Thulcandra
"Wir bleiben in unserem selbst gesteckten Rahmen."

Interview

DISSECTION hattest du schon erwähnt, und aus eurer Huldigung macht ihr ja keinen Hehl. Ich verlese mal einen Auszug aus einem (übrigens positiven) Leserkommentar, den wir unter der Review zu „A Dying Wish“ haben. „Ich meine, technisch ist das ja voll auf der Höhe. Aber ich frage mich, warum man als Band nicht mehr Bock auf Eigenidentität im Sound hat.“ In einem Interview vor rund zehn Jahren hattest du schon gesagt, ’nö, wollen wir gar nicht, wir wollen das genau so machen‘. Wie ist das denn mittlerweile?

Steffen: Es hat sich nichts geändert. Wir haben die Band 2003 gegründet und in dem Rahmen, in dem wir uns bewegen, werden wir uns auch weiter bewegen. Auch die nächsten fünf Alben werden ein blaues Cover haben und in der Richtung klingen. Die Vergleiche sind mir relativ egal. In dem Bereich ist die größte Band, die es gibt oder gab, DISSECTION. Das waren die Einzigen, die wirklich mehr oder weniger weltweit getourt sind, in Nordamerika waren, in Europa waren. Alle anderen aus dem Genre waren vielleicht mal in Zentraleuropa, wenn es gut lief. Aber das war’s auch. Die waren nie so populär.

Das heißt, im Umkehrschluss müsste ich alle Death-Metal-Bands, die sich heute gründen, fragen, warum sie nach CANNIBAL CORPSE oder MORBID ANGEL klingen. Alle Thrash-Metal-Bands fragen, warum klingt ihr wie SLAYER oder METALLICA? Wir machen diesen Sound und wir ändern da auch nichts dran. Und das seit fast 20 Jahren. Wenn man uns mit den Bands vergleicht, ist das ganz nett. Also nicht bloß DISSECTION, sondern auch UNANIMATED. Der Punkt ist, wir haben jetzt vier Alben und eine Demo/EP. Uns gibt es schon länger als all die Bands. Wir sind länger dabei, wir haben mehr Alben veröffentlicht und sind seitdem aktiv geblieben.

Bild Thulcandra - A Dying Wish Cover

Thulcandra – „A Dying Wish“ Cover

Wo habt ihr euch auf „A Dying Wish“ (trotzdem) neue Räume geschaffen? Was habt ihr anders gemacht als bisher oder auch im Vergleich zu euren Vorreitern? Mal abgesehen von dem neuen Sound, den du schon erwähnt hattest.

Steffen: Was das rein Musikalische angeht, haben wir auch ganz viel geändert. Auf „Ascension Lost“ hatten wir eine ganz klare Arbeitsteilung. Ich habe mich um die komplette Musik gekümmert und unser damaliger Gitarrist hat alle Texte geschrieben und ein Konzeptalbum ausgearbeitet. Das war ganz klar strukturiert. Dieses Mal war es komplett anders. Wir hatten zwei andere Songwriter mit dabei und es war eine Kollektivarbeit. Und die beiden haben einfach ganz andere Einflüsse und Ansätze. Unser Gitarrist zum Beispiel hört ganz viel aus der Norwegen-Ecke, also viel Black Metal, aber auch Post-Black Metal. Unser Bassist hat sehr viel Melodeath gehört. Und das Ganze ist dann mit reingekommen. Wir haben teilweise Doom-Parts, wir haben von der Charakteristik her auch andere Sachen zu bieten. Aber: Wir bleiben in unserem selbst gesteckten Rahmen. Aber grundsätzlich sehe ich schon viele Unterschiede. Also ich zumindest [lacht].

Wir haben ein paar Songs dabei, die sind wahnsinnig schnell, also richtig dunkel. Das geht eigentlich schon in den reinen Black Metal über. Wir sind Grenzgänger. Wir sind irgendwie überall daheim und doch nirgends. Wir haben zum Beispiel auch viel mehr Twin-Gitarren. MAIDEN, klassischer Heavy Metal und so weiter. Es funktioniert aber, es macht Spaß. Wer weiß, wie die nächste Platte wird. Ich weiß es nicht. Vielleicht mehr Akustikgitarren? Vielleicht gar keine? Schauen wir mal.

Was du selbst schon angedeutet hast, ihr seid länger dabei als die meisten Bands, auf deren Sound ihr euch bezieht. Trauerst du der Ära ein wenig nach? Einige der Bands gibt es nicht mehr, andere haben ihren Sound geändert. Dafür kommen andere nach. Ihr zum Beispiel, oder auch THE SPIRIT. Wie siehst du die Entwicklung?

