Todtgelichter
Interview zu 'Apnoe'
Interview
Die Nordgelichter TODTGELICHTER haben dieser Tage mit ihrem neuen Album „Apnoe“ einen weiteren Schritt aus dem vermeintlichen Schatten ihrer Black Metal-Vergangenheit getan. Grund genug, mit der Hälfte der Band – Schlagzeuger Tentakel P., Sängerin Marta und Gitarrist Claudio – ein Interview zu führen. Und zwar per Gesichtsbuch…Hallo zusammen! Dann wollen wir doch mal probieren, ein Gruppen-Interview per social network zu führen…
Da ich ja nun drei ganz unterschiedliche „Instrumentalisten“ an Bord habe, steige ich direkt mal mit einer Frage ein, die jeder von euch beantworten kann: Worin seht ihr für euch die Unterschiede zwischen „Apnoe“ und „Angst“?
Tentakel P.: Konnten wir uns auf „Angst“ zumindest noch als „Extremer Metal“ bezeichnen, würde ich diesen Begriff im Bezug auf uns heutzutage vorsichtig nutzen: Auf „Apnoe“ gibt es keine Blastbeats, und der extreme Gesang wurde auf etwa ein Drittel heruntergefahren. Wir haben mehr Gewichtung auf den Gesang und doppelstimmige Gitarren gelegt und konnten so erstmals vernünftige Gesangsspuren und -duelle arrangieren; etwas, das wir auf „Angst“ nur angedeutet haben. Dadurch wirkt der Gesamtcharakter viel ruhiger und geordneter, finde ich. Außerdem gibt es eine deutlich größere Bandbreite an verschiedenen Stilen: Neben nach wie vor extremen Metalpassagen gibt es dieses mal Jazz, Blues, Doom, Ambient und Gothic-Elemente zu hören. Alles Dinge, die wir schon lange einmal ausprobieren wollten; dieses Mal gab es auch genug Raum dafür, ohne das Album zerfahren wirken zu lassen.
Marta: Für mich waren die Ausgangspunkte bei beiden Alben ganz unterschiedlich. Bevor „Angst“ aufgenommen wurde, war ich kein Bandmitglied, obwohl schon immer irgendwie mit dabei. Kurz vor den Aufnahmen für „Angst“ fehlten noch einige wesentliche Vocal-Linien und die Jungs baten mich damals, ihnen mit den Arrangements zu helfen. Die Zusammenarbeit erwies sich als sehr harmonisch und das Ergebnis als absolut großartig, deshalb waren wir uns alle einig: Es wurde Zeit, dass ich offiziell in die Band aufgenommen werde. „Apnoe“ ist ein Werk, an dem ich von Anfang an mitwirkte (auch textlich: „Lights Of Highways“ und „Until It All Begins“ stammen aus meiner Feder) und somit viel mehr auch ein Teil von mir. Wie Tentakel schon angedeutet hat, hat der Gesang auf „Apnoe“ viel mehr Gewichtung. Tobias ist ein sehr guter Sänger und wir konnten die Vocals gemeinsam in ganz neue Dimensionen führen. Den Gesangsposten in der Band zu teilen, fühlt sich vollkommen natürlich an, obwohl es ebenfalls eine neue Erfahrung ist; immerhin bin ich bei ABOUT FADING (Sideprojekt von Frederic und mir) Alleinherrscherin. Ich finde, dass TODTGELICHTER dadurch eine ganze Menge an Bandbreite gewonnen hat, ohne heterogen rüberzukommen.
Claudio: Ich muss sagen, dass mich derweil einige bereits existierende Reviews doch ein wenig verwundern und schmunzeln lassen. Ein großer unterschied zu „Angst“ ist, wie Tentakel es bereits angemerkt hat, dass es viel weniger extrem im sinne von „Extrem Metal“ ist. Bei „Angst“ lag es ja noch mehr als nahe, dass unsere Black Metal-Wurzeln herausgehört wurden, aber bei „Apnoe“…? Wie würde das Album aufgefasst werden, wenn es ein Debüt wäre? Als Album mit Black Metal-Anleihen wohl kaum. Weder der Sound noch die Spielweise der Intrumente, der Gesang, oder gar die Screams / Shouts gehen wirklich in diese Richtung, weshalb mir Assoziationen mit Post Punk, Post Rock und Doom (Rock) schon eher zusagen würden. Uns stilistisch einzuordnen fällt mir allerdings ehrlicher Weise ein wenig schwer. Bei „Apnoe“ haben wir, mehr noch als bei „Angst“, auf Reduktion und Konzentration auf das Wesentliche gesetzt. Wir wollten dieses Mal nicht all zu sehr „rumschwurbeln“ und schlichtweg mal schauen, ob es uns gelingt, den kern des Songs zu erkennen und uns auf diesen zu fokussieren, um insgesamt auf den Punkt zu kommen. Im Gitarrenspiel spiegelt sich dies auch darin wieder, dass wir dem Sound – entgegen dem Album-Titel – mehr Luft gegeben haben: Weniger Distortion, weniger bis keine Sechzehntel, generell luftigere Riffs, die von interessanter Rhythmik leben. Das ganze Feeling des Albums ist für uns eher ein rockiges denn ein metallernes. Aber trotzdem ist „Apnoe“, so behaupte ich mal, typisch TODTGELICHTER.
