Thränenkind
Interview mit Matthias zu "The Elk"
Interview
Nathanael, mit bürgerlichem Namen Matthias, dürfte den meisten durch seine Mitwirkung bei AGRYPNIE hinlänglich bekannt sein. Der gute Mann hat aber mit THRÄNENKIND seit 2007 eine sehr eindrucksvolle Band am Start, welche kürzlich ihr Debütalbum „The Elk“ veröffentlicht hat. Hierbei handelt es sich um ein sehr facettenreiches, stilistisch breit gefächertes Werk, voll dichter Atmosphäre und tiefer Melancholie sowie interessantem lyrischen Konzept. Was alles dahintersteckt und welche Einstellungen die Bandmitglieder vertreten, klärten wir im Interview.
Wie kam es damals zur Gründung von THRÄNENKIND? Welche Bedeutung steckt hinter dem Bandnamen?
Die Band wurde 2007 von einem guten Freund („Pesten“) und mir, aus dem Wunsch heraus, atmosphärische und melancholische Musik zu machen, gegründet. Tiefe Gefühle und Emotionalität spielten damals schon eine große Rolle, im Laufe der Zeit entwickelte sich die Musik dann weiter und es entstand das, was man heute auf unserem Debut Album „The Elk“ hören kann.
Der Bandname spiegelt mehrere Facetten wieder. Ich finde es äußerst interessant, dass Tränen sowohl in Momenten tiefer Trauer, als auch größter Freude auftauchen können. Diese Ambiguität finde ich spannend, denn Tränen sind daher ein Indikator für und Folge von starken Gefühlen und tiefgreifenden Emotionen. Das Kind im Bandnamen stellt etwas hilfloses, fragiles und äußerst verletzliches dar, aber auch etwas „Wildes“, von der Gesellschaft noch nicht vorgeprägtes. Diese Kombination erschien uns gut zu unserer Art von Musik zu passen.
Ihr hattet verschiedene Line-Up Wechsel. Weshalb hat sich das Bandkarussell so oft gedreht?
So oft hat es sich eigentlich gar nicht gedreht. „Pesten“ verließ die Band, bevor die Arbeiten am Debütalbum begannen, aus persönlichen und zeitlichen Gründen. Darauf kam Nils als Sänger hinzu und etwa zeitgleich Max und David an der Gitarre und Emanuel am Schlagzeug. David wollte sich dann voll und ganz auf HERETOIR konzentrieren; und als Ersatz kam Florian.
Da ich bisher die Musik alleine geschrieben habe, hatten die Wechsel wenig Einfluss auf die Musik selbst, allerdings glaube ich, dass wir uns jetzt als Band gefunden haben. Desweiteren hoffe ich, dass sich die anderen Jungs auf kommenden Alben etwas einbringen und so unsere Musik noch vielseitiger gestalten werden.
„The Elk“ erscheint über Lifeforce Records. Wie kam der Deal zustande, und was gab den Ausschlag, über Lifeforce zu veröffentlichen?
Das ist schnell erzählt: Ich habe eine Promo CD losgeschickt, auf die recht begeistert reagiert wurde. Dann folgten einige Gespräche, die Details wurden geklärt und dann war der Deal unter Dach und Fach. Lifeforce haben schon seit langer Zeit eindrucksvoll unter Beweis gestellt, was es heißt, richtig gute Alben zu veröffentlichen und Bands aus dem Bereich extremer Musik zu supporten. Mit dabei waren oft Metalcore und Hardcore Bands, welche mich sowohl musikalisch als auch textlich überzeugen konnten (und das zum Teil heute noch tun). Ich glaube, da passen wir mit unserer linken Vegan Straight Edge Einstellung ganz gut dazu.
Mein Ziel bei der Auswahl des Labels war es letztendlich Menschen zu finden, die Lust haben mit uns zusammenzuarbeiten, weil sie sowohl unsere Musik, als auch unsere politische Sicht der Dinge verstehen und vielleicht sogar teilen. Und ich bin sehr froh, dass genau das mit Lifeforce Realität geworden ist.
Die Aufnahmen stammen ja teilweise noch aus 2011. Weshalb hat es so lange gedauert, bis die CD veröffentlicht wurde? Und was kannst du uns von den Aufnahmen berichten?
Die Arbeit am Album und schließlich an den Aufnahmen haben sich in die Länge gezogen, weil einige Hürden überwunden werden wollten und eben die ein oder andere (auch für die Zukunft der Band wichtige) Entscheidung getroffen werden musste. Ich als Mensch habe mich natürlich auch in dieser Zeit weiterentwickelt und daher war es nur logisch, dass sich auch die Musik und die Ausrichtung der Band weiterentwickeln würde. Ich habe eben versucht ein Fundament zu errichten, auf welchem zukünftige Entwicklungen der Band aufgebaut werden können. Das hat etwas Zeit in Anspruch genommen, und ob es geglückt ist kann jeder selbst entscheiden, der sich unser Debütalbum angehört hat.