Steffen: Ich finde, es ist immer noch eine ganz, ganz, ganz, ganz kleine Nische. Wenn man sich in dem Bereich irgendwo festlegt, kommt immer der DISSECTION-Vergleich. Aber es gibt tatsächlich einige wirklich coole Bands, die nachkommen. Ich hab‘ dieses Jahr THRON kennengelernt, aus Süddeutschland. Eine Mischung irgendwo zwischen WATAIN und DISSECTION, aber sehr eigen, sehr cool. THE SPIRIT, super Beispiel, klasse Band, coole Leute. Deshalb haben wir die auf unsere Tour eingeladen. Und THRON haben wir auch noch nach München und nach Freiburg eingeladen. Mir selbst macht der Stil wahnsinnig viel Spaß. Ich freue mich über neue Bands genauso wie über coole Re-Releases von alten Alben. Manche Plattenfirmen stecken ganz viel Arbeit und Budget in ästhetisch wunderschön aufgemachte Re-Issues. Und es gibt auch alte Bands, die immer noch was Neues bringen. UNANIMATED haben jetzt wieder was Neues gemacht.

Thulcandra A Dying Wish Tour

Thulcandra „A Dying Wish“-Tour

Wir hatten es am Anfang ja kurz über THULCANDRA und OBSCURA. Das sind recht unterschiedliche Stile. Hast du manchmal nur Bock auf das eine oder Bock auf das andere? Ist das für dich eine Art Ausgleich?

Steffen: Ich brauche beides, um in Balance zu bleiben. OBSCURA ist komplett konträr zu allem, was THULCANDRA machen. THULCANDRA hat eher die Proberaumromantik. Man trifft sich mit Freunden, mehr oder weniger regelmäßig, und macht nicht bloß Musik, sondern trinkt auch ein Bierchen zusammen, und spielt Konzerte. Aber wir haben jetzt keinen großen Masterplan. Wir haben nicht die Möglichkeit, eine Touring-Band zu werden. Deswegen hat uns „A Dying Wish“ auch so viel Zeit gekostet, weil wir vorher relativ viel live gespielt haben. Wir haben nicht so viel Zeit zur Verfügung. Die anderen drei Musiker haben reguläre Jobs, ich bin der einzige Berufsmusiker. Da bleibt halt nicht mehr viel Zeit.

OBSCURA dagegen; davon lebe ich, und wir spielen pro Album 100-150 Konzerte. Das ist einfach anders. Jede Bandprobe ist eher wie Projektmanagement angelegt [lacht]. Jeder Ton wird 200 Mal umgedreht, bevor er irgendwo an den richtigen Ort kommt. Bei THULCANDRA ist viel spontan. Das gleicht sich wirklich aus. Die beiden Bands haben ganz unterschiedliche Ansprüche, aber es macht beides unfassbar viel Spaß. Ich bin mit beiden Stilen groß geworden, also bei THULCANDRA der ganze Black-Metal-Bereich, aber auch mit dem eher Anspruchsvollen wie bei OBSCURA. Und mir macht beides Spaß. Ich finde das schön. Deshalb gibt es auch beide Bands so lange. Wenn es keinen Spaß machen würde, hätte ich schon längst aufgehört. Ich bin also ein völliger Enthusiast [lacht].

Das ist auch schön zu sehen. Wenn man mit Spaß dabei ist, springt das auch über.

Steffen: Ich bin über die Jahre immer auch Fan geblieben. Das ist das Schöne. Ich suche mir immer noch Konzerte raus und denke, oh cool, da muss ich jetzt unbedingt hin. Oder wenn ich neue Bands entdecke, wie THRON, oder THE SPIRIT vor ein paar Jahren. Es ist genau wie vor 20 Jahren, wo man zum ersten Mal „Human“ von DEATH gehört hat. Per Zufall, weil ein Freund die CD hatte.

Wie geht es bei THULCANDRA denn jetzt weiter?

Steffen: Wir spielen jetzt die Release-Tour mit vier oder fünf Blöcken, bis Mitte 2022. Und dann schauen wir. Entweder wir spielen noch mehr live oder wir arbeiten ein neues Album aus. Das lassen wir uns offen. Die Tour dann hoffentlich mit THE SPIRIT [lacht].

Wir danken für das Interview!

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Quelle: Steffen Kummerer, Thulcandra
10.11.2021

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