Sodom
“Danke für 40 Jahre Support!”
Interview
SODOM feiern dieses Jahr schon ihren sage und schreibe 40. Bandgeburtstag. Und was ist in dieser Zeit nicht alles passiert: Als Mitbegründer des Black Metal und Ideengeber für Knaben wie Øystein Aarseth oder Leif Nagell ist die Band genauso bekannt wie für den rotzigen, stets gutbürgerlichen Frontmann Tom Angelripper. Genau genommen feiert allein Onkel Tom das Jubiläum, immerhin ist er Gründer, Vorstand und einziges konstantes Mitglied der Gelsenkirchener Urgewalt.
Ganz im Sinne der alten Schule, sprechen wir ohne Online-Meeting-Plattform, dafür allein mit einem Telefonhörer in der Hand mit Thomas Such, so der bürgerliche Name des Heavy-Metal-Freaks, über die zurückliegenden vierzig Jahre und das jetzt anstehende Geburtstags-Album “40 Years At War – The Greatest Hell Of Sodom”.
Als Warm-Up wird zaghaft das Thema Corona angeschnitten, wobei Such relativ emotionslos verkündet, er sei drei, vier Tage “echt platt” gewesen. Mit dem Zusatz “ne”. Und das irgendetwas zurückbleibt, man sich also weiterhin ein bisschen komisch fühlt.
“Der schönste Moment war, als ich entschieden habe, nicht mehr arbeiten zu gehen.”
Welches denn in vierzig Jahren Musiker-Dasein der beste Moment gewesen sei, wollen wir wissen. Es wäre unmöglich ein bestimmtes Konzert rauszupicken, aber „der schönste Moment war, als ich entschieden habe, nicht mehr arbeiten zu gehen und nur noch Musik zu machen“, gibt Tom zu. 1989 war das, nach der Tour mit SEPULTURA. Angelripper ergänzt: “Da habe ich gesagt, ich gehe nicht mehr auffe Zeche. Ich war ja Untertage. Und dann habe ich von der Plattenfirma jeden Monat einen kleinen Scheck bekommen und im selben Moment ist eine riesige Last von mir abgefallen. Ich war ein freier Mensch.”
Harte Arbeit statt Glück
“Natürlich hat man 1982 überhaupt nicht über die Zukunft nachgedacht und wir haben Musik einfach nur für uns gemacht”, schildert Angelripper die damalige Zeit. Man wollte seine Eltern und Lehrer schocken und eine Revolution gegen alles starten. “Aber das man professionell Musikmachen würde, damit hatte man ja nie ernsthaft gerechnet.” Als dann 1984 der erste Platten-Deal mit SPV zustande kam, änderte sich das Leben aber doch: “Dann hat man natürlich auch seine Verpflichtungen. Erstmal ins Studio und dann ging es im Grunde permanent weiter. Mit Höhen und Tiefen natürlich.” Dabei betont der 59jährige, dass man als Musiker nicht wirklich Glück hat, sondern von morgens bis abends einer harten Arbeit nachgehen muss. “Das sehen dann viele nicht. Viele sehen einen auf der Bühne oder eine neue Platte kommt raus, aber wieviel Arbeit dahinter steckt, ist nicht immer für jedermann klar.”
Die letzten ihrer Art brauchen kein Pappmaschee
Auf die These, dass eine Band wie SODOM aus dem Gröbsten raus ist und es deshalb die oft zitierten Ochsentouren im klapprigen Van und das Couchsurfing bei übernächtigten Fans ja eigentlich nicht mehr geben dürfte, reagiert Onkel Tom bescheiden: “Also wir sind ja gar nicht so groß. Wir sind vielmehr die bekannteste Underground-Band Deutschlands.” Nach kurzer Wirkungspause setzt er aber dann doch selbstbewusster an: “Oder die letzten ihrer Art. Die letzte echte Heavy-Metal-Band.” Wie er zu diesem nicht unbedingt tiefstapelnden Selbstbild kommt, erklärt er damit, dass es bei SODOM-Shows eben kein Pappmaschee und keine riesigen Video-Leinwände gäbe. Sondern einfach nur die Band und so geziemt es sich für eine richtige Heavy-Metal-Band eben. Immer wieder betont Angelripper in seinen Ausführungen, dass er das Business nur am Rande wahrnimmt und viele organisatorische Aufgaben von jeher selbst übernimmt. “Einen eigenen Physiotherapeuten oder eigenen Arzt wie die ROLLING STONES haben wir nicht dabei. Wir fahren immer noch mit unserem Bus durch die Gegend und machen unsere Wochenend-Shows, was uns total viel Spaß macht”.
