Tom Gabriel Fischer
Tom Gabriel Fischer

Interview

Vor kurzem ergab sich die Chance, mit TOM GABRIEL FISCHER ein kurzes Interview zu führen – eine Gelegenheit, die es am Schopf zu packen galt, da ich im Hinblick auf die Entwicklung von „extremer“ Metal Musik im Allgemeinen und einiger Aussagen von Tom im Speziellen, u.a. in seinem letzten Gespräch mit metal.de, einige Fragen hatte, die ich ihm gerne stellen wollte. Die Antworten des mehrere Genres prägenden Musikers sprechen für sich selbst und wir präsentieren Euch das Gespräch in Zusammenarbeit mit avantgarde-metal.com.

Tom, Du warst dieses Jahr beim Roadburn Festival als Kurator für den zweiten Tag engagiert. Wie spannend war es für Dich, den schwermetallischen Underground nach inspirierten Bands zu durchforsten, die einem Festival mit solch hohem Anspruch gerecht werden?

Es gibt unzählige phantastische Bands, die einem hohen Anspruch gerecht werden. Man muss nur ein bisschen die Augen offen halten und ich glaube nicht, dass das ein Problem ist. Ich habe aber nicht erwartet, für eine solche Aufgabe angefragt zu werden. Ich nehme mich nicht ganz so wichtig, wie andere Leute mich vielleicht nehmen und ich hätte nicht damit gerechnet, dass jemand wie Walter der Organisator von Roadburn, überhaupt auf mich kommt. Es war natürlich eine unglaubliche Ehre und ich machte mir selber auch unheimlich viel Druck, denn ich wollte ein gelungenes Programm veranstalten. Und wie gesagt: es gibt unzählige phantastische Bands, die man fragen kann, um ein bisschen was Außergewöhnliches zu kreieren. Aber es war schon eine Herkulesaufgabe und sehr viel Arbeit auch von Walter und der Konzertagentur.

Du meintest, dass Du Dir selbst viel Druck gemacht hast – um quasi die Richtigen auszusuchen und auch jenen eine Chance zu geben, die ohne Vitamin B und die leider nötige Promo Power eines Labels sonst nicht so viel erreichen könnten?

Ja, natürlich, aber das betrifft ja nicht nur das Roadburn, sondern das ist leider die Geschichte der Musikindustrie. Mir war egal, was für einen Status eine Band hat und wie die Medien sie sehen. Ich habe sehr eng mit Walter zusammen gearbeitet und wir waren einfach daran interessiert, Bands anzufragen, die musikalisch was zu bieten haben. Wir wollten ein Festival veranstalten, das nicht so ist wie die unzähligen kommerziellen Festivals, die es sonst noch gibt. Wir haben absichtlich ganz naiv gearbeitet und nur auf die Musik geschaut.

Damit hast Du zwei meiner absoluten Helden der jüngeren Metal Geschichte ausgewählt, nämlich Valborg und The Wounded Kings. Was gefällt Dir an diesen beiden Gruppen?

The Wounded Kings hat Walter gebucht. Valborg war eine der allerersten Bands, die ich angefragt habe. Kennen gelernt habe ich Valborg durch die Bassistin von TRIPTYKON, die mit Valborg eng befreundet ist. Sie hatte mich gefragt, ob ich mit ihr auf ein Valborg Konzert gehen würde, und so ging ich also dahin und was ich dort auf der Bühne sah, war eine absolute Offenbarung. In meiner subjektiven Wahrnehmung war es eine ganz eigentümliche Mischung aus Nirvana und Hellhammer. Ich stand an der Bühne, beobachtete die Band und dachte „das ist ja Wahnsinn, was da abgeht“. Mit absolut geringsten Mitteln haben die absolut großes Musik-Kino geboten. Ich habe Valborg dann direkt angesprochen und gesagt „Ich bin der Kurator vom Roadburn und ich möchte euch unbedingt dabei haben. Sie haben mich ganz einfach mit ihrer Musik überzeugt.

Bist Du zufrieden mit dem Ergebnis vom Roadburn?

