Todtgelichter
Interview zu "Angst" - Teil 2

Interview

Nachdem Tentakel und ich in Teil 1 weitestgehend die musikalische Seite von „Angst“ beleuchtet haben, dürfen wir natürlich auch den lyrischen Zugang nicht vernachlässigen. Lest also im Folgenden, was „Angst“ mit Thilo Sarrazin, Astronomie und dem „Herrn der Ringe“ zu tun hat ;)…

Ich habe jetzt schon häufiger in dem Zusammenhang den Begriff „Postrock“ gehört (und selbst auch verwendet), also dass ihr „postrockig“ klingt. Das liegt im Wesentlichen daran, wie die Gitarren gespielt sind, diese Tremolo-Anschläge, die dann verhallt werden und modulieren und so. Seid ihr also Postrock-Fans mittlerweile?

Ich wäre gerne einer. Ich finde den Stil teilweise gar nicht schlecht, aber ich habe überhaupt keine Ahnung, was im Postrock abgeht, welche Bands man hören sollte oder sonst was. Ich habe einen Kumpel, der eigentlich fast nichts anderes hört. Letztens habe ich aufgehorcht, da hat er mir etwas vorgespielt und sagte, das wäre RADIOHEAD. Da dachte ich: „Alles klar, super, finde ich gut.“ Hätte ich aber vorher nicht gewusst. Wusste auch nicht, dass RADIOHEAD in irgendeiner Weise solche Musik machen, eigentlich hatte ich die gar nicht so richtig auf meinem musikalischen Zettel. Was ich eigentlich sagen will, ist, dass wir kaum Postrock hören, und wenn, dann nicht bewusst. Ich habe da letztens aber irgendwas gelesen, da hat irgendeiner zu irgendeiner Band geschrieben … ich weiß nicht mehr genau wo das war … der meinte auf jeden Fall: „Seit es Postrock gibt, haben wir endlich einen Begriff dafür, diesen ganzen Wabergitarren-Rock unter einem Begriff zusammenzufassen.“

Da hat er nicht ganz Unrecht, ja.

Ich glaube, das gab’s alles schon vorher. Ich meine, was ist Postrock? Wie soll man das genau fassen?

Ja, da hast du schon Recht. Aber es gibt halt gewisse Ähnlichkeiten, und ich finde, solche Vergleiche sind gar nicht so weit hergeholt.

Wo siehst du die denn zum Beispiel, das würde mich mal interessieren …

Naja … Ich finde zum Beispiel eure Kadenzen, eure harmonischen Strukturen da irgendwie zugehörig …

Ja, das ist schon schwer zu greifen, aber es ist letztendlich auch doch nicht so viel, wie man uns jetzt andichten möchte.

Vielleicht bleibt das auch einfach hängen. Man liest das irgendwie öfter, und dann denkt man “Naja, muss ja doch irgendwie was dran sein …”

Wobei, eine Sache ist sehr, sehr bedeutend, da komme ich jetzt durch „Wabergitarren“ drauf: Wir haben im Studio sehr viel Wert auf den Gitarrensound gelegt. Wir haben ich-weiß-nicht-wie-viele Verstärker durchprobiert – das Geniale war: Das Studio ist ja das mit Kai Hansen von GAMMA RAY zusammen, und der Typ ist ein passionierter Sammler von allem Möglichen, was mit Gitarren zusammenhängt. Eine Band, die da aufnimmt, muss nur hingehen und fragen: „Hier, den und den Verstärker hätten wir gerne, geht das?“ Und dann, zack, steht er da. Dass du da auf so einen Fundus zugreifen kannst, das ist Irrsinn. Ich weiß nicht, was für Werte der Junge angesammelt hat, der hat echt viel. Ich war bei den Gitarren nicht dabei, aber Freddy und Claudio haben wirklich einiges angetestet, dadurch ist der Sound sehr voll und hat sehr viel Raum, das war uns sehr wichtig …

Ja, das merkt man…

… ein bisschen atmosphärischer – trotzdem druckvoll – aber eben mit sehr viel Raum. Und daher entsteht vielleicht die Nähe zum Postrock, weil das beim Postrock scheinbar so eine Sache ist – das empfinde ich jedenfalls als Postrock-Nicht-Kenner bzw. als Nicht-Bewusst-Kenner –, dass immer sehr viel Wert auf die Gitarrenarbeit, auf eine gewisse psychedelische Atmosphäre, auf einen richtig druckvollen, aber doch „weiten“ Sound Wert gelegt wird.