“Ich bereue nichts”
Ob es Entscheidungen in all den Jahren gibt, die er, Tom Angelripper heute bereut, will er zwar nicht direkt beantworten. Die vielen Besetzungswechsel macht er allerdings ohne Umschweife zum Thema. “Aber ich sage nicht, dass ich die Band bin. Vielleicht das Aushängeschild, ja. Wenn jemand die Band verlässt, macht man halt immer weiter und das funktioniert auch, wenn man die richtigen Leute findet. Klar, als Chris Witchhunter damals die Band verließ, das war schon krass. Er war gleichzeitig einer meiner besten Freunde, eigentlich sogar mein bester Freund. Und dann muss man miterleben, wie schlimm es ist, wenn jemand Alkoholiker ist. Es war dann der richtige Schritt, den ich gehen musste, auch wenn mir klar war, dass ich ihn damit kaputt machte.” Man mag Tom Angelripper als harten Burschen mit ungefilterter Art wahrnehmen, die Offenheit mit der er über seinen bekanntlich 2008 verstorbenen Mitstreiter spricht, geht jedenfalls unter die Haut und er fährt fort: “Aber ich muss ja immer das Gesamtprojekt im Auge behalten und kann dann keine Rücksicht darauf nehmen, wenn einer nicht mehr mitzieht oder keine Motivation mehr hat. Wenn ich dann immer rücksichtsvoll gewesen wäre oder Dinge bereut hätte, wäre ich heute wahrscheinlich nicht mehr hier und wir würden nicht telefonieren. Bereut habe ich so gesehen nichts”.
Wenn ein Hippie über den Krieg singt
SODOM kokettieren auf ihren Covern gerne mit Szenarien aus dem Krieg, das jetzt erscheinende Album “40 Years At War” sorgt alleine mit seinem Titel bei vielen Menschen, gerade in der gegenwärtigen, globalen Situation für Gänsehaut. Wäre es nicht emphatisch gewesen, in der heutigen Zeit mit weniger Kriegs-Assoziationen zu flirten? “Nee, überhaupt nicht. Auf sowas nehme ich auch keine Rücksicht mehr. Ich passe auch nicht darauf auf, welche Songtitel wir wählen oder welche Texte wir schreiben, nur um niemanden zu verstimmen. Über das Thema Krieg haben wir, außer auf “In The Sign Of Evil” immer schon geschrieben. Und Krieg gehört leider zum Leben dazu, denn solange es Menschen gibt, wird es auch Krieg geben. Die Leute unterhält das halt auch und sie wollen sowas hören.” Diese doch wieder harten Worte weicht Angelripper im Anschluss auf, indem er davon erzählt, dass er in Wahrheit aus der Friedensbewegung kommt und Krieg für ihn persönlich keine Option ist. Parallelen zu Tom Araya drängen sich auf, der als überzeugter Katholik Worte über Okkultismus, Blasphemie und Satan mit größter Überzeugung in seiner Musik verarbeitete. “Würde ich nicht mehr über den Krieg schreiben, würde ich meine eigene Band verraten. Außerdem herrscht überall Krieg auf der Welt. Bei dieser Platte musste es eben ein Titel sein, der zur Band und zum Konzept passt und dann ist das halt so. Aber es ist ja auch keine kriegsverherrlichende Propaganda”, ergänzt Kettenraucher Angelripper unmissverständlich.
Das Cover-Artwork von “40 Years At War – The Greatest Hell Of Sodom” zieren zwei alte Bekannte. Während Knarrenheinz sich mit einem Schwert über den abstrusen Henker aus den frühesten Tagen hermacht, fällt der aktuell sehr stark gefragte Stil von Eliran Kantor auf, der für die visuelle Gestaltung des Albums verantwortlich ist. “Eliran hat ja schon das Cover zu “In War And Pieces” (2010, Anm. d. Red.) gemacht. Und jetzt gab es natürlich wieder Stress mit der Plattenfirma und es musste schnell ein Cover her. Ich bin dann auf Eliran zugegangen und habe ihm freie Hand gelassen. Wobei natürlich das Cover zur EP “1982” oldschooliger ist.”