Es war ein bisschen schwierig. Erstens waren wir vorher auf Tour und unglücklicher Weise hatte ich mich ein bisschen erkältet, da es ziemlich kalt war. Es war natürlich nicht so ideal, dass ich mit meiner eigenen Gruppe mit Halsschmerzen auftreten musste, während ich wusste, dass da ein ganz spezielles Publikum und die Presse – womöglich aus aller Welt – waren. Insofern war ich ein bisschen eingeschränkt. Das zweite Problem, das Walter und ich hatten, war der Ausbruch des Vulkans in Island, der einige Bands schlicht daran hinderte, das Festival zu erreichen, weil ihre Flüge abgesagt wurden. In letzter Minute gab es noch Umbuchungen und massive Verspätungen und das war alles nicht ganz so einfach, aber schlussendlich denke ich schon, dass es ein absolut außergewöhnliches Festival war und funktioniert hat.

Dieses Interview findet ja für das Magazin Avantgarde-Metal.com statt. Nach einigen Jahren stellt sich bei etlichen Mitschreibern eine gewisse Müdigkeit ein, ständig neue Extreme im Musik-Underground entdecken zu müssen und immerzu die Ohren nach neuen Impulsen und Richtungen aufzuhalten. Welche Gedanken machst Du Dir als Musiker um Innovation und Tradition im Metal im Hinblick auf Deine eigene Musik und die Szene insgesamt?

Das ist ein gigantisches Thema. Wahrscheinlich fühle ich denselben Effekt wie die Leute, die Du eben beschrieben hast. Es erscheinen immer mehr und mehr Tonträger und immer mehr und mehr Bands, und es ist absolut unübersichtlich und somit schwierig, in der Masse an veröffentlichtem Material noch etwas Außergewöhnliches zu entdecken. Es wird auch immer schwieriger, etwas Neues zu kreieren. Erstmal ist Heavy Metal als Musikstil rund 40 Jahre alt und es wurde wahrscheinlich bereits jedes Riff gespielt und jede Idee umgesetzt. Es ist keine junge, frische Musikrichtung mehr und das macht es natürlich schwierig, etwas wahrhaft Neues zu kreieren, außer es erfindet jemand ein neues Instrument oder so etwas. Was eigentlich übrig bleibt, ist der Versuch, die Songs so authentisch und ehrlich wie möglich zu schreiben. Wenn es schon nichts weltbewegend Neues mehr gibt, dann sollte man wenigstens versuchen, die Leute durch Direktheit und Ehrlichkeit mitzureißen, nicht durch billiges Abkupfern oder durch Routine. Man sollte sich an seine wahren Emotionen richten, wenn man Songs schreibt oder Alben produziert. Das fehlt mir ein wenig in der heutigen Szene. Viele Musiker sind besessen davon, technisch perfekt zu sein oder perfekte Alben zu produzieren und vergessen dabei die Ehrlichkeit, die Emotionen, das Raue und die Aggressivität. Ich denke, das eine schließt das andere nicht aus und es ist durchaus möglich, das eine mit dem anderen zu kombinieren und ein gutes, ehrliches Album zu machen, ohne gleich technisch schlecht zu sein.
Zu guter Letzt und von meiner persönlichen Warte aus: aufgrund meiner eigenen Geschichte erwarten Journalisten auch von mir immer etwas absolut Neues und dieser Aspekt war für mich persönlich viel, viel wichtiger, als ich begonnen habe. Bei den ersten Alben, die ich aufgenommen habe, was das der primäre Beweggrund, Musik zu machen: versuchen, etwas Neues zu machen. Ob mir das gelungen ist, kann ich über mich selbst nicht sagen, aber ich habe es wenigstens versucht. Ich arbeite nun an meinem 13. Album, ich bin seit 28 Jahren in der Metal Szene als Musiker tätig, und ich habe heute ganz andere, viel persönlichere Ansprüche. Meine Musik ist unheimlich persönlich geworden, und es ist mir egal, ob ich was grundlegend Neues erfinde. Mir ist viel wichtiger, dass die Songs ehrlich sind und von wahren Gefühlen leben. Ich denke auch, die Fackel müsste mal an die jüngeren Bands übergeben werden. Ich habe meinen Teil geleistet und will Musik für mich persönlich machen. Es würde auch nicht schaden, wenn jüngere Bands versuchen, etwas Neues herauszukratzen, gierig zu sein, innovativ zu arbeiten. Ich denke mir, dass ist eine Aufgabe der neuen Generation.