Die Aufnahmen an sich waren sehr angenehm und entspannt. Ich habe im Forester Recording Studio bei unserem Gitarristen Max aufgenommen, welcher ausgebildeter Tontechniker ist und mit Leib und Seele sein Studio betreibt. Unterstützung kam bei den Aufnahmen des Albums noch von Martin (Gitarrist bei AGRYPNIE), was die Zeit im Studio noch angenehmer und vor allem amüsanter gestaltet hat.
Wie sind die bisherigen Reaktionen auf „The Elk“?
Überwiegend positiv. Das bestärkt einen als Musiker natürlich enorm. Klar sind auch ein paar durchwachsene Reviews erschienen, aber der überwiegende Teil der Reaktionen auf unser Debüt ist sehr positiv ausgefallen. Auch von unerwarteter Seite kamen Lob und begeisterte Worte. Das zeigt uns, dass durchaus Interesse an unserer Musik besteht, und gibt uns Energie, das zweite Album in Angriff zu nehmen.
Worin seht ihr selbst die Unterschiede zwischen „The Elk“ und eurem Demo bzw. den Songs der Split-CD mit HERETOIR?
Die Musik hat sich ein wenig von den Black Metal-Gitarren und dem Tremolo Picking weg entwickelt und man kann auf „The Elk“ eher Parallelen zu Crust oder Hardcore Punk finden, auch wenn nach wie vor viel post rockige Melancholie und Atmosphäre vorherrscht. Auch die Lyrics auf „The Elk“ sind etwas kryptischer, mehrdeutiger und gehen auch noch weiter über die zwischenmenschliche Gefühlswelt hinaus, als das bei den älteren Stücken der Fall war. Und ein wesentlicher Unterschied ist, dass sie nun Englisch sind.
„The Elk“ ist musikalisch vielseitig. Welches sind eure hauptsächlichen Einflüsse? Hattet ihr ein bestimmtes Ziel vor Augen, welches ihr mit dem Album erreichen wolltet?
Einflüsse gibt es viele. Da ich selbst einen sehr breit gefächerten Musikgeschmack habe, kann ich mich beim Schreiben von Musik auch nicht auf ein bestimmtes Genre versteifen. Und das möchte ich auch nicht. Ich höre selbst sehr viel Crust, Hardcore Punk und US Black Metal, aber eben auch viel Post Rock, Film-Soundtracks und Musik aus ganz anderen Sparten. Von den hier genannten Genres können im ganzen Debütalbum Einflüsse gefunden werden, jedoch war das nicht geplant, sondern hat sich eher unbeabsichtigt so ergeben.
Ich wollte mit dem Album eine Geschichte erzählen. Es sollte eine düstere und melancholische Grundstimmung entstehen, welche aber durchaus Lichtblicke beinhaltet und einen Funken Hoffnung erahnen lässt. Die Lyrics sollten diese Stimmung unterstützen, Freiraum für verschiedene Interpretationen lassen und den Hörer darüber hinaus zum Nachdenken und Reflektieren anregen. Ich denke das ist gelungen.
„The Elk“ ist ein Konzeptalbum. Bitte umschreibt dieses Konzept! Was hat es mit dem Wapiti Hirsch (The Elk) auf sich?
Das Album beruht auf einer Kurzgeschichte, einer Art Roadmovie, welche ich verfasst habe. Es erzählt die Reise von zwei Geschwistern durch den Nordwesten der USA. Ihr Ziel ist das Begräbnis ihres kürzlich verstorbenen Vaters, welchen sie zu Lebzeiten gefürchtet und verachtet hatten. Das Begräbnis soll nun dieses düstere Kapitel ihrer Leben endgültig beenden. Während der Reise – welche sie Song für Song tiefer in ihren Bann zieht – begegnen sie Erinnerungen aus der Jugend, kehren an altbekannte Orte zurück, entdecken Neues und haben eine Begegnung mit einem Wesen der Wildnis, welche einschneidende Veränderungen ihres eigenen Lebens nach sich zieht. Tod, Hoffnung und die endlosen Sehnsucht nach Freiheit dominieren den Geist der Erzählung. Die Begegnung mit dem Wapiti-Hirsch (daher der Titel: „The Elk“) führt schließlich eine Wende im Leben der Geschwister herbei. Die menschliche Zivilisation verliert dabei zunehmend an Bedeutung, während die unberührte Natur zu einem Ort der Zuflucht wird…
Bei dem Stück „Just Another Way Of Expressing Defeat“ habt ihr auf Lyrics verzichtet. Was sind die Gründe hierfür?
