Todtgelichter
Interview zu "Angst" - Teil 1
Interview
„Angst“, das dritte Album der Hamburger TODTGELICHTER, läuft jetzt schon seit Wochen bei mir rauf und runter – und es scheint, als würde „Angst“ in der Fachpresse fast uneingeschränkt auf begeisterte Hörer zu stoßen. Was liegt also näher, als mit Schlagwerker Tentakel P. ein bisschen über Black Metal, seine Weiterentwicklung und Peter Fox zu quatschen? Das ausgiebige Gespräch wird in zwei Teilen hier zu finden sein – Teil eins gibt es nun hier…
Grüß dich, Tentakel. Wie sieht’s aus im Hause TODTGELICHTER? Wie sind die Resonanzen bis jetzt?
Die Resonanzen? Naja, wir haben bis jetzt im Wesentlichen nur Reviews und die Leute kennen das Album noch nicht wirklich – also die Fans. Die Reviews sind bis jetzt alle durch die Bank super, damit sind wir natürlich sehr zufrieden! Die Leute, denen wir das vorgespielt haben oder die sich schon Sachen anhören konnten, waren bis jetzt auch begeistert bzw. überrascht, dass wir doch wieder einen Schritt nach vorne gegangen sind. Letztendlich fehlt jetzt die wichtigste Resonanz, die der Fans; wir können noch nicht absehen, wie die das alles aufnehmen werden. Wir haben vor Kurzem den ersten ganzen Song online gestellt, der schien recht gut anzukommen. Hoffen wir mal, dass das dann mit dem ganzen Album auch so läuft.
Ihr habt aber auch schon was live gespielt, oder nicht – in Barth!?
Ja, wir haben in Barth auch was live gespielt. Der Unterschied zu den alten Alben wird hauptsächlich darin bestehen, dass der Sound noch mal deutlich ausgereifter ist und vor allem, dass unser alter Sänger nicht mehr dabei ist, dass jetzt Nils singt – Ich denke, dass das zwischen „Schemen“ und der „Angst“ jetzt den größten Unterschied ausmachen wird. Ich habe das Gefühl, dass sich die Songs, die wir live gespielt haben, ein bisschen besser untereinander annähern, weil natürlich der Sound gleich ist – du hast ja im Konzert einen durchgehenden Sound. Deswegen klingen die alten Sachen live vielleicht ein bisschen besser, die neuen Sachen klingen durch die Live-Situation ein bisschen rotziger. Ganz wichtige Sachen fehlen auch, die wir live noch nicht umsetzen können, zum Beispiel die ganzen Samples, Martas Hammond- und Klavier-Parts.
Aber es ist geplant?
Das ist geplant, sobald wir die ersten CDs verkaufen können und Geld haben, uns vielleicht einen Beamer oder PC hinzustellen, dass wir die Sachen (sound)technisch umsetzen können. Im Moment sind wir total blank und hoffen jetzt darauf, dass das Album einiges wieder einspielt, so dass man ein bisschen in Equipment investieren und eine entsprechende Show bieten kann. Wir haben auch auf dem UTBS gespielt, wo das Publikum glaube ich eher auf die alten Sachen abgefahren ist, aber auch da kamen die neuen Songs gut an. Und auf dem Barther jetzt ja sowieso, da sind wir mit dem neuen Outfit das erste Mal aufgetreten – da war die Marschrichtung von vorne herein klar, dass wir einen Schnitt machen zwischen den beiden Alben und jetzt das neue Album dran ist; dass es jetzt TODTGELICHTER 2010 zu sehen gibt, die Black-Metal-Vergangenheit abgearbeitet ist und wir eben einen Schritt weiter gehen.
TODTGELICHTER 2010 bedeutet ja auch neues Label. Ihr seid ja bei Code666 untergekommen – und so wie ich das sehe, sind die recht begeistert von dem neuen Album, wenn ich mir mal ein großes deutsches Printmagazin anschaue…
Welches der drei Magazine, die da schon Werbung gebracht haben, meinst du denn?