Was Deine Gefühlstiefe anbelangt: Als ich den Song „Drown In Ashes“ auf „Monotheist“ das erste Mal gehört hatte, war ich von der Stimmung der Musik nahezu erschüttert und hatte das extrem beklemmende Gefühl, dass da jemand am Werke war, dem einige Dämonen im Nacken sitzen. Als ich dann die Liner Notes zu dem Song gelesen habe, war ich perplex – Du hast damit eines der wohl ergreifendsten Lieder zu einer menschlichen Empfindung geschrieben, die der beinharte Metaller ja alles andere als gerne nach außen kehrt. Dir fällt es aber offensichtlich nicht mehr schwer, oder?

Komm, wir reden jetzt Klartext! Du und ich, wir wissen ganz genau, dass der beinharte Metaller nur auf dem Papier existiert. Ich bin seit 28 Jahren in der Szene und habe unzählige Photos, Magazine und was auch immer gesehen und überall positionieren sich diese Männer mit Leder, Nieten und bösen Gesichtern, und wenn du sie dann persönlich triffst, sind es dann ganz normale Menschen oder zum Teil sogar Waschlappen, anders kann ich das nicht bezeichnen. Ich rede jetzt nicht von jedem einzelnen, aber ich habe das schon unzählige Male so erfahren, sogar in meiner eigenen Band. Von beinharten Metallern kann keine Rede sein. Die Metal Szene, die Gothic Szene und andere Szenen auch sind genauso durchsetzt von Spießern wie der Rest der Welt, und die wirklichen Männer sind hier nur selten zu finden. Über das Bild vom beinharten Metaller kann ich nur den Kopf schütteln. Ich finde, es charakterisiert einen wahren Mann, dass er auch die Courage und den Mut hat, sich hinzustellen und zu sagen „ich fühle mich so und so“, auch wenn es problematisch oder kontrovers ist. Und wenn du Mut hast, kannst du natürlich hingehen und sagen: „Ich war mal total am Boden. Tiefer kann man nicht fallen: dies sind meine Gefühle.“ Mut heißt nicht nur, Mann zu sein, wenn man auf dem Gipfel ist, sondern auch wenn man auf der Talsohle ist. Es gab Zeiten, da war ich fix und fertig und ganz unten auf der Talsohle. Und wenn du echte Gefühle in die Musik einbauen möchtest, dann beschreibst du nicht nur die coolen, macho-mäßigen, sondern auch die zerbrechlichen Gefühle und die Dinge, die dein Herz buchstäblich zerschneiden. Als ich ein Teenager war und noch nicht gelebt hatte, habe ich mich bei Fantasy Geschichten und Religion und so weiter bedient, um Gefühle rüber zu bringen, denn ich hatte ja selbst noch nichts erlebt. Jetzt als Mittvierziger, der doch ein ziemlich ereignisreiches Leben gelebt hat, habe ich unzählige persönliche Geschichten zu erzählen. Deshalb sind meine Songs auch viel persönlicher geworden über die Jahre, und auf meinen letzten beiden Alben „Monotheist“ und „Eparistea Daimones“ ist nichts irgendwie aus einem Buch abgekupfert, sondern die grundlegenden Themen der Songs sind absolut ehrlich – ob man es jetzt liebt oder hasst.

Wahrscheinlich hat mich das Lied deshalb so stark angesprochen und einen so tiefen Widerhall erzeugt hat, weil ich wohl auch in einer ähnlichen Stimmung war. Vor einer Weile hat mir ein befreundeter Musiker einen Brief geschickt, in welchem er mir voll Begeisterung von Eurem Konzert in Rostock berichtete, welches er besucht hat – und sich plötzlich fast 20 Jahre jünger fühlte. Erlebst Du es häufiger, dass sich die Leute praktisch wie Kinder oder Jugendliche fühlen, wenn sie TRIPTYKON auf der Bühne sehen?