Marta hat mit Tobias gerade schon euren neuen Sänger erwähnt – da muss ich doch mal nachhaken: Wie kam es zu Nils‘ Ausscheiden, wie habt ihr seine Nachfolger (Nils‘ Position am Bass musste ja auch neu besetzt werden) gefunden und kennt man diese eventuell aus anderen musikalischen Zusammenhängen?
Tentakel P.: Die zunehmende Doppelbelastung für Nils am Bass und Gesang war der Gund, dass wir zuerst einen Bassisten gesucht haben. Nils sollte so am Mikro freier agieren können und zudem sollte ihm das auch bei den Proben die Hälfte der Arbeit abnehmen, da er beruflich zu der Zeit auch enormen Druck hatte – bei uns ist es so, dass jeder größtenteils für sein Instrument verantwortlich ist und Nils somit zwei enorm wichtige Bausteine kreativ gestalten musste, was ihm einfach zu viel wurde. Wir haben mit Chris, der vorher bei der lokalen Melodic Death Band NIMBUFERA gespielt hat, recht schnell einen mehr als adäquaten Ersatz gefunden – Chris hat schnell seinen eigenen Charakter eingebracht und passt auch sonst super in unseren Chaotenhaufen, haha.
Leider kristallisierte sich im Verlauf der Zeit immer mehr heraus, das Nils auf die neuen Sachen nicht so recht klar kam, was das ganze Arbeiten in Gefahr brachte (der Studiotermin stand schließlich schon). Irgendwann mussten wir uns dann alle eingestehen, dass es gemeinsam nicht weitergehen kann, hatten ein klärendes Gespräch und haben uns im Guten getrennt. NEGATOR, mit denen wir recht eng befreundet sind, haben zu diesem Zeitpunkt einen neuen Bassisten gesucht – für Nils hat es musikalisch und von der Arbeitsweise dort einfach besser gepasst, der Fronter Nachtgarm und Gitarrist Finnskald machen den Großteil der Kompositionen alleine und der mitunter quälende Kompositionsprozess zu sechst im Proberaum (was für Nils eine hohe Belastung war) wie bei uns fällt somit weg. Ich glaube, dass Nils dort entspannter einfach geile Mukke machen kann und das für alle das Beste war. Nicht, dass NEGATOR nicht auch extrem hohe Ansprüche haben, aber die liegen anders. Wir sind jedenfalls froh, dass er weiter Musik macht und dass wir uns möglicherweise auch in Zukunft noch mal die Bühne teilen.
Wir haben dann per Anzeige einen neuen Sänger gesucht, und irgendwie war es Schicksal: Nicht nur, dass fast alle Bewerber Namen mit „To“ am Anfang hatten, es fielen auch fast alle geplanten Vorsingtreffen durch dumme Zufälle aus, bis eben auf das mit Tobias – und von der ersten Sekunde an wussten wir, der muss es sein. Sein Elan und Enthusiasmus haben die Kompositionen neu befeuert. Er hat vorher bei DEATHTRAP FOR PHOENIX und zeitweise bei den Hamburgern VENATIC gesungen und dementsprechend auch die nötige Erfahrung mitgebracht.
Tentakel hat ja eben einige Stil-Elemente aufgezählt, die auf „Apnoe“ neu sind: Jazz, Blues, Doom, Ambient und Gothic. Mich würde an dieser Stelle mal interessieren, wer denn welche Ideen eingebracht hat. Habt ihr eventuell auch Beispiele, in denen ein Bandmitglied mit einer zunächst total absurd erscheinenden Idee um die Ecke kam und den Rest dann überzeugen musste (und hat)?