Zu wessen Gunsten das Duell zwischen dem Mann mit der Gasmaske und dem Höfling ausgeht, verrät Onkel Tom zwar nicht, deutet aber an, dass sich die beiden in seiner Vorstellung dann doch noch friedlich einigen werden. Eigentlich eine versöhnliche Vision, gerade in der heutigen Zeit.
“40 Years At War” ist ein Album ohne kreativen Spielraum
Ein einfaches Best-Of-Album wäre nach Aussage des Rippers zu plump gewesen. Demnach wurde von jedem bisher erschienenen SODOM-Album ein Song gewählt, der nicht zwingend zu den Hits zählt und in der aktuellen Besetzung neu eingespielt. Hat man die Neuaufnahmen der alten Klassiker als Korrektur vergangener Fehler genutzt? “Ich wollte ja eigentlich immer ein Live-Album machen. Was wäre nach vierzig Jahren geiler als ein Doppel- oder Dreifach-Live-Album gewesen? Allerdings kam Corona dazwischen. Also haben wir halt Songs ausgewählt, die wir geil finden und die nicht zu den üblichen Verdächtigen gehören. Das Vorgehen war gut, denn so konnte man sich mal wieder mit dem alten Zeug befassen. Davon werden wir auch einiges in die Setlist einbauen. Gerade bei “Obsessed By Cruelty” war es nicht immer einfach herauszuhören, was wir da gespielt haben. Ob es ein Fehler oder beabsichtig war. Natürlich haben wir sowas jetzt relativ gerade gerückt. Das daraus auch wirklich ein Song wurde.” Toms Ausführungen enden abrupt und man hört wieder das Klackern eines Feuerzeuges im Hintergrund.
War es nicht gerade bei den späteren Tracks von “Decision Day” oder “Genesis XIX” schwierig, einen kreativen Anschlusspunkt zu finden? Immerhin wurde das Material ja praktisch erst gestern eingespielt… “Den kreativen Spielraum gab es ja sowieso nicht”, kontert das Ruhrpott-Ur-Gestein und fährt redselig fort: “Wir haben keine Melodien oder Texte geändert. Natürlich wäre es reizvoll gewesen, bei “Jabba The Hutt” noch etwas einzubauen. Aber wir kopierten einfach unsere Songs 1:1. Klar, wenn wir ursprünglich untight waren, haben wir das jetzt geradegerückt. “Sepulchral Voice” ist so ein Song.” So richtig ist Tom zwar nicht auf die Frage eingegangen, aber belassen wir es dabei.
Selten stehen Musiker zu allen Werken ihrer Laufbahn und Angelripper erklärt auf die Frage, welches denn sein liebstes SODOM-Album sei, dass es “Agent Orange” zumindest nicht ist. Nach kurzen Abschweifungen zum Entstehen von “Better Off Dead”, kann er sich mit “Get What You Deserve” (1994, Anm. d. Red.) doch noch auf seinen Favoriten festlegen. Das passt auch zur vorherigen Aussage des Sängers, in der er darüber sprach, die härteren Sachen am liebsten zu mögen. “Die Platte ist einfach roh und kam zu einer Zeit auf den Markt, als sich die meisten Bands gerade neu strukturierten und ihre Musik änderten. Damals sind wir ins Studio gegangen und haben das Ding – bis auf den Gesang – live eingespielt und auf Gitarren-Overdubs komplett verzichtet… Allerdings zum Leidwesen des Produzenten und der Plattenfirma, die noch fünf Gitarren mehr wollten. Aber wir hatten halt nur einen Gitarristen, das war die Band. Wenn man die Platte voll aufgedreht hört… Das ist ein unfassbarer Krach. Da ist eine unfassbare Härte drin.” Nach kurzer Pause ergänzt Tom: “Genesis XIX kommt übrigens an zweiter Stelle.”
Final gibt Angelripper übrigens noch zu, dass er “Agent Orange” aus unerfindlichen Gründen am wenigsten mag. Es könnte seiner Ansicht nach aber daran liegen, dass SODOM mit “Tapping The Vein” musikalisch besser und ausgereifter geworden sind.
