Tiamat
Interview mit Johan Edlund zu "The Scarred People"
Interview
Die Schweden TIAMAT sind wie eine Naturgewalt, deren Kommen und Gehen man nicht genau einschätzen kann – aber dann sind sie plötzlich wieder voll da. Ihr letztes Werk „Amanethes“ liegt vier Jahre zurück, „Prey“ schon neun, zwei Jahre die letzte Tour durch unsere Breiten. Und jetzt haben sie vor ein paar Tagen mit „The Scarred“ People“ endlich ihr langersehntes neues Album veröffentlicht. Natürlich wollten wir von Frontmann Johan Edlund alles Wissenswertes zu „The Scarred“ People“ wissen, aber zunächst beschäftigt ihn der Zufall, dass er für dieses Interview in seine alte Heimatstadt Dortmund telefoniert.
„Wie ich sehe, rufst Du aus Dortmund an,“ beginnt der TIAMAT-Fronter mit ein bisschen Smalltalk, um ein wenig in die Vergangenheit einzutauchen.
Dortmund ist eine wichtige Stadt für die Band gewesen, gerade in der Anfangszeit mit Century Media (früheres Plattenlabel von TIAMAT, Anm. Red.), dem Rock Hard und dem Spirit (Metal-Disko in Dortmund, Anm. Red.). Das war auch die Zeit, als ich von einem Heranwachsenden zu einem Erwachsenen wurde. Eine Dame von Century Media hatte mich damals 1991 zu einer Promotiontour aufgelesen und damit vom Rest der Band getrennt. Der Rest der Band ist nach Hause gegangen, während ich damit quasi zum Sprecher oder zum Frontmann der Band gemacht wurde. Danach lebte ich auch weit weg vom Rest der Band, in Dortmund, Hamburg, Berlin und jetzt in Griechenland. Aber ich mag Dortmund, ich mag Deutschland generell. Wenn ich irgendwann mal aus Griechenland wieder wegziehen sollte, dann wahrscheinlich nach Deutschland.
Aber der Rest der Band lebt in Schweden?
Ja, das ist richtig, Anders (Iwers, Bass; Anm. Red.) in Göteborg und Lars (Skjöld, Drums; Anm. Red.) in Stockholm. Bei Roger (Öjersson, Gitarre; Anm. Red.) bin ich mir nicht sicher, ich glaube, er wollte nach Stockholm ziehen. Manchmal ist es schwer, ihm zu folgen. Das meine ich in einem sehr positiven Sinn. (lacht)
Als Ihr nach einem Nachfolger für Euren alten Gitarristen Thomas Wyresson gesucht habt, habt Ihr da explizit in Schweden gesucht?
Nein, gar nicht. Für mich wäre es sogar netter gewesen, einen griechischen Gitarristen in die Band zu holen, damit ich nicht immer alleine auf die Festivals fliegen muss. Die anderen haben immer jemand zum Reden, was ich nicht habe. Ich glaube, es war Lars, der mit Roger in Kontakt gekommen ist.
Auf den letzten Touren haben unter anderem Joakim Svalberg (Keyboards) und Fredrik Åkesson (Gitarre) von OPETH bei Euch gespielt. Ist es für Euch schwierig, Sessionmitglieder einzubinden?
Ich weiß nicht genau warum, aber obwohl wir eine sehr einfache Band sind, haben wir in den letzten Jahren eine Menge Credibility in der Musikerszene bekommen, weil wir mit so vielen talentierten Musikern zusammenarbeiten konnten. Keine Ahnung warum, aber vielleicht weil wir nicht so fordernd sind. (überlegt) Wir haben viele dieser Musiker in unseren Reihen gehabt, die es eigentlich gewohnt sind, mit den besten Musikern der Welt zu spielen. Aber wenn sie mit uns gespielt haben, haben sie es mehr denn je genossen. Vielleicht weil wir ihnen Raum geben, vielleicht weil wir uns nicht trauen ihnen zu sagen, was sie spielen sollen.
Lass uns mal auf das neue Album zu sprechen kommen. Ich finde, es ist nicht ganz so polarisierend wie „Amanethes“, das ja auf der einen Seite sehr wütend war und auf der anderen Seite sehr relaxt. „The Scarred People“ liegt eher in der Mitte. Wie siehst Du das?