Nicht unbedingt als Jugendliche oder Kinder. TRIPTYKON ist eigentlich eine ganz neue Band und nur weil wir ein paar Celtic Frost Stücke spielen, ist es nicht gleich Mitte der Achtziger Jahre. Wenn Du so extreme Musik spielst, dann provozierst du natürlich extreme Reaktionen in deinem Publikum, und da erlebt man schon einiges. Da kommen Leute, die erzählen mir Dinge aus ihrem Leben, die schon ziemlich heavy und für uns auch schwer zu verarbeiten sind, denn es handelt sich dabei nicht um irgendwelche Boulevard-Themen, sondern um ganz persönliche Dinge. Und diese Leute fühlen sich durch ganz bestimmte Textzeilen oder Stimmungen in unserer Musik angesprochen und verstanden. Und das ist natürlich auch so, weil wir unsere Musik nach unseren Emotionen schreiben, und da ist es dann manchmal so, dass man sich auf emotionaler Ebene mit Menschen aus dem Publikum verbündet oder verbindet. Und wenn dann jemand kommt und dir wirklich krasse Dinge erzählt, z.B. über Selbstmordversuche und so weiter, dann ist das heavy. Und die Bandbreite dieser Erfahrungen ist riesig, von absoluter Begeisterung und Euphorie bis zu wirklich dramatischen Dingen, die für uns nicht einfach wegzustecken sind. Man sitzt dann schon mal öfter zusammen und beredet, was die Musik eigentlich bewirken kann. Aber es war ja nicht anders, als wir noch Teenager waren und keine Musiker, und Alben gehört haben, die uns ganz tief berührt haben. Das ist ja die Magie der Musik.

Du hast „Eparistera Daimones“ in einem Interview [auf metal.de] als „Orgie des Hasses“ und relativ unreif beschrieben und erklärt, dass Du mit TRIPTYKON gerne konstruktiver zu Werke gehen möchtest – siehst Du bereits das Ende des Tunnels?

Nein. Solange ich ein Mensch auf dieser Erde bin, gibt es wahrscheinlich kein Ende des Tunnels. Diese Erde und das Benehmen der Menschheit veranlasst einen zu Hass, Frustrationen und Schmerz, und da nehme ich mich gar nicht von aus, ich bin ja auch ein Mensch. Ich bin gleichzeitig aber auch nicht mehr naiver Teenager, sondern ich bin hoffentlich in den vergangenen Dekaden gereift und ich weiß, dass Hass und Gewalt unendlich unreif sind, und dass Liebe eigentlich das Ideal auf diesem Planten sein soll, obwohl es natürlich eine lächerliche Illusion ist, weil die Menschen dazu nicht fähig sind. Und deshalb ist ein Album voller Hass natürlich absolut kindisch. Fakt ist aber auch, dass dieser Hass aus meiner Sicht gerechtfertigt ist. Er ist ja nicht entstanden, weil ich ein böses Album machen und über Satan singen wollte, sondern er ist sehr persönlich und beruht auf Dingen, die mir in den letzten Jahren mit Celtic Frost widerfahren sind, und gewisse Dinge sind so riesig, dass ich wahrscheinlich noch hundert Alben darüber schreiben könnte, aber ich will das nicht machen. Sicher wird es noch mal einen Song geben, der sich mit so was befasst, aber es gibt auch Millionen seriösere Themen, die mich unendlich faszinieren und die ich mit TRIPTYKON gerne bearbeiten möchte, und ich denke, die zukünftigen Alben werden eher eine Mischung bieten.

Könntest Du zum Schluss einen Hinweis geben, in welche Richtung das gehen könnte?

Das nächste Album, so wie wir jetzt dran arbeiten, wird ganz leicht intimer, was die Gefühle und die Ausdrucksweise betrifft. Das ist natürlich ein komisches Wort im Einklang mit dieser sehr harten und dunklen Musik, aber ich hoffe, dass Texte und Musik etwas subtiler werden. Dennoch wird es Dunkelheit und Härte geben.

Dafür wünsche ich Euch gutes Gelingen, ebenso wie für die anstehende Amerika-Tour. Wenn Ihr nächstes Jahr beim Rock Hard Festival auftretet, wollt Ihr sicher nicht nur die Nostalgiker-Fraktion zufrieden stellen, oder?

Sicher. TRIPTYKON bieten auf der Bühne 50 Prozent Songs, die ich in Celtic Frost geschrieben habe, und 50 Prozent Songs, die wir in TRIPTYKON geschrieben haben. Es ist für jüngere und ältere Fans was dabei und die Mischung funktioniert auch ganz gut.

Dann Dir alles Gute und vielleicht doch etwas Licht am Ende des Tunnels!

Ja natürlich, ich bin ja noch hier und lebe noch.

10.10.2010
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