Ich sprach jetzt vom LEGACY. Da war ich ja schon ein bisschen beeindruckt, eine ganzseitige Werbung nur für euer Album…
Und das ist nicht die einzige gewesen. Da kann man überhaupt nicht meckern. Wir sind mit der Werbung, wie das läuft, überaus zufrieden. Code666 haben richtig reingehauen, gehen jetzt auf volles Risiko. Die haben uns quasi… naja, „abgeworben“ kann man nicht sagen… wir wussten vorher schon, dass wir mit Folter nicht weiterkommen. Es hat da ein Gespräch gegeben mit dem Folter-Inhaber, das war alles sehr freundschaftlich, wir bleiben auch weiterhin in Kontakt. Er hat uns ganz ehrlich gesagt, dass er uns nicht weiterbringen kann. Er fährt halt so seine Schiene, geht damit auf Nummer sicher und will auch keinen Schritt vorwärts. Wir allerdings schon – daher haben wir uns dann freundschaftlich auf geschäftlicher Ebene getrennt und uns woanders beworben. Code666 hat sich nach einem Tag sofort gemeldet, die waren hin und weg von der Promo, wollten uns sofort haben. Es kamen zwar noch ein paar andere ernsthafte Angebote, aber letztendlich waren Code666 so enthusiastisch – sie haben uns oberste Priorität zugesagt, uns versichert, dass das Album super und klasse wäre und sie würden uns eben auch mit PR und allem pushen wollen. Das war uns wichtig, dass vernünftig Werbung gemacht wird, dass man nicht nur durch Mundpropaganda weiterkommt. Wir wollen’s jetzt einfach wissen mit dem Album, und Code666 bieten uns diese Möglichkeit.
Es ist das dritte Album, daran misst man ja immer den kommerziellen Erfolg einer Band… und daher war der Schritt wahrscheinlich nötig!?
Daran haben wir gar nicht so sehr gedacht. Wir haben vom Material her gemerkt, dass das ein Einschnitt ist, dass wir wieder einen Schritt vorwärts gemacht haben. Wir sind überzeugt von dem Material, sonst hätten wir’s nicht aufgenommen, und wir denken, dass wir damit was zu bieten haben. Auch wenn man uns vorher nicht mochte, weil man uns vielleicht in die „ultra-trver Elite-Black-Metal“-Ecke einordnete – was ja sowieso nie wirklich der Fall war … Wir haben uns gedacht, denen können wir es jetzt mal zeigen, haha. Das kam alles im Entstehungsprozess heraus – da hing auch viel mit dem Studio zusammen. Das kristallisierte sich erst raus, nachdem die Sachen im Studio aufgenommen waren, als der Sound immer besser wurde und wir gemerkt haben, dass wir da viel mehr erreichen können, die Kompositionen einfach viel mehr hergeben, um differenzierter und moderner zu klingen, so kam das letztendlich alles irgendwie heraus … an dieses „dritte Album“ haben wir gar nicht gedacht. Wie bei den beiden anderen Alben auch sind wir der Meinung, wir haben unser stärkstes Werk bis jetzt aufgenommen, und wahrscheinlich werden wir’s beim nächsten auch wieder sagen. Aber wenn man das nicht glaubt, kann man’s auch gleich bleiben lassen…
Das ist allerdings richtig, ja…
…und wir sind sehr glücklich, dass es jetzt irgendwie endlich mal vorwärts geht. Das war ein echt langwieriger Prozess.
Es sieht zumindest so aus, ja. Dann lass uns ein bisschen über die Musik selbst reden. Ich habe in meiner Rezension ja geschrieben, dass ich euch doch noch irgendwie in der Nähe des Black Metals verorte, du hast ja jetzt auch gesagt, dass ihr das so ein bisschen verarbeitet, abgearbeitet habt.
Das sind schließlich auch unsere Wurzeln, die wollen wir nicht ganz verleugnen, es wird also immer ein bisschen Black Metal bleiben…
Was mich jetzt interessieren würde – aus deiner Sicht: Wo lasst ihr den Black Metal hinter euch? Wo und inwiefern habt ihr den Tellerrand überschritten?