Ja, vielleicht ist es samtiger. Das letzte Album war… (überlegt) vielleicht war ich angepisster. Und wenn ich es nicht bin, möchte ich es nicht vorspielen. Ich bin zu alt, um vorzutäuschen, dass ich Metal bin. Wenn wir den starken Drang haben, Metal zu sein, werden wir es sein. Wenn dieser Drang nicht da ist, kann ich es auch nicht ändern. Vielleicht geht es mir seit „Amanethes“ generell gut im Leben. Es gab eine Menge Hass auf „Amanethes“, viele Dinge, die heraus mussten. „The Scarred People“ ist mehr zurückblickend, wie das Ende eines Buches.
Ich möchte aber keinen Weg vorgeben, wie man das Album korrekt betrachten müsste, man sollte immer seinen Instinkten folgen. Die erste und einzige Regel in der Band ist, unseren Herzen zu folgen und unser Bestes zu geben. Danach erst können wir uns mit anderen Leuten beschäftigen und was sie möchten. Wir können nichts machen, nur um den Leuten zu gefallen. Das soll nicht arrogant klingen, aber wir können nicht so tun, ihnen etwas zu geben, nur weil sie es wollen. In erster Linie müssen wir damit voll zufrieden sein. So gesehen ist ein neues Album immer ein Bericht der Zeit.
Das heißt, dass Ihr nicht über fiktive Dinge schreibt?
Nein, wir schreiben nicht über Science Fiction, Geschichte oder Fantasy. Wir müssen zuerst das Album leben. Um die Inspiration zu bekommen, müssen wir es wirklich erstmal tun. Ich habe noch nie einen Song darüber geschrieben, dass ich in einem seltsamen Club gewesen bin, wenn ich es nicht gemacht habe. Das braucht halt seine Zeit. Und es gibt keine Grundregel, dass daraus ein Song wird. Wenn es für uns keinen Grund gibt, ein Album zu machen, werden wir keins machen.
Das neue Album habt Ihr diesmal im Woodhouse Studio in Hagen aufgenommen und nicht wie letztes Mal in Deinem eigenen Studio in Griechenland. Warum seid Ihr diesen Schritt gegangen?
Ich mag einfach das Gefühl, für eine Zeit der Künstler zu sein. Dass man sich nicht auch noch um technische Dinge kümmern muss. Als ich den Gesang für „Amanethes“ aufgenommen hatte, musste meine Freundin mir helfen und Cubase bedienen. Und dann bin ich direkt aus der Aufnahmebox hinter das Mischpult gesprungen, um die Sachen zu schneiden. Diesmal wollte ich mich auf eine Sache konzentrieren. Ich wollte das Arschloch sein, derjenige, der vor dem Mikrofon steht, schreit und sein Ding durchzieht, während sich andere Leute um den Rest kümmern.
War das auch wichtig für das Bandfeeling? Diesmal wart Ihr ja mit der kompletten Band im Studio.
Ja, und wir sind ja auch eine Band. Wenn wir live spielen, spielen wir auch wirklich live. Wir benutzen keine Clicktracks und haben nichts vorprogrammiert. Bands, die mit Backtracks spielen, werden höchstens 4 von 5 möglichen Punkten erreichen können. Wir können mit unserer Performance mal grottenschlecht sein, aber auch weltklasse. Wir mögen unsere Höhen und Tiefen haben, aber an einem guten Tag können wir jeden schlagen. Und das haben wir so gut es geht versucht einzubringen.
Produziert hat das Album Siggi Bemm, der ja eine Legende in der deutschen Rockszene ist. Was war sein Einfluss auf das neue Material?
Ich kenne Siggi schon seit vielen Jahren, aber er hat noch nie ein TIAMAT-Album produziert. Bisher hat er einige unserer Alben aufgenommen oder abgemischt. Lange vor der Vorproduktion habe ich ihm meine Demotapes geschickt, und er hat mir am Telefon ein paar Details genannt, über die ich noch nicht nachgedacht hatte. Meistens waren das Sachen, die dem Klischee weniger ist mehr entsprachen. Ich habe eingesehen, dass ich Fehler dadurch kaschieren wollte, dass ich immer mehr hinzufügen wollte. Meine Arrangements waren nicht sehr klug, aber er hat gesehen, dass sich ein guter Song dahinter verbirgt. Mir hat gefallen, dass er gesehen hat, was am Song verändert werden muss.