Ja, das trifft’s eigentlich ganz gut, diesen Eindruck habe ich auch. Dann lass uns ein bisschen auch noch über die Texte quatschen. Die meisten hast ja du geschrieben…

Bis auf „Moloch“ sind alle von mir, ja …

Genau. Ja, dann erklär doch mal.

„Ja, dann erklär doch mal.“ – Das machst du dir aber jetzt sehr einfach, haha. Ähm… jaaaaa… Ich gebe mal Anhaltspunkte, weil letztendlich… also ich bin ein großer Fan davon, mich mit einer Flasche Wein irgendwo hinzusetzen und die Inspirationen kommen zu lassen. Manchmal kommt wochenlang gar nichts und manchmal kommt’s, zack, da schreibe ich dann einfach einen Text runter. Ich denke mir, dass auf diese Weise einiges unbewusst entsteht oder das Unterbewusstsein durch den Alkohol geöffnet wird.

Ich weiß zwar ungefähr, in welche Richtung ich mit einem Text will, aber ich versuche, Inspiration nicht zu steuern, sondern mit den Texten eine Art Skizze zu malen. Also… wenn der Text ein Gemälde wäre, dann wäre ich kein Realist, dann wäre ich vielleicht Impressionist oder Expressionist, so was in der Art. Deshalb gibt es auch keine eindeutige Erklärung für jeden Text oder keine eindeutige Definition dessen, was ich gerade in dem Moment aussagen wollte. Ich biete eine Skizze und die kommuniziert quasi mit dem Hörer, sodass das Restbild sich in jedem anders zusammensetzt. Je nachdem, wie derjenige gerade drauf ist…

Ich kann ja mal sagen, wozu sich bei mir so eine Skizze zusammensetzt…

Ja, mach mal…

Der Text zu „Bestie“, und zwar der Teil, den Marta singt – ich musste an den Film „Constantine“ denken.

Äääähhhhhmmmm… nicht ganz abwegig, aber… na ja … so ein bisschen… naja, fast. An welche Szene hast du da genau gedacht?

An die Szene, wo Keanu Reeves auf die Straße stolpert und diesem Dämon begegnet, diesem Gesicht aus Insekten…

Nee, nicht ganz. Was ich gerade bei dieser Zeile im Sinn hatte [„Und hinter einer Wolke aus Fliegen grinst eine Fratze aus Angst und toten Tieren“ – Anm. d. Red.]… ich kann ja noch mal ganz kurz abschweifen, dann erkläre ich dir gleich, was mit „Bestie“ gemeint war… Also, jeder Text hat einen bestimmten Aspekt von „Angst“. Bei „Café Of Lost Dreams“ war es zum Beispiel so eine Art gehetzte, fiebrige, keine gezielte Angst, also wie eine rastlose Flucht – Panik –, ohne dass man eigentlich genau weiß, wovor. Ein inneres Unruhig-Sein, vielleicht auch am Rande des Wahnsinns; so eine Art Gejagt-Werden in einer fremden, feindlichen Umgebung, das war bei „Café“ der Grundgedanke. Bei „Bestie“ war es so, dass hier der Aspekt abgedeckt werden sollte, dass Aggression aus Angst entsteht. Eine aggressive Angst – wenn man so lange gereizt wird, bis man sich in die Ecke gedrängt fühlt und dann einen Befreiungsschlag startet, weil man keinen Ausweg mehr sieht. Deswegen auch „Angriff durch Angst“ und die obige Zeile. Der Text ist leicht angelehnt an „Herr der Fliegen“, und daher diese „Fratze aus toten Tieren“ beziehungsweise „hinter einer Wolke aus Fliegen“. In dem Buch geht es ja auch darum, dass sich eine Extremsituation immer weiter steigert, bis sie außer Kontrolle gerät. Das war damit eigentlich gemeint. Wobei, die „Constantine“-Idee ist auch nicht schlecht…

