Thin Lizzy
Thin Lizzy
Interview
THIN LIZZY. Hard-Rock-Fans schlägt das Herz höher, wenn dieser Name fällt. Die Band, die mit dem verstorbenen Frontmann Phil Lynott Geschichte schrieb, existiert noch immer und der Mythos der sie umgibt, scheint ungebrochen. Gitarrist Scott Gorham stand Rede und Antwort u.a. zur neuen Live-Scheibe und warum kein weiteres Studioalbum in der Mache ist.
Scott, das neue Album „Still Dangerous“ präsentiert THIN LIZZY live anno 1977. Es gab allerdings bereits ein Live-Album mit dem Titel „Live And Dangerous“. Warum habt ihr euch dafür entschlossen, ein ähnlich betiteltes Live-Album herauszubringen?
Nun, wir haben das aus verschiedenen Gründen gemacht. Zum einen hört sich diese Aufnahme einfach super an und zeigt mir immer wieder, wie gut wir als Band bereits in dieser noch frühen Phase unserer Karriere live geklungen haben. Zweitens haben wir damit ein weiteres Statement gesetzt, dass keine Overdubs nötig waren, damit endlich diese ewige Gerüchteküche im Internet aufhört, dass wir auf „Live And Dangerous“ tonnenweise davon benötigt haben. Wie man auch auf „Still Dangerous“ hören kann, haben wir so etwas nie gebraucht.
Auf dem aktuellen Live-Album sind eine Menge Hits aus dem Hause THIN LIZZY vertreten wie z.B. „Jailbreak“, „Cowboy Song“ oder „The Boys Are Back In Town“. Einer eurer größten Hits, „Whisky In The Jar“, fehlt allerdings. Gab es irgendeinen besonderen Grund, warum ihr diesen Titel an dem Abend nicht gespielt habt?
Als Brian Robertson (Schlagzeug, 1974-1978) und ich bei THIN LIZZY einstiegen merkten wir schnell, dass es sich um eine ganz andere Band mit einer ganz neuen Ausrichtung und Sound handelte, als wir sie kannten. Ich habe darüber dann auch mit Phil gesprochen und meinte, dass auch wir lernen müssen, auf unseren eigenen Füßen zu stehen, ohne uns auf dem bereits gemachten Bett ausruhen zu können. Wir wollten auch in die Zukunft sehen, ohne der Vergangenheit nachzuhängen. Phil war diesbezüglich ganz meiner Meinung, also nahmen wir die ganzen alten Klamotten aus dem Live-Set und fingen frisch von vorne an. Wir machten uns also auf, um durch unser eigenes Schwert zu sterben, wenn man so will.
Ist es denn wirklich war, dass das Album im Studio überhaupt nicht nachbearbeitet wurde? Bei den Vocals z.B.?
Absolut wahr! Es gibt keine Overdubs auf „Still Dangerous“.
Ich denke mal, dass sich viele Leute noch immer fragen, was es mit dem Namen THIN LIZZY auf sich hat. Handelt es sich um ein dünnes Mädchen? Oder verbirgt sich dahinter eine ganz andere Geschichte?
Der Name THIN LIZZY resultiert von einem Comic-Charakter namens Tin Lizzy. Phil hat da einfach ein „h“ hinzugefügt und er wusste, dass die Iren es sowieso wie Tin Lizzy aussprechen würden. Sein kleiner Scherz…
Nun, erzähl doch mal ein wenig von Phil Lynott. Was für eine Art Musiker war er? Konnte man ihn eher als introvertiert oder eher offenen Menschen beschreiben? War er ein Musiker, der in seinen Songs lebte?
Phil Lynott war NICHT introvertiert. Er war ein Mensch, der extrem aus sich heraus ging und man hatte immer den Eindruck, dass er auf einer Art Mission war, besonders, wenn es um THIN LIZZY ging. Ich hatte aber auch nie den Eindruck, dass seine Songs besonders autobiografisch waren. Er war eher eine Art Typ, der das, was um ihn herum passierte sehr wahrnahm und es liebte, darüber zu schreiben. Außerdem war er ein eifriger Leser und er liebte historische Figuren und Geschichten, auch Plätze oder Städte waren für ihn eine Inspiration. Der „Cowboy Song“ handelt von Texas (Dallas), und “The Boys Are Back In Town” hat ziemlich viel von L.A., etwas gemixt mit New York. Phil war ein ziemlicher Underdog, was sicher damit zusammenhängt, dass er in Dublin aufgewachsen ist.
Was ist deine schönste Erinnerung im Zusammenhang mit Phil und THIN LIZZY?