Du hast ihm offensiv gesagt, womit Du nicht weiterkommst?
Ja, genau, ich habe da keinen falschen Stolz, ich kann darüber sprechen. Ich lüge nicht, indem ich vorgebe, dass etwas großartig ist, nur weil es von mir kommt. Ich bin eher das Gegenteil, ich habe eigentlich überhaupt keinen Stolz: Ich versage als Gitarrist, und ich versage als Sänger, aber das bedeutet gar nichts, weil ich glaube, dass die meisten anderen Gitarristen und Sänger auch versagen. (lacht) Ich setze mich nicht in Vergleich zu irgend jemand anders.
Du denkst aber nicht, dass Dir andere in Deine Arbeit hineinreden?
Nein, am Ende bin ich der Meister meiner Songs. Ich habe immer das letzte Wort bei allem, was wir tun. Wenn ich denke, dass sich etwas nicht nach TIAMAT anhört, sage ich das. Letztendlich bin ich der einzige, der weiß, worum es bei TIAMAT überhaupt geht. Beispielsweise hatte ich bei den Aufnahmesessions morgens einmal verschlafen, und Roger und Siggi hatten bereits an ein paar Gesangsharmonien gearbeitet. Woran sie gearbeitet haben, war wahrscheinlich superschön für eine andere Band, aber es war total ätzend. Also habe ich ihnen gesagt, dass sie sofort mit diesem Mist aufhören sollen. Siggi war deswegen angepisst, aber ich habe ihm gesagt: „Das ist nicht TIAMAT! Und ich bin der einzige, der das sagen kann.“ Das war schon immer so, und das wird immer so sein.
Die Anstrengung hat sich aber gelohnt. Ich war neun Wochen in Hagen plus die Zeit für die Vorproduktion. Es war Chaos, und ich habe das Leben für viele, viele Stunden gehasst. Aber so muss es sein, ich habe damit ehrlich kein Problem.
Es gibt mit „Thunder And Lightning“ einen Song, der ursprünglich für LUCYFIRE gedacht war, jetzt aber zu einem TIAMAT-Song geworden ist und auf dem neuen Album erscheint. Wo siehst Du die Grenze zwischen diesen beiden Bands, beziehungsweise wo hast Du sie gesehen?
Für mich gab es zwischen TIAMAT und LUCYFIRE niemals einen musikalischen Unterschied. Man arbeitet mit anderen Musikern zusammen, und die ganzen Arbeitsumstände sind anders. Von der Musik her habe ich beide Bands so gesehen, dass sie ineinander übergehen – während sich beide Bands auf verschiedene Aspekte fokussieren.
Auf dem Album wird es Coversongs geben, „Born To Die“ von LANA DEL REY und „Paradise“ von BRUCE SPRINGSTEEN. Das sind zwei Künstler, die ziemlich weit von dem entfernt sind, was TIAMAT üblicherweise machen. In der Hinsicht kann man „Thunder And Lightning“ als LUCYFIRE-Cover bezeichnen. Und von den dreien ist das die am nächsten liegende Wahl.
Wie bist Du auf den Titel „The Scarred People“ gekommen?
Ich fürchte, ich habe darauf keine kluge Antwort. Ich denke, ich bin ganz generell überrascht über die Gesellschaft in den letzten Jahren – was passiert, was wir tun. Was aus uns geworden ist, die Menschheit generell. Wie wir damit umgehen. es ist verrückt, das zu sagen, aber ich glaube, dass alles beschissen ist. Vielleicht ist es so, dass man einfach älter geworden ist und alles, was früher war, verherrlicht und bitter geworden ist. Ist es solch eine Verbitterung oder die Wahrheit, dass alles beschissen geworden ist? Ich weiß es nicht.
Wenn Du sagst, dass Ihr ein Album erst einmal leben müsst, wann legt Ihr den Albumtitel fest?