Bei einigen Songs haben wir bewusst auf Lyrics verzichtet. Bei manchen hat es sich einfach ergeben, dass sie rein instrumental geblieben sind. Wir wollten das Album nicht mit Texten überladen. Es sollten ruhige Momente vorhanden sein, in denen sich die Atmosphäre der Musik ganz frei entfalten kann. Dem Hörer sollte während dieser Stücke nichts durch Worte vorgegeben werden und somit Platz geschaffen werden für ganz persönliche Gedanken und Interpretationsansätze.
Ihr werbt mit folgendem Satz für euch: „Green-Minded, Anti-Fascist, Drugfree, Anarchistic Post Metal“. Bitte geht darauf genauer ein, was ihr genau darunter versteht!
Eigentlich meinen wir damit genau das, was da steht. Wir selbst als Menschen verstehen uns als umweltbewusst und klar antifaschistisch. Die meisten Mitglieder der Band sind vegan und/oder Straight Edge und verzichten damit auf jegliche Form von Drogen. Wir interessieren uns für Gesellschafts – und Kapitalismuskritik und fühlen uns den Ideen des Anarchismus verbunden. Das sind Aspekte, die auf uns als Menschen zutreffen und dementsprechend auch Einfluss auf die Musik, die wir machen, haben. Wir möchten niemandem unsere Ansichten aufdrängen, wollen mit dieser Bezeichnung, welche du oben zitierst, aber unseren Standpunkt klar machen.
Mir persönlich ist es einfach wichtig Musik zu machen, die über Noten und Melodien hinausgeht und eine tiefere Bedeutung hat.
Vertretet ihr ernsthaft die politische Idee des Anarchismus? Was ist eurer Meinung nach falsch an der Demokratie?
Ja, ich würde mich selbst als Anarchisten bezeichnen. Viele verbinden mit Anarchismus jugendliche Rebellion und tun es als pubertäres Gehabe ab. Die Wenigsten setzen sich ernsthaft mit den Theorien des Anarchismus auseinander. Ich glaube – stark vereinfacht ausgedrückt – an eine Welt, frei von Hierarchien, von Diskriminierung, von Unterdrückung von Mensch und Natur. Ich halte es für notwendig unsere bestehenden Gesellschafts –, Wirtschafts – und Staatsformen zu hinterfragen. Für mich kann es keine „gute“ oder „funktionierende“ Staatsform geben. Denn jeder Staat ist verbunden mit unterdrückenden Herrschaftssystemen, Hierarchien und sozialer Ungerechtigkeit. Freiheit spielt für Staaten eine untergeordnete Rolle. Ich finde, sie ist das höchste Gut, das man besitzen kann. Deshalb halte ich auch die Demokratie als Staatsform für verbesserungswürdig. Sie mag „besser“ sein als eine Diktatur oder Gewaltherrschaft, doch herrschen auch innerhalb demokratischer Systeme Kapital und Macht, womit Ausbeutung und Ungerechtigkeit einhergehen. Ich finde es erstrebenswert sich für eine Welt ohne Grenzen, ohne Staaten, ohne Unterdrückung und Ausbeutung (von Menschen, Tieren und Ökosystemen) einzusetzen. Selbstbestimmung und Freiheit sollten Alltag sein, nicht Repression, Zwang, Unterdrückung und Angst.
Weiter seid ihr zumindest teilweise Veganer und/oder Straight Edger, was für eine Band, welche zumindest Elemente des Black Metals verwendet, doch schon sehr exotisch ist. Inwiefern setzt ihr euch mit den eigentlichen Werten dessen auseinander? Was machte für euch den Ausschlag zu diesen Lebenseinstellungen?
Für uns sind Veganismus und der Verzicht auf Drogen aller Art nichts „Besonderes“. Es ist einfach unsere Art zu leben, unsere Normalität. Ich zum Beispiel bin Veganer, weil ich die riesige Maschinerie, die Tiere zu bloßer Ware degradiert, nicht unterstützen möchte. Für mich sind Tiere Lebewesen und nicht Lebensmittel. Der Mensch lebt heutzutage in einer industrialisierten Zivilisation, was bedeutet, dass er sich aus dem natürlichen Gleichgewicht gelöst hat und sich als Herrscher über die Natur aufgeschwungen hat. Tiere werden „produziert“, als Verbrauchsgüter. Die Fleischproduktion benötigt Unmengen von Wasser und Flächen, verseucht die Erde mit Medikamenten und Ausscheidungen und schädigt so nicht nur die betroffenen Tiere, sondern auch den gesamten Planeten, der unsere Lebensgrundlage darstellt (welche wir aber in immer rasanterem Tempo zerstören).
