ob ich mit viel Geld großartig etwas an der Produktion des Albums ändern würde. Ich mag hochglanzpolierte Musik eigentlich nicht, und kann mir auch nicht vorstellen, dass das zu TURDUS MERULA passen würde. Die nächste Veröffentlichung wird wahrscheinlich etwas anders klingen, aber das liegt daran, dass die Musik etwas anders ausfällt und nach einer entsprechenden Produktion verlangt.

In meinen Ohren ist „Herbarium“ ein ziemlich perfektes Album. Hast Du nach diesem Meisterwerk mit TM noch etwas zu sagen, das es sich zu hören lohnt? Kannst Du etwas ähnlich Beeindruckendes erschaffen? Ich will nicht zu unhöflich erscheinen, aber die Realität sieht halt so aus, dass es kaum Bands gibt, die mehr als ein oder zwei wirklich bedeutsame Alben hinbekommen.

Ich habe hohe Ansprüche an mich selbst und bin wirklich nie mit etwas zufrieden. Das hat Vor- und Nachteile. In diesem Falle heißt es, dass ich zumindest versuchen werde, meine alten Kreationen zu übertrumpfen. Das gilt für Musik ebenso wie für meine Malerei, Fotografie oder auch meine Arbeit.

Um an die letzte Frage anzuknüpfen: Hast Du schon Pläne für das nächste Album? Wie genau wird bei TURDUS MERULA eigentlich geplant? Existieren die nächsten fünf Alben bereits in Deinem Kopf; oder weißt Du noch nicht, wie ein Album klingen wird, wenn die Aufnahmen beginnen?

Ich habe das nächste Album ungefähr für den Sommer 2011 geplant, kann aber noch nichts Genaueres verraten: Die meiste Musik entsteht während einer intensiven Woche, wenn die Muse mich küsst und ich genau weiß, was zu tun ist. Dieses Mal habe ich allerdings so etwas wie eine Vision und sogar schon ein bisschen Musik in meinem Kopf komponiert, jedoch nichts auf Band oder zu Papier gebracht. Man kann also sagen, dass ich eher spontan bin, aber nicht völlig planlos.

Zu Beginn der zweiten BM-Welle wurden die besten Sachen, alles das, was wir heute als Klassiker bezeichnen, im Prinzip von Teenagern gemacht. Heutzutage kommt das beste Zeug von Leuten, die auf die 30 zugehen oder sie bereits überschritten haben. Warum ist das so?

Vielleicht weil die Teenager von damals jetzt um die 30 sind?!

Ich denke, das hängt irgendwie damit zusammen, wie damals und heute Musik gemacht wurde bzw. wird. In der Vergangenheit haben sich Leute zum Proben getroffen, hart gearbeitet, um ihr Material unters Volk zu bringen, sich ganz für ihre Musik engagiert. Heutzutage hat jeder irgendwelche Aufnahmesoftware, und es ist viel einfacher, irgendwas bei Myspace reinzustellen und sich ein böses Image zuzulegen. Das gelingt, ohne dass man wirklich Musiker sein muss. Image ist heutzutage viel wichtiger, und für viele ist die Musik nur ein Vorwand, sich schwarze Klamotten anzuziehen.

Was ist nach Deinem Dafürhalten der zweitwichtigste Grund, warum es im BM so wenige Frauen gibt? (Der wichtigste sind zweifellos Fragen wie diese.)

Ich bin mir nicht sicher, denke aber, das hängt von der Kultur ab. Die BM-Szene wirkt von außen vielleicht sehr „maskulin“ im Vergleich zum Rest der Gesellschaft. Mir persönlich ist das nicht so wichtig. Solange die Musik mich berührt, brauche ich mich um Geschlechterfragen nicht zu kümmern.

Du hast sicher schon gemerkt, dass mir keine sinnvollen Fragen mehr einfallen. Lass uns also die Angelegenheit für dieses Mal beenden. Haben wir irgendwas vergessen, was Du unbedingt noch loswerden willst?

Nein, aber ich würde Dir gern für dieses Interview danken und außerdem Ulf und Le Crépuscule du Soir grüßen.

29.12.2010

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