Es ist ja sowieso immer ein bisschen schwierig. Black Metal hat sich ja schon… das war so 1995/96, da habe ich angefangen, das mitzubekommen: Als DIMMU BORGIR und CRADLE OF FILTH immer erfolgreicher wurden und die Leute ihnen Kommerz vorwarfen – da war’s ja so, dass sich der Black Metal irgendwie spaltete in die ultra-trve „Wir müssen beschissen klingen und alles andere ist nicht trve!“-Fraktion und die Leute, die immer mehr Keyboard, immer mehr moderne Elemente reingebracht haben, die sich weiterentwickeln wollten, teilweise auch auf größere Label gingen, wo dann geschrieen wurde: „Kommerz! Kommerz!“. Es gibt heute immer noch diese Old-School-Schiene – und das ist das, wovon wir uns abgrenzen möchten. Nachdem es Black Metal jetzt seit über zwanzig Jahren gibt – wenn man jetzt mal bei VENOM anfängt – ist es doch Quatsch, irgendwas nachzuäffen oder zu kopieren, was damals schon gemacht wurde und was damals eigentlich auch nur deswegen so gemacht wurde, weil die Möglichkeiten eben so waren. Wenn man das zwanzig Jahre später mit viel, viel besseren Möglichkeiten ganz anders machen kann, sehe ich als Musiker keinen Sinn, das wieder aufleben zu lassen. Das ist vorbei, das ist gegessen. Diese Richtung reizt mich auch überhaupt nicht mehr. Da wurde alles gesagt, es gibt nach wie vor coole Sachen aus der Richtung von früher, aber wenn man sich heute modern nennen möchte, dann sollte man eben auch ein bisschen nach vorne schauen.
Da gehört dann auch eine gewisse Modernität zu, das ist schon richtig.
Es gibt ja auch im Black Metal durchaus Leute, die es ernst meinen und sich trotzdem entwickeln. Guck dir MAYHEM an, da klingt jedes Album anders, und selbst das, was sie jetzt mit dem letzten Album gemacht haben, mit „Ordo Ad Chao“, was soundmäßig ein derber Rückschritt ist…
Oh ja…
…man kann aber auch sagen: Das Album mit einem guten Sound? Funktioniert nicht. Ich weiß nicht, wie das klingen würde, gerade durch diesen fiesen Sound ist das so eine fiese schwarze dunkle Walze, aber es ist technisch höchste Perfektion …
Ja, definitiv…
Wenn schon Soundrotz, dann möchte ich auch Leute hören, die ihre Instrumente bedienen können. Es muss einen Sinn haben, dass ich das so angeboten bekomme. Ein guter Vergleich ist, was Tarantino und Rodriguez mit den Grindhouse-Filmen gemacht haben. Die haben ihre Filme aufgrund dessen, was sie erreichen wollten, künstlich schlecht gemacht, das heißt rausgerissene Filmspulen, Kratzer und alles das nachgemacht, was man heute als Filmschaffender gar nicht mehr braucht oder was einem nicht mehr passieren kann, weil alles digital läuft. So was kann man unter künstlerischen Aspekten machen. Ich merke gerade, ich vergleiche MAYHEM mit Tarantino (lacht), aber ich finde, das ist nicht so weit hergeholt, da dieses „auf Alt trimmen“ bei beiden einen Sinn macht.
Dann lass mich noch ein Zitat von SATYRICON aus dem ORKUS von 1999 einwerfen: „Es ist in Ordnung retrospektiv zu sein, aber es gibt nichts Schlimmeres als altmodisch zu sein.“
Ja, das ist richtig, genau. Da gibt’s auch noch ein anderes Beispiel: DHG ist auch so ein Ding, die haben Songs auf dem neuen Album, die könnte man wahrscheinlich mit einem beschissenen Sound einspielen und die würden wahrscheinlich ultra-trve nach Black Metal klingen, aber gerade dadurch, dass es so einen kristallklaren Sound hat, wirkt es so finster und fies. Kristallklar, trotzdem übelst aggressiv, vielleicht ist es einigen zu steril, aber gerade das ist dieses Gemeine bei der Scheibe …
Wobei ich die Gitarren ab und zu ein bisschen schwachbrüstig finde, muss ich sagen, die könnten ein bisschen mehr im Vordergrund sein. Aber wir wollen ja nicht über das DHG-Album sprechen, sondern über euer Album. Du sagst ja, ihr wollt nach vorne blicken: Was inspiriert euch denn dann, wenn nicht mehr Old-School-Black-Metal? Ist Hamburg so eine anonyme Stadt, dass ihr euch zur urbanen Angst hingewendet habt oder was bewegt euch?