Die Hoffnung auf eine Jubiläums-Tour mit speziellen Gästen macht Angelripper schnell zunichte. Stattdessen schwärmt er von seiner ursprünglichen Idee. Eigentlich hatte er sich für eine 40-Jahre-Show in der Zeche Carl eingesetzt, zu der es leider nie gekommen ist. Dabei habe er sich nämlich auf längst vergangene Tage berufen, als der Ort ein Schmelztiegel der Szene war. “Jetzt wäre vielleicht genau an diesem Abend ein Töpferkurs gewesen”, gibt er deshalb mit einem Augenzwinkern zu bedenken. Aber zumindest wird es gegen Ende des Jahres eine kleine Tour geben. “Klar, da werde ich dann schon sagen, dass es uns jetzt 40 Jahre gibt. Und ab nächster Woche werden es schon 41 Jahre sein. Eine Special-Show mit Ex-Musikern wird es aber nicht geben. Wir schauen lieber nach vorne und arbeiten an neuem Material. Mein Traum bleibt ja wie gesagt ein Live-Album. Wenn alles gut läuft, kommt das im ersten Halbjahr und ein neues Studioalbum gegen Ende des Jahres.”
“Ich will nicht auf der Bühne sterben, sondern im Bett. Wie es sich gehört!”
Auch wenn Tom Angelripper es nicht wirklich zum Thema macht. Aber SODOM haben sich über die Jahre natürlich entwickelt und vielleicht auch ein wenig angepasst. So wurde Yorck Segatz (unter anderem NECK CEMETERY) vor ein paar Jahren als zweiter Gitarrist vorgestellt. Damals lief das allerdings nach Aussage von Angelripper zunächst als “Experiment”. Eine Ergänzung im Line-Up bietet einer Band natürlich eine Menge an Möglichkeiten, kann aber gleichzeitig ein fest etabliertes Image auf den Kopf stellen. “Ja, das mag sein. Aber das wir wieder zu einem Trio schrumpfen, wird nicht passieren. Wir haben uns so daran gewöhnt und es macht sich ja auch beim Songwriting bemerkbar. Yorck schreibt Songs genauso wie Frank, nur komplett unterschiedlich und das hört man auch. Das macht die Sache vielfältig. Und gerade live möchte ich einen zweiten Gitarristen nicht mehr missen. Das Stereobild auf der PA knallt einfach besser.”
Als sich das Telefonat eigentlich schon seinem Ende nähert, kommt Tom Angelripper ins Plaudern und referiert darüber, dass er zwar nicht weiß, wie lange er noch weitermachen werde. Zumindest so lange er gesund und kreativ bleibt. Aber eines wisse er genau: Er möchte nicht krank auf der Bühne stehen, wie Lemmy. Schon gar nicht möchte er auf der Bühne sterben, sondern im Bett. So wie sich das eben gehört.
Die abschließenden Worte gehören Tom Angelripper, die irgendwo zwischen aufgesetzt und abgespult liegen könnten, wenn der Mann nicht einfach von Natur aus herzlich und authentisch wäre. Ohne Pathos und Geschwurbel beweist er einmal mehr seine Bodenständigkeit und Empathie.
“Jeder weiß, dass ich meine Fans liebe. Das habe ich mit DORO gemeinsam. Nehmen wir beispielsweise das Boxset zu “40 Years At War”. Darin ist auch ein Buch enthalten, mit allen Original-Covers. Ich dachte mir während der Produktion, dass unsere Fans doch bestimmt auch etwas zu sagen haben und mit uns ihre Erlebnisse aus diesen 40 Jahren teilen könnten. All diese Texte haben wir gesammelt und etwa die Hälfte davon sind zum Leidwesen der Plattenfirma abgedruckt worden. Damit ist das Buch ein bisschen dicker geworden, als ursprünglich geplant. Und während ich nur eine kurze Abhandlung beigetragen habe, kommt das I-Tüpfelchen von den Fans. Ich muss es immer wieder sagen: Ich liebe meine Fans. Und ohne sie würden wir beide jetzt nicht telefonieren, weißte. Viele vergessen, dass die Fans Eintritt zahlen, die Platten kaufen und im besten Fall noch ein T-Shirt mitnehmen und uns am Leben halten. Darum wollen wir auch etwas zurückgeben. Während andere längst im Hotel sind, bleiben wir noch bei Autogrammstunden oder Meet & Greets. Es ist ja so, dass wir auch Metal-Fans sind und der einzige Unterschied liegt darin, dass wir für kurze Zeit mal auf der Bühne stehen. Danke für 40 Jahre Support!”