Das war so das Bild, das sich bei mir auf der Stelle zusammensetzte, als ich den Text hörte und las…

Wie gesagt, eigentlich sollte es ein bisschen in Richtung „Herr der Ringe“… Quatsch, „Herr der Ringe“, haha…, „Herr der Fliegen“ natürlich, gehen. Es ist aber auch ein kleiner Seitenhieb auf… hmmm, es ist schwer, das in Worte zu fassen, weil das für mich ja mehr Gedankenkonstrukte sind… ich kann es mit Worten nicht richtig erklären. Es wäre immer besser, wenn ich ein Bild vermitteln könnte – ein Bild ins Gehirn projizieren, dann wüssten die Hörer genau, was gemeint ist… aber das geht leider nicht… Es ist also auch ein kleiner Seitenhieb auf Terror-Regime: Dadurch, dass die Bevölkerung in Angst versetzt wird, dass man durch Angst heraus Leute kontrollieren will. Gerade dieses „der Geruch des Fremden / nur dem schlichten Geist Gestank“…

… da höre ich einen Appell gegen Fremdenfeindlichkeit heraus …

Ja genau, das ist genau der Punkt. Es gibt ja genügend Beispiele in der Geschichte, wo das so gelaufen ist. Nationalsozialismus muss ich, glaube ich, nicht erwähnen, das ist das Offensichtlichste. Aber auch die Tatsache, dass jetzt Herr Sarrazin zum Beispiel sagt, wir hätten lauter integrationsunwillige Ausländer – und auf einmal gibt es überall Reportagen über irgendwelche komischen islamischen Gruppen, die sich total abschotten, die wahrscheinlich einen ganz geringen Teil des Islams ausmachen, einen kleinen Teil der Moslems, die hier in Deutschland leben. Aber die sind jetzt auf einmal alle im Fokus, weil du mit dieser Angst eben Geschäfte machen kannst. Da haben die Zeitungen was zu schreiben, da gibt’s im Fernsehen Reportagen – weil die Leute total verunsichert sind, was sie jetzt davon halten sollen.

Das funktioniert aber auf der anderen Seite genauso: Stell dir vor, du bist Moslem, lebst in Deutschland, hast jahrelang unbehelligt hier gelebt, versucht, dich einigermaßen anzupassen, Kompromisse einzugehen, dich zu integrieren – solche Leute gibt’s ja auch, ich habe ein paar Freunde, die Moslems sind; da kommst du gar nicht drauf, wenn du es nicht weißt. Die laufen nicht mit Kopftuch rum oder mit ’nem meterlangen Bart, sind aber trotzdem Moslems – unglaublich, aber wahr; so etwas gibt es, auch wenn das Fernsehen was anderes sagt. Und jetzt stell dir vor, auf einmal guckt dich jeder schief an und du musst Angst haben, weil du nicht weißt, was die Leute, die ebenso Angst vor dir haben, als Nächstes tun. Du selbst bist in Angst, weil Leute Angst vor dir haben und du weißt, dass diese Angst zu überspannten Reaktion führen kann…

Ein Teufelskreis…

Genau. Und damit bist du auch schon bei „Phobos & Deimos“, da geht’s nämlich um die Medien.