Eine wirklich erinnerungswürdige Nacht geht zurück ins Jahr 1976. „The Boys Are Back In Town“ und das „Jailbreak“-Album waren richtig große Hits in den USA und wir spielten dort unsere erste Headliner-Tour im Hammersmith Odeon. Wir wussten wirklich nicht, was uns an diesem Abend erwarten würde, doch als wir in Richtung Bühne gingen stand das Publikum auf, um uns zuzujubeln. Ich weiß noch, wie Phil in Richtung Mikrofon ging, um den Sound zu checken und einfach nur „one“ sagte, da rastete das komplette Publikum aus! Phil drehte mich zu mir um, machte eine Faust und grinste übers ganze Gesicht und schrie „Yeeeeeeeeaaaaaahhhh“. Von diesem Augenblick an schauten wir niemals zurück.
Und was ist deine schlimmste Erinnerung?
Das ist einfach, Phils Tod.
Kannst du dich denn noch an die ersten Gigs mit THIN LIZZY erinnern? Wie haben die Leute auf diesen Hard-Rock-Sound reagiert?
Die erste Show, die wir in dieser Konstellation zusammen spielten, war in einem Club in Wolverhampton. Ich denke, an diesem Abend waren acht Türsteher und sechs zahlende Gäste anwesend. Von sechs Leuten kannst du keine große Reaktion verlangen, oder? Wir betrachteten die Show einfach als schlecht bezahlte Probe.
Ihr hattet mit THIN LIZZY so viele Hits und habt viele Konzerte gespielt. Gibt es einen Zeitraum für dich, für den du ein besonderes Gefühl hast?
Für alles, was wir durchgemacht haben, habe ich ein besonderes Gefühl. Natürlich gab es gute und schlechte Zeiten, und welche, die du einfach vergessen willst. Wenn du mich aber auf ein Ereignis festnageln willst, dann spielt der Erfolg, denn wir mit unserer ersten Single und Album („Jailbreak“) hatten, eine tragende Rolle. Dein Leben ändert sich, das muss es. Die Dinge werden allesamt ernster, weil sie es müssen. Aber genauso gibt es eine ganz neue Auswahl an Möglichkeiten, die deinen Weg kreuzen. Zu neuen Ländern fliegen, vor größerem Publikum spielen…die Liste ließe sich immer weiter fortführen. So viel cooles Zeug…
Wie kann man es sich heute vorstellen wie es für euch gewesen sein muss, solch eine Art von Musik zu spielen. Welche Einflüsse hattet ihr zu dieser Zeit?
Hm, ich denke die größte Inspiration für uns war die Angst, zurückgewiesen zu werden, besonders am Anfang. Natürlich war der Zustand eine Inspiration für uns, dass wir alle unsere unterschiedlichen Spielarten hatten und wir von Glück reden konnten, diese alle unter einen Hut zu bekommen. Einen Gedanken trugen wir immer in unseren Köpfen. Nämlich den, dass wir wie niemand anderes da draußen klingen wollten. Und mit einem Frontmann wie Phil Lynott sind wir nie der Gefahr gelaufen, dass das passieren könnte.
Was immer eine Besonderheit von THIN LIZZY war, mal abgesehen vom Gesang, ist dieser warme Gitarrensound, der zu dieser Zeit sehr ungewöhnlich war. Dieser Klang der beiden Gitarren zusammen ist unbeschreiblich. Ist das durch Zufall entstanden oder kam das vom Üben?
Ich kann sagen, dass es etwas von beidem war. Du weißt ja, was man so sagt „je mehr ich übe, umso besser werde ich“. Und wir haben sehr intensive Proben hinter uns gebracht. Aber es stimmt, Brian hatte diesen etwas erdigeren und härteten High-End-Sound, während ich immer versucht habe, mit diesem warmen Ton einen Gegenpart zu bilden. Und wenn man die Gitarren dann zusammen hört, ist es schon was besonderes. Ich weiß nicht, kann man das Glück nennen?
1983 habt ihr THIN LIZZY aufgelöst. Was war der Grund dafür? Den Gerüchten zufolge, waren die Drogenprobleme von Phil der Auslöser dafür. Stimmt das?
Der Grund für den Split lag nicht nur bei Phil. Ich muss mir hierfür auch einen Teil der Schuld ankreiden. Wir hatten beide ein Drogenproblem. Aber ich war es, der zu Phil ging und ich sagte ihm, dass ich genug von allem habe und wir mit der Band Schluss machen sollten. Hauptsächlich weil ich dachte, dass unter unserem Problem das Songwriting und die Band leiden würden, von unserer Gesundheit mal ganz abgesehen. Außerdem sagte ich ihm, dass ich keine Lust darauf habe, den Namen THIN LIZZY in den Dreck zu ziehen, nach all dem, was wir mit dieser Band erreicht haben in den elf Jahren. Es hat darüber eine Menge Diskussionen gegeben, aber am Ende gab er mir recht damit. Zurückblickend währe ich mehr als froh gewesen, wenn jemand vom Management eingeschritten und den Vorschlag gemacht hätte, THIN LIZZY für ein oder zwei Jahre auf Eis zu legen, oder wie lange es auch immer gebraucht hätte, den Enthusiasmus wieder zu erwecken. Niemand tat etwas dergleichen…
Was ist denn in all den Jahren geschehen, bis ihr THIN LIZZY reformiert habt. Gab es ein musikalisches Leben für dich in der Zwischenzeit? Was hast du in dieser Zeit gemacht?