Tentakel P.: Uh, das ist ganz unterschiedlich. Die Riffs kommen hauptsächlich von Frederic und Claudio, allerdings nicht nach dem Motto: „Ich will jetzt mal ein Blues-Riff schreiben“… Ich glaube, prinzipiell funktionieren viele unserer Riffs je nach Spielart in ganz unterschiedlichen Stilen. Den Charakter bekommt es dann meistens beim Jammen, der bluesähnliche Anfang bei „Soil“ klang zum Beispiel erst danach, als ich die Schlagzeugbesen rausgeholt habe, der Kontrabass dazukam und Marta so herrlich verraucht gesungen hat, haha… Man kann das aber auch ganz unterschiedlich färben. „Until It All Begins“ hat beispielsweise viel von seinem jetzigen Charakter erst im Studio gewonnen; obwohl das wirklich nur Nuancen waren und der Song von Claudio eigentlich zu 95% schon fertig war, klang der Song zuerst (zumindest für mich) von der Färbung her ganz anders. Überzeugen muss man da meistens(!) niemanden, da sich das alles sehr organisch in eine bestimmte Richtung entwickelt. Schwieriger wird es immer nur, wenn wir merken, dass wir uns verzetteln und irgendwas wieder umgeschmissen werden muss, haha…
Claudio: Haha, ja, bei „Until It All Begins“ wie auch bei „Odem“ und „Expectations“ war das anfänglich teilweise ein kleiner Kampf darum, dass die Songs in der Band so verstanden werden wie ich mir diese vorgestellt hatte. Anders als bei „Angst“ habe ich hier einige Vorlagen auf Guitar Pro-Basis in den Raum getragen. Da sonst keiner außer mir in der band mit diesem Tool arbeitet, war das ein kleiner Akt, erst einmal allen die Abstraktion des stark künstlichen Sounds abzuverlangen. Zum Glück ist uns dies dann ganz gut geglückt – die Real-Umsetzungen würde ich als gelungen bezeichnen. Frederic und ich sind ein wenig traurig, da es uns nicht gelungen ist, eine kleine Idee mit unterzubringen: Klatschen…! Naja, das nächste Album kommt… Hehe!
Apropos „Real-Umsetzungen“: Wie sieht es denn mit Live-Aktivitäten aus? Ist eine Tour geplant? Wie macht ihr das mit eurer Tochter, Tentakel und Marta? Wie sieht eure Setlist aus?
Tentakel P.: Mit den Live-Aktivitäten sind wir noch nicht weiter als mitten in der Planung, erst mal muss das Album raus. Leider hat sich dieses mal kein vernünftiger Release-Gig ergeben, das holen wir aber noch nach, versprochen! Das mit Martas und meiner Tochter wird sicherlich problematisch, genau so wie die Mischung aus unserem alten und neuen Material… Die Lösung ist allerdings simpel: Bis auf Weiteres werden wir uns sehr auf die neuen Sachen (also „Angst“ und „Apnoe“) und somit auch auf Tobias fokussieren. Touren, wenn es welche geben sollte, werden ohne Marta stattfinden müssen; sollten sich Einzelgigs in Deutschland ergeben, kann man sehen, ob die ganze Familie mitfahren kann und wir dann zwei, drei Marta-Songs mit dazunehmen. Dann muss halt für zwei Stunden ein Babysitter mit in die Roadcrew, haha. Ach, Lösungen gibt es immer irgendwie.
Dann lasst uns an dieser Stelle die musikalische Seite verlassen: Erzählt mir ein bisschen zum Album-Titel. Was bedeutet „Apnoe“ für euch? Welche Facetten des Begriffs beleuchtet ihr in den Songs?
Tentakel P.: „Apnoe“ fasst für uns Zustände der Atemlosigkeit zusammen. Einerseits beschreibt das ein medizinisches Krankheitsbild, bei dem Schlaf immer wieder durch Atmungsausfälle begleitet wird. Weiterhin gibt es das Apnoe-Tauchen, bei dem ohne technische Hilfsmittel teilweise bis über zehn Minuten die Luft angehalten wird. Und zu guter Letzt gibt es all die wundervoll schönen, aber auch unglaublich negativen Momente, die einem mit heftiger Intensität den Atem rauben – all das repräsentiert für uns der Titel. Die Texte sind dieses Mal von drei Personen – Tobias, Marta und mir – und jeder hat seine eigene Art, das auszudrücken. Tobias‘ Texte sind ziemlich „in your face“, Marta hat eine sehr warme, einfühlsame Art, und meine Lyrics sind nach wie vor metaphorisch und nicht ganz greifbar, wie schon auf „Angst“.