Respekt vor dem Leben und Ehrfurcht vor den letzten noch verbliebenen intakten Ökosystemen der Erde sind für mich selbstverständlich. Daher möchte ich nicht durch den Kauf von Fleisch, Eiern, Milch, Leder oder anderen tierischen Produkten an dieser Ausbeutungsmaschinerie teilhaben.
Straight Edge bin ich deshalb, weil ich meinen Körper nicht zerstören möchte, und auch keinen Sinn darin sehe, die Kontrolle über meine Taten aus der Hand zu geben. Desweiteren will ich keine Konzerne, wie die Tabak – und Alkoholproduzenten, unterstützen, welche durch körperlich schädliche Stoffe die Menschheit vergiften, dumm halten und skrupellos einzig und allein an die Vermehrung von Geld und Besitz denken.
Versteht ihr Vegan/Straight Edge als so etwas wie eure Religion oder habt ihr „richtige“ Konfessionen?
Wie schon gesagt ist das für uns eine alltägliche Lebensweise und hat nichts mit einer Religion zu tun. Alle Mitglieder der Band sind Atheisten und lehnen jegliche Form von Religion ab.
Wie kommen all eure Einstellungen eigentlich in der Musikszene / Black-Metal-Szene an? Eher positiv, oder überwiegt das negative?
In der Black-Metal-Szene gibt es einige, die sich vor den Kopf gestoßen fühlen, uns anfeinden und unsere Ansichten „lächerlich“ finden. Das ist bedauerlich und ich würde mir wünschen, dass einige etwas mehr reflektieren würden und über die Tragweite ihrer Taten nachdenken würden. Die Metal Szene allgemein ist etwas aufgeschlossener, insgesamt fühlen sich aber auch dort einige von unserer veganen und alkoholfreien Lebensweise abgeschreckt. In anderen Musikrichtungen – wie zum Beispiel in der Hardcore oder DIY Szene – sind „Werte“ wie Antifaschismus, Veganismus und der Straight Edge Gedanke völlig normal und an der Tagesordnung.
Wir würden uns wünschen, den ein oder anderen mit unserer Musik zum Nachdenken anregen zu können, ohne dass wir irgendjemanden belehren wollen. Letztendlich muss sowieso jeder für sich selbst beurteilen, was er von Einstellungen wie der unseren hält.
Was habt ihr in nächster Zukunft mit THRÄNENKIND geplant? Konzerte?
Ja, wir haben auf jeden Fall vor, verstärkt Live in Erscheinung zu treten. Wir werden im November zusammen mit GOLDUST einen Weekender, welcher vier Konzerte umfassen wird, spielen. Dabei werden wir unter anderem in Berlin und Hamburg zu Gast sein.
Darüber hinaus hoffen wir, dass aus der Zusammenarbeit mit Marco von Avocado Booking nächstes Jahr noch die ein oder andere Show oder vielleicht auch eine Tour hervorgehen wird. Man wird sehen was die Zukunft bringt.
Was steht sonst so an bei euren anderen Bands?
Nach der erfolgreichen AGRYPNIE Tour zu Beginn des Jahres haben wir es dort etwas ruhiger angehen lassen, was Liveauftritte angeht, aber der eine oder andere Gig wird dieses Jahr bestimmt noch kommen. Bei HERETOIR gibt es vorerst eine Live Pause, welche nächstes Jahr im April mit der Tour mit DORNENREICH beendet wird.
Nils hat mit AND THEN THEY RUN im August den letzten Auftritt der Band und konzentriert sich dann wieder auf kommende OPHIS und FÄULNIS Shows.
Vielen Dank für das Interview! Die letzten Worte gehören dir!
Ich möchte mich für dein Interesse bedanken und dafür, hier in diesem Rahmen über unsere Band, Musik und Politik sprechen zu können. Danke dafür.
Mehr zu Thränenkind
Band | |
---|---|
Stile | Black Metal, Crust, Hardcore, Post-Metal, Progressive Black Metal |
Interessante Alben finden
Auf der Suche nach neuer Mucke? Durchsuche unser Review-Archiv mit aktuell 37294 Reviews und lass Dich inspirieren!
Schwaches Album und klingt zu sehr nach Agrypnie!
Interessantes Interview!
„The Elk“ wird angehört…
@Schorsch
Peinlich, wie offen du deine Ahnungslosigkeit hier zur Schau trägst.
@Nachtfrost
Peinlich, wie offen du eine Band die du magst zu verteidigen versuchst.
Klasse Interview, auch wenn die übliche ‚Vegan ist eure Religion‘-Frage kam. (Religion basiert auf Geschichten, Veganismus auf ökologische/gesundheitliche Aspekte und tierpsysiologischen Erkenntnisen – sprich Fakten. Mal als Info)
Tolle Ansichten von dem Musiker. Macht sie sehr sympathisch.