Ich habe eigentlich bei fast jedem Album den Albumtitel schon früh festgelegt. Dieser Titel wurde direkt nach „Amanethes“ ausgewählt, also ist er ein paar Jahre alt. Und dann haben wir unter der Idee gelebt, dass wir an einem Album mit dem Titel „The Scarred People“ arbeiten. Vielleicht hat sich dadurch unser Eindruck noch verstärkt, dass wir dachten: „Was für ein Scheiß passiert eigentlich um uns herum?“
Ich habe in einem Interview gelesen, dass Du mehr am Visuellen als am Akustischen interessiert bist.
Ja, das stimmt. Ich wohne in Hörweite einer Kirche, und wenn die Kirchenglocken läuten, mache ich das Fenster zu. Wenn meine Freundin Musik hört oder fern sieht, mache ich die Tür zu. Ich habe in meinem Arbeitsbereich kein Radio oder einen Fernseher. Manchmal, wenn ich male, höre ich Musik, aber das war’s auch schon.
Ich bin eher daran interessiert, Musik zu erschaffen. Ich bin an Arrangements interessiert, an Lösungen, die über das Gitarre-Bass-Schlagzeug-Schema hinausgehen. Zum Beispiel gibt es auf dem neuen Album Flughafengeräusche – es ist irgendwie Teil des Jobs, das Diktiergerät dabei zu haben, um den Lärm aufnehmen zu können, während man abhebt oder das, was die Stewardess sagt. Das ist Teil des kreativen Prozesses, und das liebe ich. Das fertige Resultat hingegen interessiert mich überhaupt nicht mehr – ich höre es mir ein paarmal an, denke mir, dass sich das cool anhört, trinke was dazu, aber das war’s dann. Es bedeutet mir nichts mehr.
Die visuelle Sache ist ein sehr ernstes Hobby von mir, das ich auch mit niemandem teile. Wenn wir auf Tour sind, kann ich es nicht aushalten, einfach nur abzuhängen und darauf zu warten, dass die Dinge passieren. Also gehe ich lieber alleine in ein Kunstmuseum. Vielleicht mag ich es auch deswegen so sehr, weil ich es ein bisschen für mich behalte. Es hilft mir, meine Gedanken zu ordnen.
Wie findest Du dann das Leben auf Tour?
Es kann langweilig sein, aber auch ziemlich aufregend. Man reist herum – es könnte also schlimmer sein.
Wenn Du sagst, dass Du Dir die fertigen Alben nur ein paarmal anhörst, wie findest Du es dann, die Songs in der Livesituation zu reproduzieren?
Das mag ich wiederum sehr. Ich hasse es zwar, die Stücke einzustudieren, aber sie live zu spielen, mag ich sehr. Das ist eine andere Art kreativ zu sein. Du bist dort, es passiert dort, es passiert jetzt. Du musst dich anstrengen, um das Feeling zurückzuerlangen, als du den Song geschrieben hast. Und du interagierst mit dem Publikum – das ist aufregend. Der kreative Prozess im Studio und live zu spielen ist für mich großartig. Wenn ich aber zu Hause im Sofa sitze, höre ich mir niemals ein TIAMAT-Album an – dann bevorzuge ich die Stille.
Ich muss in der Hinsicht an das Konzert vor zwei Jahren in Essen denken, als Roger seine Gitarre zerdeppert hat. In dieser Situation musste das wahrscheinlich einfach passieren…
Es musste passieren, ja. (lacht) Das coolste war doch, dass dies beim ersten Song passiert ist. Ich meine, welche Rockband hat jemals beim ersten Song eine Gitarre zerschlagen?! Ich kenne keine. Allein das hat uns ein paar Nuancen auf der Coolnessskala nach oben gebracht. (lacht) Wir waren wirklich angepisst. Wir mussten Shows absagen, wir mussten spät in der Nacht noch nach Hause fliegen, es war ein Schneesturm, wir waren irgendwo im Nirgendwo. Wir haben jede Menge Mist verzapft, es ist jede Menge passiert, worüber ich nicht sprechen kann. Wir haben einfach alles auf der Bühne rausgelassen. Es waren ja vielleicht nur 30 Leute da, aber es war trotzdem eine unserer besten Shows überhaupt!
Wenn das kein schönes Schlusswort ist… Danke für das Interview!
Livepic: Andrea Friedrich
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