Das ist nur ein Teil. Wir hatten das Hauptthema Angst und wollten auch … irgendeiner hat uns bei der „Schemen“ mal gesagt, das sei zwar Black Metal, habe aber nichts mehr mit Wald und Wiesen zu tun, es sei „urban“. Das hat uns irgendwie fasziniert, unabhängig davon, dass zu dieser Zeit das Modewort „urban“ immer größer wurde und dass sich die Leute, diese so genannten „Post-Black Metal-Bands“ auf einmal dem Urbanen zuwendeten; die Idee hatten wir jetzt nicht im Nachhinein, sondern eigentlich schon währenddessen, bevor das so groß geworden ist. Wir wollten auch irgendwie in diese Richtung gehen; gerade dieses Städtische, das Thema der Einsamkeit und der Melancholie in der Stadt hat uns gereizt. Wir hatten immer schon als Hauptthema Melancholie und Einsamkeit, alle diese Romantik-Themen – das war Teil von uns, seit dem Demo. Wir fanden es interessant, dass im modernen Kontext zu verwirklichen. Wenn du dir die Stadt anguckst, da leben Millionen Menschen auf einem Fleck. Obwohl es heutzutage Fernsehsendungen gibt wie beispielsweise „Big Brother“, wo du irgendwelche fremden Leute im Fernsehen angucken kannst, mit denen du dich dann verbunden fühlen kannst – du lernst die Leute irgendwie kennen, weil du sie im Fernsehen siehst. Aber letztendlich sitzt du einsam auf deinem Sofa zu Hause und hast dieses Zwischenmenschliche nicht. Das ist eine gefährliche Sache, eine Art moderne Einsamkeit, wenn du so willst, die sich vielleicht auch nicht mal wie Einsamkeit anfühlt. Du kannst locker dein Leben vor dem Fernseher verbringen, bist total einsam, kriegst es aber nicht mit, weil du dich irgendwie berieseln lässt. Diese Vereinsamung durch Medien – obwohl alles immer globaler wird und alles immer mehr zusammenwächst, auch im Internet, entstehen andere Formen von Einsamkeit, von Ängsten. Du hast dann vielleicht die Angst, dass du bei Facebook nicht genug Freunde hast oder dich auf Myspace keiner addet oder sonst irgendwas, anstatt der Angst, dass du in der Schule verhauen wirst, was vielleicht früher so war. Heute wirst du bei Facebook gedisst, da haben sich ja sogar schon Leute umgebracht deswegen. Das alles spielt in dieses „Urbane“ rein, finde ich. „Urban“ also nicht nur als Wort für die Stadt, sondern auch als Synonym für das ganze moderne Leben heutzutage. Und diese Ängste haben wir aufgegriffen und versucht, sie zu verarbeiten. Hauptsächlich natürlich in den Lyrics, da war es das Hauptthema, aber eben auch durch modernen Sound in der Musik, Sachen, die man darauf projizieren kann.
Auf diese musikalischen Einflüsse wollte ich noch ein bisschen hinaus. Ihr habt ja versucht, euer Thema dort widerzuspiegeln. Was hat dort Pate gestanden?
Spielst du jetzt auf spezielle Bands an oder…
Ja, zum Beispiel. Also wenn du jetzt irgendwelche Platten hast, wo du wirklich sagst „Boah, so stelle ich mir das vor!“
So etwas versuchen wir möglichst immer von uns zu weisen, also dieses beeinflussen lassen. Klar gibt’s immer mal Momente, wo man sagt „Hey, ich hab letztens auf ’ner alten GENESIS-Platte das und das Stück gehört, lass uns doch mal so was versuchen!“ Es gab sogar Bestrebungen, dass wir mal einen DOORS-Song covern, das sind alles Sachen, die uns schon lange begleiten. Von den Siebzigern angefangen hören wir uns alle alles an, was in irgendeiner Weise genial, verrückt, wegweisend, oder sonstwie interessant ist. Aber letztendlich, wenn du da sitzt und versuchst zu komponieren – ich kann jetzt natürlich nicht uneingeschränkt für Freddy oder Claudio sprechen, weil die diejenigen sind, die hauptsächlich mit den Melodien ankommen … ich kann aber helfen, Parts aneinander zu bauen oder kann sagen „Du, der Part ist jetzt nicht ganz so geil…“, aber letztendlich kommen die Melodien alle von Freddy und Claudio – die versuchen halt, sich bewusst gerade nicht von den Sachen beeinflussen zu lassen, die sie gerade hören. Unterbewusst fließt das natürlich trotzdem ein: Freddy hört in letzter Zeit eine ganze Menge Doom, Sachen wie OMEGA MASSIF und so, und dann kommen da eben auch mal die schweren Riffs in den Proberaum. Das ist ganz klar, dass man sich nie ganz lösen kann. Letztendlich, wo genau er die Melodien immer hernimmt, weiß ich auch nicht. Wir versuchen uns auf jeden Fall zu kontrollieren, dass wir eben nicht so klingen wie das, was wir gerade selbst hören, sondern unser eigenes Ding durchziehen.
[Fortsetzung folgt…]
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