Das sind ja… ich weiß gar nicht genau, wie das in der Mythologie aussieht… es sind auf jeden Fall Marsmonde…

Das sind Marsmonde, in der Mythologie sind es die Söhne von Ares…

Ach, genau. Ich wusste jetzt nicht, ob’s Mars oder Ares war …

Mars ist gleich Ares…

Schon klar, ich wusste nur nicht, ob ich in die griechische oder die römische Mythologie soll [obwohl’s anhand der Endung -os eigentlich klar ist – Anm. d. Verf.], aber du hast es ja auf dem Schirm…

Wenn ich das richtig verstanden habe – und ich glaube, ich hab’s bei Wikipedia richtig nachgelesen, deswegen ist es unangreifbar, haha –, dann ist es so: In der griechischen Mythologie ist Ares der Kriegsgott…

Ja, genau…

… Phobos und Deimos sind die beiden Söhne, und Mars ist der römische Kriegsgott, was ja eigentlich keinen Sinn macht. Der Planet Mars müsste dann ja Ares heißen…

Naja, Jupiter ist ja auch römisch …

Ja, aber die Namen der Monde kommen eben aus dem griechischen Pantheon…

Ja, mit den Monden passt es nicht, das stimmt…

Genau. Wie dem auch sei: Ares ist der Kriegsgott, Phobos und Deimos seine Söhne, übersetzt „Angst“ und „Schrecken“. Metaphorisch habe ich in dem Text Ares als unsichtbare Macht hinter den Medien dargestellt, der uns attackiert – aus den Medien heraus verbreitet er Angst und Schrecken, ohne Ziel, ohne Grund. Der Song ist auch… naja, ich weiß nicht, ob man den als aggressivsten Song nennen kann…

Doch, auf jeden Fall …

…auf jeden Fall ist es der Finsterste, würde ich sagen… ist auch der Älteste, lustigerweise, der ist noch am ehesten in unserer Black Metal-Vergangenheit verwurzelt…

Wenn du’s jetzt nicht gesagt hättest, hätte ich’s wahrscheinlich auch vermutet…

Den hatten wir tatsächlich schon lange vor allem anderen. Den hatten wir geschrieben (genau genommen hat den Claudio geschrieben, es ist der einzige Song bei uns, den je einer im Alleingang geschrieben hat!), dann gab’s ne ewig lange Pause, weil Freddy ein Jahr lang nicht in Hamburg gelebt hat, da konnten wir nicht richtig proben, es fehlte irgendwie etwas. Danach, August 2009, kamen eigentlich erst die anderen Songs, relativ schnell…

Ja, und jetzt liegt das Resultat vor… schön, schön… Wir wollten ja eigentlich auch noch über Peter Fox sprechen – du hattest den kürzlich mal in einer E-Mail erwähnt…

Ja, unser Bruder im Geiste, haha!

Eben, dabei habe ich eben so lange nach Inspirationen gebohrt…

Ja, wobei uns die Parallelen eigentlich erst hinterher aufgefallen sind. Wie gesagt, die echten Inspirationen ziehen wir aus den Dingen um uns herum, aus eigenen Situationen, Geschichten, Filmen, Büchern, auch anderer Musik. Das mit Peter Fox ist in dem Sinne lustig, weil er dieses Thema „urbane Angst“ ganz anders aufgearbeitet hat, und, wie ich finde, auch noch ’ne Ecke direkter und schmutziger als wir… also wenn man sich die Texte durchliest, da ist die Stadt eine Art verdreckte, hässliche Hure, wenn du so willst.

Das ist der Unterschied zwischen Berlin und Hamburg…

Haha, na, du musst es ja wissen. Ich finde Hamburg nach wie vor schön, Berlin… ist nicht so meins… Die Leute sind vielleicht ein bisschen offener, aber… Berlin ist ein kleines bisschen dreckiger, würde ich einfach mal sagen, und hoffe, dass sich die Berliner nicht beschweren …

Nee, du kannst schon gut recht haben mit der Behauptung…

Obwohl, im Black Metal soll man ja polarisieren, also sag ich jetzt einfach mal: Berlin ist scheiße!

Das ist doch ein schönes Schlusswort…

Was, „Berlin ist scheiße!“?

Es sei denn, du hast noch ein anderes auf Lager…

Nein, Berlin ist nicht scheiße. Wir kommen ja auch im Februar wieder *hust*…

Ja, ich freu mich schon…

Berlin ist schön – und wir kommen auch jedes Mal gern!

Ist das jetzt dein Schlusswort?

Natürlich.

24.12.2010
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