Marta: Nicht zu vergessen Atemlosigkeit im gesellschaftlichen Sinne; Leute, die sich im Leben wie im Hamsterrad immer weiter und immer schneller drehen, bis sie irgendwann ausgebrannt zusammenbrechen. Von einer anderen, „artgerechten“ Atemlosigkeit ist der Text „Until It All Begins“ inspiriert – entstanden kurz vor der Geburt meiner Tochter. Das Leben beginnt noch vor dem ersten Atemzug und endet nach dem letzten – dafür steht „Apnoe“ ebenfalls.
Lasst mich für einen schönen Abschluss noch ein wenig auf die derzeitige Black Metal-„Szene“ eingehen: Ihr habt euch ja schon mit „Angst“ deutlich von der eher klassischen Schwarzmetall-Schiene entfernt, mit „Apnoe“ geht ihr diesen Weg weiter – ihr macht das natürlich nicht, um Die Hard-Schwarzwurzeln bewusst ans Bein zu pinkeln, trotzdem bekommt ihr ja seit „Angst“ sicher den einen oder anderen doofen Spruch. Wie steht ihr allgemein zu derlei Bestrebungen innerhalb des Black Metals? Wie seht ihr euch und eure Entwicklung im Speziellen?
Tentakel P.: Ich möchte noch einmal in aller Deutlichkeit klarstellen, dass wir den Weg, den wir gegangen sind, einzig und allein unseretwegen gegangen sind. Weder, wie du erwähntest, wollen wir irgend jemandem „ans Bein pissen“ mit unserer Musik (was, nebenbei bemerkt, ein ziemlich dämlicher Bewegrund wäre, Musik zu machen, oder?), noch wollen wir den Black Metal zu etwas pervertieren, was er nicht ist. Kurz: Was wir machen, hat nichts mehr mit Black Metal zu tun, so einfach ist das – wir haben uns davon gelöst. Irgendwann muss man die Kirche einfach mal im Dorf lassen. Wir haben mit „Schemen“ unsere Black Metal-Grenzen ausgelotet, und das war’s. „Angst“ schon hat für uns die Grenzen nicht erweitert, sondern verlassen. Das gilt für mich auch für andere Bands: Klar gibt es welche, die die Grenzen des Black Metal ausloten, das finde ich auch beeindruckend. Aber man kann den Begriff auch nicht ewig dehnen und immer wieder die Vergangenheit hinzubemühen, um den aktuellen Stil zu definieren – stell dir vor, wir machen auf dem nächsten Album Hip Hop, da würde ja auch keiner sagen „Wow, die haben den Black Metal aber neu erfunden!“. Irgendwann wird es albern. Bei ULVER redet ja auch keiner mehr davon. Klar kann man sagen, dass deren Musik noch einen gewissen Geist versprüht, der dem des Black Metal ähnlich ist – aber das hat Johnny Cash mit dem NIN-Cover „Hurt“ auch geschafft, und zwar weitaus besser als so mancher Möchtegern-Depri-Black Metal. Musikalisch redet da aber auch keiner von Black Metal. Also um das abzuschließen: Uns ist sehr wohl bewusst, dass es vermessen und völlig unpassend wäre, das, was wir machen, Black Metal zu nennen, nur um uns ach so rebellisch und ach so avantgardistisch hinzustellen – wir können keinen ehrlichen Black Metal mehr machen (und wollen es auch gar nicht), da wir es einfach nicht so fühlen, dass wir es spielen müssen. Die „Was Bleibt…“ und „Schemen“ waren damals ehrlich gemeint, dazu stehen wir auch heute noch. Aber die spirituelle Reinigung dieser Emotionen ist damit abgeschlossen. Stattdessen haben wir Leute, die auch heute noch „Verrat“ schreien und uns am liebsten zwingen wollen, die ersten beiden Alben fortzuführen. Diese Leute frage ich: Ihr wollt von uns Musik hören, die wir emotional nicht mehr spüren können und wollen? Ihr wollt allen Ernstes unehrliche Alben in einem Genre, das davon lebt, dass die Musiker das auch fühlen (und von denen es nach wie vor genug gibt)? Wer sind jetzt die wahren Verräter? Mir gibt Black Metal nach wie vor sehr viel. Als Hörer, nicht als Musiker. Und: das, was wir machen, meinen wir auch heute noch ehrlich. Es atmet aber nicht den Geist des Black Metals. Wer uns heute noch an diesem Maßstab misst, hat diesen auch nicht verstanden. Punkt.
Ein schönes Schlusswort: Punkt.
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Stile | Avantgarde, Experimental, Post-Metal, Post-Rock, Progressive Black Metal |
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