1984 klappte ich meinen Gitarrenkoffer zu und machte ihn für vier oder fünf Jahre nicht mehr auf. Ich war total ausgebrannt. Ich fand schrittweise meinen Weg zurück zur Musik indem ich Freunden bei Aufnahmen half, bis ich um 1990 herum wieder anfing Songs zu schreiben. Ich kam mit einem Typen in Kontakt, mit dem ich 21 GUNS gründete, Leif Johanson. Zu dieser Zeit war ich wieder clean und es machte endlich wieder Spaß, Songs zu schreiben und Stücke aufzunehmen. Und so um 1993 herum rief mich John Sykes an und das war die Stunde der Wiedergeburt von THIN LIZZY.
Stimmt es eigentlich, dass du mal ein Vorspiel bei SUPERTRAMP hattest?
Nein, ein Vorspielen hatte ich bei den Jungs nicht, ich war vielleicht auf dem ein oder anderen Album vertreten.
Was viele sicherlich nicht wussten ist, dass Gary Moore bei THIN LIZZY Anfang der 70er die Gitarre bediente. Hattet ihr ein gutes Verhältnis zueinander?
Ich hab das schlechte Gefühl dass die Leute denken, Gary und ich könnten uns nicht riechen. Nun, das ist aber nicht korrekt. Wir waren Freunde während er in der Band war und danach auch. Ich habe vor Gary in Sachen Gitarrenspiel einen ziemlichen Respekt und er hat einen total klasse Sinn für Humor, den du brauchst, wenn du einer Band wie THIN LIZZY spielst.
Viele Bands haben THIN LIZZY in ihrer Liste der musikalischen Einflüsse. Bands wie ANTHRAX, METALLICA, MOTÖRHEAD oder DROPKICK MURPHYS haben Stücke von euch gecovert. Ist das etwas, worauf du stolz bist?
Ich denke jede Band ist stolz darauf zu hören, dass eine andere, erfolgreiche Band einen als Einfluss nennt. Das ist ganz sicher nichts, was man nicht mag. Wenn du mal gründlich nachdenkst, braucht jede Band manchmal einen Song den sie gehört hat oder ein Element, was sie auf der Bühne gesehen hat. Es gibt einem einen Kick um einfach loszulegen und selbst was eigenes auf die Beine zu stellen. Es ist ein großer Schritt und du musst nahezu alles andere aufgeben und dich nur noch auf die Musik konzentrieren, um so etwas hinzubekommen. Wenn wir also verantwortlich dafür sind, dass eine andere Band ihre Kreative Ader entdeckt hat, dann ist das eine Sache, die nicht schlecht ist, oder?
Ihr treibt euch ja immer noch hin und wieder auf den großen Festivals rum, eine neue Platte unter dem THIN LIZZY-Banner habt ihr allerdings noch nicht aufgenommen obwohl ich denke, dass euch die Plattenfirmen den ein oder anderen lukrativen Deal angeboten haben. Gibt es einen besonderen Grund für diese Abstinenz?
He he, das ist eigentlich immer die erste Frage, die mir bei Interviews gestellt wird. Und weißt du was? Es ist nicht leicht, diese Frage zu beantworten! Es scheint, als ob viele Leute wirklich wollen, dass wir ein neues Album unter THIN LIZZY aufnehmen. Doch John (Sykes, Gesang, Gitarre) und ich haben uns aus Respekt vor Phil dagegen entschieden. Aber manchmal denke ich schon darüber nach wie es wäre, der Welt zu zeigen, was wir in all den Jahren mit THIN LIZZY gelernt haben, so was wie „das alles hat Phil für uns getan“. Doch dann denkt man an die Typen da draußen die direkt schreien, dass wir das alles doch nur für die Kohle machen würden! Und je mehr ich darüber nachdenke, desto weiter entfernt sich der Gedanke an ein neues THIN LIZZY-Album.
Last but not least: Wie sehen eure Pläne für die Zukunft aus? Werdet ihr THIN LIZZY am Leben erhalten?
Nun, wir spielen in diesem Sommer auf ein paar Festivals. Ein paar Gigs mit METALLICA und auch einige in den Staaten sind ebenfalls dabei. Es wird ein eher ruhiges Jahr für THIN LIZZY. Und wenn es darum geht, THIN LIZZY am Leben zu erhalten, dafür sind die Fans verantwortlich.
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